BT-Drucksache 14/4772

zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 -14/4000 Anlage, 14/4302, 14/4506, 14/4521, 14/4522, 14/4523- hier: Einzelplan 06 - Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern

Vom 27. November 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4772
14. Wahlperiode 27. 11. 2000

Änderungsantrag
der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001
– Drucksachen 14/4000 Anlage, 14/4302, 14/4506, 14/4521, 14/4522, 14/4523 –

hier: Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern

Der Bundestag wolle beschließen,

den folgenden Titel des Einzelplans 06 um 10 Mio. DM zu erhöhen:

06 35 Bundeszentrale für politische Bildung

Titel 532 02-156 Politische Bildungsarbeit

Nummer 10: „Für die Bekämpfung des Antisemitismus und anderer Vorurteile“.

Bisher eingestellter Betrag: 800 000 DM.

Berlin, den 27. November 2000

Petra Pau
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

Begründung

1998 widersprach der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in
Deutschland, Ignatz Bubis, entschieden der Auffassung, dass der Antisemitis-
mus in Deutschland abgenommen habe. Er wandte sich damit gegen die Ein-
schätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), wonach die stei-
gende Zahl antisemitischer Straftaten keine entsprechenden Einstellungen der
deutschen Bevölkerung widerspiegele. Bubis wies damals weiter darauf hin:
Früher hätten sich die Antisemiten „geniert“, sich zu ihrer Einstellung zu be-
kennen und offen aufzutreten. Mittlerweile erhalte er viele Briefe von Antise-
miten, die auch einen Absender enthielten. Auch die Anzahl der Hetzbriefe
habe sich erhöht (vgl. Junge Welt, 23. Februar 1998). In diesen Hetzbriefen
werde ihm u. a. eine „Einmischung in unsere deutsche Politik“ vorgeworfen
(FR, 6. März 1998). Wenige Tage später stellte Bubis auf einer Veranstaltung
fest, dass Antisemitismus „kein Tabu“ mehr sei. Nach seiner Einschätzung

Drucksache 14/4772 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
würden über 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland „latent oder manifest“
antisemitisch eingestellt sein (FR, 6. März 1998).
Diese Einschätzung von Ignatz Bubis wird heute auf erschreckende Weise durch
eine Studie des Potsdamer Jugendforschers Dietmar Sturzbecher und des Sozial-
wissenschaftlers Ronald Freytag belegt. Nach ihrer Erhebung sind 10 Prozent
der Jugendlichen in Brandenburg „eindeutig judenfeindlich“. In Nordrhein-
Westfalen seien lediglich 4 Prozent der Jugendlichen „krass antisemitisch“. In
Brandenburg könnten sich 76 Prozent der männlichen und 57 Prozent der weib-
lichen Befragten nicht vorstellen, mit einem Juden befreundet zu sein. In Nord-
rhein-Westfalen lehnten 28 Prozent der Jungen und 19 Prozent der Mädchen
eine Freundschaft mit Juden ab. Der Sozialwissenschaftler Ronald Freytag bi-
lanziert die Ergebnisse der Erhebung: „Antisemitismus ist in Brandenburg auf
dem Weg zur Mehrheitsmeinung“ (Berliner Zeitung, 8. September 2000).
Es sei daran erinnert: Eine EMNID-Umfrage von Anfang 1994 – im Auftrag
des Amerikanischen Jüdischen Commitees – kam zu folgenden Ergebnissen:
 22 Prozent der Deutschen wollen keinen jüdischen Nachbarn haben,
 44 Prozent der Westdeutschen und 19 Prozent der Ostdeutschen meinten,

dass „die Juden den Holocaust für ihre Zwecke ausnutzen“,
 30 Prozent der Westdeutschen und 20 Prozent der Ostdeutschen sind nach

dieser Umfrage „gegen einen Juden als möglichen deutschen Bundespräsi-
denten“.

Derartige Umfragen ermuntern heute Vertreter neofaschistischer Parteien zu
der Einschätzung, dass man mit antisemitischer Hetze seinen Aktionsradius
und seine Basis in der Bevölkerung verbreitern könne.
Auch in konservativen Kreisen werden antisemitische und den Holocaust leug-
nende Stimmen wieder in zunehmendem Maße vernehmbar. Das „Ostpreußen-
blatt“, die Zeitung der Landsmannschaft Ostpreußen, hatte bereits vor Jahren
das Buch „Streitpunkte“ von Ernst Nolte, in dem dieser sowohl die Ermordung
von sechs Millionen Jüdinnen und Juden als auch die Existenz der Gaskam-
mern in Auschwitz anzweifelt, positiv rezensiert. Der von Noltes Äußerungen
offenbar begeisterte Autor schrieb damals: „Den Atem verschlägt es einem,
wenn Nolte (. . .) auch die Frage nach ,sechs Millionen‘ und dem Vorhan-
densein von Gaskammern stellt, dass die Antwort nicht bereits vorgegeben ist“
(Ostpreußenblatt, 23. April 1994).
Die antisemitischen Straftaten bewegen sich in Deutschland weiter auf einem
hohen Niveau. Eine vom brandenburger Landes-Präventionsrat gegen Krimina-
lität und Extremismus geförderte Studie von Adolf Diamant kommt zu dem Er-
gebnis, dass von 1945 bis 1999 etwa 1000-mal jüdische Friedhöfe geschändet
wurden (Newsbote, 19. September 2000).
Es sei auch hier noch einmal der mahnende Verweis von Ignatz Bubis erwähnt.
Er hatte darauf hingewiesen, dass 1992 in Deutschland 80 jüdische Friedhöfe
geschändet worden seien; das waren so viele Verwüstungen wie insgesamt zwi-
schen 1926 und 1931 in der Weimarer Republik registriert wurden.
Vor diesem Hintergrund sollen die Mittel für Bildungsarbeit und Aufklärung
deutlich erhöht werden. In Zusammenarbeit mit jüdischen Organisationen und
Verbänden sollen Konzepte entwickelt werden wie antisemitischen Einstellun-
gen in der bundesdeutschen Gesellschaft gezielt entgegengetreten werden
kann. Der Deutsche Bundestag sollte die Anregung des Vorsitzenden des Zen-
tralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, aufgreifen, dass man den Ju-
gendlichen in Deutschland „mehr Kenntnisse der historischen Ereignisse und
der Leistungen von Juden für Wirtschaft und Kultur vermitteln“ müsse (dpa,
21. September 2000).

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