BT-Drucksache 14/4479

Entwicklung und Erfassung der Tierversuchszahlen in Deutschland

Vom 2. November 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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4479

14. Wahlperiode

02. 11. 2000

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Eva-Maria Bulling-Schröter und der Fraktion der PDS

Entwicklung und Erfassung der Tierversuchszahlen in Deutschland

Seit 1989 wird durch die Bundesregierung der „Verbrauch“ von Tieren zu Ver-
suchszwecken statistisch erfasst. Für das Jahr 1998 ist zum ersten Mal seit Be-
ginn der Dokumentation ein Anstieg der Tierversuchszahlen festgestellt wor-
den. In diesem Jahr wurden fast 40 000 Tiere mehr zu Versuchen herangezogen
als im Jahr 1997. Diese Entwicklungen geben Anlass zur Besorgnis, zumal die
Datenerfassung auf Grundlage der Versuchstiermeldeverordnung von 1988
(BGBl. I S. 1213) unbefriedigende Ergebnisse erbrachte.

Bio- und gentechnische Verfahren werden in Zukunft immer mehr an Bedeu-
tung gewinnen. Mit den derzeitigen Methoden zur „Produktion“ von Klonen
und genetisch veränderten Organismen ist ein immenser Tierverbrauch verbun-
den. Andererseits wird diskutiert, ob diese Methoden langfristig dazu beitragen
können, Tierversuche im Sinne des 3R-Konzeptes zu verringern. Zahlen, die
diese These stützen, sind bisher nicht bekannt.

Die Gesamtausgaben öffentlicher und öffentlich geförderter außeruniversitärer
Einrichtungen in Deutschland beliefen sich im Jahr 1998 auf circa 17 Mrd.
DM. Forschungsvorhaben in den Bereichen Naturwissenschaften, Human-
medizin und Agrarwissenschaften wurden mit 7,75 Mrd. DM bezuschusst. Da-
runter befinden sich auch Ausgaben für Tierversuche, die der Höhe nach in der
Öffentlichkeit nicht bekannt sind. Zur Förderung von Ersatz- und Ergänzungs-
methoden werden im Rahmen des Programms „Biotechnologie 2000“ jährlich
etwa 9,5 Mio. DM zur Verfügung gestellt, wobei der Einsatz dieser Gelder
unklar ist.

Das Datenmaterial für den Erfassungszeitraum von 1989 bis 1998 ist ungenü-
gend und unvollständig, da auf Basis der alten Versuchstiermeldeverordnung
nicht alle in Deutschland durchgeführten Tierversuche (etwa zur Organent-
nahme oder zur Gewinnung von Stoffen) erfasst worden sind. Ferner wurden in
diesem Zeitraum nur sehr allgemeine Informationen zum Versuchszweck erho-
ben, so dass im Hinblick auf die Zielsetzungen von Tierversuchen ein Mangel
an Transparenz zu beklagen ist. Zum 1. Januar 2000 trat die neue Versuchstier-
meldeverordnung (Verordnung über die Meldung zu Versuchszwecken oder zu
bestimmten anderen Zwecken verwendeter Wirbeltiere vom 4. November
1999, BGBl. I S. 2156) in Kraft. Auch hier sind weiterhin viele Datenerhebun-
gen magelhaft oder unvollständig.
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Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Ursachen nennt die Bundesregierung für den Anstieg des Tierver-
brauchs zu Versuchszwecken?

2. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass dieser Entwicklung entgegen-
gewirkt werden muss?

3. Welche Schritte sind von der Bundesregierung geplant, um die Anzahl der
Tierversuche im Bereich der gesetzlich vorgeschriebenen Tierexperimente
weiter zu reduzieren?

4. Welche weiteren Maßnahmen plant die Bundesregierung, um einer Zu-
nahme der für Tierversuche verwendeten Individuen entgegenzuwirken?

5. Wie schätzt die Bundesregierung die Perspektiven bio- und gentechnischer
Verfahren im Hinblick auf die Entwicklung des Tierverbrauchs zu Ver-
suchszwecken ein?

6. In welcher Größenordnung sind im Jahre 1999 mit öffentlichen Mitteln
Institutionen gefördert worden, die Tierversuche durchführen?

7. Welche Institutionen, die Tierversuche durchführen, wurden in diesem
Zeitraum gefördert?

8. Plant die Bundesregierung weitere Gelder zur Erforschung und Etablierung
von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen bereitzustellen?

Falls ja, in welcher Höhe, in welchem Zeitraum und für welche Vorhaben?

9. Verfügt die Bundesregierung über andere aussagekräftige Erhebungen,
über die für Versuchszwecke im Zeitraum von 1989 bis 1998 durchgeführ-
ten Tierexperimente und wird sie diese Daten gegebenenfalls der Öffent-
lichkeit zur Verfügung stellen?

Verfügt sie insbesondere über

a) detailliert erhobene Daten über den Versuchszweck der für die gesetz-
lich erforderlichen Prüfungen zur Anmeldung oder Zulassung von Stof-
fen oder Produkten durchgeführten Tierversuche (z. B. bei Kosmetika,
Wasch- und Reinigungsmitteln) sowie

b) detaillierte Daten über den Versuchszweck der für die Prüfung anderer
Stoffe oder Produkte als Arzneimittel oder Pflanzenschutzmittel durch-
geführten Tierversuche?

10. a) Aus welchem Grund werden hinsichtlich der getroffenen Neuregelun-
gen innerhalb der neuen Versuchstiermeldeverordnung ab 1. Januar
2000 auf Vorrat gehaltene Versuchstiere und Erhaltungszuchtlinien
weiterhin nicht statistisch erfasst?

b) Aus welchem Grund werden Tiere, die eigens zu Lehrzwecken getötet
werden, weiterhin nicht statistisch erfasst?

c) Aus welchem Grund werden überschüssige Individuen, die bei der
„Herstellung“ transgener Versuchstierlinien entstehen, nicht statistisch
erfasst, obwohl zur Produktion transgener Tiere zunächst eine Vielzahl
von Individuen erzeugt werden muss, welche die gewünschte Gen-
frequenz nicht enthalten?

d) Aus welchem Grund enthält die neue Verordnung keine Regelungen,
um die Belastungen, denen Tiere bei Versuchen ausgesetzt sind, zu
messen?
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e) Aus welchem Grund wird die Verwertbarkeit der Ergebnisse von bereits
durchgeführten Tierexperimenten nicht nachträglich dokumentiert, um
auf diese Weise sicherzustellen, dass Versuche, die geringe Aussichten
auf Erkenntnisgewinn haben, nicht mehrfach vorgenommen werden?

11. Welche Bestrebungen verfolgt die Bundesregierung, um die in der Richt-
linie 86/609/EWG des Rates vom 24. November 1986 zur Annäherung
der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zum Schutz
der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten
Tiere festgeschriebenen Minimalstandards zur Haltung von Labortieren
in Europa zugunsten des Tierschutzes zu verbessern?

12. Sind von der Bundesregierung darüber hinaus auf nationaler Ebene tier-
schutzrelevante Verbesserungen der Haltungsregelungen für Labortiere ge-
plant?

Falls ja, für welche Tierarten sollen die Haltungsbedingungen in welcher
Weise verbessert werden?

13. Wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeit ein, Produkte (beispiels-
weise Kosmetika, Wasch- oder Reinigungsmittel) zu fördern, zu deren Ent-
wicklung und Herstellung nachweislich keine Tierversuche durchgeführt
werden müssen und die auf diese Weise zu einer Reduktion von Tierexperi-
menten beitragen?

Berlin, den 2. November 2000

Eva-Maria Bulling-Schröter
Roland Claus und Fraktion

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