BT-Drucksache 14/5139

Beschäftigung älterer Arbeitnehmer durch Qualifizierung sichern - drohendem Arbeitskräftemangel vorbeugen

Vom 23. Januar 2001


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

23. 01. 2001

Antrag

der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef Laumann, Brigitte
Baumeister, Rainer Eppelmann, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Julius Louven,
Wolfgang Meckelburg, Claudia Nolte, Hans-Peter Repnik, Franz-Xaver Romer,
Heinz Schemken, Johannes Singhammer, Dorothea Störr-Ritter, Andreas Storm,
Matthäus Strebl, Peter Weiß (Emmendingen), Gerald Weiß (Groß-Gerau)
und der Fraktion der CDU/CSU

Beschäftigung älterer Arbeitnehmer durch Qualifizierung sichern –
drohendem Arbeitskräftemangel vorbeugen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland steht in der Arbeitsmarktpolitik vor zwei gravierenden Problemen.
Einerseits besitzt die Erwerbslosigkeit älterer Arbeitnehmer erschreckende
Ausmaße:

Nur 39 % aller Menschen im Alter von 55 bis 64 Jahren stehen im Erwerbsle-
ben. Etwa jeder zweite Arbeitslose über 45 Jahre ist bereits länger als ein Jahr
erwerbslos. Bei den 55- bis 60-Jährigen liegt dieser Anteil sogar bei fast zwei
Dritteln.

Andererseits wird in allen Prognosen ab 2005 vor einem Mangel an qualifizier-
ten Arbeitskräften gewarnt. So ist zu erwarten, dass in den nächsten 10 Jahren
der Anteil der unter 40-Jährigen an den Erwerbspersonen deutlich von 54 %
(1996) auf 42 % (2010) abnehmen wird. 58 % aller Arbeitnehmer werden älter
als 40 Jahre sein, davon allein 27 % älter als 50 Jahre. Für das Jahr 2030 ist zu
erwarten, dass jeder zweite Deutsche älter als 50 Jahre sein wird.

Dies bedeutet nicht nur eine dramatische Herausforderung an die Sozialver-
sicherungssysteme, sondern auch eine drastische Veränderung der Rekru-
tierungsbasis der Unternehmen. Prognosen besagen, dass in naher Zukunft
etwa 4 Millionen Arbeitsplätze, die bislang Jüngere innehaben, von Arbeitneh-
mern über 40 Jahren besetzt werden müssen. Die Zahlen zeigen, dass wir vor
zwei großen Problemen stehen: einerseits akut die Erwerbslosigkeit älterer
Menschen zu senken, andererseits dem bereits jetzt absehbaren Problem entge-
genzusteuern, spätestens ab 2010 einem gravierenden Arbeitskräftemangel ge-
genüberzustehen.

Beiden Problemfeldern ist nur mit einer weitgehenden Qualifizierungsoffensive
für ältere Arbeitnehmer zu begegnen. Konzepte müssen entwickelt werden, um
die Arbeitsfähigkeit älterer Arbeitnehmer aufrechtzuerhalten und ihnen lebens-
langes Lernen, flexible Arbeitsformen und damit eine aktive Teilhabe am
Arbeitsleben zu ermöglichen.
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Die Notwendigkeit, gezielte Qualifizierungs- und Arbeitsmarktkonzepte zu
starten, zeigt auch der internationale Vergleich: Während es etwa den Nieder-
landen gelungen ist, die Erwerbstätigkeit Älterer zwischen 1995 und 1999 um
12,6 % zu steigern, liegt Deutschland mit gerade 0,7 % international auf einem
der hintersten Plätze. Bei der Erwerbsquote der über 55-Jährigen hat sich der
Abstand zum OECD-Durchschnitt auf über 10 Prozentpunkte vergrößert.
Könnte Deutschland bei der Erwerbstätigenquote der Älteren mit dem OECD-
Durchschnitt gleichziehen, würde dies 1,2 Millionen mehr Beschäftigte in
Deutschland bedeuten.

Trotz dieser eindringlichen und eindeutigen Zahlen verharrt die Bundesregie-
rung vor diesem Problem in Untätigkeit. Auch die geringfügig positive Ent-
wicklung der Erwerbslosenquote älterer Arbeitnehmer in den letzten Monaten
ist laut der Bundesanstalt für Arbeit hauptsächlich auf die demographische Ent-
wicklung, nämlich den temporären Rückgang der über 55-Jährigen in der Ge-
samtbevölkerung zurückzuführen.

Dringend nötig ist es deshalb, für ältere Arbeitnehmer Qualifizierungspro-
gramme zu gestalten, die es ihnen ermöglichen, ihre Kompetenzen den Erfor-
dernissen des Arbeitsmarktes anzupassen. Diese Forderung wird in letzter Zeit
auch vermehrt von Wirtschaftsinstituten, der Europäischen Union und den Ge-
werkschaften erhoben. Nach übereinstimmender Auffassung kann vor allem
durch Konzepte zur Weiterbildung älterer Arbeitnehmer deren akute hohe Er-
werbslosigkeit gesenkt und gleichzeitig das prognostizierte Problem eines zu-
künftigen Mangels an qualifizierten Arbeitnehmern bekämpft werden. Hier-
für müssen von der Politik die erforderlichen Voraussetzungen geschaffen
werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. die Einführung und die staatliche Förderung eines „Job-Rotation“-Pro-
gramms in Deutschland endlich rasch und konsequent voranzutreiben;

2. Möglichkeiten zu prüfen, den gesetzlichen Bildungsurlaub auch für innerbe-
triebliche Fortbildung nutzen zu können;

3. Die Einrichtung von „Weiterbildungsverbünden“ (nach dem Vorbild von
Ausbildungsverbünden) politisch zu fördern und finanziell zu unterstützen,
um auch kleineren Betrieben die Fortbildung älterer Erwerbstätiger zu er-
möglichen;

4. Im „Bündnis für Arbeit“ die verstärkte Einbeziehung der Weiterbildungs-
möglichkeiten für ältere Arbeitnehmer in Tarifverträge (in Kooperation mit
den Gewerkschaften) zu thematisieren;

5. Die Einrichtung von lokalen Netzwerken aus Gebietskörperschaften, In-
dustrie- und Handels- sowie Handwerkskammern und der Bundesanstalt für
Arbeit zu fördern, um lokale Lernziele, Maßnahmen und Beratung speziell
auf ältere Arbeitnehmer und regionale Bedürfnisse und Anforderungen ab-
zustimmen;

6. Das „Tandem-Modell“, also die gezielte Team-Zusammenarbeit von älteren
und jüngeren Arbeitnehmern in Betrieben, über die Bundesanstalt für Arbeit
zu propagieren und staatlich zu fördern;

7. Forschungsprogramme zu einer älteren Arbeitnehmern angepassten Arbeits-
platzgestaltung, Karriereplanung und einem besseren Gesundheitsschutz
über die betreffenden Bundesministerien und die Bundesanstalt für Arbeit
verstärkt zu fördern und die Betriebe über diese Themen besser zu informie-
ren und zu beraten;
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8. Für Arbeitnehmer ab 55 Jahren befristete Arbeitsverträge ohne jede Ein-
schränkung zu ermöglichen. Befristete Arbeitsverhältnisse sind Brücken
von der Arbeitslosigkeit in reguläre, unbefristete Beschäftigung und zur
Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Deshalb sollte dieses Instru-
mentarium gerade für die Integration älterer Arbeiternehmer auf dem
Arbeitsmarkt stärker genutzt werden;

9. Angesichts der Tatsache, dass das faktische Renteneintrittsalter in Deutsch-
land bei 60,1 Jahren liegt, wird die Bundesregierung aufgefordert Möglich-
keiten zu erarbeiten, um für Arbeitnehmer, die nach einer Mitgliedschaft
von mindestens 35 Jahren in der gesetzlichen Rentenversicherung über das
faktische Renteneintrittsalter hinaus erwerbstätig sind, die Rentenbeiträge
erheblich zu senken. In der Folge wäre es für ältere Arbeitnehmer lukrati-
ver, länger im Erwerbsleben zu stehen;

Ebenso sollte die Möglichkeit überprüft werden, Arbeitgebern, die Perso-
nen mit einem Lebensalter über dem faktischen Renteneintrittsalter be-
schäftigen, über eine Senkung des Arbeitgeberanteils des Rentenversiche-
rungsbeitrages zu entlasten, um so einen Anreiz zur Beschäftigung älterer
Menschen zu schaffen;

10. Angesichts der Tatsache, dass die Arbeitslosenversicherung durch die bes-
seren Vermittlungschancen indirekt von betrieblichen Weiterbildungsmaß-
nahmen, die ältere Arbeitnehmer durchlaufen, profitiert, wird die Bundes-
regierung aufgefordert Möglichkeiten zu erarbeiten, Arbeitgebern (evtl.
auch Arbeitnehmern) bei Nachweis einer durchlaufenen Qualifizierungs-
maßnahme eines älteren Arbeitnehmers einen Nachlass bei der Arbeits-
losenversicherung zu gewähren.

Berlin, den 23. Januar 2001

Birgit Schnieber-Jastram
Karl-Josef Laumann
Brigitte Baumeister
Rainer Eppelmann
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Julius Louven
Wolfgang Meckelburg
Claudia Nolte
Hans-Peter Repnik
Franz-Xaver Romer
Heinz Schemken
Johannes Singhammer
Dorothea Störr-Ritter
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Peter Weiß (Emmendingen)
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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