BT-Drucksache 14/5753

Soziale Partnerschaft stärken - Betriebsverfassungsgesetz zukünftig modernisieren

Vom 3. April 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

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5753

14. Wahlperiode

03. 04. 2001

Antrag

der Abgeordneten Horst Seehofer, Peter Rauen, Karl-Josef Laumann, Gunnar
Uldall, Gerald Weiß (Groß-Gerau), Hansjürgen Doss, Johannes Singhammer,
Dagmar Wöhrl, Brigitte Baumeister, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Rainer
Eppelmann, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Erich G. Fritz, Dr. Karl-Heinz Hornhues,
Ulrich Klinkert, Dr. Norbert Lammert, Julius Louven, Wolfgang Meckelburg, Elmar
Müller (Kirchheim), Claudia Nolte, Friedhelm Ost, Dr. Bernd Protzner, Dr. Heinz
Riesenhuber, Franz-Xaver Romer, Hartmut Schauerte, Heinz Schemken,
Karl-Heinz Scherhag, Dorothea Störr-Ritter, Andreas Storm, Max Straubinger,
Matthäus Strebl, Angelika Volquartz, Peter Weiß (Emmendingen), Matthias
Wissmann und der Fraktion der CDU/CSU

Soziale Partnerschaft stärken – Betriebsverfassungsgesetz zukunftsfähig
modernisieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das von der Union zu Beginn der 50er Jahre geschaf fene System der betriebli-
chen Mitbestimmung hat sich bewährt. Es fördert die soziale Partnerschaft,
trägt zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der Betriebspartner bei und
dient damit einem angemessenen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern.

Die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes muss die Mitwirkungs- und Mit-
bestimmungsmöglichkeiten der Beschäftigten auch in der globalisierten W irt-
schaft sichern und muss dem zusammenwachsenden europäischen Wirtschafts-
raum Rechnung tragen. Sie muss sich entsprechend den Bedürfnissen der
betrieblichen Praxis weiterentwickeln.

Diesen Zielen wird der von der Bundesregierung vor gelegte Gesetzentwurf
nicht gerecht. Er ist undemokratisch, bürokratisch, mittelstandsfeindlich, un-
flexibel und Kosten treibend. Er strahlt den Geist des Klassenkampfs und nich
den moderner sozialer Partnerschaft aus. Er wird der gesellschaftlichen W irk-
lichkeit und den Anforderungen der W issensgesellschaft nicht gerecht. Er för -
dert nicht die Eigenverantwortung der Arbeitnehmer , sondern dient einseitig
den Interessen von Funktionären, wie sich aus einer V ielzahl von Einzelrege-
lungen ergibt:





Die geplanten Verfahren bei der Wahl des Betriebsrats in kleinen Betrieben,
der Besetzung der Ausschüsse und Arbeitsgruppen sowie bei der Auswahl
der freizustellenden Betriebsratsmitglieder per einfacher Stimmenmehrheit
hebeln die Minderheitenrechte aus und beschädigen den Pluralismus in den
Betrieben.
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Die Absenkung der Schwellenwerte wird die Zahl der Betriebsratsmitglie-
der gerade in kleinen und mittleren Betrieben und die Zahl der freigestellten
Betriebsratsmitglieder deutlich erhöhen. Das führt zu einer unzumutbaren
Belastung des Mittelstandes, zur Beeinträchtigung der W ettbewerbsfähig-
keit und damit letztlich zu mehr Kosten und zu einer Gefährdung von Ar-
beitsplätzen.





Die Ausweitung der Mitbestimmung auf die Bekämpfung der Ausländer-
feindlichkeit und des Rassismus führt zu einer Politisierung der Betriebs-
ratsarbeit und geht über die eigentlichen Aufgaben des Betriebsrats als
betriebliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer weit hinaus. Die Be-
kämpfung der Ausländerfeindlichkeit ist eine wichtige gesamtgesellschaftli-
che Aufgabe, nicht aber eine Aufgabe der Betriebe.

Moderne soziale Partnerschaft erfordert neues Denken. Ziel einer Reform des
Betriebsverfassungsgesetzes muss es sein, für einen fairen Interessenausgleich
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu sor gen und den partnerschaftli-
chen Umgang im Betrieb zu fördern. Zugleich erfordert eine dynamische Wirt-
schaft schnellere Entscheidungsprozesse der Betriebspartner . Aus diesem
Grund ist das betriebliche Beteiligungsverfahren zu beschleunigen und der Be-
triebsrat frühzeitig zu beteiligen. Der gewachsenen V ielfalt betrieblicher Ent-
scheidungen muss Rechnung getragen und die im Hinblick auf die jeweiligen
betrieblichen Erfordernisse getrof fenen Entscheidungen der Betriebspartner
müssen so weit wie möglich respektiert werden.

Die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes darf nicht zu einer V erlagerung
der Betriebsführung vom eigenverantwortlich handelnden Unternehmer auf
den Betriebsrat führen, weil nur der Unternehmer – nicht aber der Betriebsrat –
persönlich für diese unternehmerischen Entscheidungen haftet.

II. Der Deutsche Bundestag lehnt den vor gelegten Gesetzentwurf zur Reform
des Betriebsverfassungsgesetzes aus diesen Gründen ab und fordert die Bun-
desregierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der folgende Eckpunkte
enthält:

1. Beschäftigung sichern, betriebliche Bündnisse für Arbeit ermöglichen

In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und betrieblicher Umstrukturierungen gewinnt
die Beschäftigungssicherung in der betrieblichen Praxis an Bedeutung. Aus
diesem Grunde ist die Beschäftigungssicherung und -gewinnung in den Kata-
log der allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats aufzunehmen und dem Be-
triebsrat das Recht zu geben, dem Arbeitgeber Vorschläge zur Beschäftigungs-
sicherung zu unterbreiten.

Der Flächentarifvertrag hat sich mit seiner befriedenden Wirkung bewährt; des-
wegen muss an ihm festgehalten werden. Die praktischen Erfahrungen zeigen
aber, dass das geltende T arifvertragsgesetz zu wenig f exibel ist, um Arbeits-
plätze zu schaf fen und zu sichern. Notwendig ist daher eine tarifrechtliche
Flankierung. Um den Spielraum für betriebliche Bündnisse für Arbeit zu erwei-
tern, müssen neben Lohn und Arbeitszeit auch die individuellen Beschäfti-
gungsaussichten in den Günstigkeitsver gleich einbezogen werden. W enn der
Betriebsrat und die Belegschaft mit qualif zierter Mehrheit mit der Unterneh-
mensleitung Regelungen im Unternehmen beschließen, sollte dies bei einer
Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber als V ermutung für eine
günstigere Regelung gelten. Den T arifparteien muss zur Sicherung der T arif-
autonomie innerhalb einer bestimmten Frist ein begründetes Einspruchsrecht
bleiben.
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2. Minderheitenrechte bewahren

Um auch kleinen Gewerkschaften bzw . gewerkschaftlich nicht or ganisierten
Arbeitnehmern eine faire Chance bei der Wahl zum Betriebsrat zu geben, muss
die Wahl des Betriebsrats sowie die Besetzung der entsprechenden Gremien
wie bisher nach den Grundsätzen der Verhältniswahl möglich sein. Eine zwin-
gende Mehrheitswahl in Kleinbetrieben, bei Freistellungen und bei der Beset-
zung von Ausschüssen wird abgelehnt, weil Minderheiten dadurch nicht ausrei-
chend berücksichtigt werden.

Der Minderheitenschutz soll bei der Betriebsratswahl dadurch gewährleistet
bleiben, dass Angestellte und Arbeiter zwar grundsätzlich den Betriebsrat ge-
meinsam wählen. Eine getrennte W ahl ist aber dann durchzuführen, wenn es
die Mehrheit einer dieser Gruppen beschließt.

Um die Entscheidungsmöglichkeiten des einzelnen Arbeitnehmers zu erwei-
tern, sollte zukünftig bei den Wahlen zum Betriebsrat das Kumulieren mehrerer
Stimmen auf einen Kandidaten und das Verteilen der Stimmen auf unterschied-
liche Listen ermöglicht werden.

Um konkrete Anregungen der Belegschaft besser berücksichtigen zu können,
sollen die individuellen Rechte des einzelnen Arbeitnehmers dadurch gestärkt
werden, dass der Betriebsrat auch über solche Themen zu beraten hat, die von
mindestens 5 % der Belegschaft vorgeschlagen werden.

3. Berufliche Bildung partnerschaftlich ausbauen, ereinbarkeit von Beruf und
Familie fördern

Lebenslanges Lernen ist notwendig, um den wachsenden Anforderungen einer
sich verändernden Arbeitswelt gerecht zu werden. Damit kommt der betrieb-
lichen Bildung für Arbeitnehmer eine wachsende Bedeutung zu. Aus diesem
Grunde sollte die Partnerschaft im Betrieb in Fragen der Einführung beruficher
Bildungsmaßnahmen gestärkt werden und dem Betriebsrat ein echtes Mit-
bestimmungsrecht in Betrieben mit mehr als 300 Arbeitnehmern eingeräumt
werden, soweit dies für den Arbeitgeber nicht unzumutbar ist oder mit unver-
hältnismäßig hohen Kosten verbunden ist. Voraussetzung für dieses Mitbestim-
mungsrecht ist, dass sich durch die Änderungen von technischen Anlagen, des
Arbeitsverfahrens, des Arbeitsablaufs oder der Arbeitsplätze ein nachhaltiger
Qualifizierungsbedarf der Arbeitnehmer e gibt, weil deren bisherige berufliche
Kenntnisse und Fähigkeit zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr ausreichen.

Um in der Familie beiden Partnern die Chance auf eine angemessene Erwerbs-
arbeit zu geben und diese mit der Familienarbeit sinnvoll zu vereinbaren, sind
vielfältige Anstrengungen notwendig. Im Betrieb sollte das Bewusstsein der
Betriebspartner für Probleme bei der V ereinbarkeit von Familie und Beruf ge-
stärkt werden. Dieser Aspekt sollte deshalb ebenfalls in den Katalog der allge-
meinen Aufgaben des Betriebsrats aufgenommen werden. Um im Interesse der
besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Betriebe Anreize für
mehr Teilzeitangebote zu schaf fen, sollten ähnlich wie im Kündigungsschutz-
gesetz Teilzeitbeschäftigte nur entsprechend ihrer Arbeitszeit anteilig auf die
Schwellenwerte angerechnet werden.

4. Organisatorische Rahmenbedingungen f exibler gestalten

Die betrieblichen und unternehmensrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten sind
vielfältig. Die or ganisatorischen Rahmenbedingungen des geltenden Betriebs-
verfassungsgesetzes haben sich in der betrieblichen Praxis demgegenüber als
zu eng erwiesen. Es sollte daher die Möglichkeit geschaf fen werden, tarifver -
tragliche und betriebliche Vereinbarungen über Struktur und Arbeitsweise der
Mitbestimmungsorgane abzuschließen, um flexibel auf unternehmensspezi -
sche Besonderheiten reagieren zu können. Dadurch können die Arbeitnehmer-
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vertretungsstrukturen besser als bisher auf regionale oder branchenspezif sche
Besonderheiten zugeschnitten werden.

5. Wettbewerbsfähigkeit fördern – Verfahren beschleunigen

Ein zukunftsorientiertes Betriebsverfassungsgesetz muss auf die sich verän-
dernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen reagieren und die Gewähr dafür
bieten, dass unternehmerische Entscheidungen – auch wenn sie der Mitbestim-
mung des Betriebsrats unterliegen – in wirtschaftlich vertretbaren Zeiträumen
umgesetzt werden können.





In Betrieben mit bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern kann ein Be-
triebsrat errichtet werden, wenn die Mehrheit der Arbeitnehmer für die Ein-
richtung eines Betriebsrats votiert.





Die V erfahrensabläufe der betrieblichen Mitbestimmung sind durch die
Festlegung einer zeitlichen Begrenzung zu beschleunigen. Dies gilt insbe-
sondere für die Bildung der Einigungsstelle und das Einigungsstellenverfah-
ren selbst. Voraussetzung für eine Beschleunigung ist allerdings eine früh-
zeitige und umfassende Information und Unterrichtung des Betriebsrats
durch den Arbeitgeber.





Die Geltendmachung der nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebs-
rats sollte an die 3-W ochen-Frist gekoppelt werden, die bereits im Kündi-
gungsschutzgesetz vorgesehen ist. Die Angaben, die der Arbeitgeber dem
Betriebsrat mitzuteilen hat, sollen ausdrücklich im Gesetz benannt werden.
Dadurch werden unnötige Prozesse vermieden und Rechtssicherheit für alle
Beteiligten geschaffen.





Das geltende Wahlverfahren ist zu kompliziert. Es muss einfacher und unbü-
rokratischer gemacht werden. Dabei müssen die begründeten Rechte von
Minderheiten im Betrieb gewährleistet und demokratische Grundsätze ein-
gehalten werden. Eine W ahl im Hauruckverfahren ist abzulehnen. Ein ver -
einfachtes Wahlverfahren kann nur dann angewandt werden, wenn 35 % der
Belegschaft auf der Betriebsversammlung anwesend ist.

6. Betriebsratsarbeit modernisieren

Die Aufgaben des Betriebsrats sind komplexer geworden. Um eine wirksame
Arbeit des Betriebsrates im Interesse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern
auch in Zukunft zu gewährleisten, müssen seine Arbeitsbedingungen verbessert
werden.





Um die Betriebsratsarbeit auf qualitativ hochwertigem Niveau zu halten,
müssen sich motivierte und qualif zierte Arbeitnehmer im Betriebsrat enga-
gieren. Da jedoch viele Arbeitnehmer auf eine reguläre Tätigkeit im Betrieb
nicht verzichten wollen, ist der Anspruch auf Teilfreistellungen bei unverän-
derten Schwellenwerten gesetzlich zu f xieren. Dies ermöglicht dem einzel-
nen Betriebsrat, seine beruf iche Tätigkeit sinnvoll mit einer ggf. zeitlich be-
fristeten Betriebsratsarbeit zu verzahnen.





Der Zugang des Betriebsrats zu den betriebsüblichen Informations- und
Kommunikationstechnologien muss im Gesetz festgeschrieben werden.
Durch eine solche Konkretisierung könnten viele kostenintensive Gerichts-
prozesse vermieden werden.





Den Betriebsparteien sollte die Option gegeben werden, die Erstattung der
Kosten der Betriebsratsarbeit durch die Einräumung eines eigenen Budgets
des Betriebsrats im beiderseitigen Einverständnis zu gestalten.
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7. Übergangsmandat des Betriebsrats auf eindeutige Rechtsgrundlage stellen

Um Rechtssicherheit zu gewährleisten, soll ein Übergangsmandat des Betriebs-
rats bei Betriebsabspaltungen für die Dauer von bis zu 6 Monaten nach W irk-
samkeit der Betriebsabspaltung normiert werden.

8. Jugend- und Auszubildendenvertretung stärken

Um die jugendlichen Arbeitnehmer und die Auszubildenden stärker in die Ent-
scheidungsprozesse einzubinden, soll die Errichtung von Jugend- und Auszu-
bildendenvertretungen auch in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten ermög-
licht werden.

Berlin, den 3. April 2001

Horst Seehofer
Peter Rauen
Karl-Josef Laumann
Gunnar Uldall
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Hansjürgen Doss
Johannes Singhammer
Dagmar Wöhrl
Brigitte Baumeister
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Rainer Eppelmann
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Erich G. Fritz
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Ulrich Klinkert
Dr. Norbert Lammert
Julius Louven
Wolfgang Meckelburg
Elmar Müller (Kirchheim)
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Friedhelm Ost
Dr. Bernd Protzner
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz-Xaver Romer
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dorothea Störr-Ritter
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Angelika Volquartz
Peter Weiß (Emmendingen)
Matthias Wissmann
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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