BT-Drucksache 14/4997

Atommüll der Nordmeerflotte Russlands

Vom 13. Dezember 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4997
14. Wahlperiode 13. 12. 2000

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Atommüll der Nordmeerflotte Russlands

18 % aller in der Welt existierenden Atomreaktoren befinden sich im Nordwes-
ten Russlands. Der U-Boot-Bau in Russland und der Betrieb der Nordmeer-
flotte Russlands bringt aufgrund des Atomantriebs ihrer Schiffe und U-Boote
viele Gefahren mit sich. U-Boot-Havarien wie der Untergang der „KURSK“ im
August dieses Jahres oder Zwischenfälle bei Wartungs- oder Reparaturarbeiten
sind in den letzten Jahren immer wieder vorgekommen.

Der Nuklearmüll wächst durch den Betrieb der Nordmeerflotte weiter an, ob-
wohl die Speicherungskapazitäten für Nuklearmüll erschöpft und zum Großteil
in einem schlechten technischen Zustand sind.

Der Entsorgung von Atommüll wurde von Russland bisher nur eine untergeord-
nete Rolle zugestanden. Der nukleare Müll wurde auf der Kola-Halbinsel gela-
gert, im Meer versenkt oder zur Wiederaufbereitung 3000 km nach Mayak
transportiert. Mayak hat vor ca. einem Jahr seinen Betrieb eingestellt.

Der russische Mitarbeiter der Umweltorganisation „Bellona“ und ehemalige
U-Boot-Kapitän Alexander Nikitin hat in einem Buch die hohen Gefahren
durch Atomabfall der Nordmeerflotte beschrieben und vor einer Katastrophe
gewarnt.

Experten fordern schnelle Maßnahmen, da sonst eine ganze Küstenregion auf
der Kola-Halbinsel in zehn bis fünfzehn Jahren so verseucht sein wird, wie man
es bisher nur nach der Tschernobyl-Katastrophe erlebt hat.

Verschiedene Veröffentlichungen besagen, dass Radioaktivität bereits ins Meer
gelangt ist und noch gelangen wird.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung bekannt, dass der nukleare Müll in Nordwestruss-
land laut BEAC (Euro-Arktischer Barentsrat) ein „wachsendes Umwelt- und
Sicherheitsrisiko“ darstellt?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Russland ohne massive mul-
tilaterale Unterstützung nicht in der Lage sein wird, das nukleare Müll- und
Entsorgungsproblem der Nordmeerflotte zu lösen?

3. Hat sich die Bundesregierung – auch im Hinblick auf den Untergang der
„KURSK“ im August 2000 – für eine ordnungsgemäße Entsorgung von aus-
gedienten russischen Atomreaktoren eingesetzt und wenn ja, wie?

Drucksache 14/4997 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

4. Plant die Bundesregierung Initiativen, um Russland bei der Entsorgung
von nuklearem Müll zu unterstützen?

5. Ist die Bundesregierung in multilaterale Verhandlungen, auch innerhalb des
Ostseerats und innerhalb der EU, involviert mit dem Ziel, russischen nukle-
aren Müll schneller und effektiver zu entsorgen, und wenn ja, in welche?

6. Sind der Bundesregierung Probleme bekannt, wonach die russische Marine
sich weigert, unabhängigen internationalen Experten den Zugang zu den
Marinestützpunkten zu gewähren?

7. Was beabsichtigt die Bundesregierung – ggf. innerhalb des Ostseerats oder
der EU – zu tun, um Russland zur Zugangsberechtigung von unabhängigen
internationalen Experten zu den Marinestützpunkten zu veranlassen?

8. Wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeit ein, durch internationale
Verhandlungen Russland zum weiteren Abbau – und zwar stärker noch als
im Start-I- und -II-Abkommen seit 1989 vereinbart – seiner militärischen
Nordmeerflotte zu bewegen?

9. Welche internationalen Vereinbarungen zur Entsorgung des Nuklearmülls
der Nordmeerflotte in Nordwestrussland sind der Bundesregierung be-
kannt?

10. Hält die Bundesregierung diese Vereinbarungen für ausreichend?

11. Treffen Berichte zu, dass bisher der sicheren Handhabung und Lagerung
radioaktiven Mülls der russischen Flotte nur untergeordnete Bedeutung
zugemessen wurde und dass von der russischen Regierung dafür nicht aus-
reichende technische Einrichtungen bereitgestellt worden sind?

12. Treffen Berichte zu, dass in Russland jährlich nuklearer Müll von
20 Atom-U-Booten anfällt, es jedoch nur Lagerkapazitäten für Abfall von
drei Atom-U-Booten gibt?

13. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, wie viele russische Atom-
U-Boote inzwischen außer Dienst gestellt worden sind und in welchem
Zustand sich diese Schiffe befinden?

14. Welche Gefahren gehen nach Kenntnis der Bundesregierung von diesen
außer Dienst gestellten russischen Atom-U-Booten aus?

15. Treffen veröffentlichte Informationen zu, dass in Sayda Bay die abge-
wrackten Atom-U-Boot-Rümpfe mit insgesamt zwölf Reaktoren an drei
Pieranlagen liegen und dass alle Pieranlagen sich in einem so schlechten
Zustand befinden, dass sie zu sinken drohen?

16. Hat die Bundesregierung dazu – auch in Zusammenarbeit mit anderen
europäischen Staaten wie z. B. Norwegen – Gespräche mit der russischen
Regierung geführt, um dringend Abhilfe zu schaffen?

17. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, dass verbrauchte Brenn-
elemente von russischen Atom-U-Booten teilweise in Containern unter
freiem Himmel stehen?

18. Wann und welche Initiativen hat die Bundesregierung bisher im Rahmen
der EU ergriffen, um Russland ein konkretes Angebot für Maßnahmen zur
Beseitigung des radioaktiven Mülls der russischen Marine zu machen?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine bei Thule im grön-
ländischen Eis verlorene Atombombe der USA und welche Gefahren
gehen von dieser verlorenen Atombombe aus?

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20. Hat Russland nach Erkenntnissen der Bundesregierung einen nicht unbe-
trächtlichen Teil von Nuklearmüll der Atom-U-Boote in der Zeit von 1959
bis 1991 im Meer versenkt und wenn ja, welche Gefahren gehen davon
aus?

21. Hat Russland nach Erkenntnissen der Bundesregierung tatsächlich zwölf
Atom-U-Boote und drei atombetriebene Eisbrecher vor der Küste von
Nowaja Semlja versenkt und welche Gefahren gehen nach Auffassung der
Bundesregierung davon aus?

22. Welche radioaktiven Verschmutzungsquellen im Meer durch die russische
Marine sind der Bundesregierung bekannt?

23. Hat die Bundesregierung eine Gesamtdarstellung darüber, wie viele Atom-
müll-Behälter durch Russland oder früher durch die Sowjetunion im Meer
versenkt worden sind?

24. Treffen Medienberichte zu, wonach im Hafen von Murmansk der aus den
60er Jahren stammende Eisbrecher „LEPSE“ liegt, der als Zwischenlager
für ca. 630 zum Teil beschädigte Brennelemente dient und im Umfeld der
„LEPSE“ erhöhte Strahlenwerte im Meerwasser festgestellt wurden?

25. Welche Gefahren gehen nach Erkenntnissen der Bundesregierung von dem
russischen Atom-U-Boot „KOMSOMOLETS“ aus, dass 1989 vor der nor-
wegischen Bäreninsel sank und seitdem in 1 700 Meter Tiefe liegt?

26. Trifft es zu, dass sich an Bord der „KOMSOMOLETS“ ein gerissener
Reaktor mit zehn Tonnen leicht- und 1,5 Tonnen hochangereichertem Uran
sowie zwei korrodierende Torpedo-Sprengköpfe mit jeweils 25 Kilogramm
Plutonium befinden?

27. Welche Gefahren gehen nach Auffassung der Bundesregierung durch den
russischen Atommüll im Meer auf die Fischereiwirtschaft aus?

28. Welche Maßnahmen und Unterstützungen hat die Bundesregierung bisher
Russland angeboten, um zu verhindern, dass die radioaktiven Abfälle der
russischen Marine zu einer Zeitbombe werden?

29. Mit welchen katastrophalen Konsequenzen für Menschen und Umwelt
muss gerechnet werden, wenn nicht umgehend Maßnahmen zur Beseiti-
gung des radioaktiven Mülls der russischen Marine ergriffen werden?

30. Teilt die Bundesregierung die Meinung der Umweltorganisation „Bellona“
in Oslo, dass die Umweltgefahren durch radioaktiven Müll und Atomabfall
der russischen Marine als „Tschernobyl in Zeitlupe“ eingestuft werden
müssen?

31. Welche Maßnahmen schlägt die Bundesregierung vor, damit es nicht zu
einem „Tschernobyl in Zeitlupe“ kommt?

32. Ist die Bundesregierung bereit, den ehemaligen russischen U-Boot-Kapitän
Alexander Nikitin, der die hohen Gefahren durch Atomabfall der russi-
schen Nordmeerflotte in einem Buch beschrieben hat und in einem Hoch-
verratsprozess freigesprochen wurde, nach Deutschland einzuladen, um
dessen Mut der Veröffentlichung zu unterstützen?

Berlin, den 12. Dezember 2000

Jürgen Koppelin
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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