BT-Drucksache 14/4770

zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001 -14/4000 Anlage, 14/4302, 14/4506, 14/4521, 14/4522; 14/4523- hier: Einzelplan 06 - Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern

Vom 27. November 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

4770

14. Wahlperiode

27. 11. 2000

Änderungsantrag

der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

zu der zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 2001
– Drucksachen 14/4000 Anlage, 14/4302, 14/4506, 14/4521, 14/4522, 14/4523 –

hier: Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern

Der Bundestag wolle beschließen,

den folgenden Titel des Einzelplans 06 um 125 Mio. DM zu kürzen:

06 09 Bundesamt für Verfassungsschutz

541 01-049 „Zuschuss an das Bundesamt für Verfassungsschutz“.

Eingestellter Betrag: 253 021 000 DM.

Berlin, den 27. November 2000

Petra Pau
Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

Begründung

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat als Frühwarnsystem sowohl
bei der fremdenfeindlichen Gewaltwelle im Gefolge der Asyldebatte Anfang
der 90er Jahre versagt als auch bei der rechtsextremen Gewaltwelle in diesem
Jahr. Es hat keine Warnungen im Vorfeld dieser rechtsextrem und fremden-
feindlich motivierten Gewalttaten und Tötungsdelikte gegeben, die es ermög-
licht hätten, mit dieser Bedrohungssituation umzugehen.

Das BfV hat aber vor allem in der Aufklärungsarbeit über Entwicklungen im
bundesdeutschen Rechtsextremismus völlig versagt. Die Herausbildung bei-
spielsweise der „Neuen Rechten“ wurde vom BfV vollständig übersehen und
fast 20 Jahre lang als politische Strömung des Rechtsextremismus ignoriert.
Die Zeitungen, Denkfabriken und Organisationsstrukturen dieser Strömung
wurden nicht öffentlich dargestellt, damit fand auch keine Aufklärungsarbeit
über diese Variante des bundesdeutschen Neofaschismus statt. In den Verfas-
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sungsschutzberichten des Bundes tauchte die „Neue Rechte“ lange Jahre über-
haupt nicht auf, während sich in der wissenschaftlichen Literatur spätestens ab
1980 namhafte Politologen zum Thema Rechtsextremismus sehr ausführlich
mit dieser Strömung auseinandersetzten. Pädagogen, Sozialarbeiter, auch Jour-
nalisten und Politiker wurden vom BfV über die Entwicklung und Bedeutung
dieser „Neuen Rechten“ vom BfV im Unklaren gelassen. In einer Antwort der
Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der PDS von 1994
wurde auf die Frage, wann die Bundesregierung die „Neue Rechte“ als rechts-
extrem eingestuft und über sie aufgeklärt habe, auf den Verfassungsschutzbe-
richt des Bundes von 1971 verwiesen. In den VS-Berichten des Bundes tauchte
die Neue Rechte danach erst 1994 wieder auf. Unter der Überschrift „Annex“
wurde dort auf ganzen 10 Zeilen die Öffentlichkeit über diese Strömung „auf-
geklärt“. Ähnlich verhält es sich mit anderen Strömungen des Rechtsextremis-
mus. So wird z. B. über die „Konservative Revolution“, neuheidnische Strö-
mungen etc. bis heute nicht aufgeklärt.

In anderen Bereichen der Aufklärung ist die Arbeit des BfV noch katastropha-
ler. Die rechtsextreme Durchsetzung beispielsweise studentischer Verbindun-
gen, der Vertriebenenverbände, der Traditionsverbände wird entgegen allen
vorliegenden Tatsachen weiter bestritten. So wurden Hinweise über eine
rechtsextreme Beeinflussung beispielsweise der Vertriebenenzeitung „Schle-
sier“ lange Zeit bestritten. Erst nach mehreren Kleinen Anfragen wurden Hin-
weise auf eine rechtsextreme Ausrichtung der Zeitung eingeräumt. Bis heute
wird diese Zeitung im Verfassungsschutzbericht des Bundes dennoch nicht er-
wähnt, obwohl es sich um eine der wichtigsten Zeitungen aus dem Vertriebe-
nenmilieu handelt. Ähnlich wurde bei einer ganzen Reihe anderer wichtiger
Verbände verfahren. Bei der Beantwortung kleiner Anfragen zur „Jungen
Landsmannschaft Ostpreußen“, zur Zeitung der Traditionsverbände der Wehr-
macht „Verband deutscher Soldaten“ und „Ring deutscher Soldatenverbände“,
„Soldat im Volk“, lagen ebenfalls zuerst keine verfassungsschutzrelevanten
Kenntnisse vor. Bezüglich der Jugendorganisation der „Landsmannschaft Ost-
preußen“ mussten dann später doch Hinweise auf eine rechtsextreme Ausrich-
tung eingeräumt werden. Ebenfalls musste später zugegeben werden, dass die
Zeitung „Soldat im Volk“ für „Auschwitz-Leugner“ Reklame macht.

Das BfV hat sich bei der Aufklärung über die Einflussnahme des Rechtsextre-
mismus auf diese Verbände als Hindernis erwiesen.

Auch bei der Vorbereitung eines eventuellen Verbotes der NPD hat das BfV
versagt. Geht man nach den Veröffentlichungen des BfV, dann gibt es keine
Hinweise, die ein eventuelles Verbot rechtfertigen würden. Das BfV hat die
NPD mehr oder weniger als normale rechtsextreme Wahlpartei eingestuft und
dargestellt. Hinweise auf eine besondere Gefährlichkeit der NPD, die durch be-
sondere Strukturen ihre politischen Gegner ausschalten will, wie etwa durch
die „Anti-Antifa“, oder Hinweise auf einen besonders aggressiven Antisemitis-
mus und Rassismus, der darauf drängt, Reinrassigkeit gewaltsam durchzuset-
zen, wurden so gut wie nicht gegeben. Auch Hinweise darauf, dass die NPD
den Umsturz des bestehenden parlamentarischen Systems will, erfolgten nicht.
Auch über die besonders ausgeprägte Beteiligung von NPD-Mitgliedern bei
Straftaten hat das BfV keine Auskünfte erteilt. Die Bundesregierung teilte erst
kürzlich bei der Beantwortung einer Kleinen Anfrage dazu mit, dass ihr über
die Begehung rechtsextremer Straftaten durch Mitglieder der NPD keine ver-
fassungsschutzrelevanten Kenntnisse vorliegen.

In vielen anderen Fällen wird eine öffentliche und auch parlamentarische Auf-
klärung über rechtsextreme Gruppierungen mit einer angeblich notwendigen
Geheimhaltung bzw. der Gefahr der Aufdeckung der Arbeitsweise des BfV
hintertrieben.
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Aus den gravierenden Mängeln der Behörde ergibt sich, dass das BfV sich als
überflüssig erwiesen hat. Die Schließung dieser Behörde ist daraus logische
Konsequenz. Die für ihre Arbeit geplanten Geldmittel sollen stattdessen an die
Bundeszentrale für politische Bildung und an Hochschulen gegeben werden,
damit diese den Rechtsextremismus in seinen Entwicklungsprozessen ange-
messen erforschen und qualifizierte Gegenkonzepte entwickeln können.

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