BT-Drucksache 14/446

5 Jahre nach Kairo: Umsetzung der Beschlüsse der Konferenz der Vereinten Nationen zu Weltbevölkerung und Entwicklung 1994

Vom 2. März 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/446 vom 02.03.1999

Antrag der Fraktion der CDU/CSU 5 Jahre nach Kairo: Umsetzung der
Beschlüsse der Konferenz der Vereinten Nationen zu Weltbevölkerung und
Entwicklung 1994 =

02.03.1999 - 446

14/446

Antrag
der Abgeordneten Marlies Pretzlaff, Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Norbert
Blüm, Siegfried Helias, Rudolf Kraus, Dr. Manfred Lischewski, Erika
Reinhardt, Dr. Christian Ruck, Peter Weiß (Emmendingen) und der
Fraktion der CDU/CSU
5 Jahre nach Kairo: Umsetzung der Beschlüsse der Konferenz der
Vereinten Nationen zu Weltbevölkerung und Entwicklung 1994

Im Herbst 1999 wird die Weltbevölkerungszahl die 6-Milliarden-Grenze
überspringen. Unmittelbar vorher wird sich eine
Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen mit der Frage der
Umsetzung der Beschlüsse der Kairoer Weltbevölkerungskonferenz im Jahr
1994 befassen.
Trotz bemerkenswerter Erfolge der internationalen
bevölkerungspolitischen Entwicklungszusammenarbeit, an denen die
deutsche Entwicklungszusammenarbeit einen maßgeblichen Anteil hat,
wächst die Menschheit z. Z. jährlich um 78 Millionen (Gesamtbevölkerung
der Bundesrepublik Deutschland = 81 Millionen!).
In den letzten 40 Jahren hat sich die Weltbevölkerung von 3 Milliarden
auf jetzt 6 Milliarden Menschen verdoppelt. Bis zum Jahr 2050 rechnen
die Vereinten Nationen mit einem weiteren Anstieg von 3 Milliarden auf
fast 9 Milliarden Menschen - allerdings nur unter der Voraussetzung
verstärkter bevölkerungspolitischer Bemühungen - und einer
kontinuierlich sinkenden Geburtenrate von heute 2,9 auf 2,1 Kinder im
Weltdurchschnitt.
Die prozentuale Wachstumsrate der Weltbevölkerung ist zwar in den
vergangenen Jahren leicht gesunken; aber da in der nächsten Zeit die
geburtenstärksten Jahrgänge der Menschheitsgeschichte ins Elternalter
kommen, besteht kein Grund zur Entwarnung.
Der weitere Anstieg der Weltbevölkerung vollzieht sich zu mehr als 95 %
in den Entwicklungsländern und hat unübersehbare Folgen für die
Entwicklungschancen der Menschheit. Im Bemühen um Ernährungssicherheit,
die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen und den Erhalt der
biologischen Vielfalt steht das Weltbevölkerungswachstum in
unmittelbarem Zusammenhang.
Die Gründe für das hohe Bevölkerungswachstum sind vielschichtig und
ergeben sich aus den unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen,
kulturellen, geographischen, ökologischen und demographischen
Rahmenbedingungen der Regionen. Unzureichende ökonomische Strukturen,
fehlende soziale Sicherungssysteme, die Benachteiligung der Frauen,
fehlende Bildungsstrukturen sowie fehlender Zugang zu Gesundheits- und
Familienplanungsdienstleistungen sind entscheidende Ursachen für das
ungebremste Bevölkerungswachstum.
Seit der VN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio 1992 ist eine
Verlangsamung des Wachstums der Weltbevölkerung von der internationalen
Gemeinschaft wiederholt als unabdingbare Voraussetzung für eine
nachhaltige Entwicklung und damit für die globale Zukunftssicherung der
Menschheit anerkannt.
Der internationale bevölkerungspolitische Konsens, der auf der
Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 unter maßgeblicher Mitwirkung
der deutschen Bundesregierung in einem Aktionsplan formuliert und von
180 Staaten unterzeichnet wurde, zeigt konkrete Ansatzpunkte auf, um
die Wachstumsdynamik mit solchen Maßnahmen zu verlangsamen, die ohnehin
zu den Kernbestandteilen der Entwicklungszusammenarbeit gehören.
Die Förderung der Eigenverantwortung einzelner Länder und nationaler
Regierungen zur Verbesserung der rechtlichen, wirtschaftlichen und
sozialen Strukturen, zum Ausbau eines flächendeckenden Grundbildungs-
und Basisgesundheitssystems, sollte nicht zuletzt auch von einem
verstärkten bevölkerungspolitischen Einsatz der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit begleitet werden.
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Die Agenda 21 der VN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio
de Janeiro 1992, die Beschlüsse der VN-Konferenz für Bevölkerung und
Entwicklung in Kairo 1994, die VN-Konferenz für Frauen in Peking 1995,
der Sozialgipfel in Kopenhagen 1995 und der Welternährungsgipfel in Rom
1996 verweisen alle auf die Zusammenhänge zwischen
Weltbevölkerungswachstum und den anderen Aspekten nachhaltiger
Entwicklung. Besonders eindringlich wurde jeweils die zentrale Rolle
der Frau im Entwicklungsprozeß unterstrichen.
2. Die Zahl der Nachkommen und die Abstände der Geburten frei und
eigenverantwortlich zu bestimmen, ist ein Menschenrecht.
Dieses Menschenrecht auf Familienplanung soll in der Verantwortung der
einzelnen Partner gegenüber künftigen Generationen und gegenüber der
Gesellschaft und Umwelt ausgeübt werden können. Der umfassende Zugang
zu einer selbstbestimmten Familienplanung einschließlich der
erforderlichen Kenntnisse muß allen Menschen weltweit ermöglicht
werden. Mehr als 300 Millionen Paaren fehlt der Zugang zu
Dienstleistungen der reproduktiven Gesundheit, von denen
schätzungsweise 120 Millionen bei entsprechendem Zugang zu moderner
Familienplanung davon unmittelbar Gebrauch machen würden. Mit dem
Mangel an Dienstleistungen der Familienplanung und sonstiger
reproduktiver Gesundheit geht eine nach wie vor unakzeptabel hohe Zahl
ungewollter Schwangerschaften einher, die einerseits zu der hohen Zahl
von Schwangerschaftsabbrüchen und andererseits zu fast einem Drittel
zum Weltbevölkerungswachstum beitragen. Von den Folgen sind
insbesondere die LDC-Länder, arme und ärmste Bevölkerungsschichten
sowie überdurchschnittlich oft Frauen und Kinder betroffen.
3. Die Regierungen der Entwicklungsländer, die gemäß dem Kairoer
Aktionsplan zwei Drittel der Kosten der spezifisch
bevölkerungspolitischen Maßnahmen (gemäß Kapitel 13.15) zu tragen
haben, sind aufgefordert, ihrer Eigenverantwortung gerecht zu werden.
Die überwiegende Mehrzahl der nationalen Regierungen hat die Bedeutung
bevölkerungspolitischer Programme und Projekte erkannt, können sie aber
aus eigener Kraft nicht im erforderlichen Maß umsetzen.
Um das Bevölkerungswachstum mit der wirtschaftlichen und sozialen
Leistungsfähigkeit ihrer Länder in Einklang bringen zu können, müssen
sie bei der Schaffung notwendiger Rahmenbedingungen unterstützt werden.
Zu diesen Rahmenbedingungen zählen insbesondere:
- eine Verbesserung der rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen
Stellung der Frau;
- tragfähige wirtschaftliche Strukturen, die Entwicklung und der
Aufbau von sozialen Sicherungssystemen und Konzepten der
Altersversorgung als Alternative zur Alterssicherung durch
Kinderreichtum;
- Akzeptanz und Unterstützung von Familienplanungsprogrammen durch
politische, religiöse und gesellschaftliche Entscheidungsträger und
Meinungsführer;
- die frühzeitige Sexualaufklärung von Jugendlichen und die
Einbeziehung von Männern in die Verantwortung der Familienplanung;
- ein Mindestmaß an Autonomie für Nichtregierungsorganisationen und
deren verantwortungsvolle Einbeziehung in Programmentwicklung und -
umsetzung.
4. Die Bundesrepublik Deutschland und das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben im Kairoer
Folgeprozeß durch eine Neuformulierung von Länderkonzepten der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit den Beschlüssen Rechnung getragen
und in den Haushaltsjahren 1995 und 1996 zusätzliche Finanzmittel für
die Familienplanung und für Maßnahmen in den Bereichen Frauenförderung,
Bildung und Gesundheit, vor allem HIV/Aids-Bekämpfung bereitgestellt.
Sowohl die primäre Gesundheitsversorgung von Frauen als auch deren
schulische und berufliche Ausbildung wurden forciert.
Außerdem haben sie die nationalen und internationalen
Nichtregierungsorganisationen in die Umsetzung der Projekte einbezogen
und beabsichtigten bisher eine verstärkte Förderung dieser
Zusammenarbeit.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. sich innerhalb der EU - insbesondere unter der deutschen
Präsidentschaft und im Rahmen der VN-Sondergeneralversammlung zum
Kairo-Folgeprozeß im Juni 1999 - weiterhin dafür einzusetzen, daß der
auf der Weltbevölkerungskonferenz 1994 (ICPD) verabschiedete
Aktionsplan umgesetzt wird.
2. das deutsche Förderkonzept "Bevölkerungspolitik und
Familienplanung" an die Erfahrungen im Kairo-Folgeprozeß anzupassen,
weiterhin konsequent umzusetzen und insbesondere den Zugang zu
Familienplanungsmethoden zu fördern, die vor dem Hintergrund der
jeweiligen soziokulturellen, religiösen und individuellen
Lebensbedingungen akzeptiert und angewendet werden können. Dabei
sollten vor allem die Eigenanstrengungen der Länder, die aus eigener
Kraft ihre Familienplanungsmaßnahmen nicht flächendeckend -
insbesondere im ländlichen Raum - anbieten können, unterstützt werden.
3. die Aufklärung über reproduktive Gesundheit in der Bevölkerung,
vor allem in den Schulen sowie über traditionelle und moderne Medien,
zu fördern und dabei besondere Aufmerksamkeiten auf die Einbeziehung
von Männern und Jugendlichen sowie örtlicher, religiöser und
gesellschaftlicher Entscheidungsträger zu legen. Die Intensivierung und
Förderung von Grundbildungsprogrammen, insbesondere auch für Mädchen,
ist einzubeziehen.
4. den Partnerländern bei der Sicherstellung notwendiger
Gesundheitsvorsorge und -nachsorge zu helfen. Vor allem Maßnahmen zur
Verringerung der Kinder- und Müttersterblichkeit, zur Verbesserung der
Hygiene und der medizinischen Versorgung von Mutter und Kind sowie zur
Verlängerung der Abstände zwischen den Geburten sind zu unterstützen.
Die Verringerung der Kindersterblichkeit durch Entlastung von Frauen
sowie Sicherung einer ausgewogenen Ernährung, Trinkwasserversorgung und
besserer Wohnverhältnisse sind zu integrieren.
5. die Partnerländer bei ihren Bemühungen zu unterstützen,
- soweit wie möglich die selbstverantwortliche Entscheidung jedes
Menschen über Zeitwahl und Anzahl der eigenen Kinder zu ermöglichen;
- die verhindern sollen, daß jährlich Millionen Frauen sich zum oft
wiederholten Schwangerschaftsabbruch gezwungen sehen und
Hunderttausende Frauen durch unsachgemäß durchgeführte Abtreibungen
sterben;
- den Zugang zu einer Auswahl von anerkannten modernen Methoden und
Leistungen der Familienplanung und Empfängnisverhütung zu sichern;
- auf die Erhöhung des gesetzlichen Heiratsalters hinzuweisen, um
sehr frühe und besonders gesundheitsgefährdende Geburten zu verhindern.
Staatliche Zwangsmaßnahmen zur Geburtenkontrolle sind grundsätzlich
abzulehnen.
6. zur Verbesserung der rechtlichen und gesellschaftlichen Stellung
der Frauen in den Parnterländern beizutragen, insbesondere:
- die Partnerregierungen zur Ratifizierung der existierenden
Vereinbarungen zur Wahrung und Förderung von Frauenrechten und zur
Ratifikation des Abschlußdokumentes der Weltfrauenkonferenz 1995 zu
ermutigen;
- neben der Bildungs- und Ausbildungsförderung von Frauen auch deren
Zugang zu modernen Produktionsmitteln und Einkommensalternativen zu
erleichtern, um den engen Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum
und Ernährungssicherung sowie der zentralen Rolle der Frauen im
Entwicklungsprozeß Rechnung zu tragen.
- die eklatanten Diskriminierungen von Frauen und Mädchen
nachdrücklich zu verurteilen und die Partnerländer zu strafrechtlicher
Ahndung physischer und psychischer Gewalt gegen Frauen, besonders in
Form von Vergewaltigungen, Geschlechtsverstümmelung, Mißbrauch
schwangerer Frauen und massiver Verletzungen von Frauenrechten zu
motivieren und die Bedingungen dafür zu schaffen, daß die Opfer von
entsprechenden Übergriffen zur Anzeige ermutigt werden.
7. die Arbeit des VN-Bevölkerungsfonds (UNFPA), dem in Hinblick auf
die Koordination und Kohärenz der multilateralen Bevölkerungspolitik
eine zentrale Rolle zukommt, zu unterstützen und die Koordination der
bevölkerungspolitischen Maßnahmen der verschiedenen VN-Organisationen
und in der EU zu verbessern.
8. den Ausbau der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen in
Geber- und Empfängerländern als eine wesentliche Voraussetzung für
gezielte und flächendeckende Familienprogramme sowie die Vergabe von
Aufträgen und Projekten an private Träger zu intensivieren und
finanziell zu fördern.
9. die bevölkerungspolitischen Maßnahmen als Bestandteil
sektorübergreifender, integrierter Entwicklungsstrategie auszuweiten,
sie in den einzelnen Budgetlinien des Haushaltsplans 23 gesondert
kenntlich zu machen und die 1995 aufgestockten Mittel erneut anzuheben,
um den Kairoer Beschlüssen verstärkt Rechnung zu tragen.
Bonn, den 23. Februar 1999
Marlies Pretzlaff
Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Norbert Blüm
Siegfried Helias
Rudolf Kraus
Dr. Manfred Lischewski
Erika Reinhardt
Dr. Christian Ruck
Peter Weiß (Emmendingen)
Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und Fraktion

02.03.1999 nnnn

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