BT-Drucksache 14/5764

Reform der Mitbestimmung zur Stärkung des Mittelstandes

Vom 4. April 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5764
14. Wahlperiode 04. 04. 2001

Antrag
der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Detlef Parr, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Klaus Haupt, Hildebrecht Braun (Augsburg),
Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Birgit Homburger, Gudrun Kopp, Hans-Joachim
Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler,
Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der F.D.P.

Reform der Mitbestimmung zur Stärkung des Mittelstandes

Der Bundestag wolle beschließen:

Das 1972 beschlossene Betriebsverfassungsgesetz hat einen erheblichen Bei-
trag zum sozialen Frieden in der Bundesrepublik Deutschland geleistet. Nach
fast 30 Jahren ist jedoch eine Modernisierung der betrieblichen Mitbestimmung
erforderlich, die der Entwicklung zu mehr Individualisierung, Flexibilisierung,
Entbürokratisierung und Betriebsautonomie Rechnung trägt. Insbesondere sind
die Verfahren und Regelungen der betrieblichen Mitbestimmung an die Leis-
tungsfähigkeit kleiner und mittlerer Betriebe anzupassen.

1. Mittelstandsfreundlichkeit des Betriebsverfassungsgesetzes

In kleinen und mittleren Betrieben arbeiten Geschäftsführung und Arbeit-
nehmer Hand in Hand für das Wohl des Unternehmens und pflegen eine
Kultur der direkten Kommunikation. Gerade in Inhaberunternehmen ist der
unmittelbare Kontakt jedes Arbeitnehmers mit dem Arbeitgeber noch jeder-
zeit möglich. Diese unkomplizierte Praxis betrieblicher Partizipation und in-
formeller Mitbestimmung wird durch die Zwischenschaltung eines Betriebs-
rates eher gestört.

Das Betriebsverfassungsgesetz ist daher im Interesse der Betriebsparteien
im Mittelstand folgendermaßen zu ändern:

a) Ein Betriebsrat kann in Unternehmen erst ab 20 Beschäftigten gebildet
werden und erfordert ein Wahlquorum von mehr als 50 % der wahl-
berechtigten Arbeitnehmer.

b) Die Anzahl der Mitglieder im Betriebsrat sind zu reduzieren. Der Be-
triebsrat besteht in Betrieben mit in der Regel:

5 bis 50 Arbeitnehmern aus 1 Mitglied
51 bis 150 aus 2 Mitgliedern

151 bis 300 aus 3 Mitgliedern
301 bis 500 aus 5 Mitgliedern
501 bis 1 000 aus 7 Mitgliedern

1 001 bis 2 000 aus 9 Mitgliedern
2 001 bis 3 000 aus 12 Mitgliedern
3 001 bis 5 000 aus 15 Mitgliedern
5 001 bis 7 000 aus 19 Mitgliedern
7 001 bis 9 000 aus 23 Mitgliedern.

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c) Die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern beginnt in Unternehmen mit
mehr als 500 Beschäftigten mit einem freigestellten Betriebsrat. In Be-
trieben ab 1 001 wird die Zahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder
um jeweils eine Freistellung reduziert.

d) Die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte werden an die Leistungsfä-
higkeit kleiner und mittelständischer Betriebe angepasst: Die Mitbestim-
mungsrechte des Betriebsrates in sozialen Angelegenheiten i. S. des § 87
BetrVG (erzwingbare Mitbestimmung) werden auf Betriebe mit mehr als
300 wahlberechtigten Arbeitnehmern beschränkt.

e) Der Schwellenwert für die Mitbestimmung bei personellen Einzelmaß-
nahmen i. S. des § 99 BetrVG wird von 20 auf 50 wahlberechtigten
Arbeitnehmern angehoben.

f) Der Schwellenwert für die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei
Betriebsänderungen im Sinne der §§ 111, 112 BetrVG wird von 20 auf
50 wahlberechtigte Arbeitnehmer angehoben. Der Betriebsrat wird ver-
pflichtet, bei der Vereinbarung des Sozialplans besonders zu beachten,
dass der Fortbestand des Unternehmens und der damit verbundenen
Arbeitsplätze nicht gefährdet wird.

g) In Teilzeit arbeitende Beschäftigte sind bei der Berechnung der Schwel-
lenwerte im Betriebsverfassungsgesetz nur entsprechend ihrer Arbeitszeit
zu berücksichtigen (analog § 23 KSchG).

2. Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren im Betriebsverfas-
sungsgesetz

Die im In- wie Ausland bestehenden Vorbehalte gegen das deutsche Modell
der Mitbestimmung resultieren insbesondere aus den komplizierten Verfah-
rensvorschriften und der damit einhergehenden langen Dauer und dem Ver-
lust an Flexibilität. Die deutsche Mitbestimmung wird dann größere Akzep-
tanz bei beiden Betriebsparteien finden, wenn die im Betriebsverfassungs-
gesetz vorgesehenen Entscheidungsprozesse schnell, effizient und klar ge-
staltet werden. Daraus folgt:

a) Eine sachwidrige Koppelung von verschiedenen, nicht zusammengehö-
rigen Sachverhalten muss vermieden werden. Gründe für eine Zustim-
mungsverweigerung sollten auch im Hinblick auf Regelungstatbestände
der erzwingbaren Mitbestimmung eingeführt werden, damit die betriebs-
ratliche Interessenausübung einer Überprüfbarkeit konkret zugänglich
gemacht wird.

b) Es muss ein Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers eingeführt werden,
entsprechend dem Verfahren nach § 23 Abs. 3 BetrVG, wenn der
Betriebsrat gegen seine gesetzlichen Pflichten verstößt, indem er die
Entscheidung über unterschiedliche Sachverhalte in unzulässiger Weise
miteinander verknüpft.

c) Das Einigungsstellenverfahren muss beschleunigt und dessen Kosten
müssen reduziert werden. Es ist eine zeitliche Begrenzung sowohl im
Hinblick auf die Bildung der Einigungsstelle sowie die Durchführung des
Einigungsstellenverfahrens notwendig. Im Fall einer Nichteinigung sollte
die gerichtliche Entscheidung über den Vorsitzenden des Bestellungsver-
fahrens spätestens nach zwei Wochen erfolgen. Gesetzlich ist die Wahl
der Einigungsstellenorgane und ihre Vergütung zu regeln. Der Ver-
gütungsanspruch von hauptamtlichen Funktionären wird begrenzt.

d) Alle Mitbestimmungsverfahren sind zu befristen, damit der Arbeitgeber
nach Fristablauf handlungsfähig bleibt.

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e) Das Verfahren bei personellen Angelegenheiten ist zu vereinfachen. Eine
personelle Maßnahme muss vorläufig ohne die Verpflichtung des Arbeit-
gebers durchführbar sein, das Arbeitsgericht anzurufen. Statt dessen
sollte der Betriebsrat zur Anrufung des Arbeitsgerichts berechtigt
werden, wenn er gegen die Durchführung einer personellen Maßnahme
angehen will.

f) Die bloße Änderung der Betriebsorganisation ohne Maßnahmen des Per-
sonalabbaus ist aus dem Katalog der §§ 106 und 111 BetrVG herauszu-
nehmen.

3. Vorrang betrieblicher Vereinbarungen vor gesetzlichen Regelungen des
Betriebsverfassungsgesetzes

Das im Betriebsverfassungsgesetz angelegte Konsensprinzip muss stärker
ausgestaltet werden. Die betriebliche Erfahrung zeigt, dass der Vorrang
betrieblicher Vereinbarungen vor gesetzlichen Regelungen der bessere Weg
ist, da er den betriebsspezifischen Besonderheiten Rechnung trägt. Er bietet
den Betriebsparteien einen Spielraum, die für den Regelfall geltende gesetz-
liche oder tarifliche Regelung durch eine kollektivrechtlich wirkende
betriebliche Vereinbarung abzubedingen. Die Richtigkeit dieses Weges wird
durch die Zunahme von Öffnungs- und Optionsklauseln für betriebliche
Regelungen in Tarifverträgen unterstrichen.

Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht befugt, den Betriebsparteien
im Einzelnen den Ablauf betrieblicher Entscheidungsprozesse durch Regu-
larien vorzuschreiben, sondern darf lediglich einen Rahmen vorgeben, von
dem die Betriebsparteien abweichen können. Es ist Aufgabe der Unterneh-
men sowie der dort beschäftigten Arbeitnehmer und deren Vertretern, die
Beteiligung an beschäftigungsrelevanten Entscheidungen differenziert und
situationsgerecht auszugestalten. Daraus folgt:

a) Es müssen Regelungsspielräume auf der Ebene der Betriebsparteien er-
öffnet werden und betriebliche Erfordernisse im Rahmen des Betriebs-
verfassungsgesetzes stärker berücksichtigt werden, ohne komplizierte
Verfahrensmechanismen wie das derzeit in § 3 BetrVG bestimmte staatli-
che Zustimmungserfordernis.

b) Die Zahl der Betriebsräte sollte abweichend geregelt werden können, wie
es das geltende Recht bereits an anderer Stelle für die Freistellung der
Betriebsräte vorsieht (§ 38 Abs. 1 BetrVG).

4. Betriebsverfassungsgesetz für betriebliche Bündnisse für Arbeit öffnen

Das überkommene Tarifvertragssystem wird den Anforderungen der moder-
nen Arbeitswelt nicht mehr gerecht. Seit vielen Jahren orientieren sich die
Tarifabschlüsse an der Leistungskraft der großen Unternehmen. Sie berück-
sichtigen zu wenig die spezifische Situation in den kleinen und mittleren
Unternehmen. Die Bereitschaft der Tarifvertragsparteien, durch tarifvertrag-
liche Öffnungsklauseln Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene zuzulassen,
ist gewachsen, aber nicht ausreichend genug. Das starre Lohnkorsett gefähr-
det die Existenz von Betrieben und Arbeitsplätzen. Die längst vollzogene
Flexibilisierung einzelner Arbeitsverhältnisse wird in den Tarifverträgen nur
unzureichend berücksichtigt. Der Flächentarif in seiner bisherigen Form ist
überholt und muss durch betriebsorientierte Vereinbarungen ergänzt werden.
Daraus folgt:

a) Das Günstigkeitsprinzip in § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz muss so erwei-
tert werden, dass sich ein Lohnverzicht oder eine längere Arbeitszeit
dann als günstiger darstellt, wenn dies den Erhalt der Arbeitsplätze
sichert.

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b) Der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetzes, der bis-
lang die Normsetzung der Tarifparteien gegenüber betrieblichen Verein-
barungen privilegiert, ist so zu ändern, dass jegliche Vereinbarungen auf
betrieblicher Ebene möglich sind, wenn sie freiwillig geschlossen werden
und diesen 75 % der abstimmenden Mitarbeiter des Unternehmens zuge-
stimmt haben.

5. Wirtschaftlichkeit und Transparenz bei der Betriebsratstätigkeit

Die Finanzierung der betrieblichen Mitbestimmung führt in kleinen und
mittleren Unternehmen zu nicht unerheblichen Kostenbelastungen und kann
in Einzelfällen die Existenz gefährden. Das Betriebsverfassungsgesetz
schreibt bisher weder Transparenz noch Wirtschaftlichkeit bei den Auf-
wendungen für die Betriebsratsarbeit vor. Auch ist der Betriebsrat nicht ver-
pflichtet, jährlich Rechenschaft über die Verwendung der Geld- und Sach-
mittel zu geben. Dies widerspricht dem deutschen Rechtssystem und auch
den Interessen der Arbeitnehmer selbst. Daraus folgt:

a) Dem Betriebsrat steht für seine Arbeit ein gesetzlich bestimmtes und
begrenztes Geldbudget zur Verfügung, dessen Höchstgrenze sich prozen-
tual nach den durch den Arbeitgeber aufgewandten Personalkosten
bemisst und die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens berück-
sichtigt.

b) Entsprechend wird eine Kostenbegrenzung und ein Zeitbudget für Schu-
lungsveranstaltungen eingeführt.

c) Die Arbeitnehmer beteiligen sich an den Kosten und dem Sachaufwand
der Betriebsratsarbeit hälftig, höchstens jedoch mit einem halben Prozent
ihres Bruttoarbeitsentgelts. Der Ausweis des auf jeden einzelnen Arbeit-
nehmer entfallenden Anteils erfolgt auf der Lohn- und Gehaltsabrech-
nung.

d) Der Betriebsrat kann über dieses Budget frei und ohne Einflussnahme
durch den Arbeitgeber verfügen, ist aber gleichzeitig zu einem verant-
wortungsvollen Umgang mit den zur Verfügung gestellten Mitteln und
zur Rechenschaft gegenüber den Arbeitnehmern verpflichtet.

6. Demokratieprinzip und den Minderheitenschutz stärken

Die betriebliche Mitbestimmung ist in hohem Maße von ihrer Legitimation
durch die Belegschaft abhängig. Je weniger Arbeitnehmer oder Gruppen
von Arbeitnehmern im Betriebsrat repräsentiert sind, desto geringer die
Legitimation des Betriebsrates. Alle relevanten Gruppen müssen in die be-
triebliche Mitbestimmung einbezogen werden. Das Betriebsverfassungsge-
setz ermöglicht in seiner jetzigen Form eine zu starke Förderung von haupt-
amtlichen Funktionären und zu wenig Repräsentanz aller Belegschafts-
gruppen. Daher ist die Legitimationsbasis des Betriebsrates dringend zu
verbreitern:

a) Bei den Wahlvorschriften zum Betriebsrat und seinen Ausschüssen soll
das D’Hondtsche Auszählverfahren, welches große Gruppen, Listen-
gemeinschaften bzw. Gewerkschaften begünstigt, durch das Verfahren
,Hare-Niemayer‘, das keine der an der Wahl beteiligten Wahlvorschlags-
listen begünstigt, sondern das Stimmverhalten der Wähler bei der Man-
datsverteilung wiedergibt, ersetzt werden.

b) Es muss gewährleistet werden, dass alle im Betriebsrat vertretenen
Gruppierungen auch in den Ausschüssen des Betriebsrates analog den
Regelungen über die Bildung des Betriebsausschusses vertreten sind.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/5764

c) Beschlüsse eines Betriebsrates können mit einer qualifizierten Mehrheit
von 75 % aufgehoben werden, wenn sich an der Abstimmung mehr als
50 % der wahlberechtigten Arbeitnehmer beteiligt haben.

7. Mitarbeiterbeteiligung – moderne Form der Mitbestimmung

In Deutschland gibt es heute mehr Aktionäre als Gewerkschaftsmitglieder.
Diese Entwicklung hat Konsequenzen für die betriebliche Mitbestimmung.

a) Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen ist unter Wah-
rung der Freiwilligkeit der Vereinbarung in den Betrieben und Wahl-
freiheit der Anlageformen zu fördern. Dabei sind gesetzlicher Zwang
oder Zwang durch Flächentarifvereinbarungen abzulehnen, denn diese
können den unterschiedlichen Möglichkeiten und konkreten Zielvorstel-
lungen der einzelnen Unternehmen nicht gerecht werden. Ob Sparlohn
statt Barlohn, ob Gewinnbeteiligung oder Investivlöhne – die jeweiligen
Formen der Mitarbeiterbeteiligungen sollten Vereinbarungen zwischen
Geschäftsführung und Belegschaft vorbehalten bleiben.

b) Auch ist zu prüfen, wie das Gewicht in der Vermögensbildung vom Geld-
vermögen stärker auf das Produktivvermögen zu verlagern ist, um eine
deutlich stärkere Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivvermögen
zu ermöglichen, ohne andere Sparformen – etwa das Bausparen – zu be-
einträchtigen. So wäre zu überlegen, ob durch die bislang niedrigen Ein-
kommensgrenzen des Vermögensbildungsgesetzes und den ebenfalls
niedrigen Freibetrag des § 19a Einkommensteuergesetzes nicht gerade
diejenigen Mitarbeiter von der Förderung ausgeschlossen bzw. einge-
schränkt werden, die ein interessantes Potential für Mitarbeiterbeteiligun-
gen am Produktivkapital wären.

c) Schließlich muss eine international wettbewerbsverträgliche steuerliche
Behandlung von Aktienoptionen für Arbeitnehmer gefunden werden.
85 % der Firmen, die im Index des Neuen Marktes geführt werden, bieten
ihren Mitarbeitern Beteiligungsmodelle überwiegend in Form von Ak-
tienoptionen an. Abweichend vom geltenden Recht soll bei der Aus-
übung von Aktienoptionen zwar die Differenz zwischen vereinbartem
Kaufpreis und dem Kurswert besteuert werden, allerdings ist dabei der
halbe durchschnittliche Steuersatz anzuwenden, wahlweise der Gewinn
aus der Ausübung der Option über fünf Jahre zu verteilen.

Berlin, den 4. April 2001

Dr. Heinrich L. Kolb
Dirk Niebel
Detlef Parr
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Klaus Haupt
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Paul K. Friedhoff
Birgit Homburger
Gudrun Kopp
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Drucksache 14/5764 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Begründung
Im Zeitalter der Globalisierung sind Schnelligkeit der Entscheidung und Inno-
vationsgeschwindigkeit ein hohes Gut, sonst entstehen für deutsche Unterneh-
men und den Wirtschaftsstandort Deutschland deutliche Wettbewerbsnachteile
gegenüber den internationalen Mitbewerbern.

Schon jetzt wird die deutsche Mitbestimmung im Ausland, insbesondere bei
Firmenkäufen und Auslandsinvestitionen, sehr kritisch beurteilt. Deutschland
nimmt bei dem Betriebsverfassungsgesetz in Europa eine Sonderstellung ein:

– Erstens ist hinsichtlich der kollektiven Interessenvertretung der Arbeitneh-
mer in Klein- und Mittelbetrieben Deutschland mit einer Eingriffsschwelle
von 5 Arbeitnehmern für einen Betriebsrat weit entfernt von anderen Staaten
der Europäischen Gemeinschaft, die eine Eingriffsschwelle von 50 oder
100 Arbeitnehmern haben. Dort werden überdies – anders als in Deutsch-
land – Teilzeitbeschäftigte (so in Frankreich, Belgien und den Niederlanden)
oder befristet Beschäftigte (so in Spanien) bei der Ermittlung der maßgeben-
den Arbeitnehmerzahl nur anteilig mitgerechnet.

– Zweitens ist Deutschland im Hinblick auf die Größe der Arbeitnehmer-
vertretung und den Umfang der Freistellung von anderen europäischen Län-
dern, etwa Frankreich, deutlich entfernt.

– Drittens sind bei der Regelung der Kosten der Arbeitnehmervertretung in
anderen europäischen Ländern kostendämpfende Elemente vorgesehen, so
werden etwa in Österreich die sonstigen, durch die betriebliche Interessen-
vertretung verursachten Kosten über den Betriebsratsfonds von der Beleg-
schaft aufgebracht.

– Viertens ist hinsichtlich der Beteiligungsrechte die Einigungsstelle (§ 76
BetrVG) außerhalb Deutschlands weithin unbekannt und kein Mitgliedstaat
der Europäischen Union weist einer gesetzlich verfassten Arbeitnehmer-
vertretung so weitgehende Rechte bei Einstellungen wie Entlassungen zu
wie das deutsche Recht dem Betriebsrat nach §§ 99, 102 BetrVG.

Die betriebliche Wirklichkeit zeigt, dass Arbeitnehmer in der Lage sind, eigen-
ständig und eigenverantwortlich ihre Interessen wahrzunehmen. Daher ist seit
1972 die Zahl der Betriebsräte in den Unternehmen stark gesunken: Betrug
1981 die Organisationsquote noch mehr als 50 % , 1994 noch 39 % , so liegt sie
im Jahr 2000 bei nur 35 % . In der Praxis haben sich vor allem in Kleinbetrie-
ben häufig Belegschaften bewusst gegen einen Betriebsrat entschieden, weil sie
ihre Interessen nicht kollektiv, sondern individuell – also persönlich und
direkt – vertreten wollen. So beträgt die Organisationsquote in Betrieben bis 20
Beschäftigte 4 % und in Betrieben bis 50 Mitarbeiter 16 % . Das Fehlen einer
institutionalisierten Mitbestimmung bedeutet nicht, dass Arbeitnehmer nicht
am betrieblichen Entscheidungsprozess teilhaben. Hier hat sich der Interessen-
ausgleich für beide Seiten auch ohne Betriebsrat bewährt. Die wachstumsstar-
ken IT-, Dienstleistungs-, Biotec- und Kommunikationsbranchen bestätigen
diesen Trend.

Viele der neuen Unternehmen kommen ohne institutionalisierte Arbeitnehmer-
vertretung aus. Dies bedeutet: Etwa 2/3 aller Betriebe treten jeden Tag den Be-
weis an, dass die Arbeitswelt ohne Betriebsrat und ohne gewerkschaftlichen
Einfluss funktioniert.

Bereits heute legt das bestehende Betriebsverfassungsgesetz umfangreiche ge-
setzliche und richterrechtlich ausgeformte Mitwirkungsrechte (Informations-,
Anhörung- und Beratungsrechte) und Mitbestimmungsrechte (Zustimmungser-
fordernisse und Widerspruchsrechte) des Betriebsrates fest. Im Unterschied zu
1972, dem Jahr, in dem das Betriebsverfassungsgesetz nochmals ausgebaut
wurde, herrscht heute keine Vollbeschäftigung und stehen immer mehr Unter-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/5764

nehmen im unmittelbaren, vor allem europäischen Wettbewerb mit Unterneh-
men, die keinem oder einem wesentlich geringeren Mitbestimmungsgrad unter-
liegen.

Begründung im Einzelnen

Zu 1. Mittelstandsfreundlichkeit des Betriebsverfassungsgesetzes

a) In kleinen und mittelständischen Betrieben herrscht eine Kultur
direkter Partizipation der Arbeitnehmer, die nicht gegen den Willen
der Mehrheit der Belegschaft durch bürokratische Gremien und
gesetzliche Verfahrensvorschriften gestört werden darf. Der geringe
Anteil der Unternehmen in der Betriebsgröße von 5 bis 20 Arbeit-
nehmern mit einem Betriebsrat in Höhe von 4 % zeigt, dass von den
Betriebspartnern fast ausschließlich ein Betriebsrat nicht gewünscht
wird. Mit der Anhebung des Eingangsschwellenwertes von 5 auf 20
Arbeitnehmer gleicht Deutschland sein Mitbestimmungsrecht den
Partnerländern in der EU an und verfügt weiter bei der Mitbestim-
mung zusammen mit Griechenland über den niedrigsten Eingangs-
schwellenwert in der EU.

In jedem Unternehmen bedarf ein Betriebsrat der besonderen Legi-
timation durch die Belegschaft. Daher ist ein Wahlquorum von mehr
als 50 % der wahlberechtigten Arbeitnehmer bei der Einrichtung
eines Betriebsrates notwendig.

b) Die Reduzierung der Mitglieder des Betriebsrates in Unternehmen
bis zu 500 Arbeitnehmer ist geboten, da die quantitative Struktur der
vorgeschriebenen Anzahl von Betriebsräten im Betriebsverfas-
sungsgesetz extrem mittelstandsfeindlich ist. In einem Betrieb mit
21 Mitgliedern hat ein Betriebsrat drei Mitglieder, was 15 % der Be-
legschaft entspricht. In einem Konzern mit 200 000 Arbeitnehmern
sind 163 Betriebsräte vorgeschrieben, mithin 0,08 % der Beleg-
schaft. Betriebsgrößenabhängige, unproportionale Auswirkungen
ergeben sich auch durch den absoluten Kündigungsschutz für Be-
triebsratsmitglieder, der im Fall der Amtsausübung auch für seinen
Vertreter gilt.

c) Die im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Freistellungen von
Mitgliedern des Betriebsrates verschärfen insbesondere für mittel-
ständische Unternehmen mit einer Belegschaft zwischen 300 und
500 Arbeitnehmern den Kostendruck. Daher sind Freistellungen der
Betriebsräte mit einer Belegschaft zwischen 300 und 500 Arbeitneh-
mern zukünftig nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben. Den Betriebs-
parteien bleibt es unbenommen, durch Betriebsvereinbarung hiervon
Abweichungen zu vereinbaren.

d) Aus der Struktur mittelständischer Unternehmen ergibt sich, dass
die Rechte der Betriebsräte auf Mitwirkungsrechte zu begrenzen
sind. Viele mittelständische Unternehmen sind Inhaberunternehmen.
Der Unternehmer trägt wegen der persönlichen Haftung das unter-
nehmerische Risiko allein und unbeschränkt. Es ist verfassungs-
rechtlich bedenklich, dem Betriebsrat Mitbestimmungsrechte in In-
haberunternehmen einzuräumen und die Haftung allein auf die
Unternehmer zu begrenzen.

Aufgrund der ausufernden Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, die
originär betriebswirtschaftliche Entscheidungen von § 87 BetrVG
erfasst sieht, müssen die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte

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nach § 87 BetrVG auf Betriebe mit mehr als 300 Arbeitnehmern
beschränkt werden. Die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte füh-
ren in mittelständischen Unternehmen in vielen Fällen zu zähen
Schlichtungsprozessen und zeitraubenden Arbeitsgerichtsprozessen.
Kosten, die sich viele mittelständische Unternehmen angesichts
wachsenden Kostendrucks, zunehmender Konkurrenz innerhalb der
Europäischen Union und immer kürzerer Produktzyklen nicht mehr
leisten können. Mittelständische Unternehmen sind dringend auf
zügige und schnelle Abstimmung und Entscheidungsprozesse ange-
wiesen, welche durch eine Begrenzung der Kompetenz der Betriebs-
räte in Betrieben bis 300 Arbeitnehmern erreicht werden kann.

e) Die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bei personellen Angele-
genheiten i. S. des § 99 sind auf Betriebe mit mehr als 50 Arbeitneh-
mern zu beschränken. Kleine mittelständische Unternehmen sind
aufgrund zunehmender Konkurrenz und großen Innovationsdrucks
dringend darauf angewiesen, auch in personellen Angelegenheiten
schnell und flexibel auf wirtschaftliche Veränderungen zu reagieren.
Die Arbeitnehmer sind auch weiter in den kleinen mittelständischen
Unternehmen durch das individuelle Arbeitsvertragsrecht aus-
reichend gesichert.

f) Aus den eben genannten Gründen sind auch die Mitbestimmungs-
rechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen i. S. v. §§ 111, 112
BetrVG auf Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten zu beschränken.
Gleichzeitig ist der Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 50 Ar-
beitnehmern zu verpflichten, bei der Ausgestaltung der Sozialpläne
zu beachten, dass der Fortbestand des Unternehmens und der damit
verbundenen Arbeitsplätze nicht gefährdet wird. Gerade kleine und
mittelständische Unternehmen können durch die Ausgestaltung des
Sozialplans in ihrer Existenz bedroht werden, was auch die nach der
Betriebsänderung verbliebenen Arbeitsplätze gefährdet. Der gesetz-
lich verankerte Ermessensgrundsatz gemäß § 112 Abs. 5 Nr. 3
BetrVG den Fortbestand des Unternehmens zu beachten und die
verbliebenen Arbeitsplätze nicht zu gefährden, hat wie bisher nicht
nur die Einigungsstelle bei ihrer Entscheidung zu beachten, sondern
muss auch den Betriebsrat bei der Verhandlung über den Sozialplan
als gesetzliches Gebot verpflichten. Daher muss dies als Grundsatz
schon in § 112 Abs. 1 BetrVG verankert werden.

g) Mit einer Eingriffsschwelle von fünf Arbeitnehmern für einen Be-
triebsrat ist Deutschland weit entfernt von anderen Staaten der Ge-
meinschaft, die eine Eingriffsschwelle von 35, 50 oder 100 Arbeit-
nehmern haben. Das gilt um so mehr, als in diesen Ländern – anders
als in Deutschland – Teilzeitbeschäftigte (so in Frankreich, Belgien
und den Niederlanden) oder befristet Beschäftigte (so in Spanien)
bei der Ermittlung der maßgebenden Arbeitnehmerzahl nur anteilig
mitgerechnet werden. Daher dürfen Teilzeitbeschäftigte für die
Berechnung des Eingriffsschwellenwerts nur anteilig ihrer Arbeits-
zeit berücksichtigt werden (analog § 23 Abs. 1 Satz 3 Kündigung-
schutzgesetz).

Zu 2. Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren im Betriebsver-
fassungsgesetz

a) Die betriebsverfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahren verzögern
vielfach unternehmerisch notwendige Maßnahmen. Wenn es um
Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung geht und Un-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/5764

einigkeit zwischen den Betriebsparteien besteht, kommt es zum Teil
zu langwierigen Verfahren. In der betrieblichen Praxis werden gele-
gentlich sachlich berechtigte Anliegen des Arbeitgebers zwingende
Mitbestimmungsrechte taktisch deshalb entgegengesetzt, um auf an-
deren Gebieten Forderungen durchzusetzen. Um eine sachwidrige
Koppelung von verschiedenen, nicht zusammengehörigen Sach-
verhalten zu vermeiden, müssen Verweigerungsgründe für eine
Zustimmung auch im Hinblick auf Regelungstatbestände der
erzwingbaren Mitbestimmung eingeführt werden, damit die
betriebsratliche Interessenausübung einer Überprüfbarkeit konkret
zugänglich gemacht wird.

b) Aus den eben genannten Gründen muss ein Unterlassungsanspruch
des Arbeitgebers eingeführt werden, entsprechend dem Verfahren
nach § 23 Abs. 3 BetrVG, wenn der Betriebsrat gegen seine gesetz-
lichen Pflichten verstößt, etwa indem er die Entscheidung über un-
terschiedliche Sachverhalte in unzulässiger Weise miteinander ver-
knüpft.

c) Das Einigungsstellenverfahren muss beschleunigt und dessen Kos-
ten reduziert werden. Eine zeitliche Begrenzung ist im Hinblick auf
die Bildung der Einigungsstelle notwendig. Die Einigungsstelle und
deren Entscheidungskompetenz wird damit gerechtfertigt, dass es
eines gesetzlich institutionalisierten Lösungsmechanismus ange-
sichts der auf dem Kampfverbot des § 74 Abs. 2 BetrVG beruhen-
den Unfähigkeit des Betriebsrats bedarf, Druck auf den Arbeitgeber
ausüben zu können. Vor diesem Hintergrund erweist sich das Eini-
gungsstellenverfahren in seiner praktizierten Form als unzeitgemäß.
Der Normalfall in den Betrieben wird nicht durch Konfrontation,
sondern Kooperation gekennzeichnet. Teure und langwierige Eini-
gungsstellenverfahren nützen weder den Arbeitnehmern noch den
Unternehmen.

d) Im Fall einer Nichteinigung sollte die gerichtliche Entscheidung
über den Vorsitzenden des Bestellungsverfahrens spätestens nach
zwei Wochen erfolgen. Gesetzlich ist die Wahl der Einigungsstellen-
organe und ihre Vergütung zu regeln. Eine Ermächtigung zum Erlass
einer so genannten Einigungsstellen-Vergütungsordnung liegt be-
reits in § 76a Abs. 4 Satz 1 BetrVG vor. Auch sollte der Vergütungs-
anspruch von hauptamtlichen Funktionären begrenzt werden.

e) Alle Mitbestimmungsverfahren sind zu befristen, damit der Arbeit-
geber nach Fristablauf handlungsfähig bleibt. Unternehmerisches
marktorientiertes Handeln wird durch überlange Mitbestimmungs-
verfahren behindert. Während der Dauer der Verfahren wird dem
Arbeitgeber grundsätzlich jede Handlungsmöglichkeit genommen.
Wie die Praxis belegt, ist die Qualität eines Kompromisses nicht von
der Dauer der Verhandlungen abhängig. Vielmehr dient es den Inte-
ressen von Belegschaft und Betriebsleitung, wenn innerhalb einer
angemessenen Frist ein umsetzungsfähiges Ergebnis erzielt wird.

f) Das Verfahren bei personellen Angelegenheiten ist zu vereinfachen,
da nur so die Betriebe in der Lage bleiben, in ihrer Personalplanung
auch kurzfristig auf Veränderungen zu reagieren und steuerungs-
fähig zu bleiben. Daher muss eine personelle Maßnahme vorläufig
ohne die Verpflichtung des Arbeitgebers durchführbar sein, das Ar-
beitsgericht anzurufen. Statt dessen sollte der Betriebsrat zur Anru-
fung des Arbeitsgerichts berechtigt werden, wenn er gegen die
Durchführung einer personellen Maßnahme angehen will.

Drucksache 14/5764 – 10 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

g) Vor dem Hintergrund der Globalisierung ist die bloße Änderung der
Betriebsorganisation ohne Maßnahmen des Personalabbaus aus dem
Katalog der §§ 106 und 111 BetrVG herauszunehmen.

Zu 3. Vorrang betrieblicher Vereinbarungen vor gesetzlichen Regelun-
gen des Betriebsverfassungsgesetzes

a) Die Mitbestimmungspraxis hat sich trotz der teils zwingenden
gesetzlichen Vorgaben an die besonderen technologischen und wirt-
schaftlichen Gegebenheiten in den Betrieben angepasst. Zum Teil
hat sich die betriebliche Praxis damit aber von dem gesetzlich vor-
geschriebenen Verfahren abgekoppelt. Das formale Mitbestim-
mungsrecht wird heute schon häufig in der Praxis durch kooperative
Zusammenarbeit ersetzt. So ist vielfach die gesetzliche Struktur der
Mitbestimmung durch individuelle oder kollektive vertragliche
Abmachungen an besondere oder sich ändernde Bedingungen durch
die Betriebsparteien ersetzt worden. Der Gesetzgeber hat die so
gewachsene Vielfalt der Mitbestimmung das System der Betriebs-
verfassung der Zukunft zu respektieren und unter Berücksichtigung
betriebs- bzw. unternehmensspezifischer Besonderheiten getroffene
Regelungen differenziert zu unterstützen und den Vorrang betrieb-
licher Vereinbarungen vor den gesetzlichen Regelungen einzu-
führen.

b) Zur Erweiterung der Betriebsautonomie muss auch die Zahl der Be-
triebsräte durch Vereinbarung abweichend geregelt werden können,
wie es das geltende Recht bereits an anderer Stelle für die Freistel-
lung von Betriebsräten vorsieht (§ 38 Abs. 1 BetrVG).

Zu 4. Betriebsverfassungsgesetz für betriebliche Bündnisse für Arbeit
öffnen

Zu Begründung Antrag der F.D.P.-Bundestagsfraktion vom 28. Dezem-
ber 1999 (Bundestagsdrucksache 14/2612).

Zu 5. Wirtschaftlichkeit und Tansparenz bei der Betriebsratstätigkeit

a) Die Anwendung der Betriebsverfassung ist mit erheblichen Kosten
verbunden. Die durch die Betriebsratstätigkeit, insbesondere durch
die Freistellung von Arbeitnehmern entstehenden Kosten können
gerade für klein- und mittelständische Unternehmen zu einer die
Leistungskraft dieser Unternehmen übersteigenden wirtschaftlichen
Belastung führen. Für kleine und mittlere Unternehmen bis zu 300
Beschäftigten wirkt sich die Kostenbelastung überproportional
besonders nachteilig aus. In Betrieben mit 10 000 Arbeitnehmern
besteht der Betriebsrat nach geltendem Recht aus 33 Mitgliedern,
dies sind 0,33 % . In Betrieben mit 30 Arbeitnehmern sind hingegen
mit 3 Betriebsräten 10 % der Belegschaft Betriebratsmitglieder. Da
Mitglieder des Betriebsrates in jeder Amtsperiode einen bezahlten
Freistellungsanspruch auf Schulungsmaßnahmen von drei bzw. vier
Wochen haben, ergibt sich, dass für kleine und mittlere Unterneh-
mer die zu bezahlenden Freistellungskosten in einem Betrieb mit 30
Arbeitnehmern um rund das 30fache (!) höher liegen als in einem
Betrieb mit 10 000 Arbeitnehmern. In der Betriebsverfassung bedarf
es Mechanismen, welche die notwendige Funktionsausübung unter
Berücksichtigung eines modernen Kostenmanagements ermöglicht.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11 – Drucksache 14/5764

Die Belastung des Arbeitgebers mit den Kosten der Finanzierung
von Material für die Betriebsratstätigkeit, muss mit dem Zweck, der
mit der Betriebsratstätigkeit verfolgt wird, in einem angemessenen
Verhältnis stehen. Dies kann durch ein gesetzlich bestimmtes
Budget für die betriebsratliche Tätigkeit sichergestellt werden, an
das der Betriebsrat zwingend gebunden ist und das sich prozentual
an den durch den Arbeitgeber aufgewandten Personalkosten an-
lehnt.

b) Rund um den Schulungsanspruch des Betriebsrates nach § 37 Abs. 6
BetrVG i. V. m. der Kostentragungspflicht nach § 40 Abs. 1 BetrVG
hat sich in Deutschland eine Schulungsindustrie entwickelt, die
mehrstellige Millionenbeträge umsetzt und die in Europa ihres-
gleichen sucht. Durch die Begrenzung des Anspruchs werden die
Betriebsräte angehalten, auf Kosten und Leistungsvermögen der Be-
triebe Rücksicht zu nehmen.

c) Eine begrenzte finanzielle Beteiligung der Arbeitnehmer an den
Kosten der Betriebsratsarbeit wird dazu führen, dass die Arbeitneh-
mer selbst ein Interesse an einem verantwortungsvollen Umgang mit
den dem Betriebsrat zur Verfügung gestellten Mitteln haben. Der
Vergleich mit dem österreichischen Recht zeigt, dass eine solche
Regelung kostendämpfend wirkt. Das österreichische Arbeitsver-
fassungsgesetz von 1974 (ArbVG), das ansonsten dem deutschen
BetrVG nicht unähnlich ist, hat eine Kostenbremse: Die sonstigen,
durch die betriebliche Interessenvertretung verursachten, Kosten
werden über den Betriebsratsfonds von der Belegschaft aufgebracht.
Die „Einhebung“ der Betriebsratsumlage muss die Betriebsver-
sammlung beschließen; die Umlage darf nicht mehr als ein halbes
Prozent des Bruttoarbeitsentgelts betragen, ist vom Arbeitgeber vom
Arbeitsentgelt der Arbeitnehmer einzubehalten und an den Betriebs-
rat abzuführen (§§ 73 ff. ArbVG).

d) Der Betriebsrat kann über dieses Budget frei und ohne Einfluss-
nahme durch den Arbeitgeber verfügen, was zukünftig teure
Arbeitsgerichtsprozesse um Materialien und Mittel zur Betriebsrats-
arbeit vermeidet. Die Rechenschaftspflicht des Betriebsrates gegen-
über den Betriebsparteien trägt dem Umstand Rechnung, dass der
Betriebsrat nicht wie eine Tarifvertragspartei Mitglieder umwirbt
und organisiert, sondern er allein aufgrund der Tatsache tätig wird,
dass in der betrieblichen Organisationseinheit Arbeitnehmer be-
schäftigt werden, die in einer privatrechtlichen Beziehung zu dem-
selben Arbeitgeber stehen und ihre Interessen durch den Betriebsrat
aufgrund gesetzlicher Regelung wahrnehmen lassen.

Zu 6. Demokratieprinzip und den Minderheitenschutz stärken

a) Das D’Hondtsche Auszählverfahren begünstigt große Gruppen und
führt zu einer nicht dem Stimmverhalten der Wähler entsprechenden
unverhältnismäßigen Repräsentation von Listengemeinschaften
bzw. Gewerkschaften. Das Verfahren ,Hare-Niemayer‘ spiegelt das
Stimmverhalten der Wähler bei der Mandatsverteilung besser wider.

b) Die Praxis, Minderheiten durch Bildung von Unterausschüssen zu
bestimmten Themen durch die Besetzung mit Mitgliedern der Mehr-
heit auszugrenzen, wird durch die Erstreckung der Regeln über die
Bildung von Betriebsausschüssen auch auf die Unterausschüsse aus-
geschlossen.

Drucksache 14/5764 – 12 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
c) Es ist sinnvoll, dass die Entscheidungen eines Betriebsrates, der in
einem demokratischen Wahlverfahren gewählt wurde, konsequen-
terweise und in Fortsetzung des demokratischen Prinzips auch von
der Belegschaft aufgehoben werden können.

Zu 7. Mitarbeiterbeteiligung – moderne Form der Mitbestimmung

Für eine moderne Form der Mitbestimmung gilt: Bestehende, erfolg-
reiche Modelle der Mitarbeiterbeteiligung bei Unternehmen unter-
schiedlicher Größe weisen den Weg in eine liberale Wirtschaftsordnung
von Teilhabern und Miteigentümern. Im Interesse von mehr Eigenver-
antwortung und mehr Vermögensbildung muss der Weg noch stärker
für eine breitere Beteiligung der Mitarbeiter am Produktivvermögen
geöffnet werden. Mitarbeiterbeteiligungen ermöglichen gerade kleine-
ren Unternehmen, ihr Mitarbeiterpotential zu sichern und hochquali-
fizierte Fach- und Führungskräfte langfristig zu binden. Der Zusam-
menhang zwischen individueller Leistung und Unternehmenserfolg
wird noch transparenter. Mitarbeiterbeteiligungen sind geeignet, den
überkommenen Antagonismus von Arbeit und Kapital abzuschwächen
und aus Arbeitnehmern Mitunternehmer, aus Lohnabhängigen Teil-
haber zu machen.

In diesem Zusammenhang ist die Besteuerung von Aktienoptionen
dringend reformbedürftig. Unternehmen gehen mehr und mehr dazu
über, ihren Beschäftigten anstelle von Barlohn Aktienoptionen einzu-
räumen. Auf diese Weise sollen die Bindung der Beschäftigten an das
Unternehmen sowie die Motivation gesteigert werden. Gleichzeitig
kann vermieden werden, dass hohe Bargehälter gezahlt werden müs-
sen. Die heutige Besteuerung von Aktienoptionen wird als ungerecht
empfunden. Zwar ist die Überlassung von Aktienoptionen unbestritten
Lohnbestandteil und daher der Einkommensteuer zu unterwerfen. Kri-
tisch ist, dass die ggf. sehr hohe Differenz zwischen dem vereinbarten
Basispreis und dem Börsenkurs bei Ausübung der Option der Besteue-
rung unterliegt. Das kann dazu führen, dass der Arbeitnehmer die
Aktien verkaufen muss, um sich Mittel für die Steuerzahlung zu
beschaffen. Diese Besteuerung ist international nicht wettbewerbsfähig
und senkt die Attraktivität von Aktienoptionsprogrammen.

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