BT-Drucksache 14/4800

Abschaffung der Todesstrafe in den USA

Vom 28. November 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4800
14. Wahlperiode 28. 11. 2000

Antrag
der Abgeordneten Rudolf Bindig, Heide Mattischeck, Rolf Stöckel, Wilhelm
Schmidt (Salzgitter), Dr. Margrit Spielmann, Dr. Peter Struck und der Fraktion
der SPD
sowie der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Abschaffung der Todesstrafe in den USA

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen Beschluss aus der letzten Legisla-
turperiode (Bundestagsdrucksache 13/9055), wonach die Todesstrafe das
grundlegendste Menschenrecht, nämlich das Recht auf Leben verletzt. Sie
ist eine durch nichts zu rechtfertigende Form grausamer, erniedrigender und
unmenschlicher Behandlung oder Strafe.

Im April dieses Jahres erst hat die 56. Menschenrechtskommission der Ver-
einten Nationen unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschen-
rechte und das dort verankerte Recht auf Leben, auf den Internationalen
Pakt über politische und bürgerliche Rechte, die ECOSOC-Resolution 1984/
50 sowie die UN-Kinderrechtskonvention an jene Staaten appelliert, die die
Todesstrafe immer noch anwenden, zumindest auf die Hinrichtung von Min-
derjährigen und psychisch Kranken zu verzichten. Der Deutsche Bundestag
begrüßt, dass diese Resolution mit absoluter Mehrheit verabschiedet worden
ist.

Der Deutsche Bundestag stellt einen weltweiten Trend zur Abschaffung der
Todesstrafe fest: Immer mehr Staaten unterzeichnen und ratifizieren die völ-
kerrechtlichen Verträge, die sich gegen die Todesstrafe richten. So sind 1999
sechs weitere Staaten dem 2. Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt
über politische und bürgerliche Rechte beigetreten. Die Zahl der Unterzeich-
nerstaaten hat sich somit auf 43 erhöht. Costa Rica und Ecuador haben ihrer-
seits das nunmehr für sieben Staaten gültige Protokoll zur amerikanischen
Menschenrechtskonvention unterzeichnet, das die Abschaffung der Todes-
strafe vorsieht. Dennoch wurden 1999 in weltweit 37 Ländern 1 625 Men-
schen hingerichtet. Im selben Zeitraum wurden in 78 Staaten 3 899 Todesur-
teile ausgesprochen.

Der Europarat bemüht sich aktiv und erfolgreich darum, seinen Mitgliedsbe-
reich zu einem „Kontinent ohne Todesstrafe“ zu machen; so konnte in allen
Mitgliedsländern entweder eine Abschaffung oder zumindest ein Morato-
rium zur Nichtvollstreckung von Todesurteilen erreicht werden.

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Die Europäische Union hat am 29. Juni 1998 Leitlinien gegenüber Drittstaa-
ten zur Todesstrafe beschlossen. Darin betonen die Mitgliedstaaten der EU
nachdrücklich, dass im politischen Dialog mit diesen Ländern ein entschei-
dendes Kriterium ist, inwiefern in einem Land Minderjährige oder psy-
chisch Kranke zum Tode verurteilt werden, ob Personen nach langer Haft-
zeit hingerichtet werden und ob die Haltung dieses Landes zur Todesstrafe
im Wandel begriffen ist. Diese Leitlinien stellen nach Ansicht des Deutschen
Bundestages einen wichtigen Fortschritt dar, da die EU nunmehr über eine
einheitliche Haltung in dieser Frage verfügt und auch eigenständig agieren
kann. Sie war jetzt auch in der Lage, selber den Resolutionsentwurf zur To-
desstrafe in der UN-Menschenrechtskommission einzubringen.

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Bundesregierung in den letzten
Jahren eine kohärente und nachdrückliche Haltung zur weltweiten Abschaf-
fung der Todesstrafe vertreten hat. Diese fand ihren jüngsten Ausdruck in
dem im Juni 2000 vorgelegten „5. Bericht der Bundesregierung über ihre
Menschenrechtspolitik in den Auswärtigen Beziehungen“ (Bundestags-
drucksache 14/3739). Der Deutsche Bundestag nimmt zur Kenntnis, dass die
Bundesregierung im bilateralen Kontakt mit denjenigen Staaten, welche die
Todesstrafe noch nicht abgeschafft haben, dieses Thema von sich aus regel-
mäßig auf die Tagesordnung des politischen Dialogs setzt.

Obwohl der transatlantische Wertekanon in vielen grundsätzlichen Fragen
deckungsgleich ist, gibt es bei der Todesstrafe einen erheblichen Dissens
zwischen Europa und den Vereinigten Staaten, der Ausdruck unterschiedli-
cher Rechtstraditionen ist. Deshalb ist die Bundesregierung gegenüber der
US-Administration in einer Vielzahl von anstehenden Hinrichtungen vor-
stellig geworden.

Die Entwicklung des Verhängens und des Vollziehens der Todesstrafe in den
Vereinigten Staaten von Amerika gibt Anlass zur Besorgnis. Seit dort im
Jahr 1976 die Todesstrafe wieder zugelassen worden ist, wurden 666 Men-
schen hingerichtet. Mit Beginn der 90er Jahre ist ein enormer Anstieg der
Hinrichtungen festzustellen: So wurden seit 1993 nicht weniger als 485 To-
desurteile vollstreckt. 1999 waren 98 Menschen betroffen. Bis Mitte No-
vember dieses Jahres ist bereits an 75 Personen ein Todesurteil vollstreckt
worden. Mehr als 3 600 Gefangenen droht in den USA die Hinrichtung.
Amnesty International ist kein anderes Land der Welt mit einer so hohen
Zahl von Todeskandidatinnen und -kandidaten bekannt. Allerdings ist die
Rechtslage in den USA nicht einheitlich: In immerhin zwölf von 50 Staaten
ist die Todesstrafe abgeschafft.

2. Ein wichtiges Argument gegen die Todesstrafe ist der Umstand, dass im Ge-
gensatz zu anderen Strafen eine Hinrichtung nicht korrigiert werden kann.
Fehlurteile können nie ganz ausgeschlossen werden. So mussten in den
USA seit 1973 über 84 Gefangene – zumeist Schwarze – aus den Todeszel-
len entlassen werden, weil sie zu Unrecht verurteilt worden waren. Im Juni
2000 veröffentlichte die New Yorker Columbia Universität eine groß ange-
legte, vom ehemaligen Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Senats Jo-
seph R. Biden angeregte Studie über fehlerhafte Todesurteile („A Broken
System: Error Rates in Capital Cases, 1973 bis 1995“). Darin wird belegt,
dass bei 68 % aller zwischen 1973 und 1995 verhängten Todesurteile das
erstinstanzliche Urteil als fehlerhaft aufgehoben werden musste. 7 % aller
zum Tode Verurteilten erwiesen sich unschuldig.

1999 wurden nicht weniger als acht Menschen als unschuldig entlassen. Ei-
nige standen unmittelbar vor ihrer Exekution, unter ihnen Anthony Porter.
16 Jahre befand er sich in der Todeszelle. 48 Stunden vor seiner Hinrichtung

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wurde diese ausgesetzt, da festgestellt worden war, dass Porter einen IQ von
lediglich 51 Punkten aufwies. Private Ermittlungen eines Detektivs und ei-
nes Teams der Northwestern University erbrachten schließlich das Geständ-
nis des tatsächlich Schuldigen.

Wie viele der letztlich Hingerichteten Opfer eines derart tödlichen Justizirr-
tums geworden sind, lässt sich nachträglich nicht feststellen. Sozial schwa-
che Angeklagte können sich in der Regel keine kompetente – und damit
teure – anwaltschaftliche Vertretung leisten. Die o. g. Studie der Columbia
Universität kommt zu dem Ergebnis, dass in 37 % aller Verfahren, in denen
ein Todesurteil verhängt worden war, die Verteidigung inkompetent,
schlecht bezahlt oder ohne Erfahrung in derartigen Capital trials war. Die
Todesstrafe war und ist somit in vielen Fällen auch die Fortführung einer so-
zialen Diskriminierung.

In diesem Zusammenhang sind auch die Ergebnisse einer im letzten Jahr
vorgelegten Studie von Amnesty International („Killing with Prejudice:
Race and the Death Penalty in the USA“) zu sehen. Demnach machen
Schwarze 42 % aller in den USA zum Tode verurteilten Gefangenen aus,
obwohl nur 12 % aller US-Amerikanerinnen und Amerikaner schwarzer
Hautfarbe sind. Schwarze werden zudem elfmal häufiger wegen eines Mor-
des an einer weißen Person verurteilt als Weiße wegen der Ermordung eines
Schwarzen. Ein diesbezüglich prominenter Fall ist Mumia Abu-Jamal. In ei-
nem Verfahren, an dessen einwandfreier juristischer Durchführung ernstzu-
nehmende Zweifel begründet sind, wurde der schwarze Journalist wegen der
Ermordung eines weißen Polizisten zum Tode verurteilt. Der Deutsche Bun-
destag hofft auf eine rasche Wiederaufnahme des Verfahrens.

In den USA wurden seit 1990 elf Menschen hingerichtet, die zum Tatzeit-
punkt minderjährig waren. Allein in diesem Jahr ist bereits in vier derartigen
Fällen die Todesstrafe vollstreckt worden. Aus Sicht des Deutschen Bundes-
tages stellt dies einen Bruch des Völkerrechts dar, gegen den die Bundesre-
publik Deutschland und andere EU-Staaten Einspruch erhoben haben. Die
letzten vier weltweit bekannt gewordenen Hinrichtungen jugendlicher Straf-
täter fanden in den USA statt. Nur noch Pakistan, Nigeria, Iran, Saudi-Ara-
bien und Jemen richten minderjährige Täter hin.

Internationale Menschenrechtsstandards untersagen die Anwendung der To-
desstrafe gegen Menschen mit geistigen Krankheiten. Resolutionen des UN-
Wirtschafts- und Sozialrates zufolge sollten Todesurteile gegen Personen,
die geistig zurückgeblieben sind oder deren geistiges Vermögen extrem ein-
geschränkt ist, weder verhängt noch vollzogen werden. Dagegen erklärte der
Oberste Gerichtshof der USA 1989 die Verhängung von Todesurteilen
gegen geistig zurückgebliebene Personen als verfassungskonform. Seither
sind – Erkenntnissen von Amnesty International zufolge – über 30 Personen
hingerichtet worden, die an psychischen Störungen litten.

So wurde beispielsweise unmittelbar vor seiner für den 24. August 2000 ge-
planten Exekution die Hinrichtung von Alexander Williams aufgeschoben.
Dieser war im US-Bundesstaat Georgia wegen der Ermordung eines 16-jäh-
rigen Mädchens zum Tode verurteilt worden. Dies geschah, obwohl Alexan-
der Williams zum Tatzeitpunkt erst 17 Jahre alt war und bereits damals an
paranoider Schizophrenie litt.

Nach einem Bericht von Amnesty International vom Juli 2000 befinden sich
zurzeit 80 ausländische Staatsangehörige in US-amerikanischen Todeszellen
(„United States: World Apart. Violations of the Right of Foreign Nationals
on Death Row“). Sechs besitzen die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitglied-
staates, drei einen deutschen Pass. Hierbei handelt es sich um die beiden

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Brüder Rudi und Michael Apelt, die in einer Todeszelle in Arizona sitzen,
sowie um Dieter Riechmann, der sich in einer Todeszelle im US-Bundes-
staat Florida befindet.

Amnesty International macht diesbezüglich auf zweierlei aufmerksam:

 Sämtlichen europäischen Todeskandidaten wurde – wie im Fall der An-
fang 1999 in Arizona hingerichteten deutschen Brüder Karl und Walter
LaGrand – das Recht auf Beratung durch das jeweilige Konsulat verwei-
gert. Hierdurch wurde in unzulässiger Weise in deren Verteidigungs-
rechte eingegriffen und das Wiener Übereinkommen über konsularische
Beziehungen (WÜK) verletzt. Deshalb hat die Bundesregierung im ver-
gangenen Jahr vor dem Internationalen Gerichtshof Klage erhoben.

 Alle zum Tode verurteilten Europäer befinden sich zudem seit über zehn
Jahren in der sog. Death Row. Der langjährige Aufenthalt in Todeszellen
wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits 1989
als unmenschlich und erniedrigend kritisiert (vgl. Soering v the United
Kingdom).

3. Der Deutsche Bundestag legt Wert auf die Feststellung, dass er sich nicht
nur im Hinblick auf die angesprochenen Einzelfälle, sondern gegen jede
Hinrichtung eines Menschen ausspricht.

4. Die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika nimmt für sich in An-
spruch, den Menschenrechten, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit
weltweit zum Durchbruch zu verhelfen. Aus diesem Grund kommt der Hal-
tung der USA zur Todesstrafe höchstes Gewicht zu, um die Ernsthaftigkeit,
Nachdrücklichkeit und Glaubwürdigkeit dieser Bemühungen zu unterstrei-
chen. Wenn der Deutsche Bundestag in dieser Sache an die US-Bundesre-
gierung bzw. die US-Bundesstaaten appelliert, dann ist dies keine Einmi-
schung in inneramerikanische Angelegenheiten. Es ist vielmehr Ausdruck
des Wunsches des Deutschen Bundestages, dass die USA sich ebenfalls für
die endgültige und weltweite Abschaffung der Todesstrafe einsetzen mögen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich im Rahmen der UNO für Resolutionen und andere völkerrechtliche In-
strumente einzusetzen, die sich für die Abschaffung der Todesstrafe welt-
weit – und damit auch in den USA – aussprechen;

2. das erfolgversprechende gemeinsame Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten im
Hinblick auf die weltweite Abschaffung der Todesstrafe weiterhin nach-
drücklich mitzugestalten;

3. sowohl von sich aus wie auch im Verbund mit anderen EU-Staaten verstärkt
Demarchen gegen drohende Hinrichtungen an die US-Administration zu
richten;

4. in ihren bilateralen Beziehungen zu den USA regelmäßig auf die europäi-
schen Bedenken hinsichtlich der Verhängung und des Vollzugs der Todes-
strafe in den USA hinzuweisen und gleichzeitig

5. die US-Administration zu ermuntern, im Rahmen eines Engagements für die
weltweite Durchsetzung völkerrechtlich verbindlicher Menschenrechtsstan-
dards

 auf die Todesstrafe zu verzichten oder zumindest
 die Straftatbestände für die Verhängung der Todesstrafe deutlich zu redu-

zieren;

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/4800

 ihren Vorbehalt gegen Artikel 6 des Internationalen Paktes über politi-
sche und bürgerliche Rechte zurückzunehmen, so dass Personen in den
USA, die zur Tatzeit keine 18 Jahre alt waren, nicht mehr hingerichtet
werden;

 entsprechend der ECOSOC-Resolution 1984/50 auch geistig kranke oder
zurückgebliebene Personen nicht mehr hinzurichten;

 ein Moratorium für die Vollstreckung von Todesurteilen zu verkünden
und/oder

 die Verhängung und Vollstreckung von Todesurteilen einer unabhängigen
Untersuchung zu unterziehen;

6. gegenüber der US-Regierung auf die Einhaltung völkerrechtlicher Ver-
pflichtungen im Hinblick auf konsularische Rechte ausländischer Angeklag-
ter zu bestehen, wie dies in der Resolution der 56. UN-Menschenrechtskom-
mission gefordert wird und im WÜK festgeschrieben ist.

Berlin, den 28. November 2000

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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