BT-Drucksache 14/4754

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versammlungsgesetzes

Vom 27. November 2000


Deutscher Bundestag

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14. Wahlperiode

27. 11. 2000

Gesetzentwurf

des Abgeordneten Wolfgang Bosbach und der Fraktion der CDU/CSU

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versammlungsgesetzes

A. Problem

Beschämende Bilder, wie sie z. B. am 29. Januar 2000 um die Welt gingen, dür-
fen sich nicht wiederholen: Neo-Nazis marschieren mit schwarz-weiß-roten
Fahnen durch das Brandenburger Tor, um gegen das geplante Holocaust-Denk-
mal zu demonstrieren. Zwar können sich auch Extremisten grundsätzlich auf
das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen. Aber wir dürfen Neo-Nazis
und anderen Extremisten nicht auch noch öffentlichkeits- und medienwirksame
Kulissen für ihre Aufzüge liefern. Solche Aufzüge blamieren und diskreditieren
nicht nur die Hauptstadt Berlin sondern die Bundesrepublik Deutschland insge-
samt und schaden unserem Ansehen in der ganzen Welt. Wir dürfen sie nicht
länger zulassen. Demonstrationen, deren erkennbares Ziel es ist, unsere verfas-
sungsmäßigen Werte zu verhöhnen und zu verunglimpfen, und die das Ansehen
Deutschlands in der Welt nachdrücklich beschädigen, müssen unter erleichter-
ten Bedingungen verboten werden können.

B. Lösung

Nach geltender Rechtslage kann eine Versammlung grundsätzlich nur dann ver-
boten werden, wenn erkennbar die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei
Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Gefestigte Recht-
sprechung dazu ist, dass nur die vorhersehbare Begehung von Straftaten aus
dem Aufzug heraus, nicht aber schon die Äußerung verfassungsfeindlicher In-
halte eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung
darstellen und mithin Versammlungsverbote rechtfertigen können. Dabei kann
es nicht bleiben. Ein Versammlungsverbot muss bereits schon bei der Gefahr
einer nachhaltigen Beeinträchtigung erheblicher, insbesondere außenpolitischer
Belange der Bundesrepublik Deutschland möglich sein, wenn dadurch gleich-
zeitig Verfassungsgrundsätze im Sinne vom § 92 Abs. 2 StGB missachtet wer-
den.
Nach geltender Rechtslage bestehen befriedete Bezirke nur für die Parlamente
des Bundes und der Länder sowie für das Bundesverfassungsgericht. Künftig
muss sowohl dem Bund als auch den Ländern die Möglichkeit eingeräumt wer-
den, befriedete Bezirke auch für solche öffentlichen Einrichtungen und Örtlich-
keiten einzurichten, die von herausragender nationaler und historischer Bedeu-
tung sind, wie etwa das Brandenburger Tor, das Denkmal für die ermordeten
Juden Europas oder die Neue Wache in Berlin. Einen Präzedenzfall bieten die
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Olympischen Spiele 1972 in München; seinerzeit wurden die Landesregierun-
gen ermächtig, für die Dauer der Olympischen Spiele Bannkreise um Anlagen
und sonstige Örtlichkeiten festzulegen, die unmittelbar der Durchführung der
Olympischen Spiele dienten. Weitere Präzedenzfälle finden sich in den landes-
rechtlichen Regelungen zum Schutze gesetzlicher Feiertage. Im räumlichen
Wirkungskreis dieser „befriedeten Bezirke“ sind Demonstrationen grundsätz-
lich untersagt; allerdings können sie dann erlaubt werden, wenn sie mit der
Würde des Ortes vereinbar sind.
Im Zuge der Reform des Versammlungsrechtes sollen ferner – im Interesse
größerer Normenklarheit und damit vor allem auch im Interesse von mehr
Rechtssicherheit in der Verwaltungspraxis – die Anmeldepflicht bei Groß-
veranstaltungen präzisiert sowie die vom Bundesverfassungsgericht in der sog.
Brokdorf-Entscheidung von 1985 geforderte bzw. vorausgesetzte Koopera-
tionspflicht zwischen Veranstalter und Versammlungsbehörde näher ausgestal-
tet werden.

C. Alternativen

Keine

D. Kosten der öffentlichen Haushalte

Zusätzliche Haushaltsausgaben und zusätzlicher Vollzugsaufwand sind nicht
ersichtlich.

E. Sonstige Kosten

Keine
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Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versammlungsgesetzes

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Versammlungsgesetzes

Das Versammlungsgesetz in der Fassung der Bekannt-
machung vom 15. November 1978 (BGBl. I S. 1789), zu-
letzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 11. August
1999 (BGBl. I S. 1818), wird wie folgt geändert:
1. § 14 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 werden nach dem Wort „dies“ die Wörter
„bei Großveranstaltungen unverzüglich“ eingefügt,
nach dem Wort „spätestens“ wird das Wort „jedoch“
eingefügt.

b) In Absatz 2 wird folgender Satz angefügt:
„Die Anmeldung hat unter Angabe des Gegenstan-
des, Umfanges und des beabsichtigten Verlaufs der
Versammlung sowie der für die Durchführung der
Versammlung mitgeführten Sachen oder verwende-
ten technischen Hilfsmittel zu erfolgen.“

c) Neu angefügt wird folgender Absatz 3:
„(3) Der Veranstalter oder derjenige, der zur Teil-

nahme an einer Versammlung oder einem Aufzug
aufgerufen hat, hat im Interesse eines ordnungsgemä-
ßen und friedlichen Verlaufs der Versammlung an
einem von der zuständigen Behörde festgesetzten
Kooperationsgespräch mitzuwirken.“

d) Neu angefügt wird folgender Absatz 4:
„(4) Eilversammlungen sind spätestens mit der

öffentlichen Bekanntgabe durch den Veranstalter bei
der zuständigen Behörde anzuzeigen. Die Anzeige
soll die in Absatz 2 Satz 2 genannten Angaben ent-
halten.“

2. Nach § 14 wird folgender § 14a eingefügt:
„(14a)

Der Anmelder und Versammlungsleiter haben alles
Erforderliche zu unternehmen, um zu verhindern, dass
aus der angemeldeten Versammlung heraus Gewalttätig-
keiten von Personen begangen werden, die mit dem Ver-
sammlungsanliegen sympathisieren. Hierzu können ins-
besondere Aufrufe zur Gewaltfreiheit und Distanzierun-
gen gegenüber gewaltbereiten Anhängern im Vorfeld der
Versammlung sowie die Sicherstellung der Gewaltfrei-
heit durch Ordner der Versammlung gehören.“

3. § 15 wird wie folgt geändert:
a) In Absatz 1 wird das Wort „Auflagen“ ersetzt durch

das Wort „Beschränkungen“.

Angefügt wird folgender Satz: „Bei der Gefahren-
prognose nach Satz 1 ist zu berücksichtigen, ob der
Anmelder im Vorfeld der Versammlung seiner Pflicht
nach § 14a nachgekommen ist.“

b) Neu eingefügt wird folgender Absatz 2:
„(2) Eine unmittelbare Gefährdung für die öffentli-

che Sicherheit oder Ordnung liegt auch vor, wenn er-
hebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland,
insbesondere außenpolitische Interessen oder völker-
rechtliche Verpflichtungen beeinträchtigt werden und
dadurch einer der Verfassungsgrundsätze der Bun-
desrepublik Deutschland im Sinne des § 92 Abs. 2
StGB missachtet wird. Dies ist regelmäßig anzuneh-
men, wenn die Versammlung oder der Aufzug Ge-
waltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politi-
scher, religiöser oder sonstiger Belange öffentlich un-
terstützt oder befürwortet oder hervorzurufen be-
zweckt oder geeignet ist.“

c) Neu eingefügt wird folgender Absatz 3:
„(3) Die Versammlung oder der Aufzug ist zu ver-

bieten, wenn bestimmte Beschränkungen nicht aus-
reichen, um die unmittelbare Gefährdung für die
öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu beseitigen.
Beschränkungen können sich insbesondere auf die
Umstände beziehen, zu denen nach § 14 Abs. 2
Satz 2 Angaben zu machen sind.“

d) Der bisherige Absatz 2 wird Absatz 4; an Stelle des
einleitenden „Sie“ treten die Worte „Die zuständige
Behörde“; an Stelle des Wortes „Auflagen“ treten die
Worte „verfügten Beschränkungen“.

e) Der bisherige Absatz 3 wird Absatz 5.
4. § 16 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 tritt an Stelle des Wortes „Bannkreises“
das Wort „Bezirkes“; hinter das Wort „Bundesverfas-
sungsgerichtes“ wird eingefügt „sowie in anderen
nach Absatz 3 bestimmten befriedeten Bezirken“.

b) In Absatz 2 werden die Worte „Bannkreise“ ersetzt
durch die Worte „Bezirke“.

c) Neu eingefügt wird folgender Absatz 3:
„(3) Der Bund und die Länder können für ihre öf-

fentlichen Einrichtungen oder Örtlichkeiten, die von
herausragender nationaler und historischer Bedeu-
tung sind, durch Gesetz befriedete Bezirke bestim-
men.“

d) Der bisherige Absatz 3 wird Absatz 4; er wird wie
folgt neu gefasst:
„(4) Das Weitere regeln die Gesetze über befrie-

dete Bezirke des Bundes und der Länder.“
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Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 27. November 2000

Wolfgang Bosbach
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion
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Begründung

A. Notwendigkeit der Regelung

Aufzüge von Extremisten können mit dem bestehenden ver-
sammlungsrechtlichen Instrumentarium nicht hinreichend
verhindert werden. Beschämende Bilder gingen z. B. am
29. Januar 2000 um die Welt. Neo-Nazis marschierten mit
schwarz-weiß-roten Fahnen durch das Brandenburger Tor,
um gegen das geplante Holocaust-Denkmal zu demonstrie-
ren. Auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Versammlungsge-
setz war es nicht möglich, diesen Aufzug zu unterbinden.
Nach § 15 Versammlungsgesetz kann eine Versammlung
grundsätzlich nur verboten werden, wenn erkennbar die öf-
fentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der
Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Nach verfestigter
Rechtsprechung stellt die Äußerung verfassungsfeindlicher
Inhalte noch keine unmittelbare Gefährdung der öffentli-
chen Sicherheit oder Ordnung dar; behördliche Verbote ent-
sprechender Aufzüge wurden durch die Gerichte aufgeho-
ben. Nach der Rechtsprechung sind Versammlungsverbote
erst bei vorhersehbarer Begehung von Straftaten aus dem
Aufzug heraus gerechtfertigt. Dabei kann es jedoch nicht
bleiben. Ein Versammlungsverbot muss bereits schon bei
der Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung erheblicher,
insbesondere außenpolitischer Belange der Bundesrepublik
Deutschland möglich sein, jedenfalls dann, wenn gleichzei-
tig Verfassungsgrundsätze im Sinne von § 92 Abs. 2 StGB
missachtet werden.
Neben dieser Präzisierung der Verbotsvorschrift des § 15
Versammlungsgesetz bedarf die Regelung des § 16 Ver-
sammlungsgesetz über die „befriedeten Bezirke“ einer Er-
gänzung. Nach jetzigem Rechtszustand bestehen befriedete
Bezirke nur für die gesetzgebenden Körperschaften des
Bundes und der Länder sowie für das Bundesverfassungs-
gericht in Karlsruhe. Künftig soll sowohl dem Bund als
auch den Ländern durch eine entsprechende Öffnungs-
klausel im Versammlungsgesetz die Möglichkeit eingeräumt
werden, befriedete Bezirke auch für solche öffentlichen
Einrichtungen und Örtlichkeiten einzurichten, die von her-
ausragender nationaler und historischer Bedeutung sind.
Einen – allerdings befristeten – Präzedenzfall haben die
Olympischen Spiele 1972 in München geboten. Im räumli-
chen Wirkungskreis dieser – sei es durch den Bund, sei es
durch die Länder – benannten „befriedeten Bezirke“ sind
Demonstrationen grundsätzlich verboten; dieses Verbot gilt
allerdings nicht absolut, Demonstrationen können dann er-
laubt werden, wenn sie mit der Würde des Ortes vereinbar
sind.

B. Zu den einzelnen Bestimmungen

Zu Nummer 1

(§ 14)
Für so genannte Großveranstaltungen wird eine Pflicht zur
unverzüglichen Anmeldung festgelegt. Behördliche (Vor-
sorge-)Vorkehrungen sollen damit erleichtert werden; die
Versammlungsbehörde soll nicht bis zur gleichsam „letzten
Minute“ hingehalten werden können. Im Ergebnis entspricht

die Pflicht zur unverzüglichen Anmeldung einer Großveran-
staltung einer gängigen Verwaltungspraxis; sie entspringt
letztlich der in der Brokdorf-Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichtes aus dem Jahr 1985 (BVerfGE 69, 315) ent-
wickelten Pflicht zur „vertrauensvollen Kooperation“ zwi-
schen Veranstalter und Versammlungsbehörde.
Die Legaldefinition der „Bekanntgabe“ soll die Berechnung
der Frist für die Anmeldung erleichtern.
Auch die Ergänzung von Absatz 2 greift eine gängige Ver-
waltungspraxis auf. Die inhaltliche Bestimmung dessen,
was die Anmeldung umfassen soll, soll die Behörde in die
Lage versetzen, für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Ver-
sammlung zu sorgen.
Auch der neu eingefügte Absatz 3 will keine neue Rechts-
lage schaffen, sondern nur eine gängige Verwaltungspraxis
festschreiben. Auch diese Bestimmung ist Ausfluss der in
der Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerich-
tes entwickelten Verpflichtung des Versammlungsveranstal-
ters zur vertrauensvollen Kooperation mit der Versamm-
lungsbehörde.
Der neu eingefügte Absatz 4 trifft eine Sonderreglung für so
genannte Eilversammlungen, bei denen die Regel-Anmel-
depflicht von 48 Stunden zur Verschiebung der Veranstal-
tung führen würde.

Zu Nummer 2

(§ 14a neu)
Der neue § 14a begründet für den Anmelder und Versamm-
lungsleiter die rechtliche Pflicht, alles Erforderliche zu un-
ternehmen, um zu unterbinden, dass der eigene Anhang Ge-
walttaten verübt. Was in diesem Zusammenhang im Einzel-
nen erforderlich ist, kann sich nur nach den Umständen des
Einzelfalles bestimmen. Beispielhaft genannt werden Auf-
rufe zur Gewaltfreiheit und Distanzierung gegenüber ge-
waltbereiten Anhängern im Vorfeld der Versammlung. Vor
allem ist es auch Sache des Anmelders und Versammlungs-
leiters, durch Ordner die Gewaltfreiheit der Versammlung
sicherzustellen.

Zu Nummer 3

(§ 15)
Die Ergänzung von Absatz 1 ist eine Folgebestimmung zum
neuen § 14a. Die Nichterfüllung der Pflicht aus § 14a soll
nicht sanktionslos bleiben. Wird die Pflicht aus § 14a nicht
oder nicht hinreichend erfüllt, sinkt die Eingriffsschwelle
für das Verbot der Versammlung.
Mit dem neuen Absatz 2 soll der in Absatz 1 verwendete
Begriff einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder
Ordnung konkretisiert werden. Anlass für diese Konkretisie-
rung ist eine Rechtsprechung, die eine unmittelbare Gefähr-
dung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht schon
dann annimmt, wenn erkennbar aus einem Aufzug heraus
verfassungsfeindliche Inhalte geäußert werden sollen, son-
dern erst dann, wenn vorhersehbar ist, dass aus dem Aufzug
heraus Straftaten begangen werden. Der neue Absatz 2 will
klarstellen, dass auch schon ohne Überschreiten der Straf-
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barkeitsgrenze die öffentliche Sicherheit oder Ordnung in
einer Weise verletzt werden können, dass ein Versamm-
lungsverbot auch vor dem Hintergrund des hohen Ver-
fassungsrangs der Versammlungsfreiheit gerechtfertigt er-
scheint.
Klargestellt wird, dass auch außenpolitische und innerstaat-
liche Belange Bestandteile des Schutzgutes der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung sind. Die Gesetzesergänzung
nimmt insoweit Bezug auf polizeiliche Spezialermächtigun-
gen mit entsprechenden Konkretisierungen dieses Schutz-
gutes; z. B. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Passgesetz, § 14 Abs. 1 Ver-
einsgesetz, § 37 Ausländergesetz.
Erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland müs-
sen beeinträchtigt werden, ein bloßes „Berühren“ dieses
Rechtsguts reicht nicht aus.
Aber auch die Beeinträchtigung allein rechtfertigt noch
nicht ein Versammlungsverbot; hinzutreten muss, dass
durch die Beeinträchtigung der erheblichen Belange einer
der Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutsch-
land, wie sie in der strafrechtlichen Bestimmung des § 92
Abs. 2 StGB niedergelegt sind, missachtet wird. Der Sache
nach geht es darum, dass die Versammlungsfreiheit nicht
zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Verfas-
sungsordnung missbraucht wird.
§ 92 Abs. 2 StGB führt als Verfassungsgrundsätze auf:
– das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und

Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetz-
gebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtspre-
chung auszuüben und die Volksvertretung in allgemei-
ner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu
wählen,

– die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmä-
ßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Ge-
walt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,

– das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentari-
schen Opposition,

– die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlich-
keit gegenüber der Volksvertretung,

– die Unabhängigkeit der Gerichte und
– der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft.
Mit dieser unmittelbaren Bezugnahme auf § 92 Abs. 2 StGB
wird der überragenden Bedeutung des Grundrechts der Ver-
sammlungsfreiheit für Bestand und Funktionieren der De-
mokratie Rechnung getragen. Eine Beeinträchtigung von er-
heblichen Belangen der Bundesrepublik Deutschland kann

erst dann ein Versammlungsverbot rechtfertigen, wenn in
dieser Beeinträchtigung zugleich ein nicht unerheblicher
Angriff auf die Struktur der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung liegt bzw. deren Überwindung angestrebt
wird.
Der neu eingefügte Absatz 3 ist eine einfach rechtliche Kon-
kretisierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Das
Versammlungsverbot kann angesichts des hohen Rangs der
grundrechtlichen Versammlungsfreiheit nur als ultima ratio
in Betracht kommen.

Zu Nummer 4

(§ 16)
Das derzeitige Recht kennt befriedete Bezirke nur für die
Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Länder sowie für
das Bundesverfassungsgericht. Mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf soll die Möglichkeit der Ausweisung befriede-
ter Bezirke erweitert werden. Befriedete Bezirke sollen
auch für solche öffentlichen Einrichtungen und Örtlichkei-
ten festgelegt werden können, die von herausragender natio-
naler und historischer Bedeutung sind. Diese Örtlichkeiten
und Einrichtungen werden im Versammlungsgesetz selbst
nicht festgelegt; gewählt wird vielmehr der rechtstechnische
Weg einer Öffnungsklausel. Es bedarf also noch einer ent-
sprechenden Ausführungsgesetzgebung des Bundes bzw.
der Länder.
Angesichts der hohen Bedeutung des Grundrechts der Ver-
sammlungsfreiheit kann es nur darum gehen, ganz wenige
und ganz bedeutsame Einrichtungen und Örtlichkeiten unter
den Schutz eines befriedeten Bezirks zu stellen. Die ent-
sprechenden Einrichtungen oder Örtlichkeiten müssen von
einer Bedeutung sein, die der Bedeutung der Gesetzge-
bungsorgane des Bundes und der Länder sowie der Bedeu-
tung des Bundesverfassungsgerichts vergleichbar ist.
Die Einzelheiten ergeben sich in der Ausführungsgesetzge-
bung. Aus dem hohen Rang der Versammlungsfreiheit folgt
auch, dass in befriedeten Bezirken Demonstrationen nicht
absolut verboten sind; sie müssen vielmehr erlaubt sein,
wenn sie mit der Würde des entsprechenden Ortes vereinbar
sind.
Einen Präzedenzfall liefert das 1972 erlassene „Gesetz zum
Schutz des olympischen Friedens“, das Landesregierungen
ermächtigte, für die Dauer der Olympischen Spiele 1972
Bannkreise um Anlagen und sonstige Örtlichkeiten festzule-
gen, die unmittelbar der Durchführung der Olympischen
Spiele dienten. Weitere Präzedenzfälle finden sich in landes-
rechtlichen Regelungen zum Schutze gesetzlicher Feiertage.

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