BT-Drucksache 14/5760

Entwurf eines Gesetzes zur Absicherung der verfassten Studierendenschaft

Vom 3. April 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

03. 04. 2001

Gesetzentwurf

der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Pia Maier, Angela Marquardt,
Petra Pau, Gustav-Adolf Schur und der Fraktion der PDS

Entwurf eines Gesetzes zur Absicherung der verfassten Studierendenschaft

A. Problem

Die Arbeit von Studierendenvertreterinnen und -vertretern ist zunehmenden
Verunsicherungen ausgesetzt. Gewählte V ertreterinnen und V ertreter der Stu-
dierenden, die die gesellschaftliche V erantwortung von Hochschule und W is-
senschaft ernst nehmen und in diesem Zusammenhang ihr Recht auf politische
Meinungsfreiheit wahrnehmen, laufen Gefahr, sich vor den Verwaltungsgerich-
ten oder gar strafrechtlich mit dem V orwurf der rechtswidrigen Wahrnehmung
eines „allgemein politischen Mandats“ auseinander setzen zu müssen. Nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung erteilt die geltende Gesetzeslage den Stu-
dierendenschaften lediglich ein „hochschulpolitisches Mandat“. Aufgrund der
äußerst schwierigen und umstrittenen Abgrenzung von hochschul- und allge-
mein politischen Fragestellungen ist die Tätigkeit von Studierendenvertretun-
gen großen Rechtsunsicherheiten unterworfen. Hinzu kommt, dass die Existenz
von Studierendenvertretungen als selbstverwaltete, rechtsfähige T eilkörper-
schaft der Hochschulen (verfasste Studierendenschaft) selbst zunehmend in
Frage gestellt wird: Im Zusammenhang mit der Novellierung von Landeshoch-
schulgesetzen wird neuerdings die Abschaf fung der verfassten Studierenden-
schaft gefordert, die in Bayern und Baden-Württemberg bereits 1974 und 1977
erfolgt ist.

B. Lösung

Die verfasste Studierendenschaft bedarf einer bundesweiten Absicherung
durch eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes. In V erbindung mit einer
Ergänzung der Aufgaben der Hochschulen um eine Forschungsfolgenverant-
wortung sind die Aufgaben der Studierendenschaft zu präzisieren und zu er-
weitern. Als Teilkörperschaft der Hochschule hat sich auch die Studierenden-
schaft am Prozess der Selbstref exion über die sozialen, ökonomischen und
ökologischen Auswirkungen der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse
sowie der gesellschaftlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen von For-
schung, Lehre und Studium zu beteiligen und darf von den notwendigen Mit-
teln zur Erfüllung dieser Aufgabe Gebrauch machen. Hierzu gehört auch das
Recht, zu allen gesellschaftlichen Fragen Stellung zu beziehen. Wissenschaftli-
cher Diskurs, wissenschaftspolitische Kontroversen und gesellschaftspolitische
Auseinandersetzungen stehen in einem unauf öslichen Zusammenhang. V er-
fasste Studierendenschaften müssen den Studierenden eine institutionelle
Grundlage dafür bieten, deutlich wahrnehmbar in die politischen Auseinander-
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setzungen um die Zukunft von Hochschule, Wissenschaft und Gesellschaft ein-
greifen zu können. Dieses Angebot muss den Studierenden an allen Hochschu-
len offen stehen: Die bisherige Kann-Bestimmung im Hochschulrahmengesetz
in Bezug auf die Einrichtung von Studierendenschaften ist daher durch eine
Muss-Bestimmung zu ersetzen.

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Aufgrund der Beitragsf nanzierung der verfassten Studierendenschaft er geben
sich keine Auswirkungen auf die Haushalte von Bund und Ländern.
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Entwurf eines Gesetzes zur Absicherung der verfassten Studierendenschaft

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Hochschulrahmengesetzes

Das Hochschulrahmengesetz in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 19. Januar 1999 (BGBl. I S. 18) wird
wie folgt geändert:

1. In § 2 Abs. 1 werden nach Satz 2 folgende Sätze 3 und 4
angefügt:

„Sie sind dem Streben nach wissenschaftlicher Erkennt-
nis ebenso verpflichtet wie der erantwortung der Wis-
senschaft für die Gesellschaft. Sie setzen sich mit den
möglichen Folgen einer V erbreitung und Nutzung ihrer
Forschungsergebnisse sowie mit den gesellschaftlichen
Grundlagen und Rahmenbedingungen von Forschung,
Lehre und Studium auseinander.“

2. § 41 wird wie folgt gefasst:

㤠41
Studierendenschaft

(1) Die an der Hochschule eingeschriebenen Studie-
renden bilden zur W ahrnehmung hochschulpolitischer ,

wissenschaftspolitischer, sozialer und kultureller Be-
lange ihrer Mitglieder in Hochschule und Gesellschaft,
zur Pflege der überregionalen und internationalen Stu
dierendenbeziehungen sowie zur V erwirklichung der
Ziele und Aufgaben der Hochschulen (§§ 2 und 3) die
Studierendenschaft.

(2) Die Studierendenschaft verwaltet ihre Angelegen-
heiten im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen
selbst. Sie kann von ihren Mitgliedern zur Erfüllung ih-
rer Aufgaben Beiträge erheben.

(3) Die Studierendenschaft und ihre Or gane können
zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu allen gesellschaftlichen
Fragen Stellung beziehen und Medien aller Art nutzen.

(4) Für die Mitwirkung in den Organen der Studieren-
denschaft gilt § 37 Abs. 3 entsprechend.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am T age nach seiner V erkündung in
Kraft.

Berlin, den 3. April 2001

Maritta Böttcher
Dr. Heinrich Fink
Roland Claus und Fraktion
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Begründung

A. Allgemeiner Teil

Seit Jahrzehnten kämpfen immer neue Generationen von
Studentinnen und Studenten um die Institution der verfass-
ten Studierendenschaft und ihr Recht auf Politik- und Mei-
nungsfreiheit. War es in der Bundesrepublik Deutschland
der fünfziger Jahren noch gerne gesehen, wenn eine Studie-
rendenvertretung im Einklang mit der Bundesregierung bei-
spielsweise zu Fackelzügen für die W iedervereinigung auf-
rief, entwickelte die V erwaltungsrechtsprechung in den
sechziger Jahren die Kategorie des rechtswidrigen „allge-
mein politischen Mandats“ der Studierendenschaft – just zu
einem Zeitpunkt als die demokratisch gewählten Studieren-
denbewegungen begannen, den vom Kalten Krieg gepräg-
ten innenpolitischen Nachkriegskonsens aufzukündigen und
sich in einen Gegensatz zur herrschenden Politik zu bege-
ben. Gleichzeitig begannen Politikerinnen und Politiker, die
Institution der verfassten Studierendenschaft als solche in
Frage zu stellen. 1969 wurde die verfasste Studierenden-
schaft in West-Berlin (bis 1979), 1974 in Bayern und 1977
in Baden-Württemberg abgeschafft.

Auch 25 Jahre nach Inkrafttreten des Hochschulrahmenge-
setzes, das den Landeshochschulgesetzgebern freistellt, Stu-
dierendenschaften einzurichten oder diese aufzulösen, ist
die verfasste Studierendenschaft Angrif fen ausgesetzt. In
Baden-Württemberg und Bayern wird den Studierenden bis
heute eine institutionell abgesicherte und selbstverwaltete
Interessenvertretung an den Hochschulen verwehrt. Im
Zuge der gegenwärtigen Umstrukturierung der Hochschu-
len wird die verfasste Studierendenschaft auch in anderen
Bundesländern in Frage gestellt: zuletzt im Jahr 2000 in
Niedersachsen in einem Referentenentwurf des W issen-
schaftsministeriums für ein neues Landeshochschulgesetz.
In den neunziger Jahren überzogen rechtsgerichtete und
rechtsextreme Studierende bundesweit Studierendenschaf-
ten mit einer Klagewelle, weil sich deren von den Studie-
renden gewählte Or gane „allgemein politisch“ geäußert
oder betätigt hatten. In zahlreichen Fällen wurden gegen
Studierendenschaften Unterlassungsanordnungen ausge-
sprochen und Ordnungsgelder verhängt; Mitglieder von
Studierendenschaften wurden wegen des Verdachts auf Un-
treue (§ 266 StGB) strafrechtlich zur V erantwortung gezo-
gen. Die Handlungsfähigkeit vieler Studierendenvertretun-
gen ist dadurch massiv eingeschränkt. An den betrof fenen
Hochschulen ist die politische Streitkultur , einst ein Mar -
kenzeichen des Studienalltags an bundesdeutschen Hoch-
schulen, substanziell gefährdet.

Auch das dringend erforderliche Engagement von Studie-
rendenvertretungen gegen Rechtsextremismus, Antisemitis-
mus und Fremdenfeindlichkeit sowie die kritische Aus-
einandersetzung mit dem Nationalsozialismus droht durch
Klagen gegen W ahrnehmung des „allgemein politischen
Mandats“ unterbunden und kriminalisiert zu werden. So
führte an der Freien Universität Berlin 1998 die Or ganisa-
tion einer Veranstaltung zum Thema „Rassistische Diskurse
– Rassistischer Alltag“ durch den Allgemeinen Studieren-
denausschuss zur V erhängung eines Ordnungsgeldes in
Höhe von 10 000 DM. 1997 handelte sich die Studierenden-

schaft der Universität Münster ein Ordnungsgeld in Höhe
von 500 DM für eine V eranstaltung zum Thema „Zeitzeu-
gInnengespräche – W ider das V ergessen“ durch die Fach-
schaftsvertretung Geschichte ein, zu der der ehemalige
KZ-Häftling und Widerstandskämpfer Emil Carlebach ein-
geladen worden war.

Politische Scheuklappen und Maulkörbe für Studierenden-
vertreterinnen und -vertreter werden aber den Anforderun-
gen an die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Verantwor-
tung des hochschulischen Wissenschaftsprozesses durch die
Hochschulmitglieder nicht gerecht. Eine verantwortungsbe-
wusste Hochschulpolitik muss die Fähigkeit der W issen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler zur Selbstreflexion übe
gesellschaftliche Voraussetzungen und Folgen ihrer Tätig-
keit stärken statt einschränken. Die gesellschaftliche Verant-
wortung der W issenschaft und die Reflexionspflicht d
Hochschulen ist daher bei der Normierung der Aufgaben
der Hochschulen in § 2 des Hochschulrahmengesetzes zu
berücksichtigen.

Alle am W issenschaftsprozess beteiligten Gruppen sind in
die Verantwortung zu nehmen, insbesondere auch die Stu-
dierendenschaft. Die Studierenden sind als unverzichtbarer
Partner der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden in
den komplexen Prozess von Forschung, Lehre, Studium und
Wissenstransfer eingebunden. Als eine Generation künftiger
Wissenschaftlerinnen und W issenschaftler tragen sie eine
besondere Verantwortung. Als studentische Selbstverwal-
tungseinrichtung ist die verfasste Studierendenschaft ge-
eignet, die aktive und eigenständige Beteiligung der Studie-
renden am Prozess der Selbstreflexion der hochschulisc
verfassten Wissenschaft zu or ganisieren. Zur durch die ge-
genwärtige Hochschulstrukturreform geförderten Ökonomi-
sierung der Hochschulen darf nicht auch noch eine Entpoli-
tisierung der studentischen Selbstverwaltung kommen. Die
gewählten Vertreterinnen und V ertreter der Studierenden-
schaft müssen über den T ellerrand des Hochschul-Campus
hinausblicken und sich kritisch mit der politischen und ge-
sellschaftlichen Entwicklung auseinander setzen dürfen.

Es bedarf daher einer Absicherung der verfassten Studieren-
denschaft in § 41 des Hochschulrahmengesetzes.

B. Besonderer Teil

Zur Eingangsformel

Die vor gesehene Änderung des Hochschulrahmengesetzes
bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Da nicht nur V er-
waltungseinheiten der unmittelbaren Staatsverwaltung, son-
dern auch Körperschaften des öf fentlichen Rechts als T eil
der mittelbaren Staatsverwaltung als Behörden gelten, ist
auch die bundesgesetzliche Einrichtung von Studierenden-
schaften als zustimmungspflichtige Norm im Sinne vo
Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes anzusehen. Diese
Rechtsauffassung hat Bestand, obwohl die Novellierung des
Hochschulrahmengesetzes vom 20. August 1998 (BGBl. I
S. 2190) umfangreiche V orschriften zur Einrichtung von
Behörden und zum Verwaltungsverfahren enthielt und ohne
Zustimmung des Bundesrates ausgefertigt und verkündet
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wurde. Zwar wurde die formelle V erfassungsmäßigkeit der
Hochschulrahmengesetznovelle von 1998 entgegen vielfa-
cher Ankündigungen am Ende doch nicht vor dem Bundes-
verfassungsgericht angezweifelt; doch die damalige Rechts-
auffassung der Bundesregierung, dass Artikel 84 des
Grundgesetzes keine Anwendung für Rahmengesetze finde
stieß in der juristischen Fachliteratur auf einhellige Ableh-
nung.

Kein die Zustimmungspflicht des Bundesrates begründen
der Tatbestand stellt hingegen die Erweiterung der Aufga-
ben bereits vorhandener Studierendenschaften dar, von wel-
cher weder die Einrichtung einer Behörde noch das Verwal-
tungsverfahren betroffen sind.

Zu Artikel 1

(Änderung des Hochschulrahmen-
gesetzes)

Zu Nummer 1

(§ 2 Abs. 1)

Die in § 2 normierten Aufgaben der Hochschulen sollen da-
hin gehend erweitert werden, dass die Hochschulen ebenso
wie der wissenschaftlichen Erkenntnis auch der gesell-
schaftlichen V erantwortung der W issenschaft verpflichte
sind. Hieraus erwächst eine Reflexionspflicht der Hoc
schulen, die darin besteht, sich ständig mit den möglichen
Folgen einer Verbreitung und Nutzung ihrer Forschungser -
gebnisse auseinander zu setzen.

Diese Reflexionspflicht ist im Zeitalter moderner Risik
technologien wie der Atom- oder Gentechnologie von be-
sonderer Bedeutung. Die Reflexion der Folgen des issen-
schaftstransfers für Gesellschaft und Umwelt ist Aufgabe
sowohl der Hochschulen als auch der am Wissenschaftspro-
zess beteiligten Individuen. Dies gilt umso mehr, als die ge-
genwärtige Hochschulreform auf eine Stärkung der Autono-
mie und auf einen Abbau staatlicher Reglementierung der
Hochschulen abzielt.

Zu Nummer 2

(§ 41)

Alle Studentinnen und Studenten, unabhängig davon, in
welchem Bundesland sie studieren, haben Anspruch auf
eine eigenständige und selbstverwaltete Interessenvertre-
tung. In Absatz 1 ist daher die Kann-Bestimmung in Bezug
auf die Bildung von verfassten Studierendenschaften durch
eine Muss-Bestimmung zu ersetzen. Dies ist auch deshalb
geboten, weil die Studierendenschaft zahlenmäßig die weit-
aus stärkste Gruppe unter den Hochschulmitgliedern dar -
stellt, aber in der Hochschulselbstverwaltung aufgrund der
absoluten Professorenmehrheiten in fast allen Hochschul-
gremien nur eine Minderheitenposition einnimmt. Die Or -
ganisation des hochschulpolitischen Meinungs- und W il-
lensbildungsprozesses der Studierenden und die Artikula-
tion der studentischen Interessen in Hochschule und Gesell-
schaft bedarf einer speziellen Sebstverwaltungseinrichtung
als rechtsfähiger Teilkörperschaft der Hochschule: der ver -
fassten Studierendenschaft.

Der Tatsache, dass Männer und Frauen an den Hochschulen
studieren und sich in der studentischen Selbstverwaltung
engagieren, sollte auch der Sprachgebrauch Rechnung tra-
gen. Der Begrif f „Studentenschaft“ ist daher durch den ge-
schlechtsneutralen Begrif f der „Studierendenschaft“ zu er -
setzen.

Die Aufgaben der Studierendenschaft sind so zu normieren,
dass diese aktiv und eigenständig an der W ahrnehmung der
gesellschaftlichen Verantwortung der Hochschulen und der
Reflexion der sozialen, ökonomischen und ökologische
Folgen der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse so-
wie ihrer gesellschaftlichen Grundlagen und Rahmenbedin-
gungen mitwirken kann. Dies wird zunächst dadurch er -
reicht, dass die Studierendenschaft ausdrücklich die Auf-
gabe bekommt, als T eilkörperschaft der Hochschule die in
§ 2 erweiterten Ziele und Aufgaben der Hochschulen zu
verwirklichen (Absatz 1). Die Studierendenschaft soll aktiv
am Prozess der Reflexion der gesellschaftlichen erantwor-
tung von Hochschule und Wissenschaft teilnehmen können.

Die Studierendenschaft soll darüber hinaus in Absatz 3 aus-
drücklich die Möglichkeit erhalten, zur Erfüllung dieser
Aufgaben zu allen gesellschaftlichen Fragen Stellung zu be-
ziehen und sich Medien aller Art zu bedienen. Dadurch soll
ausgeschlossen werden, dass die Studierendenschaft nur mit
inhaltlich unvollständigen, gleichsam zensierten Beiträgen
am wissenschaftlichen Selbstreflexionsprozess teilnehme
oder die Interessen ihrer Mitglieder vertreten kann, wie es
der herkömmlichen Trennung von erlaubten „hochschulpo-
litischen“ und rechtswidrigen „allgemein politischen“ Äu-
ßerungen entspricht. Es soll allein der autonomen W illens-
bildung der Studierendenschaften überlassen bleiben, wel-
cher Mittel sie sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedienen
und in welcher Weise sie der gesellschaftlichen Verantwor-
tung von W issenschaft und Hochschulen gerecht werden.
Ebenso wie der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT)
als Dachor ganisation von öf fentlich-rechtlichen Körper -
schaften mit Zwangsmitgliedschaft ganz selbstverständlich
über sein „wirtschaftspolitisches Mandat“ hinaus beispiels-
weise die Einführung von Studiengebühren fordert, müssen
sich auch Studierendenvertretungen in aktuelle gesellschaft-
liche Auseinandersetzungen etwa um Rentenversicherung
oder Steuergesetzgebung einmischen können.

Der strikten Trennung von „Hochschulpolitik“ und „Allge-
meinpolitik“ liegt die Illusion zu Grunde, Forschung, Lehre
und Studium könnten isoliert von ihren gesellschaftlichen
Grundlagen und Rahmenbedingungen und getrennt von ge-
sellschaftspolitischen Auseinandersetzungen betrieben wer-
den. Dies ist aber unmöglich: Entweder reproduzieren
Hochschule und W issenschaft unkritisch das Bestehende
oder sie reflektieren gesellschaftliche Zusammenhänge un
begreifen sie als veränderbar. Auch das gerichtlich erzwun-
gene Schweigen einer Studierendenschaft zu Rechtsextre-
mismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit trägt
dazu bei, dass das of fenkundige Problem ignoriert und im
Ergebnis befestigt wird. Aus diesem Grunde haben sich in
jüngster Zeit an Hochschulen und Forschungseinrichtungen
vielfältige Initiativen für Zivilcourage gegen Fremdenfeind-
lichkeit formiert. Beispielhaft sei auf den Aufruf des Senats
der Hochschulrektorenkonferenz vom 17. Oktober 2000 so-
wie auf den Of fenen Brief von W issenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern der Max-Planck-Gesellschaft vom 27. Juli
2000 verwiesen.

Die Aufteilung von „Hochschulpolitik“ und „Allgemeinpo-
litik“ in der Anwendung des geltenden Rechts hat eine
strukturelle Diskriminierung von wissenschaftspolitischen
Strategien zur Folge, die von einem engen Zusammenhang
zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ausgehen. Studie-
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rendenvertreterinnen und -vertreter , die den Protest gegen
Studiengebühren in den Kontext eines gesamtgesellschaftli-
chen Kampfes gegen Sozialabbau stellen, laufen Gefahr ,
wegen Wahrnehmung des „allgemein politischen Mandats“
belangt zu werden. Ebenso kann es Studierendenschaften
ergehen, die die Forderung nach einer Reform der Ausbil-
dungsförderung mit haushaltspolitischen V orschlägen zur
Gegenfinanzierung verbinden und etwa die Kürzung de
Rüstungsausgaben oder den V erzicht auf Steuer geschenke
an Spitzenverdiener und Unternehmen verlangen. Allein bei
wissenschaftspolitischen Strategien, die den Zusammen-
hang von Hochschule und Gesellschaft bestreiten, können
die Studierendenschaften sicher sein, sich rechtmäßig zu
verhalten. Welcher wissenschaftspolitische Ansatz für eine
Studierendenvertretung der richtige ist, muss jedoch der de-

mokratischen W illensbildung in der Studierendenschaft
überlassen bleiben und darf nicht im Gerichtssaal entschie-
den werden.

Absatz 2 Satz 1 und 2 ist unverändert. Auf die bisherigen
Sätze 3 und 4 soll verzichtet werden, um das Hochschulrah-
mengesetz von unnötigen Detailvorschriften zu entlasten,
die sachgerechter von den Landesgesetzgebern getrof fen
werden können.

Der neue Absatz 4 entspricht dem bisherigen Absatz 3.

Zu Artikel 2

(Inkrafttreten)

Artikel 2 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes wie üblich.

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