BT-Drucksache 14/5693

Wettbewerb und Regulierung im Telekommunikationssektor

Vom 28. März 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5693
14. Wahlperiode 28. 03. 2001

Antrag
der Abgeordneten Klaus Barthel (Starnberg), Thomas Sauer, Dr. Axel Berg,
Rolf Hempelmann, Hubertus Heil, Jelena Hoffmann (Chemnitz), Volker Jung
(Düsseldorf), Ulrich Kelber, Werner Labsch, Christian Lange (Backnang), Christian
Müller (Zittau), Birgit Roth (Speyer), Gerhard Rübenkönig, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Dr. Ditmar Staffelt, Wolfgang Weiermann,
Dr. Rainer Wend, Dr. Margrit Wetzel, Klaus Wiesehügel, Engelbert Wistuba,
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Grietje Bettin, Andrea Fischer (Berlin),
Werner Schulz (Leipzig), Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wettbewerb und Regulierung im Telekommunikationssektor

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Telekommunikationssektor steht in einem tiefgreifenden Umwandlungs-
prozess von ehemals öffentlich-rechtlich organisierten zu privatrechtlich und
wettbewerblich organisierten Bereichen der Volkswirtschaft. Dieser Prozess
war und ist politisch gewollt und bedarf weiterhin der politischen Gestaltung.
Das Telekommunikationsgesetz (TKG) und die auf dieser Grundlage ergange-
nen Verordnungen und Entscheidungen bilden zusammen mit dem Grund-
gesetz und dem allgemeinen Wettbewerbsrecht die wesentlichen Grundlagen in
diesem Umstrukturierungsprozess. Insbesondere die Regulierungsbehörde für
Telekommunikation und Post (RegTP) setzt diese Vorgaben um.

Der Rechtsrahmen definiert ein Bündel von vielfältigen, gleichrangigen Poli-
tik- und Regulierungszielen. Dazu gehören die Schaffung fairer Wettbewerbs-
bedingungen, ein flächendeckendes und erschwingliches Angebot von Tele-
kommunikations- und Postdienstleistungen (Universaldienst), die Wahrung des
Datenschutzes, der öffentlichen Sicherheit und andere gemeinwohlorientierte
Ziele wie gesamtwirtschaftlicher Nutzen, soziale Arbeitsbedingungen und die
Ausstattung öffentlicher Einrichtungen.

1. Die Berichte der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post und
der Monopolkommission belegen eindrücklich die erreichten Fortschritte
und die Dynamik dieser Märkte. Der Deutsche Bundestag begrüßt diese
Entwicklung. In Zukunft ist das Augenmerk verstärkt auch auf die anderen
Regulierungsziele zu richten. Der Deutsche Bundestag begrüßt in Überein-
stimmung mit der Bundesregierung die positive Entwicklung des Telekom-
munikationsmarktes und sieht dies als wesentlichen Erfolg der sektorspezifi-
schen Regulierung. Bisher war es aufgrund der Marktentwicklung nicht
erforderlich, Regulierungsinstrumente im Rahmen der Universaldienstver-

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pflichtung anzuwenden. Der wirtschaftlich, technologisch und regulatorisch
bedingte rasante Umbruch im Telekommunikationssektor schaffte und
schafft binnen kürzester Zeit neue Verhältnisse, die sich deutlich vom Be-
ginn der völligen Marktöffnung 1998 unterscheiden.

2. Die Berichte der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post und
der Monopolkommission zeigen, dass sich der Wettbewerb in den einzelnen
Marktsegmenten unterschiedlich entwickelt hat. Während der Ortsnetzbe-
reich weiterhin quasi monopolistisch geprägt ist, herrscht auf anderen Teil-
märkten, wie bei Fern- und Auslandsgesprächen inzwischen ein reger Wett-
bewerb. Während sich der Wettbewerb auf diesen Teilmärkten anfänglich
vor allem regulierungsinduziert auf der Basis bestehender Netzinfrastruktu-
ren entwickelte, entstehen inzwischen auch leistungsfähige alternative Infra-
strukturen bei den Wettbewerbern. Der bestehende Regulierungsrahmen ist
flexibel genug, dies bei der zukünftigen Regulierung zu berücksichtigen.
Regulierung hat von der jeweiligen Wettbewerbssituation ausgehend u. a.
die Frage der Marktbeherrschung zu untersuchen. Dabei sind die Kriterien
des § 19 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen umfassend und auf den
TK-Sektor spezifisch anzuwenden. Danach ist ein Unternehmen marktbe-
herrschend, wenn kein wesentlicher Wettbewerber vorhanden ist oder das
Unternehmen im Verhältnis zu seinen Mitbewerbern eine überragende
Marktstellung hat. Bei der Beurteilung sind folgende Kriterien zu berück-
sichtigen: der Marktanteil, die Finanzkraft, der Zugang zu den Beschaf-
fungs- und Absatzmärkten, Verflechtungen mit anderen Unternehmen, die
Marktsituation auf Auslandsmärkten, rechtliche und tatsächliche Schranken
für den Marktzugang anderer Unternehmen.

Es ist zu berücksichtigen, dass es keinen isolierten nationalen Telekommu-
nikationsmarkt gibt, sondern auf dem globalen Telekommunikationsmarkt
neben einer Reihe von noch schutzbedürftigen kleinen und neugegründeten
Unternehmen vor allem globale Unternehmen und deren Töchter miteinan-
der konkurrieren. Nationale bzw. europäische Regulierungspolitik sollte
auch zur Schaffung international vergleichbarer Marktzutrittschancen und
fairer Wettbewerbsbedingungen beitragen. Bei der Beurteilung der Wettbe-
werbssituation muss nationale Regulierungspolitik die internationale Situa-
tion im Blick haben. Der Deutsche Bundestag teilt die Erwartung der Bun-
desregierung, dass die RegTP möglichst umgehend relevante Teilmärkte
definiert und gegebenenfalls dereguliert, falls dort keine marktbeherr-
schende Position mehr gegeben ist. Die Regulierungsbehörde hat entschie-
den, die Regulierung bei Auslandsgesprächen in die Türkei zurückzufahren.
Weitere Entscheidungen in Bezug auf Märkte für Gespräche ins Ausland
sind zu erwarten. Die deregulierten Teilmärkte müssen von der Regulie-
rungsbehörde auch in Zukunft genau beobachtet werden. Im Inland stößt die
Betrachtung von Teilmärkten (etwa in Bezug auf Kundengruppen oder Bal-
lungsräume) dagegen auf Definitions- und Abgrenzungsfragen. Regionale
Marktabgrenzungen im Inland bzw. weitere Differenzierungen nach Kun-
dengruppen bergen die Gefahr unterschiedlicher regionaler Preis- und An-
gebotsentwicklungen und strategischer Dumpingangebote auf den deregu-
lierten Teilmärkten, die den erreichten Wettbewerb substanziell gefährden
würden. Die RegTP muss künftig in der Lage sein, die tatsächliche Markt-
entwicklungen auf der Grundlage eigener Erhebungen ökonomisch besser
als bisher untersuchen und beurteilen zu können. Im Übrigen hat die
Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum Tätigkeitsbericht der RegTP
(Bundestagsdrucksache 14/4064) differenzierte Aussagen zur Entgeltregu-
lierung, nicht nur nach unterschiedlichen Marktsegmenten, sondern auch zu
Vorleistungen und Endkundenmärkten getroffen. Der Deutsche Bundestag
unterstützt diese Aussagen.

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3. Der Deutsche Bundestag teilt die Auffassung der Bundesregierung und der
EU-Kommission, dass die Konvergenz der Bereiche Medien, Telekommuni-
kation und Informationstechnologie größere Regulierungs- und allgemein-
politische Aufmerksamkeit erfordert. Wenn Branchen teilweise zusammen-
wachsen und ineinander übergehen, entstehen Abgrenzungsprobleme und
regulierungpolitischer Klärungsbedarf in Bezug auf die betroffenen Bran-
chen und die zuständigen politischen Ebenen. Die bisherigen Aussagen von
Regulierungsbehörde und Monopolkommission reichen hierzu nicht aus.
Die Beurteilung der oligopolistischen Strukturen im Bereich der privaten
elektronischen Medien im Vergleich zur Marktentwicklung auf dem Tele-
kommunikationsbereich durch die Monopolkommission und die daraus ge-
zogenen Schlussfolgerungen sind in sich nur teilweise schlüssig. Das Quasi-
Duopol der privaten Fernsehanstalten muß stärker auf den Prüfstand gestellt
werden. Die Konvergenzentwicklung darf nicht dazu führen, dass die EU-
Kommission ohne ausreichende Diskussion in den Mitgliedstaaten weitere
Kompetenzen an sich zieht. Ziel muss eine kohärente und integrierte Kom-
munikationsordnung zunächst auf nationaler Ebene sein, die in Abstimmung
mit den Ländern schrittweise entwickelt werden und durch den Aufbau an-
gemessener Instrumente gestrafft und effektiviert werden muss. Angesichts
der immer enger zusammenwachsenden europäischen Märkte müssen die
Voraussetzungen für einen europaweit harmonisierten Telekommunikations-
markt geschaffen werden.

4. Abgesehen von punktuellen Problemen mit Telefonzellen und dem Sozial-
tarif der DTAG war bisher die flächendeckende Versorgung mit TK-Dienst-
leistungen zu erschwinglichem Preis nicht gefährdet. Zunehmend entwickelt
sich mit der steigenden Leistungsfähigkeit von Telekommunikationsnetzen
der allgemeine Stand der Technik weiter. Wir wollen sicherstellen, dass die
Wettbewerbsdynamik nicht einseitig zu einem schnellen und intensiven
Ausbau von Netzen und Dienstleistungsangeboten in Ballungszentren in
Verbindung mit Preissenkungskämpfen der Anbieter führt, während außer-
halb der Zentren die Preise hoch und das Angebot begrenzt bleiben. Derzeit
führt die Marktdynamik zu hohen Zuwächsen und Verbreitungsquoten so-
wohl bei ISDN, DSL und Mobilfunk zu tendenziell sinkenden Preisen.
Wettbewerb beim Teilnehmeranschluss außerhalb der sektorspezifischen
Regulierung wird dann entstehen, wenn kostengünstige und leistungsfähige
alternative Zugänge zu den Haushalten und Unternehmen vorhanden sind.
Das Fernsehkabelnetz ist ein solcher alternativer Zugang. Wir begrüßen
daher, dass die Telekom nunmehr mit einem Investor eine Absichtserklä-
rung über die Veräußerung wesentlicher Anteile an den regionalen Kabel-
gesellschaften abgeschlossen hat. Allerdings wird Wettbewerb erst dann
greifen, wenn die notwendigen Investitionen in das Breitbandkabeletz ge-
tätigt sind.

Um eine digitale Spaltung der Gesellschaft zu vermeiden und die erklärten
Ziele der EU und der Bundesregierung über die Entwicklung der Informa-
tionsgesellschaft erreichen zu können, muss die Regulierungspolitik die
Entwicklung beobachten, um gegebenenfalls dazu beitragen zu können, dass
flächendeckend erschwingliche breitbandige Angebote vorhanden sind. Der
dynamische Universaldienstbegriff des TKG bietet den Ansatzpunkt dafür,
auch hochwertige Datenübertragungsmöglichkeiten im Falle von Defiziten
auf dem Markt als Universaldienstleistungen abzusichern. Der Deutsche
Bundestag fordert Bundesregierung und Regulierungsbehörde auf zu prü-
fen, ob und wie im Hinblick auf die europäische Diskussion und die dyna-
mische Definition im TKG der Universaldienstbegriff fortgeschrieben und
modernisiert werden kann und wie die Umsetzung des Gebotes der Förde-
rung von Telekommunikationsdiensten bei öffentlichen Einrichtungen in die
Praxis vorangetrieben werden kann.

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5. Die Arbeit der Regulierungsbehörde war bisher naturgemäß oft durch Ein-
zelentscheidungen aufgrund von Anträgen, Beschwerden und kurzfristigem
Entscheidungsbedarf geprägt. Um die Berechenbarkeit, Planbarkeit und
Transparenz von Regulierungsentscheidungen zu erhöhen, fordert der Deut-
sche Bundestag eine stärker vorausschauende Regulierungspolitik. Grund-
satzfragen (z. B. bezüglich der Abgrenzung von Teilmärkten, Regelungen
des Inkassos, Interconnectionregime, UMTS) sollen zukünftig vorausschau-
end und breit diskutiert werden. Auf dieser Basis sollte dann die Regulie-
rungsbehörde Eckpunkte entwickeln. Im Rahmen einer Verstetigung und
gegebenenfalls Rückführung von regulatorischen Eingriffen muss ein zuver-
lässigerer Rahmen für Investitionsentscheidungen der Unternehmen ge-
schaffen werden, der auch genügend Anreize für Investitionen in Infrastruk-
turen schafft und sicherstellt, dass solche Investitionen nicht durch regulato-
rische Eingriffe unangemessen entwertet werden.

6. Der Deutsche Bundestag betont die Unabhängigkeit der Regulierungs-
behörde für Post und Telekommunikation. Er stimmt der Auffassung der
Bundesregierung zu, dass gegebenenfalls notwendige Korrekturen in Teil-
aspekten des Regulierungsregimes ohne Veränderung des gesetzlichen Rah-
mens möglich sind. Wenn die vorhandenen Spielräume sinnvoll genutzt
werden, sind grundsätzliche Änderungen des TKG nicht zwingend notwen-
dig. Änderungsbedarf könnte sich jedoch beispielsweise im Hinblick auf die
von der EU-Kommission vorgeschlagenen neuen Richtlinien für einen
neuen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste
sowie im Zusammenhang mit der Umsetzung der 2. Stufe bei der Reform
des Datenschutzrechtes ergeben.

7. Der Deutsche Bundestag begrüßt und unterstützt die Auffassung der Bun-
desregierung über eine notwendige Harmonisierung der europäischen Tele-
kommunikationsmärkte. Er unterstützt die EU-Kommission in ihrem Ziel,
faire und vergleichbare Wettbewerbsbedingungen in allen Mitgliedstaaten
zu schaffen. Die Kommission hat dazu ein Paket von Richtlinien vorgelegt.
Der Deutsche Bundestag unterstützt die Position der Bundesregierung, dass
eine Ausweitung der Kompetenzen der EU-Kommission in diesem Bereich
nicht ansteht. Die im Rahmen der Richtlinienentwürfe des TK-Paketes vor-
gesehenen zusätzlichen Rechte der EU-Kommission, etwa zu den Eingriffs-
möglichkeiten in Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörden,
lehnt der Deutsche Bundestag derzeit ab. Eine solche Regelung würde die
Gefahr übereilter europäischer Entscheidungen, denen keine Analyse der
tatsächlichen marktmäßigen und technischen Entwicklungen vorausgegan-
gen ist, mit sich bringen. Ziel europäischer Telekommunikationspolitik muss
vorrangig die Herstellung von Wettbewerb und die Angleichung der tatsäch-
lichen Wettbewerbsbedingungen im Rahmen eines europäischen Moderni-
sierungs- und Sozialmodells unter Berücksichtigung der beschäftigungspoli-
tischen Zielsetzungen sein.

8. In der Öffentlichkeit machen sich Sorgen über gesundheitliche Auswirkun-
gen elektromagnetischer Felder breit, wie sie vor allem im Zuge des Einsat-
zes mobiler Kommunikation befürchtet werden. Die RegTP als für die Ein-
haltung der Grenzwerte zuständige Behörde sollte befähigt und angehalten
werden, flächendeckend, kompetent und vertrauensbildend die Entwicklung
dieser Belastungen zu beobachten, auszuwerten und Wege zur Minimierung
möglicher Gefahren und Belastungen aufzuzeigen. Wir fordern die Bundes-
regierung auf, zeitnah zu prüfen, ob die derzeit geltenden Grenzwerte und
Sicherheitsabstände noch dem neuesten Stand von Forschung und Wissen-
schaft entsprechen. Gegegebenenfalls sind Korrekturen vorzusehen, bei-
spielsweise bei Grenzwerten und/oder im Hinblick auf Räume und Gebäude
mit sensibler Nutzung.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/5693

Auch die gemeinsame Nutzung von Infrastrukturen in der Mobilkommuni-
kation ist ein Weg zur Reduzierung gesundheitlicher Belastungen. Dieser
Weg sollte, soweit es unter den Bedingungen der Unabhängigkeit der Betrei-
ber, unter Aufrechterhaltung des Wettbewerbs und Einhaltung der Lizenz-
bedingungen möglich ist, beschritten werden. Die Regulierungsbehörde
sollte die Unternehmen auf diesem Weg konstruktiv begleiten.

Berlin, den 28. März 2001

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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