BT-Drucksache 14/5397

Erfassungskriterien für rechtsextreme Gewalttaten und Straftaten

Vom 22. Februar 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

5397

14. Wahlperiode

22. 02. 2001

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Erfassungskriterien für rechtsextreme Gewalttaten und Straftaten

In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der
PDS über „Ausländerfeindliche und rechtsextremistische Ausschreitungen in
der Bundesrepublik Deutschland im Dezember 2000“ (Bundestagsdrucksache
14/5193) fällt unter anderem auf, dass für das Bundesland Mecklenburg-Vor-
pommern im Dezember 2000 nur eine fremdenfeindliche und eine rechtsextre-
mistisch motivierte Straftat angegeben werden. Andere Bundesländer wie z. B.
Thüringen melden für den gleichen Zeitraum 9 fremdenfeindliche und 92
rechtsextremistische Straftaten, zusammen also mehr als die 50fache Zahl sol-
cher Straftaten.

„DER SPIEGEL“ (Ausgabe 7/2001 vom 12. Februar 2001) berichtet, das
Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern lehne einen Beschluss des
Arbeitskreises Innere Sicherheit der Innenminister von Bund und Ländern zur
einheitlichen Erfassung „politisch motivierter Kriminalität“ ab. Nach diesem
Beschluss sollen ab 1. Januar 2001 Straftaten mit politischem Motiv in einer
gesonderten Datei verzeichnet werden. Mecklenburg-Vorpommern soll das ab-
lehnen, so der Bericht, „offenbar aus Sorge, die Tatzahlen könnten dann noch
stärker steigen. Schwerin möchte sogar Propaganda-Delikte wie Heil-Hitler-
Rufe und Hakenkreuz-Schmierereien ganz aus dem Katalog streichen“, so der
Artikel weiter.

Das bestärkt den schon seit Monaten bestehenden Eindruck, dass die amtliche
Erfassung rechtsextremistischer und antisemitischer Straftaten seit Jahren will-
kürlich und nach wechselnden, politisch motivierten Kriterien erfolgt.

Für diesen Eindruck spricht auch, dass sich die Bundesregierung hartnäckig
weigert, die tatsächliche Zahl der Todesopfer rechtsextremer Gewalt – ca. 100
seit 1990, siehe die Übersichten in „Frankfurter Rundschau“ und „TAGES-
SPIEGEL“ vom 14. September 2000 – auch amtlich anzuerkennen (siehe
Bundestagsdrucksache 14/5032 vom 27. Dezember 2000, „Todesopfer rechter
Gewalt seit 1990 und Erfassung rechtsextremistischer Straftaten“).

Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz verwendet in seinem letzten Jahres-
bericht für 1999 unterschiedliche Definitionen für „Gewalttaten“, je nachdem, ob
diese rechtsextremistisch oder mutmaßlich linksextremistisch motiviert waren.
So werden in der dort dokumentierten „Übersicht über Gewalttaten und sonstige
Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischem Hinter-
grund“ (Seite 19 der Broschüre) unter „Gewalttaten“ Tötungsdelikte, versuchte
Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandstiftungen, Herbeiführen einer
Sprengstoffexplosion und Landfriedensbruch aufgeführt. Zusammen ergibt das
für 1999 insgesamt 746 „Gewalttaten“ von Rechtsextremisten.

In der „Übersicht über Gewalttaten und sonstige Straftaten mit erwiesenem
oder zu vermutendem linksextremistischem Hintergrund“ (Seite 94 der
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Broschüre) werden dagegen zwei zusätzliche Straftatengruppen aufgeführt.
Zusätzlich werden hier noch aufgeführt: „Gefährliche Eingriffe in den Bahn-,
Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr“ sowie „Widerstandsdelikte“. Durch diese
beiden zusätzlichen Deliktgruppen steigt die Zahl mutmaßlich linksextremis-
tischer Gewalttaten für 1998 um 215 Gewalttaten bzw. 37,8 Prozent auf 783
Gewalttaten, für 1999 um 159 Gewalttaten (28,8 Prozent) auf 711 Gewalttaten.

Warum solche Taten bei Rechtsextremisten nicht als Gewalttaten gelten, wird
in der Broschüre an keiner Stelle begründet.

Im Ergebnis drängt sich bei einem oberflächlichen Studium des Jahresberichts
der Eindruck von gleich viel links- wie rechtsextremistischer Gewalt auf, wäh-
rend in Wirklichkeit die – ohnehin, siehe oben, bagatellisierte – rechtsextremis-
tische Gewalt selbst nach der bisherigen Erfassungsmethode erheblich häufiger
erfasst wird als bei mutmaßlichen „Linksextremisten“.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie genau lautet der Beschluss des Arbeitskreises Innere Sicherheit der
Konferenz der Innenminister des Bundes und der Länder und wann werden
die Innenpolitikerinnen und -politiker des Deutschen Bundestags über die-
sen Beschluss unterrichtet?

2. Gab es in der Vergangenheit überhaupt irgendwelche einheitlichen Kriterien
zur Erfassung von rechtsextremistischer und mutmaßlich linksextremisti-
scher Gewalttaten oder waren diese dem jeweiligen Innenminister anheim-
gestellt?

Wenn ja, wie genau lauteten diese einheitlichen Kriterien, von wem waren
sie aufgestellt und seit wann waren sie gültig?

Wenn nein, wie vertrauenswürdig beurteilt dann die Bundesregierung sämt-
liche in der Vergangenheit von den Innenministern von Bund und Ländern
sowie den Verfassungsschutzämtern von Bund und Ländern veröffentlichten
Statistiken über rechtsextremistische oder mutmaßlich linksextremistische
Gewalt?

3. Welche Kriterien haben zu der Behauptung der Bundesregierung geführt, sie
habe seit 1990 an Stelle der in der Presse genannten 93 Todesopfer lediglich

– 24 bis 26 Todesopfer rechter Gewalt (Angaben bis September 1999) bzw.
– 36 Todesopfer rechter Gewalt (Bundestagsdrucksache 14/5032)
erfasst?

Sind diese Kriterien bundeseinheitlich angewandt worden oder hat die Bun-
desregierung auch diese Angaben den jeweiligen Innenministerien der Län-
der überlassen?

4. Wie begründet die Bundesregierung die unterschiedliche Definition von
„Gewalttaten“ im Jahresbericht 1999 des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz für rechtsextremistische und mutmaßlich linksextremistische „Ge-
walttaten“?

5. Wann will die Bundesregierung diese ungleiche Bewertung von „Gewalt-
taten“ korrigieren und für die Anwendung gleicher Kriterien hinsichtlich der
unter „Gewalttaten“ erfassten Straftaten sorgen?

Berlin, den 12. Februar 2001

Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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