BT-Drucksache 14/5711

Aktuelle Lage im Sudan

Vom 27. März 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5711
14. Wahlperiode 27. 03. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Norbert Blüm,
Siegfried Helias, Joachim Hörster, Rudolf Kraus, Dr. Manfred Lischewski, Marlies
Pretzlaff, Erika Reinhardt, Hans-Peter Repnik, Dr. Christian Ruck, Peter Weiß
(Emmendingen), Hermann Gröhe, Monika Brudlewsky, Dr. Heiner Geißler,
Dr. Christian Schwarz-Schilling, Rainer Eppelmann, Dr. Erika Schuchardt
und der Fraktion der CDU/CSU

Aktuelle Lage im Sudan

Seit 1956 herrscht im Sudan, Afrikas größtem Flächenstaat, mit einer kurzen
Unterbrechung von 1972 bis 1983 ein Bürgerkrieg zwischen dem arabisch und
islamisch geprägten Norden und dem christlich bzw. animistisch ausgerichteten
Süden. Allein seit 1983 sind diesem Konflikt und den dadurch ausgelösten
Hungersnöten ca. 2 Millionen Menschen zum Opfer gefallen, während 4 Milli-
onen zu Binnenvertriebenen wurden und ca. 1 Million Sudanesen das Land ver-
ließen. Im Südsudan gibt es zz. eine der weltweit größten Hilfsoperation für die
dort lebende Bevölkerung.

Die Ursache für die fortwährenden Auseinandersetzungen liegt in der vom
Norden verfolgten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Benachteiligung
des Südens, bei der insbesondere der Kontrolle der Bodenschätze des Südens
eine wichtige Rolle zukommt. Bisher haben sich weder die Regierung in Khar-
toum noch die Rebellenarmee SPLA (Sudan People’s Liberation Army), die
gegenwärtig den größten Teil der südlichen Landeshälfte kontrolliert, entschei-
dend durchsetzen können. Bisherige Friedensverhandlungen scheiterten in der
Vergangenheit insbesondere an der Unvereinbarkeit der islamisch geprägten
Rechtsordnung im Norden (Scharia) und der vom Süden geforderten Säkulari-
sierung.

Das islamistische Militärregime des Generals Omar al-Bashir regiert seit 1989
den Sudan mit harter Hand. Das Recht der freien Meinungsäußerung und die
politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Opposition sind stark eingeschränkt.
Die Einführung einer neuen Verfassung im Jahr 1998, die eine gewisse Libera-
lisierung im politischen Bereich zu versprechen schien, hat bisher nicht zu
einer weitergehenden politischen Öffnung geführt. Seit der Verhängung des
Ausnahmezustands im Dezember 1999 hat sich die Lage der Menschenrechte
noch mehr verschlechtert. Verschiedene Hilfs- und Nichtregierungsorganisatio-
nen berichten von staatlichen Morden, auch an Zivilisten, geheimen Verhaftun-
gen, Haft ohne Anklage oder Gerichtsurteil, unfairen Gerichtsverfahren, Folte-
rungen und Misshandlungen in der Haft und von extralegalen Hinrichtungen.
Auch sollen heimlich Amputationsstrafen wieder eingeführt worden sein.
Sogar zivile Ziele, wie z. B. Krankenhäuser, Flüchtlingslager oder sogar eine
Schule in den Nuba-Bergen, wurden von der sudanesischen Armee bombar-
diert. In den letzten Jahren mehren sich auch Berichte über willkürliche Ver-

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schleppungen und Versklavung von den im Südsudan lebenden Schwarzafrika-
nern durch nordsudanesische Truppen; Frauen werden dabei immer wieder
Opfer von Vergewaltigungen, unzählige Kinder werden zu Soldaten rekrutiert.
Ethnische Diskriminierungen und Verfolgungen gehen einher mit Schikanen
gegen Anhänger nichtislamischen Glaubens, wie Christen und Animisten. Wi-
dersprüchlich ist die Haltung der sudanesischen Regierung vor allem gegenü-
ber dem Christentum, die im Südsudan vorherrschende Religion. Auch Geist-
liche wurden überfallen und festgenommen, sogar der katholische Erzbischof
von Khartoum war 1999 verhaftet worden. Zudem wächst der Druck auf die ka-
tholischen justice-and-peace-Gruppen. Immer wieder wird auch von Zwangs-
islamisierungen berichtet. Kurz nach den im Dezember des Jahres 2000 durch-
geführten Wahlen, die von der Opposition boykottiert wurden, verlängerte der
alte und neue Präsident den Ausnahmezustand.

Der Sudan gehört weiterhin zu einem der ärmsten Länder der Welt, obwohl
sich das hoch verschuldete Land wirtschaftlich gesehen gegenwärtig auf einem
Wachstumskurs befindet, von dem die breite Bevölkerung allerdings bisher
nicht profitiert hat. Seit 1989 ist von deutscher Seite aus die staatliche Entwick-
lungszusammenarbeit mit dem Sudan faktisch eingestellt. Es gibt allerdings zz.
deutliche Anzeichen, dass die internationale Isolation, in der sich der Sudan in
der Vergangenheit befunden hat, langsam zu bröckeln beginnt. Es gibt Beob-
achter, die nicht ausschließen, dass die weitere Entwicklung im Sudan auf eine
Spaltung des Landes oder auf Autonomielösungen hinauslaufen könnte, wobei
sich letzteres Szenario auf der internationalen Ebene durchzusetzen scheint.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Initiativen gedenkt die Bundesregierung zu starten, um dem „ver-
gessenen Krieg“ im Sudan wieder eine höhere Aufmerksamkeit in der inter-
nationalen Öffentlichkeit und damit mehr Druck in Richtung einer Friedens-
lösung zu verschaffen?

2. Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung auf bilateraler, EU- und
multilateraler Ebene zu ergreifen, um das Zustandekommen eines nachhalti-
gen Waffenstillstands, eines wirksamen Überwachungsmechanismus sowie
des dringend notwendigen Friedensabkommen zu unterstützen?

Wie bewertet die Bundesregierung hierbei ihre eigenen Einwirkungsmög-
lichkeiten, wie diejenigen anderer wichtiger regionaler Akteure wie z. B.
Ägyptens und Libyens bzw. der europäischen Ebene und vor allem den
USA?

3. Welche Position bezieht die Bundesregierung zu Forderungen nach einer
Spaltung des Sudans mit einem unabhängigen Süden bzw. einer Auto-
nomielösung für den südlichen Landesteil?

4. Inwieweit verfügt die Bundesregierung über Informationen zum Vorwurf
des Sudans gegen Uganda und Israel, diese würden die Rebellen im Süden
des Landes militärisch unterstützen?

5. Inwieweit treffen nach Kenntnis der Bundesregierung Meldungen zu, die
sudanesische Regierung arbeite gezielt an einer Verbesserung ihrer bislang
nicht immer ungetrübten Beziehungen zu Ägypten (angebliche Aufgabe von
Gebietsansprüchen an der Rotmeerküste durch den Sudan) und Eritrea?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die Rolle des Sudans in den militärischen
Auseinandersetzungen zwischen Eritrea und Äthiopien?

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7. Welche Position bezieht die Bundesregierung zu der aus dem EU-Dialog
mit dem Sudan herrührenden Feststellung, man könne dem Sudan trotz
anhaltender Bombardierungen von Zivilisten im Südsudan, einer rigiden
Anwendung des Scharia-Strafrechts (insbesondere in Form von Amputa-
tionen, Genitalverstümmelungen) und neuerlicher Verhaftungen von
Oppositionellen und Journalisten Fortschritte bescheinigen?

Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die neuer-
liche begründungslose Verhängung des Ausnahmezustands durch Präsident
Omar al-Bashir für ein weiteres Jahr?

8. Welche Position bezieht die Bundesregierung angesichts der immer noch
eingefrorenen bilateralen deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu der
Mitteilung, dass die EU Ende letzten Jahres die Entwicklungszusammen-
arbeit mit dem Sudan mittels eines Kooperationsprogramms in Höhe von
15 Mio. Euro bereits wieder aufgenommen haben soll?

9. Welche konkreten Schritte hat der kürzlich zum Sonderbeauftragten der
Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen (VN) zur Lage der
Menschenrechte im Sudan ernannte Bundesminister a. D. Dr. Gerhart-
Rudolf Baum bislang nach Kenntnis der Bundesregierung unternehmen
können und mit welchem Ergebnis?

10. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über von allen Bürger-
kriegsparteien einschließlich der sudanesischen Armee rekrutierte Kinder-
soldaten?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung die Korrektheit und Aussagekraft der
Ende letzten Jahres durchgeführten Präsidenten- und Parlamentswahlen
angesichts der Tatsache, dass diese seitens der sudanesischen Opposition
als „Scheinwahlen“ und „Farce“ eingeschätzt und boykottiert worden
waren?

12. Trifft es zu, dass Deutschland und anderen Gläubigerstaaten nahe gelegt
wurde, den Sudan in den Genuss der Erweiterten HIPC-Entschuldungs-
initiative (HIPC: heavily indebted poor countries – hochverschuldete arme
Länder) kommen zu lassen?

Wenn ja, welche Position nimmt die Bundesregierung hierzu ein?

13. Wie ist die Position der Bundesregierung gegenüber einer Normalisierung
der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit dem Regime im
Sudan?

Welche politischen Bedingungen knüpft sie an eine Wiederaufnahme der
Entwicklungszusammenarbeit mit dem Land?

14. Welche entwicklungspolitische Kategorisierung würde eine Normalisie-
rung der Beziehungen mit dem Sudan hinsichtlich der Einordnung in die
regionale Schwerpunktsetzung des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nach sich ziehen?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen der jüngst begonne-
nen Erdölförderung für die weitere Entwicklung des Landes?

Besitzt sie Informationen darüber, wofür die daraus gewonnenen Einnah-
men verwandt werden bzw. wie diese Profite den einzelnen Landesteilen
zugute kommen sollen?

Wie soll mittel- und langfristig sichergestellt werden, dass das wirtschaftli-
che Wachstum auch der breiten Bevölkerung, insbesondere dem südlichen
Landesteil, zugute kommt und damit die Ursachen des Konflikts entschärft
werden?

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16. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass auch deutsche Firmen
sich an der Ölförderung und dem Ölexport aus dem Sudan beteiligen wol-
len?

17. Wie schätzt die Bundesregierung im Sudan die Problematik der Binnenver-
triebenen bzw. eine mögliche Rückkehr der Flüchtlinge ein?

Welche Maßnahmen sollen unternommen werden, um diese Bevölkerungs-
gruppen wieder in die Gesellschaft zu integrieren und welchen Beitrag
könnten diese zu einem möglichen Friedensprozess leisten?

18. Wann wird die Bundesregierung den neuen Bericht über die asyl- und ab-
schieberelevanten Lage im Sudan vorlegen?

Auf welcher Grundlage basieren die Erkenntnisse?

19. Wie beurteilen die Bundesregierung und ihre Vertreter in Khartoum und in
Nairobi die Repressalien gegenüber den christlichen Kirchen?

Auf welche Weise kann den Diskriminierungen gegenüber nichtmuslimi-
schen Religionen nach Ansicht der Bundesregierung entgegengewirkt wer-
den?

20. Wie schätzt die Bundesregierung die Warnung der VN und der Welternäh-
rungsorganisation (FAO) ein, wegen einer aktuellen Dürre im Sudan seien
dort mehr als 1 Million Menschen vom Hungertod bedroht?

21. Welche Bedeutung wird der Befriedung und Entwicklung dieses Landes
für die Region und den afrikanischen Kontinent beigemessen?

22. Wie bewertet die Bundesregierung Vorwürfe gegen die sudanesische
Regierung, terroristische Organisationen zu unterstützen und auf dem
Staatsgebiet des Sudans zu tolerieren?

Berlin, den 27. März 2001

Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Norbert Blüm
Siegfried Helias
Joachim Hörster
Rudolf Kraus
Dr. Manfred Lischewski
Marlies Pretzlaff
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Dr. Christian Ruck
Peter Weiß (Emmendingen)
Hermann Gröhe
Monika Brudlewsky
Dr. Heiner Geißler
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Rainer Eppelmann
Dr. Erika Schuchardt
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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