BT-Drucksache 14/5136

Medizinische Versorgung von Kindern sichern

Vom 23. Januar 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5136
14. Wahlperiode 23. 01. 2001

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Zöller, Eva-Maria Kors, Wolfgang Lohmann
(Lüdenscheid), Dr. Wolf Bauer, Ilse Aigner, Dr. Sabine Bergmann-Pohl,
Dr. Hans Georg Faust, Ulf Fink, Ingrid Fischbach, Hubert Hüppe, Dr. Harald Kahl,
Annette Widmann-Mauz, Aribert Wolf und der Fraktion der CDU/CSU

Medizinische Versorgung von Kindern sichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Das Kindesalter hat seine eigenen altersspezifischen akuten und chronischen
Erkrankungen. Manche sind genetisch bedingt und wegen ihrer lebensbe-
grenzenden Besonderheiten in der Erwachsenenmedizin weitgehend unbe-
kannt.

Vielen der so genannten Kinderkrankheiten kann durch Impfungen vorge-
beugt werden. Impfungen beginnen deshalb einem differenzierten Plan fol-
gend bereits unmittelbar nach der Geburt. Den Impfungen ist es zu verdan-
ken, dass einige Erkrankungen nur noch selten oder gar nicht mehr
auftreten, z. B. Diphterie, Wundstarrkrampf, Keuchhusten, Kinderlähmung,
Hämophilus influenza-B-Infektionen, Hepatitis B. Andere Erkrankungen
wie Masern oder Röteln könnten nach den Vorstellungen der WHO ähnlich
wie vor Jahrzehnten die Pocken vollständig ausgerottet werden, wenn genü-
gend hohe Durchimpfungsraten erreicht würden. Dies ist trotz intensiver
Bemühungen der impfenden Ärzte nicht möglich, weil dem Ziel Impfhin-
dernisse entgegenstehen oder eine hinreichende Unterstützung durch Politik
und Krankenkassen fehlt.

Die medizinische Betreuung der Kinder und Jungendlichen obliegt den
Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin. Der Fortbestand des qualifizier-
ten Betreuungssystems für Kinder und Jugendliche ist gegenwärtig in Frage
gestellt. Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte beklagt einen dra-
matischen Nachwuchsmangel im Bereich der Kindermedizin. Vom Jahr
2003 an muss damit gerechnet werden, dass die medizinische Versorgung
von Kindern in ganzen Regionen, vor allen Dingen in Flächenländern nicht
mehr sichergestellt werden kann. Die Zahl der Kinderärzte ist rückläufig. Es
fehlen ausgebildete Nachfolger. Grund hierfür ist die zu geringe Zahl von
Weiterbildungsplätzen in Kinderkliniken und -praxen. Der notwendige Bet-
tenabbau hat in den Krankenhäusern zu einer Halbierung der Bettenzahl und
entsprechend auch der Personalausstattung geführt. Deshalb ist vor allem in
ländlichen Räumen und in großen Teilen Ostdeutschlands ein Versorgungs-
problem aufgetreten. Die Kinder- und Jugendmedizin unterliegt zz. einem
starken Wandel. Neben der Behandlung akuter und chronischer Krankheiten
wächst die Aufgabe der Früherkennung von Krankheiten und Fehlentwick-
lungen, der Gesundheitsförderung, der Vorbeugung und der Rehabilitation.
Das Jugendalter ist keinesfalls die gesündeste Lebensspanne, sondern in

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dieser Altersgruppe bestehen bereits eine Vielzahl von behandlungsbedürfti-
gen Störungen am Skelett, den Sinnesorganen, dem Gewicht und im psycho-
sozialen Bereich sowie Sucht- und Drogengefährdung.

Prävention sollte auf Dauer Kosten im Gesundheitswesen senken und sollte
auch weiterhin allen Kindern und Jugendlichen zugute kommen. Eine Aus-
dünnung des noch annähernd flächendeckenden Netzes von Pädiatern in der
hausärztlichen Versorgung senkt andernfalls das Niveau der gesundheit-
lichen Versorgung deutlich herab.

Wegen des drohenden Mangels an Kinder- und Jugendärzten sollte deren
pädiatrische Weiterbildung in Praxen in gleicher Weise finanziell gefördert
werden wie die der Allgemeinmediziner. Die Förderung der Weiterbildung
der Allgemeinmedizin in Form der Anschubfinanzierung durch die gesetz-
lichen Krankenkassen ist mit dem GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz gesetz-
lich festgelegt worden. Mit der GKV-Gesundheitsreform 2000 ist diese
Mitfinanzierung der Weiterbildung durch die Krankenkassen auf Dauer fest-
geschrieben worden. Nach § 73 SGB V nehmen die Kinderärzte zwar an der
hausärztlichen Versorgung teil und sind somit Hausärzte wie die Allgemein-
mediziner, dennoch sind sie nicht in dieses Initiativprogramm zur Sicher-
stellung der allgemeinmedizinischen Versorgung mit einbezogen. Dies ist
wegen der Bedeutung der Pädiater für die medizinische Versorgung von Kin-
dern und Jugendlichen nicht vertretbar. Während in anderen Ländern die All-
gemeinmediziner entweder über mehrmonatige oder basispädiatrische Erfah-
rungen im Rahmen der Weiterbildung verfügen, ist dies in Deutschland nicht
der Fall.

2. Seit geraumer Zeit wird auch auf Mängel in der Arzneimitteltherapie bei
Kindern hingewiesen. Expertenangaben zufolge sollen rd. 80 % der bei Kin-
dern zur Behandlung eingesetzten Arzneimittel außerhalb des Zulassungs-
bereiches verwendet werden. Dies bedeutet, dass Ärzte häufig gezwungen
sind, nur für Erwachsene zugelassene Arzneimittel bei Kindern zu verord-
nen, obwohl die Wirkungen des Arzneimittels bei Kindern nicht oder nur
unzureichend bekannt sind.

Qualität und Sicherheit der Arzneimittelanwendung in der Kinderheilkunde
sind deshalb dringend zu verbessern. Arzneimittel müssen im Rahmen von
klinischen Studien auch auf ihre Wirkungen bei Kindern geprüft werden.
Ethikkommissionen stellen dabei sicher, dass die Teilnahme von Kindern an
derartigen Studien nicht missbräuchlich erfolgt. Die Überwachung von kli-
nischen Studien durch Ethikkommissionen und staatliche Stellen ist wichtig,
um das Vertrauen der Eltern in derartige Studien zu erlangen und zu sichern.

3. Eine Gefahr für die medizinische Versorgung der Kinder stellt auch das
Arznei- und Heilmittelbudget dar. So hat der Vorsitzende des Berufsverban-
des der Kinder- und Jugendärzte in Thüringen darauf hingewiesen, dass man
mit weniger als 5 DM pro Kind im Quartal keine ausreichende Physiothera-
pie bei entwicklungsgestörten Kindern durchführen kann. Sowohl die Arz-
neimittelbudgets als auch die Heil- und Hilfsmittelrichtgrößen müssen für
Kinder und Jugendliche dringend dem Versorgungsbedarf angepasst werden.

4. Eine Unterversorgung von kranken Kindern ist ferner im Bereich der häus-
lichen Krankenpflege zu beobachten. Mit der häuslichen Kinderkranken-
pflege können stationäre Aufenthalte vermieden und das Ziel der ärztlichen
Behandlung gesichert werden. Bisher ist die häusliche Kinderkrankenpflege
nicht im Gesetz erwähnt, im Gegensatz zur psychiatrischen und geronto-
psychiatrischen Pflege. Dies führt dazu, dass die Krankenkassen diese spezi-
ellen Leistungen nur selten anerkennen und die Abrechnungsmöglichkeiten
für die häusliche Kinderkrankenpflege sehr defizitär ist. Die häusliche Kin-
derkrankenpflege ist teurer als die Erwachsenenpflege. Die Hausbesuche sind
länger, pädagogische Aspekte müssen berücksichtigt werden. Darüber hinaus

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müssen Eltern geschult und an die fachgerechte Pflege herangeführt werden,
damit ein Rückzug der Kinderkrankenschwestern aus der Pflege möglich
wird. Die Einzugsgebiete sind aufgrund der geringen Patientenzahlen groß,
so dass längere Fahrzeiten erforderlich sind. So benötigen die einzelnen Ein-
richtungen zz. zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten (u. a. Spenden und
öffentliche Zuschüsse), um ihr Angebot aufrechterhalten zu können. Erste
Schließungen kleinerer Einrichtungen sind bereits erfolgt. Die Situation wird
verschärft durch die Richtlinie zur Verordnung häuslicher Krankenpflege
nach § 92 Abs. 1 Nr. 6 SGB V. Besonders die Pflege von chronisch kranken
Kindern, z. B. mit schweren Ernährungsstörungen, Atemwegserkrankungen
und die Pflege schwerkranker Früh- und Neugeborener wird mit den neuen
Richtlinien nicht abgedeckt. Außerdem werden sie der heutigen Tendenz
nicht gerecht, die Kinder zunehmend früher aus den Kliniken zu entlassen.
Mit den neuen Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege wird den Eltern eine
fachliche Unterstützung erschwert und unter Umständen sogar unmöglich ge-
macht. Es ist daher dringend erforderlich, die Besonderheiten der häuslichen
Kinderkrankenpflege bei der Fassung der Richtlinien zu berücksichtigen.

5. Schließlich bedürfen Kinder im Krankenhaus einer kompetenten altersge-
rechten Pflege, denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Daher muss
der Beruf der Kinderkrankenschwester und -pfleger erhalten bleiben. Der
gegenwärtige Plan, die bisherige spezialisierte Ausbildung für die Kinder-
krankenpflege aufzugeben, hätte eindeutige Nachteile für die Qualität der
Pflege kranker Kinder.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. Auf die Bundesärztekammer einzuwirken, die Weiterbildung zum Kinder-
und Jugendarzt zu reformieren.

2. Zur Sicherung der pädiatrischen Versorgung die gesetzlichen Voraussetzun-
gen dafür zu schaffen, dass die pädiatrische Weiterbildung wie die allge-
meinmedizinische Weiterbildung gefördert wird.

3. Durch Aufklärung der Öffentlichkeit die Bereitschaft von Eltern zu fördern,
klinische Studien bei Kindern mit dem Ziel einer verbesserten Arzneimittel-
sicherheit durchführen zu lassen.

4. Die Budgetierung der ärztlichen Honorare sowie das Arznei- und Heilmit-
telbudget aufzuheben, damit die medizinische Versorgung von Kindern ge-
währleistet ist.

5. Für eine Verbesserung der Qualität der Versorgung von Kindern und Jugend-
lichen mit Hilfsmitteln, insbesondere mit Hörgeräten Sorge zu tragen.

6. Den Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen aufzufordern, die Richtlinie
zur häuslichen Krankenpflege grundlegend zu überarbeiten und dabei die be-
sonderen Aspekte der häuslichen Kinderkrankenpflege zu berücksichtigen.

7. Bei der Novellierung des Krankenpflegegesetzes von dem Modell einer
ganzheitlichen Ausbildung abzusehen und die Kinderkrankenpflege als
eigene Berufsausbildung zu erhalten.

Berlin, den 23. Januar 2001

Wolfgang Zöller
Eva-Maria Kors
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
Dr. Wolf Bauer
Ilse Aigner
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Dr. Hans Georg Faust

Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Hubert Hüppe
Dr. Harald Kahl
Annette Widmann-Mauz
Aribert Wolf
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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