BT-Drucksache 14/4601

46. Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO (NATO PV) in Berlin vom 17.-21. November 2000 in Berlin

Vom 15. November 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4601
14. Wahlperiode 15. 11. 2000

Antrag

der Abgeordneten Markus Meckel, Uta Zapf, Peter Zumkley, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD,

der Abgeordneten Friedrich Merz, Michael Glos und der Fraktion der CDU/CSU,

der Abgeordneten Angelika Beer, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abgeordneten Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Dr. Wolfgang
Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

46. Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO (NATO PV)
vom 17. bis 21. November 2000 in Berlin

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Zehn Jahre nach der Vereinigung Deutschlands treffen sich die Abgeordneten
der Parlamentarischen Versammlung der NATO (NATO PV) vom 17. bis
21. November im neuen Berlin. 1990 bildete die Souveränität des vereinigten
Deutschland, seine Bündniszugehörigkeit frei zu wählen, einen zentralen Ge-
genstand der „2+4“-Verhandlungen. Im Ergebnis führte dieses zur NATO-Mit-
gliedschaft des vereinigten Deutschlands. Wir stellen heute fest, dass diese
Weichenstellung Sicherheit und Stabilität in Europa gefördert hat. Die vertrau-
ensvolle Zusammenarbeit und Konsultation im Bündnis sind die besten Garan-
tien gegen eine Renationalisierung von Sicherheit und Verteidigung. Dies für
die Zukunft zu sichern, war und bleibt ein zentrales Ziel der deutschen Politik.

Auf dem Londoner NATO-Gipfel beschlossen die Staats- und Regierungschefs
im Juli 1990 auf den Zusammenbruch der kommunistischen Regime zu reagie-
ren, indem sie den ehemaligen Gegnern die „ausgestreckte Hand der Freund-
schaft“ anboten. Dabei konnte man an den Grundgedanken des Harmel-Bericht
von 1967 anknüpfen, die Gewährleistung militärischer Sicherheit mit dem
Bemühen um eine politische Entspannung zu verbinden. 1991 wurde der Nord-
atlantische Kooperationsrat gegründet, der eine förmliche Beziehung zur
NATO herstellte.

Seitdem hat sich die NATO auf die veränderte Lage eingestellt, indem sich ihre
Strukturen und Aufgaben grundlegend gewandelt haben. In den Folgejahren
wurde es offensichtlich, dass die Sicherheit in Europa auf mehreren Pfeilern

Drucksache 14/4601 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

ruht: Das Fundament bildet die transatlantische Sicherheitsgemeinschaft. Dane-
ben spielt die OSZE als gesamteuropäische Institution eine zentrale Rolle.
Hinzu trat die tiefgreifende Abrüstung der konventionallen Streitkräfte im Rah-
men des KSE-Vertrages von 1990.

Seit Anfang der 90er Jahre bildeten die Kooperation mit Russland und der
Ukraine, sowie die Integration mittel- und osteuropäischer Staaten in EU und
NATO eine besondere Herausforderung. Beim Washingtoner Gipfel wurde im
April 1999 beschlossen, nach der ersten Erweiterungsrunde mit Polen, Ungarn
und Tschechien die Tür für neue Mitglieder offen zu halten. Bei der Öffnung
der Bündnisses hat die NATO PV eine wesentliche und manchmal eine Vorrei-
terrolle gespielt. Schon 1990 hat die Nordatlantische Versammlung den neuen
Status „eines assoziierten Mitglieds„ geschaffen und die ersten Abgeordneten
aus ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes, darunter Russland, aufgenom-
men. Einem umfassenden Sicherheitsbegriff hat die NATO PV schon in den
50er Jahren Rechnung getragen, indem sie neben einem Politischen-, einem
Verteidigungs- sowie einem Ausschuss für Wissenschaft und Technologie auch
Ausschüsse für zivile und wirtschaftliche Angelegenheiten schuf.

Eine zentrale Herausforderung für die europäische Sicherheitspolitik der 90er
Jahre bildete die Entwicklung in Südosteuropa. Nach den Einsätzen in Bosnien-
Herzegowina hat die NATO in ihrem ersten größeren Kampfeinsatz im Ko-
sovo-Konflikt 1999 eine wichtige Rolle bei der Beendigung von massenweisen
Vertreibungen und ethnisch motiviertem Morden gespielt. Durch die Gewähr-
leistung militärischer Sicherheit schafft die NATO zusammen mit ihren Part-
nern – insbesondere Russland – im Rahmen von SFOR und KFOR Grundlagen
dafür, dass mit zivilen Mitteln – wie denen des Stabilitätspaktes – Frieden ge-
schaffen werden kann. Mit dem Wahlerfolg der jugoslawischen Opposition und
der Machtübernahme durch Präsident Kostunica eröffnet sich nach einem Jahr-
zehnt der Kriege die Chance, Wiederaufbau, Sicherheit und Stabilität in Süd-
osteuropa zu erlangen.

Aufgrund der NATO-Intervention im Kosovo wurde das Verhältnis der NATO
zu Russland belastet. Die Zusammenarbeit im Ständigen Gemeinsamen Rat
(PJC) ruhte daher noch bis vor kurzem. Sowohl auf der Ebene der Außen- als
auch der Verteidigungsminister haben die Gespräche mittlerweile wieder be-
gonnen. Während Vertreter des Föderationsrates den Kontakt zur NATO PV
auch angesichts der NATO-Lufteinsätze nicht abreißen ließen, zog sich die
Duma zurück und nimmt ihre Rechte als Beobachter noch immer nicht wahr.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Kosovo-Konflikts beschleunigten
sich die Bemühungen um den Aufbau einer Gemeinsamen Europäischen Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik (GESVP). Die Staats- und Regierungschefs
der Europäischen Union werden Anfang Dezember beim EU-Gipfel in Nizza
weitreichende Entscheidungen zur GESVP treffen. Diese Entscheidungen wer-
den die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die EU über eine echte eigene
Handlungsfähigkeit auf dem Gebiet des politischen Krisenmanagements
(Petersberg-Aufgaben) und zur Prävention mit zivilen und militärischen Mit-
teln verfügen kann. Zugleich bleibt aber die NATO die Grundlage für die kol-
lektive Verteidigung auch ihrer der EU angehörenden Mitglieder. Die Transpa-
renz der Entscheidungsabläufe ist gegenüber den Partnern garantiert und
Konsultationen der EU mit der NATO sowie den europäischen NATO-Mit-
gliedern, die nicht der EU angehören, haben begonnen.

Eine Bedrohung der Sicherheit des euroatlantischen Raumes kann sich auch
durch die Weiterverbreitung (Proliferation) von Massenvernichtungswaffen
und der notwendigen Trägermittel ergeben. Daher ist eine auf der europäischen
Ebene und im transatlantischen Bündnis abgestimmte Non-Proliferationspolitik

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/4601

notwendig und sinnvoll. Sie erfordert politische Maßnahmen im Verhältnis zu
den kritischen Staaten, die Weiterentwicklung der Rüstungskontrolle und Ab-
rüstung sowie eine transatlantisch abgestimmte Rüstungsexportpolitik. Es ist zu
begrüßen, dass US-Präsident Clinton darauf verzichtet hat, in diesem Jahr eine
Entscheidung über die Stationierung eines Nationalen Raketenabwehrsystems
(NMD) zu treffen. Die gewonnene Zeit sollte man dazu nutzen, einen Dialog
mit den NATO-Bündnispartnern über die ganze Bandbreite der Optionen zur
Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersys-
teme zu führen und dabei zu möglichst einvernehmlichen Lösungen zu kom-
men. Parallel zum transatlantischen Dialog gilt es die Bemühungen um eine
weltweite Nichtverbreitungspolitik zu verstärken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch
Beschlüsse beim EU-Gipfel in Nizza weiterzuentwickeln und sich dabei
auch für die Stärkung der Kapazitäten zum zivilen Krisenmanagement und
der Prävention einzusetzen;

2. bei den Bündnispartnern weiterhin um Vertrauen in die komplementäre Ent-
wicklung der sicherheitspolitischen Funktionen von NATO und EU zu wer-
ben und darauf zu dringen, dass sich die Konsultationen zwischen beiden
Organisationen intensivieren;

3. den Zusammenhang des Prozesses von Beitritten weiterer Staaten zur NATO
und zur Europäischen Union in ihrer Politik zu berücksichtigen;

4. eine aktive Rolle bei der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen der
NATO und Russland und der Arbeit im Ständigen Gemeinsamen Rat zu
spielen;

5. im Rahmen der Nordatlantischen Allianz auf eine gemeinsame Strategie zur
Eindämmung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen zu dringen
und dabei rüstungskontrollpolitische Errungenschaften, wie den ABM-Ver-
trag, zu schützen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die NATO PV auf,

1. im Hinblick auf die Überprüfung der Fortschritte im Rahmen der „Member-
ship Action Plans“ im Jahr 2002 und bei der Öffnung des Bündnisses ihre
vorandrängende Rolle weiterhin wahrzunehmen;

2. den offenen transatlantischen Dialog fortzusetzen und zu intensivieren.

IV. Der Deutsche Bundestag bekräftigt sein Ziel,

Frieden, kooperative Sicherheit und demokratische Stabilität im gesamten
Europa zu fördern. Der Deutsche Bundestag lädt die russische Duma zur
Plenartagung nach Berlin ein, um die parlamentarische Diskussion über Sicher-
heit in Europa und weltweit wiederaufzunehmen.

Berlin, den 15. November 2000

Dr. Peter Struck und Fraktion
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.