BT-Drucksache 14/552

Einsatz von Kindern als Soldaten wirksam verhindern

Vom 17. März 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/552 vom 17.03.1999

Antrag der Fraktion der PDS Einsatz von Kindern als Soldaten wirksam
verhindern =

17.03.1999 - 552

14/552

Antrag
der Abgeordneten Fred Gebhardt, Carsten Hübner, Dr. Dietmar Bartsch,
Wolfgang Gehrcke-Reymann, Sabine Jünger, Heidi Lippmann-Kasten, Manfred
Müller (Berlin), Rosel Neuhäuser, Dr. Winfried Wolf, Dr. Gregor Gysi
und der Fraktion der PDS
Einsatz von Kindern als Soldaten wirksam verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Mehr als 300 000 Kinder werden Schätzungen der VN zufolge sowohl
von staatlichen Armeen als auch Rebellenorganisationen als Soldaten in
kriegerischen Auseinandersetzungen und Konflikten eingesetzt. Sie
werden mißbraucht, ausgebeutet und für ihr Leben schwer geschädigt.
2. Armut, Hunger, mangelnde Bildung, Flucht und Vertreibung
begünstigen die Rekrutierung von Kindern als Soldaten. Der Kampfeinsatz
von Kindern wird durch die weite Verbreitung von Kleinwaffen befördert,
die auch von Kindern leicht zu bedienen sind.
3. Obwohl die mit Ausnahme der USA und Somalias von allen Staaten der
Welt ratifizierte VN-Kinderrechtskonvention von 1989 Personen unter 18
Jahren generell als Kind definiert, schreibt sie das Mindestalter für
Soldaten mit nur 15 Jahren fest. Eine Verbesserung des Standards durch
Schaffung eines freiwilligen Zusatzprotokolls, durch das die
Altersgrenze auf 18 Jahren heraufgesetzt wird, ist dringend notwendig.
4. Die Rehabilitation und Resozialisierung der Kinder, die als
Soldaten mißbraucht worden sind, sowie Demilitarisierungsmaßnahmen sind
Grundvoraussetzungen für die Schaffung stabiler friedlicher
Verhältnisse. Um diese Aufgabe zu bewältigen, ist neben dem Engagement
der nationalen Gesellschaften auch eine umfassende Unterstützung durch
die internationale Gemeinschaft erforderlich.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. sich in allen internationalen Gremien und militärischen Bündnissen
sowie auf bilateraler Ebene für eine Anhebung der Altersgrenze für die
Rekrutierung und den Einsatz von Soldaten auf 18 Jahre einzusetzen;
2. die Verhandlungen über die Schaffung eines Fakultativprotokolls
zur Kinderkonvention voranzutreiben und darauf hinzuwirken, die seitens
einiger Staaten bestehenden Widerstände gegen eine Heraufsetzung der
Altersgrenze auf 18 Jahre abzubauen;
3. bestehende militärische Beziehungen mit anderen Staaten daraufhin
zu überprüfen, ob Kinder von Regierungsarmeen rekrutiert werden, und
die Kooperation in diesen Fällen einzustellen;
4. positive Sanktionen einzusetzen, um Staaten, in denen die
Rekrutierung von minderjährigen Soldaten möglich ist, Anreize zu geben,
die bisherige Praxis zu verändern;
5. im Rahmen einer restriktiven Rüstungsexportpolitik den Export von
Kleinwaffen aus der Bundesrepublik Deutschland zu verbieten und
gleiches im Rahmen der europäischen Rüstungsexportrichtlinien
einzufordern sowie sich für die Schaffung effektiver Strategien zur
Entsorgung von Kleinwaffen in Krisengebieten einzusetzen;
6. nach Deutschland geflüchteten Kindern und Jugendlichen, die als
Soldaten eingesetzt wurden, Asyl bzw. Bleiberecht aus humanitären
Gründen zu gewähren;
7. finanzielle Mittel bereitzustellen, um die 1998 ausgesetzte
Unterstützung des VN-Sonderbeauftragten für Kinder in bewaffneten
Konflikten wieder aufzunehmen und signifikant zu erhöhen;
8. die Rehabilitation und Resozialisierung von Kindersoldaten
materiell und personell zu unterstützen;
9. für eine Strafverfolgung der für Rekrutierung und Einsatz von
Kindersoldaten Verantwortlichen im Einklang mit völkerrechtlichen
Prinzipien einzutreten.
Bonn, den 16. März 1999
Fred Gebhardt
Carsten Hübner
Dr. Dietmar Bartsch
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Sabine Jünger
Heidi Lippmann-Kasten
Manfred Müller (Berlin)
Rosel Neuhäuser
Dr. Winfried Wolf
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung
I. Den besonderen Schutzbedürfnissen von Kindern wird in einer Reihe
internationaler Konventionen Rechnung getragen, umfassend in der VN-
Kinderkonvention von 1989. Während die Internationale
Arbeitsorganisation als Mindestalter für die Ausübung einer
gefährlichen Beschäftigung 18 Jahre festschreibt, legt die
Kinderkonvention für den Einsatz von Kindern als Soldaten eine
Altersgrenze von nur 15 Jahren fest. Sowohl die vom VN-Generalsekretär
beauftragte Expertin Graça Machel als auch der Sondergesandte der VN
für Kinder in bewaffneten Konflikten, Olara Otunnu, kommen in
umfangreichen Untersuchungen zum Ergebnis, daß die Bestimmungen der
Kinderkonvention in dieser Frage unzureichend sind. Seit einigen Jahren
ist eine von der VN eingesetzte Arbeitsgruppe bemüht, einen Entwurf für
ein Zusatzprotokoll zur Kinderkonvention zu erstellen, durch das die
Altersgrenze auf 18 Jahre heraufgesetzt würde. Ein solches
Zusatzprotokoll hätte Signalwirkung und könnte dadurch auch die
Rekrutierungspraxis von Rebellenorganisationen, die häufig Kinder
einsetzen, beeinflussen. Außerdem würde es jüngeren Kindern, die
aufgrund fehlender Geburtsdokumente dem Augenschein nach oft älter
geschätzt werden, einen zusätzlichen Schutz bieten. Obwohl das
Zusatzprotokoll fakultativen Charakter hätte, drohen die Verhandlungen
am Widerstand einiger Länder, z. B. der USA, zu scheitern.

II. Bereits die alte Bundesregierung hat in der von ihr bei der
Ratifizierung der Kinderkonvention abgegebenen Erklärung deutlich
gemacht, daß sie eine Altersgrenze von 15 Jahren für die Teilnahme an
bewaffneten Konflikten als zu niedrig einschätzt. Die neue
Bundesregierung ist angesichts der stagnierenden Verhandlungen über ein
Fakultativprotokoll nun um so mehr gefordert, sich auf allen ihr zur
Verfügung stehenden Ebenen für das Zustandekommen eines solchen
Protokolls einzusetzen und darauf hinzuwirken, daß dieses von möglichst
vielen Staaten ratifiziert wird.
Mit der EU-Ratspräsidentschaft hat die Bundesregierung die Möglichkeit,
im Rahmen der EU mit großem Nachdruck für die Übernahme der sog.
Straight-18-Position für Rekrutierung und Einsatz von Soldaten zu
werben, die von den in der Koalition für die Beendigung des Einsatzes
von Kindersoldaten zusammengeschlossenen Nichtregierungsorganisationen
gefordert wird. Durch eine umgehende Anpassung der in der
Bundesrepublik Deutschland bestehenden Regelungen würde sie die eigene
Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen und sowohl innerhalb Europas als
auch in der NATO sowie in den relevanten VN-Gremien eine
Vorreiterposition einnehmen.

III. Das Ausmaß der Folgeschäden des Einsatzes von Kindern als Soldaten
ist noch unabsehbar. Kinder, die als Soldaten eingesetzt werden, werden
in der entscheidendsten Phase ihres Lebens systematisch brutalisiert.
Oft werden sie gezwungen, selbst Grausamkeiten zu begehen, um zu
überleben. Kinder haben noch kein Normengefüge, das ihnen dabei helfen
könnte, das erlebte Grauen zu verarbeiten.
Wie der Machel-Report herausstellt, beeinflußt die Traumatisierung von
Kindern durch Kriegsereignisse langfristig ganze Länder. Viele
ehemalige Kindersoldaten sind aufgrund der psychologischen und
körperlichen Schädigungen oder der Erkrankung an AIDS als Resultat
erlittener sexueller Gewalt, nicht in der Lage zu arbeiten und bleiben
auf Hilfe angewiesen. Vielfach ist ihnen wegen der von ihnen begangenen
Taten der Weg in ihre Heimatdörfer versperrt. Damit sind sie dauerhaft
entwurzelt. In den Dorfgemeinschaften wiederum fehlen die als Soldaten
rekrutierten Kinder als zukünftige Träger des Gemeinwesens.
IV. Der Rehabilitation und Resozialisierung von Kindersoldaten als
einem entscheidenden Aspekt in der Schaffung stabiler friedlicher
Verhältnisse muß höchste Priorität zukommen. Da die Gesellschaften in
den betroffenen Ländern aufgrund ihres oftmals nur geringen
ökonomischen Vermögens dieser immensen Herausforderung materiell und
personell häufig nicht gewachsen sind, ist eine Unterstützung durch die
internationale Gemeinschaft notwendig.
Bislang sind die im Bundeshaushalt für Rehabilitationsmaßnahmen zur
Verfügung stehenden Ressourcen äußerst gering. Die Bundesregierung ist
gefordert, eine deutliche Erhöhung der im Rahmen der
Entwicklungszusammenarbeit für entsprechende Maßnahmen zur Verfügung
stehenden Mittel vorzunehmen. Neben der Rehabilitation der körperlichen
und seelischen Schädigungen und der Resozialisierung in ihre
Lebensgemeinschaften ist es von großer Wichtigkeit, ehemaligen
Kindersoldaten eine zivile Lebensperspektive zu bieten. Da viele dieser
Kinder außer Töten nichts gelernt haben, kommt Schul- und
Berufsausbildungsmaßnahmen eine große Bedeutung im Hinblick auf ihre
Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu. Um erlittene Traumata
wirksam zu bewältigen, ist es wichtig, die Kooperation mit
Nichtregierungsorganisationen und die Zusammenarbeit von Ärzten und
Psychologen mit traditionellen Heilern vor Ort zu fördern.

V. Der schwierigen Situation von Mädchensoldaten muß besondere
Aufmerksamkeit gewidmet werden. Neben den generellen Erfahrungen der
Kriegsbrutalität werden sie vielfach zusätzlich Opfer sexueller Gewalt.
Hinzu kommt, daß sie oftmals aufgrund der sexuellen Mißhandlungen
verachtet werden. Besondere Aufklärungs- und Bildungsmaßnahmen sind
hier notwendig, um ihre Akzeptanz und Wiedereingliederung in den
Gemeinschaften zu erreichen.

VI. Erst die große Anzahl der weltweit zirkulierenden Kleinwaffen, auch
aus deutscher Produktion, ermöglicht den Einsatz von Kindersoldaten.
Die Bundesregierung ist aufgefordert, keine Genehmigungen für den
Export solcher Waffen zu erteilen und darüber hinaus Strategien für die
Entsorgung der sich in Krisengebieten im Umlauf befindlichen
Kleinwaffen zu entwickeln.

VII. Kindern und Jugendlichen, denen es gelingt, die Bundesrepublik
Deutschland zu erreichen, nachdem ihnen in ihren Heimatländern jegliche
Lebensgrundlage genommen worden ist, haben aufgrund der von der
damaligen Bundesregierung bei der Unterzeichnung der Kinderkonvention
abgegebenen Erklärung kaum eine Chance, in der Bundesrepublik
Deutschland Asyl bzw. ein Bleiberecht aus humanitären Gründen zu
erhalten. Die neue Regierung ist gefordert, den zur
Kinderrechtskonvention erklärten Vorbehalt umgehend zurückzunehmen und
entsprechend den Bestimmungen der Kinderkonvention einen altersgemäßen
Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen sicherzustellen, der ihrer
besonders schwierigen Situation Rechnung trägt. Dies heißt auch, daß
die Mittelausstattung von Rehabilitationszentren in der Bundesrepublik
Deutschland, die Opfern von Gewalt Hilfe bieten, deutlich erhöht werden
muß.

VIII. Obwohl Kindersoldaten an Menschenrechtsverletzungen beteiligt
waren, bleiben sie Opfer. Als die eigentlichen Täter müssen diejenigen
zur Verantwortung gezogen werden, die Kinder für ihre Ziele skrupellos
ausnutzen. Das Statut des neu zu schaffenden Internationalen
Strafgerichtshofs stellt die Rekrutierung von Kindersoldaten unter
Strafe. Die Bundesregierung ist aufgefordert, in der Bundesrepublik
Deutschland das Ratifikationsverfahren für den Strafgerichtshof zügig
voranzutreiben sowie international für eine rasche Ratifizierung zu
werben, damit der Gerichtshof baldmöglichst seine Arbeit aufnehmen
kann. Langfristig sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, daß
nicht nur die Rekrutierung von Kindern unter 15, sondern unter 18
Jahren unter Strafe gestellt wird.

IX. Um den Einsatz von Kindersoldaten zu beenden, sind Initiativen auf
internationaler Ebene notwendig, um bei bestehenden Konflikten und
Kriegen auf dem Verhandlungswege tragfähige Lösungen zu entwickeln. Die
Frage der Demobilisierung von Kindersoldaten und ihre
Wiedereingliederung in die betroffenen Gesellschaften muß bei
Friedensverhandlungen an zentraler Stelle behandelt werden. Es muß
ausgeschlossen werden, daß ehemalige Kindersoldaten von staatlicher
Seite neu rekrutiert werden.

X. Der VN-Sonderbeauftragte Olara Otunnu hat den Zusammenhang zwischen
der Zunahme von Kriegen und innerstaatlichen Auseinandersetzungen und
der verstärkten Rekrutierung von Kindersoldaten herausgestellt. Die
Kinder haben selten eine Alternative: sei es, daß sie zwangsrekrutiert
werden, sei es, daß ihnen aus ökonomischen Gründen, aufgrund von
Entwurzelung oder eigenen Gewalterfahrungen das Soldatsein attraktiver
erscheint als ihr bisheriges Leben. Um die Rekrutierung von Kindern
wirksam zu verhindern, müssen Mißstände, die für die Entstehung von
Krieg und Gewalt mitverantwortlich sind, nachhaltig bekämpft und die
Schaffung menschenwürdiger Lebensverhältnisse in den Mittelpunkt der
Bemühungen gestellt werden. Eine signifikante Erhöhung der für
Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehenden Mittel ist hierbei
unabdingbar. Darüber hinaus muß einer Friedenserziehung und Förderung
ziviler Konfliktbewältigungsmechanismen eine hohe Priorität zukommen.
Prävention von Kriegen und Konflikten ist die beste Gewähr dafür, daß
keine Kinder als Soldaten eingesetzt werden.

17.03.1999 nnnn

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