BT-Drucksache 14/4734

Forderungen für den EU-Beitritt der Türkei - Politische Rechte für Kurden und Kurdinnen

Vom 24. November 2000


Deutscher Bundestag

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14. Wahlperiode

24. 11. 2000

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Forderungen für den EU-Beitritt der Türkei – Politische Rechte für Kurden
und Kurdinnen

EU-Kommissar Günter Verheugen hat am 8. November 2000 den „Fortschritts-
bericht“ zur Türkei vorgelegt. Dieser Bericht wurde von Friedensinitiativen und
kurdischen Organisationen heftig kritisiert, weil er auf die politischen Forde-
rungen der kurdischen Bevölkerung in der Türkei und in Kurdistan nicht ein-
geht. Die politische Lösung der kurdischen Frage wird nicht als Kriterium für
die EU-Aufnahme der Türkei formuliert.

Der Bericht falle hinter den Stellungnahmen der EU-Gremien, die in den letz-
ten Jahren zur Bewertung der politischen Lage in der Türkei veröffentlicht wur-
den, zurück.

Vorrangig sei bei diesem Bericht, dass die EU politische Rücksichten auf die
Türkei genommen habe und von den ursprünglichen Bedingungen zurückgewi-
chen sei (vgl. die Pressemitteilung des Dialogkreises vom 9. November 2000).

Kurdische Organisationen und Friedensinitiativen haben bereits im Vorfeld der
Veröffentlichung des Berichts der EU-Kommission darauf hingewiesen, dass die
politischen Forderungen der kurdischen Bevölkerung nicht vernachlässigt werden
dürfe (vgl. Deklaration kurdischer Intellektueller in Europa vom 8. November
2000 und die Pressemitteilung des Kurdistan Informationszentrums vom 31. Ok-
tober 2000) Die Türkei müsse vor ihrer Aufnahme in die EU neben notwendigen
Maßnahmen zur Einhaltung der Menschen- und Minderheitenrechte nach interna-
tionalen Standards folgende – im Bericht der EU nicht genannten – konkreten
Mindestbedingungen zur politischen Lösung der Kurdenfrage erfüllen:





Rückkehrmöglichkeit der kurdischen Flüchtlinge in ihre zerstörten Dörfer
und materielle Entschädigung für die durch Militäreinsätze erlittene Schä-
den.





Gesetzliche Anerkennung der kurdischen Bevölkerungsgruppe, Respektie-
rung ihrer kulturellen, politischen und sozialen Rechte.





Die in den letzten Jahren verhängten Verbote kurdischer Organisationen und
Parteien und das generelle Verbot von Parteien, die für die kurdische Bevöl-
kerung eintreten, im türkischen Parteiengesetz müssen aufgehoben werden.
Das Recht auf politische Organisierung von Kurdinnen und Kurden muss
garantiert werden.
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Die seit dem Lausanner Abkommen von 1923 ins Türkische umbenannten
Orts- und Landschaftsnamen in kurdischen Gebieten müssen zurückgenom-
men werden, kurdische Namen dafür wieder zugelassen werden.





In den kurdischen Gebieten müssen wirtschaftliche Entwicklungsprojekte
und -investitionen stattfinden, die zahllosen Minen geräumt werden, der
Grenzhandel darf nicht behindert werden.





Die kurdischen kommunalen Selbstverwaltungen müssen wirtschaftlich und
politisch gestärkt werden. Die Schulden der Gemeinden, die Folge der
Kämpfe und des Kriegszustandes sind, müssen erlassen werden. Diese Ge-
meinden müssen bevorzugt aus Sonderfonds unterstützt werden.





Aufhebung des Dorfschützersystems.





Freilassung der DEP-Abgeordneten und Aufhebung des politischen Betäti-
gungsverbots für kurdische Politiker.





Abschaffung des Nationalen Sicherheitsrats.





Abschaffung aller Sondergesetze, die in den kurdischen Siedlungsgebieten
bestehen, und des Ausnahmezustands in der gesamten Region.





Auflösung der Staatssicherheitsgerichte.





Verfassungsreform, Abschaffung aller Gesetze und Verordnungen, die ele-
mentare politische und kulturelle Grundrechte der kurdischen Bevölkerung
einschränken bzw. verbieten.





Generalamnestie für alle politischen Gefangenen.





Zur freien Diskussion über eine Lösung der Kurdenfrage müssen die gesetz-
lichen Regelungen, die die Presse-, Meinungs- und Organisationsfreiheit
einschränken, reformiert werden.

Diese Forderungen sind in zahlreichen Erklärungen von der kurdischen Seite
erhoben worden; sie sind auch in Europa von Menschenrechts- und Friedens-
gruppen vielfach unterstützt worden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass der von EU-Kommissar Günter
Verheugen vorgelegte Bericht hinsichtlich der Thematisierung und der For-
derung nach einer Lösung der Kurdenfrage hinter den Bericht der früheren
Kommission zurückfällt und die kurdische Frage und die politischen Forde-
rungen der kurdischen Bevölkerung nach politischen Rechten nicht explizit
benannt werden?

Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diesen Vorgang?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die o. g. Forderungen der kurdischen
Seite zur Lösung der Kurdenfrage an die Türkei (bitte zu den Forderungen
im Einzelnen Stellung nehmen)?

3. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass die Erfüllung der o. g. Min-
destanforderungen Voraussetzung für die Aufnahme der Türkei in die EU
sein soll?

Wenn nein, warum nicht?
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4. Welche Schritte beabsichtigt die Bundesregierung zur Einhaltung dieser
Forderungen durch die Türkei einzuleiten?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderungen des Europäischen Par-
lamentes in seiner Entschließung vom 3. Dezember 1999 zur Einberufung
einer Konferenz zur kurdischen Frage?

6. Ist die Bundesregierung willens, Initiativen zur Durchführung einer Konfe-
renz zur Lösung der Kurdenfrage zu ergreifen?

Wenn ja, wann und in welcher Form soll eine derartige Initiative stattfinden?

Wenn nein, warum nicht?

7. Ist die Bundesregierung gewillt, die am 27. und 28. November 1998 von
Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinem damaligen italienischen Kolle-
gen Massimo D Alema sowie den Außenministern Joseph Fischer und Lam-
berto Dini vorgeschlagene „Europäische Initiative zur Lösung der Kurden-
frage“ umzusetzen?

Wenn ja, wann?

Wenn nein, warum nicht?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Entschließung des Europäischen Par-
lamentes unter Punkt 25 vom 12. Juni 1992, nach der die Mitgliedstaaten
aufgefordert werden, der kurdischen Bevölkerung in den EU-Staaten kultu-
relle Rechte zu gewähren, ihre Sprache und Radio- und Fernsehsendungen
in der kurdischen Sprache zu fördern?

9. Inwieweit wurden und werden nach Kenntnis der Bundesregierung Vor-
schläge von Vertretern der kurdischen Bevölkerung und der Friedens- und
Menschenrechtsinitiativen zur Lösung der kurdischen Frage durch die EU
bei den Verhandlungen mit der Türkei und der Fertigstellung des o. g. „Fort-
schrittsberichts“ eingeholt bzw. inwieweit und in welcher Form werden
diese künftig in die Diskussionen eingebunden?

Berlin, den 24. November 2000

Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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