BT-Drucksache 14/5522

Straf- und Ermittlungsverfahren nach § 129 und § 129a StGB in den Jahren 1996 bis 2000

Vom 7. März 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

07. 03. 2001

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Straf- und Ermittlungsverfahren nach § 129 und § 129a StGB in den Jahren
1996 bis 2000

Der seit August 1976 bestehende Paragraf 129a Strafgesetzbuch (StGB) (Mit-
gliedschaft, Werbung und Unterstützung einer „terroristischen V ereinigung“)
ist ebenso wie der § 129 StGB („kriminelle Vereinigung“) schon lange umstrit-
ten. Strafverteidiger-Vereinigungen, Menschen- und Bür gerrechtsgruppen for-
dern seit Jahren die ersatzlose Abschaffung dieses Strafparagrafen. Auch in der
Presse wird dieses Anliegen unterstützt.

So schrieb „Die Zeit“ kürzlich: „In Deutschland sind die meisten Exterroristen,
wie man sie inzwischen nennen kann, längst begnadigt – und bei einigen, die
noch gesucht werden, ist zweifelhaft, ob sie je zur Rote Armee Fraktion gehört
haben. Nur eines ist noch übrig aus der bleiernen Zeit der Siebziger: der § 129a
des Strafgesetzbuches, der nicht nur Verbrechen, sondern schon Absichten un-
ter Strafe stellt. Es wäre an der Zeit, ihn abzuschaffen.“ (Die Zeit, 9. November
2000)

Dennoch gibt es Berichte, wonach die Ermittlungs- und Strafverfahren wegen
Verdachts auf Verstoß gegen § 129 und § 129a StGB nicht ab-, sondern wieder
zunehmen. Die Sicherheitsbehörden nutzen of fenbar den Verdacht des Versto-
ßes gegen § 129 bzw. § 129a StGB, um linke oppositionelle Gruppen aus dem
Antifa- und Antirassismus-Spektrum monatelang extensiv auszuforschen,
große Datenbestände über die observierten, beschatteten und evtl. belauschten
Personen anzulegen und dann möglichst lange zu speichern.

So wurde unlängst in der Presse berichtet, dass ein Ermittlungsverfahren gegen
eine Gruppe von insgesamt 39 Antifaschisten in Passau nach mehrere Jahre
dauernden Ermittlungen aus Mangel an Beweisen eingestellt worden ist. Im
Rahmen dieser Ermittlungen hatten zahlreiche Polizeibeamte im Mai 1998 bei
einer bundesweiten Durchsuchungsaktion Unterlagen von mehr als 32 Perso-
nen in sechs Städten im Bundesgebiet beschlagnahmt. Zeitweise waren mehr
als 80 Personen, zumeist aktive Antifaschisten, darunter auch Anwälte, Poli-
tiker der Grünen u. a., unter Observierung, ihre Post- und T elefonkommuni-
kation wurde überwacht etc. Die Betrof fenen selbst schätzen die Kosten des
jahrelangen Ermittlungsverfahrens auf einen zweistelligen Millionenbetrag, sie
selbst erlitten erhebliche materielle und immaterielle Schäden durch die damit
verbundene jahrelange Diskreditierung in der Öf fentlichkeit und im Berufs-
leben und fordern jetzt Entschädigung von der bayerischen Landesregierung.

Auch gegen Anti-Castor -Gruppen soll es nach Angaben von Betrof fenen ver-
mehrt zu Ermittlungsverfahren, Hausdurchsuchungen, Observationen und
Beschlagnahmungen mit V erweis auf Ermittlungen nach § 129 StGB bzw .
§ 129a StGB gekommen sein.
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Wir fragen die Bundesregierung:

I. Zum Komplex Strafverfahren wegen „linksterroristischer“ und hiermit in
unmittelbarem Zusammenhang stehender Straftaten (inkl. Unterstützung
und Werbung) im Zeitraum 1996 bis 2000 (bitte jeweils jährliche Angaben):

1. a) Wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Beschuldigte wurden
wegen derartiger Taten entweder vom Generalbundesanwalt eingeleitet
oder von den einleitenden Länder -Staatsanwaltschaften an diesen ab-
gegeben?

b) In wie vielen Verfahren wurde gegen wie viele Beschuldigte (nur/auch)
nach § 129a StGB ermittelt?

c) In wie vielen Fällen hiervon lautete der V orwurf jeweils „Unter -
stützung“ einer terroristischen bzw . „Werbung“ für eine terroristische
Vereinigung?

d) Wie viele der von der Bundesanwaltschaft eingeleiteten Verfahren wur-
den später wieder an die Länder-Staatsanwaltschaften abgegeben?

e) Wie viele der in a) bis d) Beschuldigten waren:

– jünger als 20 Jahre

– zwischen 20 und 30 Jahre alt

– zwischen 30 und 40 Jahre alt

– älter als 40 Jahre?

f) In wie vielen dieser Ermittlungsverfahren erfolgte

– ein Versuch der Anwerbung bzw. des Einsatzes von V-Leuten,

– ein Versuch zur Gewinnung von Kronzeugen gegen die Beschuldig-
ten,

– eine Telefonkontrolle und/oder Postkontrolle gegen die Beschuldig-
ten und ihr Umfeld?

g) Wie viele Personen waren von dieser T elefon- und/oder Postkontrolle
erfasst?

h) Wie viele Hausdurchsuchungen fanden im Rahmen dieser Ermitt-
lungen statt, wie viele Personen waren davon betroffen, und was wurde
beschlagnahmt?

2. a) In wie vielen Fällen wurde gegen wie viele Personen insgesamt Unter-
suchungshaft verhängt?

b) Davon mit Haftgrund (§ 112 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO))?

c) Wie häufig ohne Haftgrund nach § 112 Abs. 3 StPO?

d) Wie lange jeweils dauerte die Untersuchungshaft (Monate/über ein
Jahr)?

e) Wie viele der Betroffenen wurden später freigesprochen, zu Geldstrafe,
zu Freiheitsstrafe auf Bewährung und zu Freiheitsstrafe ohne Bewäh-
rung (Jahre/Monate) verurteilt?

f) Wie viele der unter a) bis e) genannten Betroffenen waren

– jünger als 20 Jahre

– zwischen 20 und 30 Jahre alt

– zwischen 30 und 40 Jahre alt

– älter als 40 Jahre?

3. a) In wie vielen Fällen kam es zur Einstellung der Ermittlungsverfahren
durch die Staatsanwaltschaft insgesamt?

b) In wie vielen Fällen davon waren jeweils ausschließlich bzw . auch
nach § 129a StGB geführte Verfahren betroffen?
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c) Wie viele dieser V erfahren fußten jeweils auf dem V orwurf der Mit-
gliedschaft, Unterstützung oder Werbung (bitte aufschlüsseln nach den
bei 1. und 2. genannten Altersgruppen der Beschuldigten)?

4. a) In wie vielen Fällen erfolgte insgesamt Anklage?

b) Gegen wie viele Angeklagte?

c) In wie vielen Verfahren gegen wie viele Angeklagte jeweils wurde

aa) nur nach § 129a StGB angeklagt,

bb) auch nach § 129a StGB angeklagt?

d) Wie viele Verfahren gegen wie viele Angeklagte jeweils betrafen in den
letztgenannten beiden Kategorien jeweils die Vorwürfe Mitgliedschaft,
Unterstützung, Werbung?

5. a) In wie vielen Fällen wurde Anklage zugelassen und das Hauptverfah-
ren eröffnet?

b) Mit welchen Abweichungen, insbesondere bezüglich des V orwurfs
nach § 129a StGB?

c) In wie vielen Fällen kam es aus welchen Gründen zu gerichtlichen Ein-
stellungen?

6. a) Wie viele Urteile gegen wie viele Personen sind er gangen (unterschie-
den nach rechtskräftig/nicht rechtskräftig)?

b) Wie viele Freisprüche?

c) Wie viele Verurteilungen insgesamt?

aa) Wie viele davon jeweils nur oder auch nach § 129a StGB?

bb) Wie viele davon jeweils wegen Mitgliedschaft, Unterstützung,
Werbung?

d) Davon wie häufig Geldstrafe

e) Wie häufig davon Jugendstrafe wegen welcher Strafnormen

f) Wie viele Freiheitsstrafen insgesamt wegen welcher Strafnormen?

aa) Strafdauer (bis 3, 6, 12 Monate; bis 5, 10, 15 Jahre)?

bb) In wie vielen Fällen davon mit Bewährung?

cc) Wie häufig lebenslänglich

(1) Davon wie häufig wegen vollendeten Mordes/ otschlags?

(2) Wie häufig wegen versuchten Mordes/ otschlags?

g) In wie vielen Fällen führte verminderte Schuldfähigkeit zu einer Straf-
milderung?

h) Wie verteilen sich die in den Urteilen festgestellten Deliktsgruppen
prozentual entsprechend der Unterscheidung in Blath/Hobe: „Straf-
verfahren gegen linksterroristische Straftäter und ihre Unterstützer
(1971 bis 1979/80)“, Bonn 1984, S. 8 ff. (Anschläge, gruppenbezogene
Handlungen, Unterstützungshandlungen)?

7. a) In wie vielen Fällen wurden insgesamt Rechtsmittel eingelegt?

b) Welche?

c) Von wem (Staatsanwaltschaft/Verteidigung)?

d) Jeweils mit welchem Erfolg?

8. In wie vielen Fällen wurden Verteidiger von der Wahrnehmung der Vertei-
digung vom Gericht ausgeschlossen, und mit welcher Begründung?
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9. a) In wie vielen Fällen wurden gemäß Frage 6 verurteilte Strafgefangene
mit welchem Strafmaß insgesamt vorzeitig aus der Haft entlassen?

b) Nach welchen Vorschriften bzw. aufgrund welchen Akts?

c) Nach Verbüßung welcher Strafzeit?

10. Welche materiellen Sachschäden, beruf iche Schäden sind Betroffenen die-
ser Ermittlungsverfahren, gegen die im späteren Gang der Ermittlungen
das Verfahren entweder eingestellt wurde oder die freigesprochen wurden,
bei diesen Razzien, Observationen, Hausdurchsuchungen etc. entstanden?

11. Wie lange werden die Daten der in diesen Ermittlungsverfahren erfassten
Beschuldigten wo aufbewahrt?

II. Wie lauten die entsprechenden Antworten zu den Fragen I 1. bis 10., be-
zogen auf den Komplex Strafverfahren wegen „rechtsterroristischer“ und
hiermit in unmittelbarem Zusammenhang stehender Straftaten in den
Jahren 1996 bis 2000 jeweils?

III. Wie lauten die entsprechenden Antworten zu den Fragen I und II, bezogen
auf die an die Länder abgegebenen und dort fortgeführten Strafverfahren
(ausdrücklich in Kenntnis und unter Berücksichtigung der nur teilweisen
Rückmeldungen aus den Ländern!)?

IV. Wie lauten die Antworten zu den Fragen des Komplexes I, bezogen auf
Verfahren gemäß § 129 StGB (kriminelle Vereinigung)

1. insgesamt,

2. politischen Inhalts, soweit nämlich in diesen durch die politischen
Abteilungen der Staatsanwaltschaften bzw . durch den Generalbundes-
anwalt ermittelt und/oder vor einer Staatsschutzkammer verhandelt
wurde?

V. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hinter grund der zum T eil er-
heblichen materiellen und immateriellen beruf ichen und öf fentlichen
Schäden bei den Betroffenen solcher Ermittlungsverfahren und dem hohen
Anteil der mit Freispruch oder Einstellung beendeten Ermittlungen die Fol-
gen dieser Strafparagrafen?

Hält die Bundesregierung bei den Ermittlungen nach § 129 und § 129a
StGB den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für gewahrt?

VI. Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen nach Er gänzung der be-
stehenden §§ 129 und 129a durch weitere Bestimmungen, evtl. im Zusam-
menhang mit ausländischen V ereinigungen oder im Zusammenhang mit
der Angleichung des Strafrechts im Rahmen der EU?

Wenn ja, welche?

Berlin, den 28. Februar 2001

Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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