BT-Drucksache 14/4643

Die deutschen Grenzregionen auf die EU-Erweiterung durch einen Grenzgürtel-Aktionsplan vorbereiten

Vom 14. November 2000


Deutscher Bundestag

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14. Wahlperiode

14. 11. 2000

Antrag

der Abgeordneten Klaus Hofbauer, Peter Hintze, Peter Altmaier, Dr. Ralf
Brauksiepe, Albert Deß, Maria Eichhorn, Georg Girisch, Dr. Reinhard Göhner,
Dr. Wolfgang Götzer, Horst Günther (Duisburg), Ursula Heinen, Ernst Hinsken,
Bartholomäus Kalb, Rudolf Kraus, Dr. Martina Krogmann, Dr. Gerd Müller,
Dr. Friedbert Pflüger, Hans-Peter Repnik, Hannelore Rönsch (Wiesbaden),
Dr. Klaus Rose, Max Straubinger, Matthäus Strebl, Michael Stübgen, Arnold Vaatz,
Annette Widmann-Mauz, Benno Zierer und der Fraktion der CDU/CSU

Die deutschen Grenzregionen auf die EU-Erweiterung durch einen Grenzgürtel-
Aktionsplan vorbereiten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die bevorstehende Osterweiterung ist die wichtigste und zugleich schwie-
rigste Aufgabe der Europäischen Union (EU). Nach dem Zusammenbruch
des Kommunismus haben wir die historische Chance, erstmals die unnatür-
liche Spaltung unseres Kontinents zu überwinden. Durch die Erweiterung
der EU lassen sich Rechtsstaat, Demokratie und soziale Marktwirtschaft
auch in Mittel- und Osteuropa dauerhaft verankern. Es liegt im gesamteuro-
päischen Interesse, das Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West wesent-
lich zu verringern. Die großen politischen und wirtschaftlichen Vorteile der
Erweiterung für Europa überwiegen deutlich die Risiken. Dieses gilt auch
für die Grenzregionen.

2. Die Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Grenzregionen an den
bisherigen Außengrenzen der EU haben sich in den letzten Jahren erheblich
verändert: Einerseits wird die Angleichung von Infrastruktur und Lebens-
verhältnissen der ehemaligen DDR an das europäische Niveau auch in den
nächsten fünf Jahren noch nicht erreicht. Andererseits sorgen die immer
stärker wirkenden Globalisierungstendenzen, das Fortschreiten der EU-In-
tegration und die bevorstehende EU-Osterweiterung nicht nur für positive
Entwicklungen, sondern auch für zunehmenden Anpassungsdruck und ver-
schärften Wettbewerb. Vor allem in strukturschwachen Regionen muss die
Politik nachdrücklich darauf hinwirken, dass die Chancen die Risiken über-
steigen.

3. Die Politik der Bundesregierung ist in Bezug auf die innerstaatlichen Folgen
der in den nächsten Jahren zu erwartenden EU-Osterweiterung von fehlen-
dem Engagement und Konzeptionslosigkeit geprägt. Die Grenzregionen
sind von der Osterweiterung naturgemäß besonders betroffen. Manche Pro-
bleme, aber auch viele der Vorteile treten dort früher oder stärker ein als in
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der übrigen EU. Dabei ist festzustellen, dass die bevorstehende Erweiterung
für die heute auftretenden Probleme nicht ursächlich ist, sondern sie durch
Angleichung der Wettbewerbsbedingungen zur Lösung der Probleme beitra-
gen wird. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Öffnung der Grenzen
stehen die Grenzregionen vor großen Herausforderungen. Die Menschen
wurden nach überdurchschnittlicher Zurückgezogenheit mit überdurch-
schnittlich starken Veränderungen, zunehmendem Anpassungsdruck und
stärkerem Wettbewerb konfrontiert. Sie sind auf die Erweiterung unzurei-
chend vorbereitet.

Die Europäische Kommission, insbesondere EU-Kommissar Günter
Verheugen, sieht diesen Mangel auch. Sie hat einen Aktionsplan vorgeschla-
gen, um die Grenzregionen gezielt auf die Herausforderungen vorzuberei-
ten, die nach der EU-Erweiterung zu erwarten sind. Notwendig sind in den
Grenzregionen vor allem Hilfen für die grenzüberschreitende Kooperation,
für die Beratung von kleinen und mittleren Unternehmen, für die Verkehrs-
infrastruktur, zur Sprachenförderung, im Bereich der Kultur und Kunst, im
Sport sowie im persönlichen und beruflichen Bereich. Die kommunale Zu-
sammenarbeit muss auch in Zukunft Motor und die Grundlage für die wei-
tere Entwicklung der deutsch-polnischen und der deutsch-tschechischen Be-
ziehungen sein. Die gute Nachbarschaft und die gute Zusammenarbeit zum
Wohl der Menschen müssen auf allen Ebenen verstärkt werden.

4. Besonderer Handlungsbedarf besteht bei der Verbesserung von Infrastruk-
turmaßnahmen. Weder das Investitionsprogramm der Bundesregierung für
den Straßenbau noch das Anti-Stau-Programm haben in Bezug auf die Stra-
ßenverkehrsinfrastruktur ein effizientes Konzept zur Verbesserung der Ver-
kehrsverhältnisse bzw. einen akzeptablen Zeitplan zur Fertigstellung der
fehlenden Verbindungen mit sich gebracht. Dabei ist seit langem klar, dass
seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs, insbesondere zwischen Deutsch-
land und der damaligen Tschechoslowakei sowie Polen, der Verkehr in den
Grenzgebieten um mehrere hundert Prozent, teilweise sogar über 1 000 Pro-
zent zugenommen hat.

Im Bereich der Schiene ist zu befürchten, dass wichtige überregionale Ver-
kehrsanbindungen von der Deutschen Bahn AG rigoros reduziert bzw. ge-
strichen werden. Die Bundesregierung kommt ihrer Verpflichtung gemäß
Artikel 87e GG, das Wohl der Allgemeinheit in Bezug auf die überregio-
nalen Schienenverkehrsangebote sicherzustellen, nicht mehr in genügender
Weise nach. Initiativen der Bundesregierung, um den zunehmenden Stra-
ßengüterverkehr in der Grenzregion auf die Schiene umzulenken, fehlen
ganz.

5. Für den Ausgleich regionaler Unterschiede bei Einkommen und Beschäfti-
gung, Verkehr, Städtebau, Mittelstands- und Innovationsförderung verfügen
Bund und Länder über ein sehr wirksames Instrument: die Gemeinschafts-
aufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GA). Wesentliche
Erfolge der Strukturpolitik sind mit diesem Instrument in den vergangenen
Jahren erreicht worden.

Die Ergebnisse der Strukturpolitik der letzten Jahre zeigen, dass komplexe
Regionalprobleme von einer Ebene allein – national oder europäisch – nicht
gelöst werden können. Eine enge Abstimmung und Verzahnung zwischen
der nationalen und EU-Entscheidungsebene wäre notwendig, um die Wirk-
samkeit der jeweiligen Instrumente zu stärken. Diese Verzahnung ist beson-
ders deshalb dringlich, weil einerseits der regionalpolitische Handlungsbe-
darf steigt, während andererseits die Handlungsmöglichkeiten durch Mittel-
kürzungen und andere Friktionen abnehmen.
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II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,

1. parallel zu den laufenden EU-Beitrittsverhandlungen einen Grenzgürtel-Ak-
tionsplan aufzustellen, der Maßnahmen vorsieht, um den Anpassungsbedarf
im Zusammenhang mit dem Beitritt abzufedern und die Grenzregionen
durch ein Maßnahmenpaket aktiv auf den Beitritt vorzubereiten. Diese Maß-
nahmen müssen sowohl wirtschafts-, arbeitsmarkt- und strukturpolitische
als auch soziokulturelle Aspekte umfassen;

2. in Brüssel die Verabschiedung eines EU-Förderprogramms für die deut-
schen Grenzregionen entlang der bisherigen Außengrenzen der EU zu errei-
chen nach dem Vorbild des EU-Sonderprogramms für Italien und Frankreich
im Rahmen des Integrierten Mittelmeerprogramms (IMP) aus Anlass des
Beitritts süd- und südosteuropäischer Länder zur EU;

3. für eine konsequente und vor allem zeitgerechte Umsetzung der Leitlinien
für die Transeuropäischen Netze (TEN) zu sorgen und die überregionalen
Straßen- und Schienenverbindungen in den Regionen an den bisherigen
Außengrenzen der EU (Verkehrsprojekte EU-Osterweiterung) den Verkehrs-
projekten Deutsche Einheit gleichzustellen. Besondere Bedeutung kommt
der raschen Verwirklichung der Ost-West-Verbindungen zu;

4. unter Beibehaltung der Kriterien für europäische Zielgebiete und bei Aner-
kennung des fortbestehenden Förderungsbedarfs für diese Zielgebiete das
Förderinstrument der Gemeinschaftsaufgabe (GA) als bewährtes Mittel der
Strukturförderung nicht nur beizubehalten, sondern im Hinblick auf mög-
liche regionale Risiken der EU-Osterweiterung zu stärken und – nach Ab-
sprache mit den Ländern – mit einem jährlich ansteigenden Mittelansatz
auszustatten;

5. eine Initiative im Ministerrat zu ergreifen mit dem Ziel, einen hinreichenden
Handlungsspielraum für die Mitgliedstaaten bei der konkreten Umsetzung
der EU-Strukturförderung zu gewähren. Die Bundesregierung muss insbe-
sondere darauf hinwirken, dass die Regionen einen größeren Ermessens-
spielraum in der Beihilfepolitik erhalten;

6. bis zur Konferenz zur Überprüfung des finanziellen Rahmens der EU im
Jahr 2003 Strategien zu entwickeln, wie nach dem Auslaufen des jetzigen
Förderzeitraums in der EU im Jahr 2006 für die Strukturpolitik die positiven
Ansätze der EU- und der nationalen Fördermaßnahmen weitergeführt wer-
den können.

Berlin, den 14. November 2000

Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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