BT-Drucksache 14/57

Soforthilfe, Wiederaufbaumaßnahmen und Entschuldung für Mittelamerika

Vom 18. November 1998


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/57 vom 18.11.1998

Antrag der Fraktion der PDS Soforthilfe, Wiederaufbaumaßnahmen und
Entschuldung für Mittelamerika =

18.11.1998 - 57

14/57

Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Carsten Hübner, Heidi Lippmann-
Kasten, Dr. Dietmar Bartsch, Fred Gebhardt, Wolfgang Gehrcke-Reymann,
Manfred Müller (Berlin), Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Soforthilfe, Wiederaufbaumaßnahmen und Entschuldung für Mittelamerika

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Der Hurrikan "Mitch" forderte in den mittelamerikanischen Staaten
Guatemala, Honduras, Nicaragua und El Salvador mehr als 30 000
Menschenleben, zerstörte in weiten Regionen, insbesondere Honduras und
Nicaraguas, die komplette Infrastruktur des Landes, vernichtete 70 %
der Ernte und zerstörte die Lebensgrundlage von mehr als drei Millionen
Menschen. Es handelt sich um die schlimmste Umweltkatastrophe in dieser
Region seit 200 Jahren.
2. Die Naturkatastrophe traf eine der ärmsten Regionen der Erde, die
in den vergangenen Jahren durch Bürgerkriege in besonderem Maß
betroffen war.
3. Die bisher von der Weltgemeinschaft vereinbarte Hilfe bleibt weit
hinter den Erwartungen der Menschen und der Notwendigkeit zurück, eine
Verschärfung der Katastrophe durch nachfolgende Epidemien und eine
Hungersnot zu verhindern.
4. Die Hilfe für die betroffene Region ist nicht allein ein Gebot der
Menschlichkeit; zumindest das Ausmaß der Katastrophe hängt mit
Entwicklungen zusammen, die Ergebnis des spezifischen Wachstums- und
Entwicklungsmodells der westlichen Hemisphäre sind.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
1. Die Bundesrepublik Deutschland gewährt für die von dem Wirbelsturm
betroffene Region Soforthilfe und Hilfe für Wiederaufbaumaßnahmen von
100 Mio. DM. Sie wirkt im Rahmen der EU und im Rahmen der
internationalen Staatengemeinschaft darauf hin, die bisher
unzureichenden Hilfen zu erhöhen.
2. Soweit erforderlich werden in Absprache mit den Behörden der
betroffenen Länder, mit Hilfsorganisationen und
Nichtregierungsorganisationen vor Ort technische und medizinische
Geräte und Transportmittel aus Beständen ggf. der Bundeswehr und des
Technischen Hilfswerks zur Verfügung gestellt.
3. Als effizientes Mittel für die erforderliche Hilfe wird die
bürgernahe Zusammenarbeit zwischen bundesdeutschen Städten und Städten
im Katastrophengebiet und im Rahmen bestehender, von deutscher Seite
unterstützter Hilfsprojekte gefördert, wie sie sich in den letzten zwei
Jahrzehnten, insbesondere im Rahmen von Städtepartnerschaften mit
Nicaragua, entwickelten.
4. Die Auslandsschulden der von der Katastrophe betroffenen Länder
werden, soweit die Gläubigerin die Bundesrepublik Deutschland oder eine
vom Bund kontrollierte Institution ist, gestrichen.
5. Die Bundesregierung setzt sich im Rahmen multilateraler und
internationaler Institutionen dafür ein, daß die Schulden der
betroffenen Länder gestrichen werden.
Bonn, den 18. November 1998
Dr. Winfried Wolf
Carsten Hübner
Heidi Lippmann-Kasten
Dr. Dietmar Bartsch
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Manfred Müller (Berlin)
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung
Ausmaße der Katastrophe
Nach Angaben des honduranischen Katastrophenschutzbeauftragten wurde
das Land um "30 bis 50 Jahre in der Entwicklung zurückgeworfen"; die
gesamte Infrastruktur des Landes (Straßen, Brücken, Telekommunikation,
Wasserversorgung) gilt als zerstört; in der Hauptstadt Tegucigalpa ist
nur noch jeder zehnte Haushalt an die Wasserversorgung angeschlossen.
In dem im vergleichbaren Maß getroffenen Nicaragua kommt zum Elend der
Bevölkerung in den Krisengebieten die besondere Notlage der Misquito-
Indianer im Norden und an der Atlantikküste.
Katastrophe mitverursacht durch westliches Wachstumsmodell
Die These, die Zunahme der Zahl von Naturkatastrophen der derzeit in
Mittelamerika registrierten Art habe etwas mit der Erderwärmung und dem
"Treibhauseffekt", also vor allem mit dem hohen Energieverbrauch und
den hohen Emissionen von CO2 in den OECD-Staaten zu tun, wird von
maßgeblichen wissenschaftlichen und politischen Kreisen in unserem Land
für möglich, wenn nicht wahrscheinlich erachtet - siehe z. B. Enquete-
Kommission.
Doch auch wenn diese Erklärung verworfen wird, so bleibt als
unumstrittener Tatbestand: Die von der Katastrophe heimgesuchte Region
ist in starkem Maß von Monokultur in der Landwirtschaft - insbesondere
Kaffee, Bananen und Zuckerrohr - dominiert. Dieser Anbau erfolg fast
ausschließlich für den Export in die OECD-Staaten. Ein anderer Teil der
Exporterlöse stammt aus der Abholzung der Tropenhölzer, die ebenfalls
in die Industrieländer geliefert werden. Monokultur und Abholzung haben
die Böden schutzlos der Erosion ausgesetzt, die dünne Erdkrume wird
schnell vom Regen weggespült, die Aufnahmefähigkeit der Böden ist stark
reduziert. Dies trug dazu bei, daß die Wassermassen zu Überschwemmungen
führten. Nach Schätzungen der VN-Ernährungsorganisation FAO hat die
Region allein zwischen 1990 und 1995 rd. 2 284 000 Hektar Wald
eingebüßt. Auch die ungleiche Verteilung von Land hat maßgeblich an den
Umweltproblemen beigetragen.
Im übrigen wirkt sich für die betroffenen Länder die
landwirtschaftliche Monokultur in den nächsten Jahren besonders
nachteilig aus. 70 % der Kaffeeplantagen, der Bananenstauden, der
Zitrusfrüchte und des Zuckerrohrs gelten als vernichtet. Bananenexporte
aus Mittelamerika seien z. B. erst wieder im Jahr 2000 möglich. Damit
verliert diese Region schlagartig den größten Teil ihrer
Exporteinnahmen.
Zugesagte Hilfe
Die bisher von der Bundesrepublik Deutschland bereitgestellte
humanitäre Soforthilfe von insgesamt 9,4 Mio. DM, sowie die für
Honduras zugesagten 10 Mio. DM und weitere in Aussicht gestellte 18
Mio. DM für technische Zwecke, müssen als unzureichend gelten. Die USA
haben ihre bisher zugesagte Hilfe von insgesamt 6,9 Mio. US-$ auf
inzwischen 70 Mio. US-$ aufgestockt. Doch allein für Honduras werden
die Kosten zum Wiederaufbau der Infrastruktur auf 2 Mrd. US-$
geschätzt.
Städtepartnerschaften
Im Rahmen der Solidarität mit Nicaragua gab es seit Beginn der
achtziger Jahre zwischen den Menschen in Nicaragua und denen in der DDR
bzw. in der Bundesrepublik Deutschland vielfältige Kontakte und
Projekte der Zusammenarbeit. An ihnen waren auf deutscher Seite u. a.
beteiligt die IG Metall und deren Jugend, der SPD-nahe Jugendverband
SJD Die Falken, dutzende Nicaragua-Solidaritäts-Komitees, christliche
Verbände, die DDR-Verbände FDJ sowie das Solidaritätskomitee der DDR.
Einige der in diesem Rahmen aufgebauten Projekte existieren heute noch
und werden von deutscher Seite betreut bzw. unterstützt. Das gilt z. B.
für das Krankenhaus "Carlos Marx" in Managua und das
Berufsbildungszentrum in Jinotepe in Nicaragua. In einigen Fällen
entwickelten sich auch offizielle Städtepartnerschaften, so z. B.
Hamburg-Leon, Freiburg-Wiwili, Köln-Corinto, Leverkusen-Chinandega. Um
bürokratische Kosten zu vermeiden und Hilfen möglichst schnell und
effizient direkt den Menschen vor Ort zukommen zu lassen, ist es
sinnvoll, auf diese bestehenden Strukturen zurückzugreifen.
Auslandsschulden
Die von der Katastrophe betroffenen Länder zählen zu den ärmsten der
Welt. Sie sind im Ausland hoch verschuldet - die gesamte Auslandsschuld
von Nicaragua liegt bei 6 Mrd. US-$, diejenige von Honduras bei 4,5
Mrd. US-$ - so daß ein großer Teil der Exporterlöse für den
Schuldendienst aufgewandt werden muß. Da die Exporte in den nächsten
Jahren als Folge der Katastrophe massiv reduziert werden, werden auch
die Auslandsschulden hochschnellen - wenn sie nicht umgehend gestrichen
werden.
Einen Sonderfall bilden dabei die Auslandsschulden Nicaraguas. Ein
großer Teil derselben stammen aus der Zeit der sandinistischen
Regierung und der DDR; die Notwendigkeit ihrer Streichung ergibt sich
auch aus dem besonderen Charakter dieser Schulden, von denen die
damalige nicaraguanische Regierung nicht annehmen mußte, daß sie in
vollem Umfang in westlicher Währung zu begleichen und teilweise zu
verzinsen wären.
Eine Streichung der Auslandsschulden der ärmsten Länder der Welt
fordern derzeit die Solidaritätsbewegung mit der Dritten Welt und
verschiedene christliche Verbände. Als Antwort auf die Katastrophe
fordert das Bündnis "Erlaßjahr 2000" und "Südwind" die Streichung der
Schulden von Nicaragua und Honduras. Der ehemalige US-Präsident Jimmy
Carter forderte ebenfalls die Streichung der Auslandsschulden von
Nicaragua und Honduras.

18.11.1998 nnnn

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