BT-Drucksache 14/5455

Frauenrechte sind Menschenrechte - Gewalt gegen Frauen effektiver bekämpfen

Vom 7. März 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5455
14. Wahlperiode 07. 03. 2001

Antrag
der Abgeordneten Petra Bläss, Monika Balt, Maritta Böttcher, Eva-Maria
Bulling-Schröter, Dr. Ruth Fuchs, Ulla Jelpke, Sabine Jünger, Dr. Heidi Knake-
Werner, Heidi Lippmann, Ursula Lötzer, Petra Pau, Christina Schenk und
der Fraktion der PDS

Frauenrechte sind Menschenrechte – Gewalt gegen Frauen effektiver bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag begrüßt:

1. dass die Bundesregierung mit dem „Aktionsplan der Bundesregierung zur
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ ein Gesamtkonzept vorlegt und
sich bemüht, in Zusammenarbeit mit den Ländern das Problem umfassender
anzugehen;

2. dass die Bundesregierung eine Arbeitsgruppe Frauenhandel beim Bundes-
ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eingerichtet hat;

3. dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zum zivilrechtlichen Schutz
für Frauen bei häuslicher Gewalt dem Bundesrat vorgelegt hat („Entwurf
eines Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalt-
taten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehe-
wohnung bei Trennung“ – Gewaltschutzgesetz, Bundesratsdrucksache 11/01)

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Maßnahmen weisen in die richtige Richtung, bedürfen jedoch der Verbes-
serung und Ergänzung.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. a) in Zusammenarbeit mit den Ländern darauf hinzuwirken, dass eine aus-
reichende und flächendeckende Finanzierung der Beratungsstellen, Not-
rufe und Frauenhäuser gesichert ist;

b) einen Vorschlag vorzulegen, nach dem den Beraterinnen und Beratern
von Beratungs- und Interventionsstellen sowie Notrufen und Frauenhäu-
sern ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 StPO eingeräumt
wird;

c) einen Gesetzentwurf zur Änderung des § 92a Ausländergesetz (AuslG)
vorzulegen, der Beraterinnen und Beratern aus der Strafverfolgung her-
aus nimmt, wenn sie Frauen beraten, die sich illegal in der Bundesrepub-
lik aufhalten;

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2. einen Gesetzentwurf vorzulegen, nach dem Gewalt gegen Frauen im häus-
lichen Bereich nicht mehr allein auf dem Wege der Privatklage (§ 374
StPO), sondern als Offizialdelikt verfolgt wird;

3. gesetzliche Regelungen zum Schutz für Frauen vor sexualisierter Gewalt
und Gewalt im häuslichen Bereich vorzulegen, die folgende Punkte berück-
sichtigen:

a) als Vergehen gegen eine Person muss auch die psychische Gewalt be-
rücksichtigt werden;

b) der Schutz vor Gewalt darf nicht nur den nachweislich verletzten Perso-
nen gewährt werden, sondern ist auch jenen, die von psychischer oder
physischer Gewalt bedroht sind, zuzugestehen;

c) der bedrohten oder verletzten Person sollte nicht nur bei einer vorsätz-
lichen Verletzung von Körper, Gesundheit, psychischer Integrität und
Freiheit Schutz vor dem Täter gewährt werden, sondern bereits bei einer
erheblichen Beeinträchtigung derselben;

d) die bedrohte oder verletzte Person muss selbst bestimmen können, an
welchen Orten ihr vor dem Täter Schutz gewährt werden soll. Ob sie
diese beruflich oder in ihrer Freizeit aufsucht, ist dabei unerheblich;

e) Verstöße gegen das Rückkehrverbot und gegen eine Belästigung durch
Nachstellung oder die Verwendung von Fernkommunikationsmittel unter
Strafe zu stellen;

f) die Last, eine neue Wohnung zu suchen, sollte in der Regel dem Täter
und nicht dem Opfer auferlegt werden. Liegt ein gemeinsamer Mietver-
trag mit dem Täter vor, muss dieser sich dauerhaft eine neue Wohnung
suchen – es sei denn, die bedrohte oder verletzte Person entscheidet sich
selbst für einen Umzug oder es liegen schwerwiegende Gründe vor,
warum der Täter in die Wohnung zurückkehren muss. Wenn der Frau
zusammen mit dem Täter – oder wenn dem Täter allein – die Wohnung
oder das Haus gehört, muss der Frau das Recht zugestanden werden, in
der Wohnung zu bleiben und dem Täter eine Entschädigung zukommen
zu lassen. Ist sie dazu nicht in der Lage oder entscheidet sie sich dagegen,
muss der Täter für die Kosten der Wohnungssuche und des Umzuges auf-
kommen;

g) die Anpassung des Kindschaftsrechts, des Ausländerrechts und aller
Gesetze, die dem Gewaltschutzgesetz widersprechen;

4. zum Schutz von Ausländerinnen vor Gewalt gesetzliche Regelungen zu
erarbeiten, nach denen

a) geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe als Asylgrund anerkannt
werden, da sie einen Rechtsanspruch nach § 3 Asylverfahrensgesetz
(AsylVfG) darstellen (Rechtsstellung sonstiger politisch Verfolgter/§ 51
AuslG). Frauen, die durch sexualisierte Gewalt wegen ihrer ethnischen
Herkunft, Religion, Nationalität oder wegen ihrer politischen Überzeu-
gung verfolgt werden, sind als bestimmte soziale Gruppe entsprechend
Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und damit im Sinne
von § 51 AuslG als gefährdet anzusehen und haben deshalb Anspruch auf
den Rechtsstatus nach § 3 AsylVfG;

b) schwangere Frauen sowie Mütter mit Kindern nicht mehr in Abschiebe-
haft genommen bzw. im Flughafenverfahren festgehalten werden dürfen.
Die Bundesregierung soll gemeinsam mit den Ländern sicherstellen, dass
schwangeren Frauen eine Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG erteilt wird,
da ihre Abschiebung aufgrund tatsächlicher Gründe nicht möglich ist.
Soweit die „tatsächlichen Gründe“ bei Müttern mit Kindern nicht aner-

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kannt werden, ist eine Aussetzungsentscheidung nach § 54 AuslG zu tref-
fen;

c) der § 19 AuslG dahingehend geändert wird, dass Frauen ausländischer
Herkunft bei ihrer Eheschließung sofort ein eigenständiges Aufenthalts-
recht erhalten;

5. zum Schutz von Frauen, die von Frauenhandel (Straftatbestand „Menschen-
handel § 180b und 181 StGB“) betroffen sind, und ihrer Kinder in folgenden
Bereichen gesetzliche Änderungen zu erarbeiten:

a) Verbesserung des Zeuginnenschutzes, um einer größeren Zahl von
Frauen Schutz zu gewähren und ihre Mithilfe in der Verfolgung der Men-
schenhändler zu sichern;

b) Erteilung einer sofortigen Arbeitserlaubnis nach der Härtefallregelung im
§ 1 Abs. 2 Arbeitsgenehmigungsverordnung;

c) Erweiterung des Straftatbestandes Menschenhandel dahingehend, dass
neben dem Handel in sexualisierten Dienstleistungen jegliche Form des
Handels von Frauen in Zwangsverhältnissen – seien dies nun Ehen oder
Arbeitsverhältnisse – aufgenommen wird. Hier sollte sich die Bundes-
regierung an der Ende 2000 in Wien beschlossenen UN-Konvention zur
Kriminalitätsbekämpfung orientieren, die in einem Zusatzprotokoll zum
Frauenhandel einen erweiterten Begriff „Menschenhandel“ vorsieht;

d) gemeinsam mit den Ländern gesetzliche Vorlagen zu erarbeiten, nach
denen den betroffenen Frauen eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG
erteilt wird;

e) gemeinsam mit den Ländern gesetzliche Vorlagen zu erarbeiten, die si-
cherstellen, dass Kinder, die im Herkunftsland der Frau verblieben sind
und für deren Schutz das Zusammenleben mit der Mutter erforderlich ist,
in das Bundesgebiet einreisen können und eine Aufenthaltsbefugnis für
Familienangehörige (§ 31 AuslG) erteilt wird;

6. Gewalt an Menschen mit Behinderungen der Gewalt an Menschen ohne Be-
hinderungen gleichzustellen. Hierfür ist im § 179 StGB „Sexueller Miss-
brauch widerstandsunfähiger Personen“ das gleiche Strafmaß wie im § 177
StGB „Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung“ festzuschreiben;

7. gemeinsam mit den Landesregierungen dafür einzutreten, dass die relevan-
ten Landesgesetze im Sinne eines umfassenden Schutzes für von Gewalt
betroffene Frauen geändert werden:

a) die Wegweisung des Täters aus der Wohnung erfolgt durch Polizeibeam-
tinnen und Polizeibeamte und ist nicht abhängig vom Antrag der bedroh-
ten oder verletzten Person. Das erlassene Betretungs- und Kontaktverbot
gilt für zehn Tage. In dieser Zeit muss die betroffene Person entscheiden,
ob sie einen Antrag beim Gericht stellt, aufgrund dessen die Auflagen für
den Täter auf zunächst sechs Monate verlängert werden;

b) die Polizei muss bei einem Verdacht auf eine Straftat den Tatort untersu-
chen und Beweise sichern, die auf eine Gewalttat hinweisen;

c) die Polizei muss verpflichtet werden, der bedrohten oder verletzten Per-
son Informationen über Beratungsstellen und Frauenhäuser zukommen
zu lassen und bei Interesse den Kontakt zu vermitteln;

d) Schulungen von Polizei- und Justizbeamtinnen und -beamten müssen in
ausreichendem Maß angeboten und für alle Beteiligten verbindlich
durchgeführt werden;

e) es muss darauf hingewirkt werden, dass bedrohte oder verletzte Frauen
bei Polizei und Justiz von weiblichem Personal betreut werden;

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f) es müssen ausreichende finanzielle Mittel für Öffentlichkeitsarbeit, Schu-
lungsmaterial und wissenschaftliche Studien bereit gestellt werden;

8. zum Schutz von älteren Frauen vor Gewalt eine Änderung folgender gesetz-
licher Vorlagen zu erarbeiten:

a) in der Heimpersonalverordnung des Heimgesetzes in § 8 „Fort- und Wei-
terbildung“ soll eine jährliche Pflichtfortbildung für alle in der Pflege
eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter festgelegt werden. Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter, die offen Gewalt gegenüber Bewohnerinnen
und Bewohnern ausüben, müssen gekündigt und zur Verantwortung ge-
zogen werden;

b) in der Heimpersonalverordnung soll der auf 50 % festgelegte Fachkräf-
teanteil auf mindestens 60 % erhöht werden. Es muss dafür gesorgt wer-
den, dass dieser Fachkräfteanteil auch tatsächlich eingehalten wird;

c) in Pflegewohnbereichen mit überwiegend Demenzkranken soll der
Stellenschlüssel dem Schlüssel der Psychiatriepersonalverordnung an-
geglichen werden. Neben Pflegepersonen sollten u. a. auch ausreichend
Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten, Sozialarbeiterinnen und So-
zialarbeitern, Bewegungstherapeutinnen und Bewegungstherapeuten und
Krankengymnastinnen und Krankengymnasten eingesetzt werden kön-
nen;

d) § 14 der Heimmindestbauverordnung soll dahingehend geändert werden,
dass in Absatz 1 die Mindestfläche für einen Wohnschlafraum für eine
Person von 12 auf 16 m2 und für zwei Personen von 18 auf 22 m2 erhöht
wird. Nach der Schaffung eines bundeseinheitlichen Leistungsgesetzes,
in dem die Finanzierung der baulichen Investitionen geregelt ist, sollen
bei Neubau und Sanierung nur noch Einzelzimmer zur Verfügung gestellt
werden. Ausnahmen werden nur dann zugelassen, wenn zwei Bewohne-
rinnen bzw. Bewohner des Heimes ausdrücklich zusammen wohnen wol-
len. Die baulichen Maßnahmen müssen für die Heimbewohnerinnen und
Heimbewohner kostenneutral durchgeführt werden;

e) das Thema „Gewalt gegen ältere Menschen, soll unter besonderer Be-
rücksichtigung älterer Frauen“ als eigenständiger Punkt in den „Bericht
zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland:
Alter und Gesellschaft“ aufgenommen werden. Darüber hinaus sollen
finanzielle Mittel zur wissenschaftlichen Bearbeitung der Gewaltproble-
matik sowie für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung gestellt werden;

9. schnellstmöglich einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung des Zusatzproto-
kolls zum „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminie-
rung der Frau“ (Frauenrechtsübereinkommen – CEDAW) vom 6. Oktober
1999 in den Deutschen Bundestag einzubringen.

Berlin, den 6. März 2001

Petra Bläss Sabine Jünger
Monika Balt Dr. Heidi Knake-Werner
Maritta Böttcher Heidi Lippmann
Eva-Maria Bulling-Schröter Ursula Lötzer
Dr. Ruth Fuchs Petra Pau
Ulla Jelpke Christina Schenk

Roland Claus und Fraktion

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/5455

Begründung

Allgemeines

Frauenrechte sind Menschenrechte. Gewalt gegen Frauen und Kinder ist das
größte Gefährdungspotential für die Menschenrechte weltweit. In der Bundes-
republik Deutschland sind Frauen vor allem von Gewalt im sozialen Nahbe-
reich betroffen. Gewalttätige Männer üben Gewalt nicht nur gegen unbekannte
Fremde in der Öffentlichkeit aus. Sie vergewaltigen und schlagen ihre Partne-
rinnen, missbrauchen ihre Töchter und nicht selten auch ihre Söhne, belästigen
ihre Kolleginnen. Eine bundesweite repräsentative Studie des Kriminologi-
schen Forschungsinstituts Niedersachsen ergab, dass jede siebte Frau im Alter
zwischen 20 und 59 Jahren in ihrem Leben bereits Opfer einer Vergewaltigung
oder sexuellen Nötigung wurde. Zwei Drittel dieser Taten fanden im sozialen
Nahbereich von Familie, Freundeskreis und Bekanntschaften statt. Neuere Stu-
dien der Universität München und der Uni-Frauenklinik Berlin-Charlottenburg
haben ergeben, dass jede fünfte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer einer sexua-
lisierten Gewalttat wurde, die meisten im Kindes- oder Jugendalter durch Täter
aus dem näheren sozialen Umkreis. Bei Kindern ist Dunkelfeldforschungen zu-
folge davon auszugehen, dass mindestens jedes vierte bis fünfte Mädchen und
mindestens jeder zwölfte bis vierzehnte Junge sexuelle Missbrauchshandlun-
gen erlebt. Andere Studien gehen davon aus, dass jeder siebte bis achte Junge
Opfer sexuellen Missbrauchs geworden ist. Die Täter kommen zu rund einem
Viertel aus dem unmittelbaren Verwandtenkreis, zur Hälfte sind sie mit dem
Opfer bekannt und bei einem weiteren Viertel handelt es sich um Fremdtäter
und Fremdtäterinnen. 80 bis 90 Prozent der Täter sind männlichen Geschlechts.

Zu den einzelnen Forderungen an die Bundesregierung

1. a) Eine umfassende Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen ist nur möglich,
wenn es ein finanziell gesichertes, flächendeckendes Netz von Bera-
tungsstellen, Notrufen und Frauenhäusern gibt, die den Frauen helfen,
aus dem Gewaltkreislauf auszubrechen und ihr Leben in die Hand zu
nehmen. Diese Einrichtungen betreuen die Frauen direkt nach der Ge-
walttat. Sie verfügen über Fachkompetenzen, die sie in der Zusammen-
arbeit mit Polizei und Justiz an die Beamtinnen und Beamten weiter-
geben können. Überdies vertreten diese Einrichtungen im politischen
Meinungsbildungsprozess die konkreten Belange der von Gewalt be-
troffenen Frauen. Sie sind von entscheidender Bedeutung für die Ver-
änderung des gesellschaftlichen Bewusstseins. Deswegen muss ein
wesentlicher Bestandteil eines umfassenden Anti-Gewalt-Konzeptes die
finanzielle Absicherung von Beratungsstellen, Notrufen und Frauenhäu-
sern sein. Derzeit gilt die Finanzierung solcher Einrichtungen in freier
Trägerschaft als „freiwillige soziale Leistung“. Diese laufen damit in Zei-
ten knapper öffentlicher Haushalte ständig Gefahr, empfindliche Kürzun-
gen ihrer Mittel hinnehmen zu müssen. Überdies dürfen zentrale Inter-
ventionsprojekte und das Recht, Täter aus der gemeinsamen Wohnung
mit dem Opfer zu weisen, nicht zu Lasten eines flächendeckenden Netzes
von Beratungsstellen, Notrufen und Frauenhäusern gehen.

b) Zur Sicherung der Arbeitsgrundlage ist ein Zeugnisverweigerungsrecht
für die Beraterinnen und Berater nötig. Nur wenn die zu beratenden
Frauen sicher sein können, dass keine Informationen an die Polizei oder
an Gerichte weitergegeben werden, kann zwischen den Beraterinnen und
Beratern und ihnen ein Vertrauensverhältnis entstehen, das eine zukunfts-
weisende Arbeit ermöglicht.

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c) Beraterinnen und Berater müssen vor Strafverfolgung geschützt sein,
wenn sie Frauen beraten, die keinen legalen Aufenthaltsstatus haben. Die
Würde und Unversehrtheit von Frauen darf nicht von ihrem Aufenthalts-
status abhängen, weshalb es möglich sein muss, das Frauen, die von Ge-
walt betroffen sind, sich bei Beratungsstellen, in Frauenhäusern und bei
Notrufen Hilfe holen, ohne damit die Beraterinnen und Berater zu gefähr-
den.

2. Gewalt gegen Frauen ist in jedem Fall eine zu verfolgende kriminelle Straf-
tat, gleichgültig, ob sie im öffentlichen oder im privaten Raum begangen
wird. Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft von sich aus ermitteln und die
Verfolgung der Straftat nicht mehr davon abhängt, ob die betroffene Person
in der Lage ist, sich gegen den Täter zu wehren, wird sich das private und
öffentliche Bewusstsein im Sinne der Wahrnehmung und Verurteilung der
Straftaten verändern. Solange viele Straftaten nicht verfolgt werden und un-
gesühnt bleiben, weil sich die Frau nicht aus der Gewaltbeziehung lösen
kann, werden diese Gewalttaten weiterhin verharmlost. Frauenrechte müs-
sen überall gleichermaßen geschützt werden – vor allem dort, wo sie am
meisten bedroht sind und das ist in der Bundesrepublik Deutschland der
soziale Nahbereich.

3. Gesetzliche Regelungen zum Schutz für Frauen vor Gewalt im häuslichen
Bereich müssen folgende Punkte berücksichtigen:

a) Als Vergehen gegen eine Person muss auch die psychische Gewalt be-
rücksichtigt werden. Ungeachtet der Tatsache, ob diese Form der Gewalt
durch andere Rechtsvorschriften sanktioniert ist, hebt ihre gesonderte
Nennung in diesem Zusammenhang die Ächtung auch dieser Gewaltform
hervor.

b) Die Frauen (und in Einzelfällen Männer) sollen auch vor massiven Be-
drohungen und psychischer Gewalt geschützt werden, weswegen es not-
wendig ist, nicht nur tatsächlich eingetretene Verletzungen zu sanktionie-
ren. Deswegen muss in einem Gesetz immer von einer „bedrohten oder
verletzten Person“ die Rede sein.

c) Nur wenn eine Person auch bei „unzumutbarer Belästigung“ Schutz ge-
währt wird, kann gewährleistet werden, dass die Gewalttaten, die unter
Alkoholeinfluss begangen werden, geahndet werden können. Gerade
diese Taten sind aber typische Fälle der häuslichen Gewalt. Hier muss der
§ 827 BGB Satz 2 Anwendung finden: „Wer im Zustande der Bewusst-
losigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden
Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Scha-
den zufügt“ ist für den Schaden dann verantwortlich, wenn er „sich durch
geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand
dieser Art versetzt“.

d) Jede von Gewalt betroffene Frau muss selbst entscheiden können, an wel-
chen Orten sie sich aufhalten will und wo sie Schutz benötigt. Es darf
nicht sein, dass sie nur an Orten Schutz erhält, an denen sie sich aufgrund
äußerer Notwendigkeiten – z. B. am Arbeitsplatz – aufhalten muss. An
anderen Orten, die sie in ihrer Freizeit aufsucht, bliebe sie dann unge-
schützt. Dies kann bei einer entsprechenden Bedrohungslage durch den
Täter die eklatante Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Frau zur
Folge haben.

e) Verstöße gegen das Rückkehrverbot und einer Belästigung durch Nach-
stellung oder die Verwendung von Fernkommunikationsmittel müssen
bestraft werden. Die Androhung der Strafe ist zum einen ein Mittel, um
die Durchsetzung der Auflagen zu sichern und zum anderen wird auch sie

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das öffentliche Bewusstsein in der Wahrnehmung von Gewalt als krimi-
neller Straftat beeinflussen.

f) Ein wichtiger Bestandteil eines Gesamtkonzeptes ist, dass das Opfer
einer Gewalttat nicht wiederum zum Opfer gemacht wird, indem es die
alleinige Last der Trennung zu tragen hat. Wenn also ein Täter nur für
einige Monate der Wohnung verwiesen wird und dann das Recht auf
Rückkehr hat, muss das Opfer – in der Regel die Frau – sowohl ihr
gewohntes Lebensumfeld verlassen, als auch die Anstrengungen und
Kosten einer neuen Wohnungssuche und des Umzuges tragen.

Wichtig bei der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen ist jedoch die
öffentliche Wahrnehmung der Schwere der Tat als kriminelles Unrecht
anstelle des harmlosen Bildes eines „Kavaliersdeliktes“ oder einer „Pri-
vatsache“. Muss nun aber die Frau die Wohnung verlassen und hat der
Mann lediglich einen vorübergehenden materiellen Nachteil von seiner
Tat, wird diese wiederum verharmlost. Er muss dann nicht dauerhaft die
Verantwortung als Täter übernehmen und selbst die Nachteile seines
Handelns tragen. Ein umfassendes Gesetz gegen Gewalt muss auch den
dauerhaften Schutz der Frauen im Blick haben und darf sie nicht über die
ohnehin schon vorhandenen Spätfolgen einer Gewalttat oder Gewalt-
beziehung hinaus strukturell zu Langzeitopfern machen. Jeder andere
gesetzliche Umgang mit Opfer und Täter ist einem grundsätzlichen und
dauerhaften Bewusstseinswandel der Einzelnen sowie der Gesellschaft
abträglich.

4. Wie die „Aktionsplattform Peking+5“ und das CEDAW-Komitee festgestellt
haben, ist auf Flüchtlingsfrauen und Migrantinnen sowie Frauen mit Behin-
derungen ein besonderes Augenmerk zu legen, da sie stärker von direkter
sowie struktureller Gewalt betroffen sind.

a) Für die Bundesrepublik Deutschland heißt das, dass die Aufnahme von
geschlechtsspezifischen Verfolgungsgründen in die Verwaltungsvor-
schriften zum Ausländergesetz (AuslG) nicht ausreichen. Es gilt, die von
der Bundesregierung mitgetragenen Beschlüsse 39 und 73 des UNHCR-
Exekutivkomitees sowie den entsprechenden Beschluss der Weltfrauen-
konferenz 1995 gesetzlich umzusetzen und für eine entsprechende Ausle-
gung des § 51 AuslG Sorge zu tragen. Danach sind Frauen, die in ihrem
Herkunftsland harte oder unmenschliche Behandlung zu erwarten haben,
weil sie gegen den sozialen Sittenkodex ihrer Herkunftsgesellschaft ver-
stoßen haben, als „bestimmte soziale Gruppe“ im Sinne der Genfer
Flüchtlingskonvention anzusehen und fallen deshalb unter die Schutz-
bestimmungen des § 51 AuslG.

b) Eine besondere Härte für Menschen ausländischer Herkunft, die in der
Bundesrepublik Deutschland nicht geduldet sind, stellen das Flughafen-
verfahren und die Abschiebehaft dar. Beide gehören grundsätzlich ab-
geschafft. Unverzüglich muss dafür gesorgt werden, dass schwangere
Frauen und Mütter mit Kindern von beiden Formen des Freiheitsentzuges
verschont bleiben. Bei Schwangeren bedroht die extreme psychische Be-
lastung die Gesundheit des ungeborenen Kindes. Nicht minder trauma-
tisch ist die Trennung von kleinen Kindern von ihren Müttern, die zur
Sicherung der Abschiebung inhaftiert werden. Dieser Umgang mit der
Menschenwürde von Frauen und Kindern ist eines reichen, demokrati-
schen Landes unwürdig.

c) Um sich vor einem gewalttätigen Ehemann zu schützen und sich von ihm
trennen zu können, muss den Frauen direkt mit der Heirat ein eigenstän-
diges Aufenthaltsrecht erteilt werden. Zwar hat die jüngste Novelle des
§ 19 AuslG die Situation von ausländischen Ehefrauen gewalttätiger

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Männer gebessert. Dennoch müssen die betroffenen Ehefrauen nachwei-
sen, dass die Rückkehr in den Herkunftsstaat im Falle einer Trennung
vom gewalttätigen Ehemann vor Ablauf der zweijährigen Mindest-
bestandszeit der Ehe eine besondere Härte für sie darstellt. Insbesondere
kinderlose Frauen sind damit weiter auf den guten Willen der zuständigen
Behörden angewiesen, wenn sie nicht in den Herkunftsstaat zurückkeh-
ren können oder wollen.

5. Mit der AG Frauenhandel beim Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend wurde der richtige Weg beschritten. Dennoch konkurrie-
ren in den Bundes- und Länderpolitiken der menschenrechtliche Ansatz mit
dem ordnungs-, dem finanz- und dem migrationspolitischen Ansatz. Das
führt dazu, dass viele Frauen aufgrund des Verstoßes gegen das Ausländer-
gesetz abgeschoben werden anstatt sie als Opfer von Frauenhandel zu erken-
nen und vor weiteren Gewalttaten zu schützen. Hier muss die menschen-
rechtliche Sicht gestärkt werden: Sobald Frauen im Zielland gegen ihren
Willen sexuell und/oder finanziell ausgebeutet werden und sich mit Zwang
und Gewalt konfrontiert sehen, handelt es sich um die Verletzung elemen-
tarer Rechte der Frauen auf Selbstbestimmung und auf Schutz vor Aus-
beutung und Gewalt.

Die Frauen dürfen nicht abgeschoben, sondern ihnen muss aus dringenden
humanitären Gründen eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden. Dabei ist
auch der ordnungspolitische Aspekt von besonderer Bedeutung: Ohne die
Mitwirkung der Frauen kann der Kampf gegen Menschenhändler und Men-
schenhändlerinnen nicht wirklich erfolgreich sein. Diese Mitwirkung kann
sich der Staat jedoch nur dann sichern, wenn die Frauen vor weiteren Ge-
walttaten geschützt und ihnen eine verlässliche Perspektive geboten wird.
Dazu gehört auch der Schutz ihrer Kinder vor Bedrohung im Herkunfts-
land. Nur so werden die Frauen in die Lage versetzt, Abhängigkeiten und
Ängste zu überwinden und bei der Strafverfolgung behilflich zu sein. Sie
brauchen eine Aufenthaltsbefugnis ebenso wie eine sofortige Arbeitser-
laubnis, die ihnen ermöglicht, ihre Existenz zu sichern und die ihnen ihre
Würde zurückgibt.

6. Frauen mit Behinderungen müssen ebenso geschützt werden wie Frauen
ohne Behinderungen. Der § 179 StGB sieht ein geringeres Strafmaß für Ge-
walt an „widerstandsunfähigen Personen“ vor. So wird in § 177 StGB z. B.
eine Einzel- oder Gruppenvergewaltigung mit einer Freiheitsstrafe nicht un-
ter zwei Jahren und eine Tat, die die Gefahr einer schweren Gesundheits-
schädigung mit sich bringt mit einer Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren
bestraft. Der § 179 StGB sieht in all diesen Fällen eine Freiheitsstrafe nicht
unter einem Jahr vor. Diese Differenzierung ist nicht zu rechtfertigen und
stellt eine Verharmlosung der Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen
dar. Sie verstößt gegen das Antidiskriminierungsverbot des Frauenrechts-
übereinkommens und des Grundgesetzes (Artikel 3 Abs. 2).

7. a) Im Sinne eines Gesamtkonzeptes ist es nötig, dass sich die Bundesregie-
rung gemeinsam mit den Ländern für eine Novellierung der Polizei-
gesetze einsetzt. Dieser Ansatz bewährt sich seit einigen Jahren in Öster-
reich. Im Zentrum des österreichischen Gewaltschutzgesetzes steht nicht
das Zivilrecht, sondern die polizeiliche Intervention. Dort wird die erste
Reaktion auf das Bekanntwerden einer Gewaltbeziehung als entschei-
dende Weichenstellung für das Gesamtkonzept der Intervention gesehen.
Die erste Reaktion soll rasch und entschieden ausfallen. Sie soll allen Be-
teiligten unzweideutig die Botschaft vermitteln, dass der Staat Gewalt
missbilligt und sanktioniert und dass die staatlichen Behörden entschlos-
sen sind, der gefährdeten Person einen Weg aus der Gewaltbeziehung zu
öffnen. Die weiteren Schritte bauen auf dem ersten auf. Die polizeiliche

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Intervention soll den Raum für einen Veränderungsprozess öffnen, insbe-
sondere durch eine massive Verbesserung der Situation der gefährdeten
Frau. Wichtig ist, dass nicht die Frau den ersten Schritt tun und einen An-
trag stellen muss, um den Täter aus der Wohnung zu entfernen, sondern
dass dieser Schritt von der Polizei vorgenommen wird. In der psychisch
sehr belastenden Gewaltsituation ist es für viele Frauen schlechterdings
nicht möglich, sich aktiv gegen den Täter zur Wehr zu setzen und einen
gerichtlichen Antrag zu stellen.

Deswegen darf die staatliche Intervention in einer ersten Phase nicht vom
Willen der Frau abhängen und muss notfalls auch gegen ihren Willen er-
folgen. Jede andere Regelung würde eine gefährdete Frau, die psychisch
noch im Bann der Gewaltbeziehung steht, überfordern.

Allerdings muss diese erste Phase begrenzt werden, damit die betroffene
Frau anschließend den weiteren Verlauf selbst bestimmen kann.

b) Für eine konsequente Verfolgung der Tat ist es notwendig, dass die Poli-
zei unmittelbar nach Eintreffen in der Wohnung diese als Tatort behandelt
und alle Anzeichen einer Gewalttat als Beweismittel sicherstellt. Hierbei
sollten sich jedoch speziell geschulte Beamtinnen oder hinzugezogene
Vertreterinnen von Beratungsstellen um die Frau und eventuell anwe-
sende Kinder kümmern.

c) Es muss gewährleistet sein, dass die Frau unmittelbar nach der Tat Unter-
stützung und Hilfe von außen erfährt. Deswegen ist es notwendig, dass
die Polizei von sich aus der betroffenen Person Informationen über Inter-
ventions- und Beratungsstellen sowie Frauenhäuser zukommen lässt und
ihr im Bedarfsfall den Kontakt vermittelt.

d) Da Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte nicht dazu ausgebildet sind,
sich aktiv in so genannte innerfamiliäre Angelegenheiten einzumischen,
bedarf es eines umfassenden Schulungsangebotes auf Bundes- und Län-
derebene. Die Kurse sollen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die
historischen und gesellschaftlichen Dimensionen der Gewalt gegen
Frauen vermitteln und sie für die Interventionsarbeit vor Ort schulen. Die
Teilnahme muss für alle zuständigen Beamtinnen und Beamten verbind-
lich sein. Dafür ist im Bundes- sowie in den Länderhaushalten der not-
wendige Geldbetrag einzustellen.

e) Frauen, die männlicher Gewalt ausgesetzt waren, brauchen eine weibli-
che Betreuung, um sich in Sicherheit fühlen und Vertrauen entwickeln zu
können. Ungeachtet der persönlichen Integrität der Polizei- und Justiz-
beamtinnen und -beamten, kommt es häufig vor, dass ein Gewaltopfer in
jeder männlichen Person eine weitere Bedrohung sieht. Die sich dadurch
verfestigenden Ängste sind sowohl der eigenen Bewältigung der Gewalt-
tat abträglich als auch der Strafverfolgung des Täters, da unter diesen
Umständen nur unzulängliche Aussagen zu erwarten sind.

f) Für eine Veränderung des gesellschaftlichen Bewusstseins ist es nötig,
dass der Bund sowie die Länder ausreichend Geld für Öffentlichkeits-
arbeit, Schulungsmaterial und wissenschaftliche Studien bereitstellen.

8. Gewalt gegen ältere Menschen ist ein besonders schwerwiegendes und bis-
lang weitgehend verdrängtes Problem in dieser Gesellschaft. Frauen sind in
besonderem Maße davon betroffen, weil sie den größeren Anteil an der älte-
ren Bevölkerung stellen und aufgrund patriarchaler Strukturen ohnehin stär-
ker von Gewalt betroffen sind als Männer. Gewalt kommt in der Familie, im
öffentlichen Raum und in den Pflegeheimen vor. Hiervon sind Frauen wie-
derum besonders betroffen, da viele von ihnen – nachdem sie ihre Männer

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bis zu deren Tod zu Hause gepflegt haben – niemanden mehr haben, der sich
um sie kümmert und sie dann auf Pflegeheime angewiesen sind.

Nur ein Beispiel dafür: Nach Erhebungen des Bonner Vereins „Handeln statt
Misshandeln“ haben die Ergebnisse einer Stichtagserhebung in 26 Altenhei-
men mit über 3 000 Bewohnerinnen und Bewohnern auf die Bundesrepublik
Deutschland hochgerechnet ergeben, dass man täglich mit ca. 400 000 frei-
heitsbeschränkenden und -entziehenden Maßnahmen rechnen muss. Die
häufigsten Maßnahmen sind: Bettgitter und Medikamente zur Ruhigstel-
lung. Daneben gibt es vielfältige andere Formen der Gewalt wie z. B. direkte
Gewalt, Medikamentenmissbrauch, Demütigung, Bedrohung, finanzielle
Ausbeutung etc.

Zentrale Probleme bei der Heimpflege, die durch den Rationalisierungs-
druck aufgrund der Pflegeversicherung zusätzlich verschärft werden, sind
der Personalmangel in Heimen, die unzureichende Qualifizierung eines Teils
des Personals, ein zu geringer Anteil an Fachkräften, die räumliche Beengt-
heit, aber auch das gesellschaftliche Desinteresse an hilfsbedürftigen Alten,
das sowohl die älteren Menschen als auch ihr Pflegepersonal mit vielen
Problemen im Stich lässt.

a) Eine verbesserte Ausbildung des Betreuungs-, Pflege- und Leitungsper-
sonals senkt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens gefährlicher Pflege-
situationen sowie das Entstehen von Vernachlässigungen und Misshand-
lungen.

b) Die Anforderungen an das Personal sind in den letzten Jahren erheblich
gestiegen. Dies liegt u. a. daran, dass durch den Ausbau der ambulanten
Versorgung Menschen später und tendenziell schwerer pflegebedürftig in
Heime umziehen. Zudem ist der Anteil psychisch Kranker wie z. B. de-
menter Heimbewohnerinnen und Heimbewohner ständig gestiegen. Das
erfordert besondere fachliche Fähigkeiten, über die schlecht oder gar
nicht ausgebildete Pflegekräfte nur unzureichend oder gar nicht verfügen.
Dadurch steigt die Belastung für die ausgebildeten Kräfte zusätzlich. In
Arbeitsschichten wie z. B. in der Nacht oder an Wochenenden, in denen
häufig eine Person allein ist, kommt es leicht zu Überforderungssituatio-
nen.

c) Die Anpassung des Stellenschlüssels an die Psychiatriepersonalverord-
nung und die Beschäftigung von zusätzlichen Fachkräften wie Kranken-
gymnastinnen und Krankengymnasten, Ergotherapeutinnen und Ergo-
therapeuten etc. würde die Überbelastung des vorhandenen Personals
reduzieren und ihnen einen gelasseneren Umgang mit den Heimbewoh-
nerinnen und Heimbewohnern ermöglichen. Gleichzeitig könnte damit
eine ganzheitlichere und menschenwürdigere Betreuung der Heim-
bewohnerinnen und Heimbewohner gewährleistet werden, die wiederum
das Risiko von psychisch hochbelastenden Situationen verringert.

d) Das Wohnen in zu kleinen Räumen oder das erzwungene Zusammen-
wohnen mit einer zweiten Person ist ebenfalls eine Form der Gewalt, die
die Menschenwürde und Integrität eines älteren Menschen verletzt. Be-
sonders ältere Menschen, die sich ohnehin schon bis zu einem gewissen
Grad dem Tagesablauf in einem Heim unterordnen müssen, brauchen
eine geschützte Privatsphäre, die weder durch Raummangel noch durch
die Anwesenheit einer anderen Person beeinträchtigt wird.

e) Bislang ist viel zu wenig über das tatsächliche Ausmaß der Gewalt an
älteren Menschen und besonders an Frauen bekannt. Auch in internatio-
nalen Konventionen wird dies zu wenig berücksichtigt. Es gibt zwar den
Aktionsplan der Weltkonferenz über die Rechte der Alten, die 1982 in
Wien stattfand, aber die meisten der darin ausgesprochenen Empfehlun-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11 – Drucksache 14/5455

gen sind auch heute noch nicht in die Tat umgesetzt. In der Bundesrepub-
lik Deutschland gibt es nach wie vor keine Schutzgesetze gegen alters-
bedingte Ausgrenzung. Es ist nötig, die Diskussion stärker in die
Öffentlichkeit zu tragen und das dafür nötige Faktenmaterial erarbeiten
zu lassen.

9. Die Vereinten Nationen setzen sich seit 1945 für die Anerkennung der Frau-
enrechte als Menschenrechte und einen verstärkten Schutz von Frauen ein.
Bereits die Charta der Vereinten Nationen vom Juni 1945 enthält den Grund-
satz der Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowie das Verbot,
Menschen wegen ihrer Rasse, ihres Geschlechts, der Sprache oder der Reli-
gion zu diskriminieren. Dieses Diskriminierungsverbot findet sich auch in
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948
und den beiden Menschenrechtspakten vom 19. Dezember 1966 über bür-
gerliche und politische Rechte und über wirtschaftliche, soziale und kultu-
relle Rechte.

Mit dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
der Frau vom 18. Dezember 1979 (englisch abgekürzt: CEDAW) wurde
erstmals ein umfassendes, völkerrechtlich verbindliches internationales
Menschenrechtsinstrument für Frauen geschaffen, das die Diskriminierung
von Frauen in allen Lebensbereichen verbietet.

Mit dem 1999 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten Zusatz-
protokoll zum Frauenrechtsübereinkommen erhalten Frauen ein Individual-
beschwerderecht, das es ihnen selbst oder einer anderen Person bzw. einer
Gruppe von Personen für eine oder mehrere Frauen nach Ausschöpfung des
innerstaatlichen Rechtswegs ermöglicht, einen Diskriminierungsfall vom
CEDAW-Ausschuss überprüfen zu lassen. Das Protokoll sieht zusätzlich ein
eigenständiges Untersuchungsverfahren bei schweren oder systematischen
Verletzungen des Frauenrechtsübereinkommens vor. Der CEDAW-Aus-
schuss hat das Recht, bei einer Information über „schwerwiegende oder sys-
tematische“ Verletzungen des Diskriminierungsverbotes durch einen Ver-
tragsstaat eine Untersuchung durch seine Sachverständigen zu veranlassen.

Bis jetzt hat die Bundesrepublik Deutschland das Zusatzprotokoll noch nicht
ratifiziert.

Mit der 2000 in New York verabschiedeten „Aktionsplattform Peking+5“
liegt zum ersten Mal in der Geschichte auf internationaler Ebene ein in sich
geschlossenes Konzept zur Gleichstellung von Frauen und Männern vor. Die
neue Qualität bezieht sich insbesondere auf den Bereich „Gewalt gegen
Frauen“. Zum ersten Mal wurde in einem UN-Dokument die Genitalver-
stümmelung und die so genannten „Ehrenmorde“ eindeutig als Verletzung
der Menschenrechte angeprangert. Weitere Fortschritte gab es in den Berei-
chen frauenspezifischer Verfolgung, Frauenhandel und Schutz der Frauen
vor Gewalt im häuslichen Bereich.

Gewalt gegen Frauen ist nicht nur eine Menschenrechtsverletzung, sondern
auch ein ökonomisches Problem. „Männergewalt gegen Frauen ist eine
Krankheitsursache von erheblichem Ausmaß. Sie belastet vor allem die Op-
fer, aber auch die Volkswirtschaft und die gesamte Gesellschaft.“ Die Lobby
für Menschenrechte e.V. wies bereits 1999 auf acht Studien hin, die die
enormen Kosten belegen, die durch Gewalttaten verursacht werden.

Das CEDAW-Komitee hat der Bundesrepublik Deutschland Versäumnisse
in der Frauenpolitik vorgehalten. Vor allem hat es angemahnt, mehr für den
Schutz der Frauen vor Gewalt in Familie und Gesellschaft zu tun. Der UNO-
Ausschuss hat weiter dazu aufgefordert, die Situation von ausländischen
Frauen zu verbessern. Nach Peking+5 gilt es, die internationalen Verein-
barungen umfassend und konsequent in die Tat umzusetzen.

Drucksache 14/5455 – 12 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Gewalt gegen Frauen ist kein privates Problem, sondern eine Frage der öf-
fentlichen Sicherheit. Es reicht nicht aus, wenn sich die Bundesregierung bei
den zu ergreifenden Maßnahmen, die in die Zuständigkeiten der Länder fal-
len, „auf eine allgemeine Beschreibung, um die erforderliche Gesamtstrate-
gie deutlich zu machen“ beschränkt (vgl. „Aktionsplan der Bundesregierung
zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“, S. 9). Die Bundesregierung
muss alles in ihrer Kraft stehende tun, in Politik, Justiz und Gesellschaft die
Verletzung von Frauenrechten als eine Verletzung der Menschenrechte zu
thematisieren, die mit allen Mitteln bekämpft werden muss.

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