BT-Drucksache 14/5366

Strafrechtliche Verfolgung eines syrisch-ortodoxen Pfarrers in der Türkei wegen Äußerungen zum Völkermord anden Armeniern

Vom 13. Februar 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5366
14. Wahlperiode 13. 02. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Strafrechtliche Verfolgung eines syrisch-orthodoxen Pfarrers in der Türkei
wegen Äußerungen zum Völkermord an den Armeniern

Der türkische Staatsbürger und syrisch-orthodoxe Pfarrer Y. A. nahm in einem
Interview mit der türkischen Tageszeitung Hürriyet am 4. Oktober 2000 Stel-
lung zum Völkermord an den Armeniern und syrisch-orthodoxen Christen.
„Alle Menschen in diesem Gebiet kennen die Wahrheit. Ich unterstütze nicht
die Armenier. Ich sage, dass die Tatsache des Völkermordes wahr ist. Das kann
niemand leugnen ...“. Die Tageszeitung „Hürriyet“ titulierte die Aussagen des
Pfarrers mit den Worten „Die Verräter sind unter uns.“ Nach diesem Interview
begann in Diyarbakir ein Strafverfahren gegen Y. A. Er wird nach § 312 des
türkischen Strafgesetzbuches angeklagt, weil er, so § 312 „das Volk offen zu
Hass aufgehetzt hat, indem Unterscheidungen nach Region, Klasse, Rasse und
Religion vorgenommen worden sind.“ Hierfür droht eine Höchststrafe von fünf
Jahren Haft.

Pfarrer Y. A. befindet sich derzeit unter Hausarrest. Das am 21. Dezember 2000
eröffnete Verfahren wegen „Volksverhetzung und Hochverrat“ soll am 22. Feb-
ruar 2001 fortgesetzt werden. Der Arbeitskreis Shalom an der Katholischen
Universität Eichstätt hat Pfarrer Y. A. mit dem Shalompreis des Jahres 2001
ausgezeichnet, „weil er trotz massiver Bedrohung und Anklage wegen Volks-
verhetzung nicht davon abweicht, an den vielfachen Mord an Armeniern und
syrisch-orthodoxen Christen öffentlich zu erinnern.“

Eine Auseinandersetzung mit der türkischen Zeitgeschichte und Aufarbeitung
des Völkermordes an den Armeniern wird durch diesen § 312 des türkischen
Strafgesetzbuches verhindert. In der Türkei müssen Wissenschaftler, Journalis-
ten und Menschenrechtler, wenn sie sich zum Genozid an den Armeniern im
Jahre 1915 äußern, ebenfalls mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen, wie im
Falle des türkischen Menschenrechtlers Akin Birdal.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung der Fall des Pfarrers Y. A. bekannt?

2. Hat es Bemühungen der Bundesregierung gegeben, sich bei der türkischen
Regierung dafür einzusetzen, dass das Verfahren gegen den Pfarrer beendet
wird?

3. Sind der Bundesregierung andere Fälle bekannt, in denen Personen, weil sie
sich zum Völkermord an den Armeniern geäußert haben, in der Türkei in
den letzten Jahren strafrechtlich verfolgt wurden?

Wenn ja, welche Fälle sind der Regierung bekannt?

Drucksache 14/5366 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
4. Ist die Bundesregierung gewillt, sich dafür einzusetzen, dass in der Türkei
die Gesetzgebung soweit geändert wird, dass türkische Staatsbürger sich kri-
tisch mit ihrer Geschichte auseinandersetzen und den Völkermord an den
Armeniern und anderen religiösen und ethnischen Minderheiten aufarbeiten
können?

5. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, ob die türkische Regierung
beabsichtigt, im Rahmen der Diskussion um eine Verfassungs- und Straf-
rechtsreform rechtliche Voraussetzungen zu schaffen, die eine Auseinander-
setzung mit dem Völkermord an den Armeniern ermöglichen, die nicht von
strafrechtlicher Verfolgung bedroht ist?

6. Sind der Bundesregierung die Beschlüsse von Parlamenten, Parlamentsaus-
schüssen oder Regierungsstellen in den EU-Staaten Belgien, Frankreich,
Griechenland, Italien und Schweden zum Völkermord an den Armeniern
bekannt?

Wenn ja, wie bewertet sie diese Beschlüsse?

7. Ist die Bundesregierung willens, auch angesichts der Mitverantwortung des
Deutschen Reiches am Völkermord an den Armeniern, ähnliche Schritte
zur Anerkennung dieses Völkermordes an den Armeniern auch hier in der
Bundesrepublik Deutschland einzuleiten?

Berlin, den 9. Februar 2001

Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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