BT-Drucksache 14/4489

Abschiebungen in die Türkei und Berichte über die Verfolgung von abgeschobenen kurdischen Flüchtlingen durch türkische Sicherheitsbehörden

Vom 2. November 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4489
14. Wahlperiode 02. 11. 2000

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Ursula Lötzer und der Fraktion der PDS

Abschiebungen in die Türkei und Berichte über die Verfolgung von
abgeschobenen kurdischen Flüchtlingen durch türkische Sicherheitsbehörden

Die Tageszeitung „Frankfurter Rundschau“ berichtete am 10. Oktober 2000,
dass der Kurde H. S. nach seiner Abschiebung in die Türkei in Juni 1999
45 Tage lang von der türkischen Polizei gefangengehalten und gefoltert worden
sei. H. S. flüchtete erneut in die Bundesrepublik Deutschland und stellte einen
Asylantrag. H. S. leidet heute noch an den schweren Verletzungen, die ihm die
türkischen Sicherheitskräfte unter der Folter zugefügt haben.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat in ihrem Länder-
kurzbericht Türkei im August 2000 darauf hingewiesen, dass abgeschobene
kurdische Asylbewerber einer Gefährdung ausgesetzt sind. Abgeschobene wer-
den routinemäßig einer Befragung über ihren Aufenthalt im Ausland ausge-
setzt. Die Betroffenen werden, wenn sich bei der Befragung herausstellt, dass
sie politisch für die PKK oder eine andere verbotene Organisation tätig waren,
zu einem weiteren Verhör der Polizei übergeben. Dies findet auch statt, wenn
auf den Papieren des Betroffenen sein Name oder Geburtsort als kurdisch zu
identifizieren ist.

Verhört werden die Abgeschobenen auch dann, wenn sie keine gültigen Perso-
nalpapiere vorweisen können oder Dokumente vorlegen, die auf ein Asylver-
fahren im Ausland hinweisen.

Darüber hinaus wird der Verdacht gegen einen Abgeschobenen verstärkt, wenn
die Abschiebung von Sicherheitsbeamten durchgeführt wird.

Auch wenn die Abgeschobenen nach einer Eingangskontrolle am Flughafen
freigelassen werden, können diese später erneut festgenommen und zu Verhö-
ren der Antiterrorabteilung überstellt werden.

Auch den türkischen Menschenrechtsorganisationen, wie dem Menschen-
rechtsverein und der Menschenrechtsstiftung, sind Fälle von abgeschobenen
Kurdinnen und Kurden bekannt, die bereits bei ihrem Eintreffen von Sicher-
heitskräften verhört und gefoltert wurden.

Der Fall von M. K., der am 24. Oktober 2000 in die Türkei abgeschoben wor-
den ist, ist exemplarisch dafür, dass die bundesdeutschen Behörden die Rück-
kehrgefährdung von kurdischen Flüchtlingen ignorieren. Flüchtlingsorganisati-
onen hatten darauf hingewiesen, dass M. K. wegen seiner politischen Arbeit in
der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere in seiner Funktion als Sprecher
der Wuppertaler Flüchtlingsgruppe im Wanderkirchenasyl bei seiner Rückkehr
in die Türkei Folter und Verfolgung drohe. Bereits im Januar dieses Jahres war

Drucksache 14/4489 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

ein anderer abgeschobener Teilnehmer des Wanderkirchenasyls von türkischen
Sicherheitskräften massiv gefoltert und zur Nennung von weiteren Teilnehmern
und Initiatoren des Wanderkirchenasyls befragt worden.

Das Konsultationsverfahren, das vom damaligen Bundesinnenminister Man-
fred Kanther und dem türkischen Innenminister Nahit Mentese am 10. März
1995 vereinbart wurde und die Abschiebung von Personen in die Türkei, die im
Zusammenhang mit der „PKK und anderen Terrororganisationen“ an Straftaten
beteiligt waren, zu regeln beabsichtigt, erleichtert nach Einschätzung der
Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen die Repression gegen Abge-
schobene. Hierzu haben Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen Fälle
dokumentiert, die belegen, dass nach der Anwendung des Konsultationsverfah-
rens Flüchtlinge verfolgt wurden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung der o. g. Fall von H. S. bekannt und wie bewertet
sie diesen?

2. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, welcher Behandlung der abge-
schobene M. K. nach seiner Abschiebung durch türkische Sicherheitsbehör-
den ausgesetzt war?

3. Welche Fälle von Abgeschobenen, die nach ihrer Ankunft in der Türkei fest-
genommen, gefoltert und verurteilt wurden, sind der Bundesregierung
bekannt (bitte einzeln auflisten)?

4. Sind der Bundesregierung Berichte von türkischen und deutschen Men-
schenrechts- und Flüchtlingsorganisationen bekannt, die auf die Gefährdung
von Abgeschobenen in die Türkei verweisen und die Verfolgung bereits Ab-
geschobener belegen?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesen
Berichten für künftige Abschiebungen in die Türkei?

5. Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung einzuleiten, um den
Verdacht türkischer Behörden, der durch die Begleitung von bundesdeut-
schen Sicherheitsbeamten in Bezug auf Abgeschobene erregt wird, zu
vermeiden?

6. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wie viele kurdische Flücht-
linge seit 1998 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt abgeschoben worden sind
(bitte nach Bundesländern auflisten)?

a) Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, in wie vielen Fällen der
Abschiebungen die Betroffenen verhört, gefoltert und verurteilt wurden?

b) Wie viele der Abgeschobenen haben einen Asylfolgeantrag in der Bun-
desrepublik Deutschland gestellt und mit welchem Ergebnis?

7. Wie viele und welche Fälle von Abschiebungen hat es nach dem o. g. Kon-
sultationsverfahren seit 1998 gegeben?

8. Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Forderung von
Flüchtlingsorganisationen, das o. g. Konsultationsverfahren in Zukunft nicht
mehr anzuwenden bzw. zu kündigen, da dies den Zugriff auf die Flüchtlinge
und ihre Verfolgung erleichtere?

9. Beabsichtigt die Bundesregierung angesichts von Berichten über anhaltende
Folterungen von abgeschobenen kurdischen Flüchtlingen, über Menschen-
rechtsverletzungen und über die Verfolgung der kurdischen Bevölkerung in
der Türkei auf der Innenministerkonferenz einen Abschiebestopp für Kur-
dinnen und Kurden anzuregen?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/4489

10. Wie bewertet die Bundesregierung die jüngsten Berichte über die Ver-
schleppung und Misshandlung von M. K.?

Bestätigen diese Berichte nach Ansicht der Bundesregierung das Vorliegen
von Abschiebehindernissen nach § 53 Abs. 1 bzw. 6 AuslG für kurdische
Flüchtlinge, die im Wanderkirchenasyl aktiv waren und sind?

11. Welche Konsequenzen zieht sie daraus hinsichtlich einer eventuellen
Rückholung des M. K. in die Bundesrepublik Deutschland und welche
Verfahren zur Prüfung des Vorliegens solcher Abschiebehindernisse hält
sie für die Zukunft in solchen Fällen für angemessen?

Berlin, den 30. Oktober 2000

Ulla Jelpke
Ursula Lötzer
Roland Claus und Fraktion

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