BT-Drucksache 14/5306

Missbräuchliche Verwendung von Beitragsmitteln der sozialen Pflegeversicherung

Vom 6. Februar 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5306
14. Wahlperiode 06. 02. 2001

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Zöller, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid),
Dr. Wolf Bauer, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Dr. Hans Georg Faust, Ulf Fink,
Hubert Hüppe, Dr. Harald Kahl, Eva-Maria Kors, Hans-Peter Repnik, Heinz
Schemken, Annette Widmann-Mauz, Aribert Wolf und der Fraktion der CDU/CSU

Missbräuchliche Verwendung von Beitragsmitteln der sozialen
Pflegeversicherung

Nach Informationen verschiedener Zeitungen (vgl. z. B. Handelsblatt vom
19. und 21. Dezember 2000 sowie Ärztezeitung vom 20. Dezember 2000)
haben einige der Bundesaufsicht unterstehende Krankenkassen in rechtswidri-
ger Weise Kosten für Hilfsmittel in die soziale Pflegeversicherung eingebucht.

Die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung sind seit ihrer Einführung vor
fünf Jahren weder entsprechend der Inflationsrate noch entsprechend der Ent-
wicklung der Einkommen der Versicherten angepasst worden. Trotz nachhalti-
ger Forderungen der Opposition weigert sich die Bundesregierung, die Leis-
tungen der sozialen Pflegeversicherung zumindest entsprechend der
Inflationsrate anzupassen. Hierdurch ist ein drastischer Reform- und Anpas-
sungsstau entstanden, der die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung zu-
nehmend entwertet.

Die Krankenkassen verwalten treuhänderisch das Vermögen der sozialen Pfle-
geversicherung (§ 1 Abs. 3, §§ 46 ff. SGB XI). Vor dem Hintergrund der o. g.
Presseberichte drängt sich der Eindruck auf, dass einige Krankenkassen durch
Fehlbuchungen im Bereich der Pflegehilfsmittel die ihnen durch Gesetz einge-
räumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, missbrauchen. Die
Verschiebung von Kosten für Hilfsmittel von der gesetzlichen Krankenversi-
cherung in die soziale Pflegeversicherung wurde von einigen Spitzenverbän-
den der gesetzlichen Krankenkassen u. a. durch diverse Schreiben gesteuert.

Nach Aussagen des Bundesversicherungsamts (BVA) anlässlich der Präsenta-
tion des Tätigkeitsberichts 1999 sollen allein von der der Bundesaufsicht un-
terstehende Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) auf diese Weise
mehr als 100 Mio. DM von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in
die soziale Pflegeversicherung zu Lasten des Ausgleichsfonds verschoben
worden sein. Die DAK hat diese Verschiebungen nach ersten Presseanfragen
geleugnet, nach einem späteren Rundfunkbericht jedoch eingestanden.

Das BVA soll der DAK wegen der angespannten Finanzlage das Recht einge-
räumt haben, die verschobenen Beträge in fünf Jahresraten zurückzuzahlen.
Es ist davon auszugehen, dass der DAK durch die zugestandene Ratenzah-
lung von fünf Jahren bei einem hinterzogenen Betrag von 100 Mio. DM ein
Liquiditätsvorteil in zweistelliger Millionenhöhe entstanden ist. Ein weiterer
Liquiditätsvorteil von ca. 30 Mio. DM hatte die DAK aus der Vorenthaltung

Drucksache 14/5306 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

von 100 Mio. DM Beitragsmitteln bei einer sechsprozentigen Verzinsung über
einen Zeitraum von fünf Jahren. Ein Ausgleich für die z. T. rechtswidrig ver-
schafften Liquiditätsvorteile und die ebenfalls hinterzogenen Verwaltungskos-
ten ist nach den Darstellungen nicht vereinbart worden. Auch ist die Vereinba-
rung der Ratenzahlung nicht mit einem Ausgleich für den hierdurch
entstandenen Zinsvorteil verbunden gewesen.

Der AOK-Bundesverband versucht sein rechtswidriges Handeln nunmehr da-
durch zu legalisieren, dass „zukünftig von Hilfsmitteln im Sinne der GKV nur
noch ausgegangen werden soll, wenn diese es dem Pflegebedürftigen ermögli-
chen, seine Grundbedürfnisse unabhängig vom Angehörigen zu erledigen. So-
bald ein Hilfsmittel, z. B. ein Badewannenlifter oder Rollstuhl, nur mit Hilfe
von Pflegekräften benutzt werden könne, sei dieses als Pflegehilfsmittel im
Sinne des § 40 SGB XI zu definieren“.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:

1. Seit wann weiß das Bundesministerium für Gesundheit von diesen rechts-
widrigen Verschiebungen zulasten der sozialen Pflegeversicherung?

2. Mit welchen konkreten Aktionen ist das Bundesministerium für Gesund-
heit gegen diese rechtswidrigen Beitragsverschiebungen vorgegangen?

3. Wenn das Bundesministerium für Gesundheit nicht gegen diese rechts-
widrigen Beitragsverschiebungen vorgegangen sein sollte, was war die
Ursache für das Nichthandeln?

4. Hat das Bundesministerium für Gesundheit im Hinblick darauf, dass mit
den rechtswidrigen Beitragsverschiebungen auch eine Änderung der Er-
stattung der Verwaltungskosten für die Durchführung der Pflegeversiche-
rung verbunden ist, dafür Sorge getragen, dass auch die fehlerhaft ver-
schobenen Verwaltungskosten auf die Krankenversicherung rückgebucht
wurden?

5. In welcher Höhe wurden bei den einzelnen der Bundesaufsicht unterste-
henden Kassen Verwaltungskosten auf die Krankenversicherung rückge-
bucht?

6. Wie wurde der von der DAK selbst eingestandene Hinterziehungsbetrag
von 100 Mio. DM berechnet?

Hat das BVA nur eine Schätzung vorgenommen, wenn ja, was waren die
Grundlagen für die Schätzung?

7. Wenn bei einigen Kassen eine Schätzung vorgenommen wurde, andere
Kassen jedoch jeden einzelnen Fall rückgebucht haben, wie rechtfertigt
das Bundesministerium für Gesundheit diese völlig unterschiedliche Be-
handlung?

8. Haben das Bundesministerium für Gesundheit und das BVA darauf be-
standen, dass dieser rechtswidrig verschaffte Liquiditätsvorteil ausgegli-
chen wird?

9. Wie begründet das Bundesministerium für Gesundheit die Belastung des
Ausgleichsfonds durch diese großzügige Regelung, die zulasten der übri-
gen korrekt arbeitenden Kassen geht?

10. Ist bei den Rückabwicklungen auch berücksichtigt worden, dass die er-
folgsabhängigen Bestandteile des Gehalts von Vorstandsmitgliedern der
gesetzlichen Krankenkassen entsprechend der fehlerhaften Erfolgsrech-
nung der betreffenden Kasse wieder korrigiert werden?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/5306

11. Falls nein, was sind die Gründe für das Nichthandeln der Bundesregie-
rung und den Nichtausgleich?

12. Ist das Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesministerium
der Justiz der Auffassung, dass hier ein offensichtlicher Fall von Untreue
gemäß § 266 StGB vorliegt?

13. Hat das Bundesministerium für Gesundheit oder das seiner Aufsicht un-
terstehende BVA Strafanzeige wegen Untreue gegen die für die rechts-
widrigen Falschbuchungen verantwortlichen Funktionäre gestellt?

14. Sind hierdurch nach Auffassung des Bundesministeriums für Gesundheit
und des Bundesministeriums der Justiz weitere strafrechtliche Tatbe-
stände gegeben?

15. Welche Konsequenzen auch personeller und organisatorischer Art ge-
denkt die Bundesregierung aus dem Sachverhalt zu ziehen?

16. Warum haben weder das Bundesministerium für Gesundheit noch das
BVA Strafanzeige gegen Funktionäre der betroffenen Krankenkassen ge-
stellt?

17. Warum werden von der Bundesregierung nicht mit der gleichen Konse-
quenz – wie bei Abrechnungsbetrügereien von einzelnen Ärzten – mög-
liche Veruntreuungen von Beitragsmitteln der sozialen Pflegeversiche-
rung durch einzelne Krankenkassen strafrechtlich verfolgt?

18. Hatte die Bundesregierung anlässlich der positiven Bewertung der Finanz-
lage der sozialen Pflegeversicherung durch Staatssekretär a. D. Erwin An-
ton Jordan im Dezember 2000 die rechtswidrigen Verschiebungen der
Beitragsmittel bereits rechnerisch berücksichtigt, wenn ja, in welcher
Höhe?

19. Inwieweit hat die Bundesregierung die Korrektur der Beitragsverschie-
bungen, die für die gesetzliche Krankenversicherung Rückbelastungen in
Milliardenhöhe bringt, bei der letzten Präsentation der Zahlen für die ge-
setzlichen Krankenversicherung bereits berücksichtigt?

Wenn nein, warum ist das nicht geschehen?

20. Wann und inwieweit wurde die politische Leitung des Bundesministeri-
ums für Gesundheit von den rechtswidrigen Beitragsverschiebungen von
der gesetzlichen Krankenversicherung in die Pflegeversicherung unter-
richtet?

21. Wenn die politische Leitung des Bundesministeriums für Gesundheit nicht
rechtzeitig über die Verschiebungen informiert wurde, welche Konsequen-
zen – insbesondere auch im Hinblick auf den Risikostrukturausgleich –
zieht die Bundesregierung aus dem gesamten Sachverhalt?

22. Gibt es auch personelle Konsequenzen?

23. Unterstützt die Bundesregierung den Vorstoß des AOK-Bundesverbandes
zur Neuabgrenzung der Hilfsmittelversorgung für Pflegebedürftige in der
ambulanten Pflege?

24. Wird die Bundesregierung jetzt oder in Zukunft eine entsprechende Ge-
setzesinitiative einbringen?

25. Wenn ja, würde dadurch nicht die Moral derjenigen Kassen völlig unter-
graben werden, die sich bisher rechtmäßig verhalten haben?

Drucksache 14/5306 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
26. Sieht die Bundesregierung nach Rückbuchung der rechtswidrigen Belas-
tungen der sozialen Pflegeversicherung finanzielle Handlungsspielräume,
die unzureichenden Leistungen nach fünf Jahren endlich anzupassen?

Berlin, den 6. Februar 2001

Wolfgang Zöller
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
Dr. Wolf Bauer
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Hans Georg Faust
Ulf Fink
Hubert Hüppe
Dr. Harald Kahl
Eva-Maria Kors
Hans-Peter Repnik
Annette Widmann-Mauz
Aribert Wolf
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.