BT-Drucksache 14/4439

Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend

Vom 26. Oktober 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4439
14. Wahlperiode 26. 10. 2000

Antrag
der Abgeordneten Dr. Eberhard Brecht, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Brigitte
Adler, Monika Griefahn, Lothar Mark, Manfred Opel, Dieter Schloten, Wilhelm
Schmidt (Salzgitter), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Rita Grießhaber, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Vereinten Nationen im neuen Millennium

An der Schwelle zum 21. Jahrhundert benötigen die Völker der Erde quali-
tativ neue Formen globalen Handelns, um den Herausforderungen der Zu-
kunft in gemeinsamer Verantwortung gegenübertreten zu können. Regierun-
gen, internationale Institutionen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen
mehr denn je netzwerkartig und kooperativ zusammenarbeiten, um die Ach-
tung der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit
und Demokratie voranzubringen.

Innerhalb dieser globalen Kooperationsformen werden die Vereinten Natio-
nen auch künftig eine zentrale Rolle spielen müssen. Mit der Gründung der
Vereinten Nationen schuf sich die Staatengemeinschaft eine einzigartige
universale Organisation, die es ermöglicht, die Beziehungen der Staaten un-
tereinander besser zu gestalten. Eine Verbesserung der Handlungsmöglich-
keiten der Vereinten Nationen ist auch ein Beitrag zur Lösung globaler Pro-
bleme.

Die Weltorganisation kann auf eine Reihe von Erfolgen zurückblicken.
Dazu gehören der Entkolonialisierungsprozess, die Bekämpfung von Krank-
heiten, die Fortentwicklung und Durchsetzung der Menschenrechte sowie
die Stärkung des Völkerrechts, die Verbesserung der Welternährungssitua-
tion, die Hilfe für Millionen von Kindern und Flüchtlingen, der Ausbau mul-
tilateraler Entwicklungszusammenarbeit, die Verbesserung des internationa-
len Umweltschutzes und ihre Rolle als Friedensvermittler und Krisen-
manager in einigen Konflikten. Dennoch haben die Vereinten Nationen in
den zurückliegenden Jahrzehnten die ihnen zugewiesenen Aufgaben nur
bedingt erfüllen können. Zur Zeit des Kalten Krieges war die Organisation
durch die Konfrontation der Blöcke gelähmt. Seit 1989 steht sie nicht nur
vor der Herausforderung, dass sich das Koordinatensystem in der Weltpoli-
tik grundlegend verändert hat. Gleichzeitig steht sie vor einer beispiellosen
technologisch-ökonomischen Entwicklung in den Industrieländern, einigen

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Schwellenländern, aber ebenso vor einer Verschärfung ökologischer und
sozialer Krisen in vielen Teilen der Welt. Die Organisation der Vereinten
Nationen leidet heute oft unter einem Missverhältnis zwischen Anspruch
und Handlungsfähigkeit. Die zurückliegenden Reformen haben es nicht ver-
mocht, die Unzulänglichkeiten der Organisation zu beheben. Grundvoraus-
setzung für eine effiziente Reform der Vereinten Nationen ist der gemein-
same politische Wille der Mitgliedstaaten, den notwendigen Erneuerungs-
prozess voranzutreiben.

Die Bereitstellung notwendiger Ressourcen durch die Mitgliedstaaten ist –
neben angemessenen Strukturen – eine zentrale Voraussetzung für die effek-
tive Arbeit aller Institutionen der Vereinten Nationen. Das Missverhältnis
zwischen den weitreichenden Zielen und Aufgaben einerseits und den dafür
zur Verfügung stehenden Mitteln andererseits ist Ausdruck der permanenten
Finanzkrise des Systems der Vereinten Nationen. Die Beseitigung dieses
Missstandes wäre ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der Vereinten Natio-
nen.

Die großen Weltkonferenzen der 90er Jahre – der Erdgipfel in Rio von 1992,
die Wiener Weltmenschenrechtskonferenz von 1993, die Internationale
Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung in Kairo von 1994, der Ko-
penhagener Weltsozialgipfel, die Weltfrauenkonferenz in Peking von 1995,
der Habitat-II-Gipfel in Istanbul und der Welternährungsgipfel in Rom von
1996 – haben eindrucksvoll deutlich gemacht, vor welchen Herausforderun-
gen die Staatengemeinschaft steht. Für ihre Bewältigung sind die Vereinten
Nationen unverzichtbar.

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die diesjährige Generalversammlung
als „Millennium-Versammlung“ stattgefunden hat. Angesichts der gewalti-
gen Herausforderungen ist eine Diskussion über die Zuständigkeiten und
Grenzen der Organisation notwendig. Dies muss eine Klärung zukünftiger
Aufgaben der Vereinten Nationen und der Mittel zu deren Umsetzung bein-
halten.

Das Treffen aller Parlamentspräsidenten der Interparlamentarischen Union,
die sich zum Millenniumsgipfel in New York versammelt hatten, hat deut-
lich dokumentiert, welche Bedeutung die parlamentarische Diplomatie für
die internationalen Beziehungen hat.

2. Deutschland und die Vereinten Nationen

Der Deutsche Bundestag sieht in der Charta der Vereinten Nationen nach
wie vor einen universellen Ansatz zur Verwirklichung eines friedlichen Zu-
sammenlebens der Völker, einer nachhaltigen Entwicklung und einer ge-
meinsamen Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit. Er be-
kräftigt die feierliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, die in
der Charta enthaltenen Verpflichtungen zu erfüllen, und anerkennt und wür-
digt die Leistungen der Vereinten Nationen seit ihrer Gründung, sowie die
engagierte Tätigkeit aller, die sich im Dienste der Vereinten Nationen für
Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenrechte eingesetzt haben.

Der Deutsche Bundestag ist mehr denn je von der Notwendigkeit überzeugt,
die Vereinten Nationen als globale Organisation zur Herstellung und Wah-
rung des Friedens, sowie zur Bewältigung globaler Herausforderungen zu
nutzen. Hierzu müssen sowohl die finanziellen Grundlagen als auch die ad-
ministrativen und politischen Strukturen gestärkt werden.

In Deutschland wächst das Bewusstsein für die globalen Herausforderun-
gen, denen sich die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts gegenübersieht.
Immer deutlicher tritt zu Tage, dass Deutschland von Ereignissen und Ent-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/4439

scheidungen in anderen Teilen der Welt direkt betroffen ist. Aufgrund seiner
Geschichte und seinen vielfältigen internationalen politischen und wirt-
schaftlichen Verflechtungen hat Deutschland ein starkes nationales Interesse
an einer stabilen Weltordnung und an einer handlungsfähigen Weltorganisa-
tion. Trotz der unabweisbaren Notwendigkeit der Konsolidierung des Bun-
deshaushaltes treten die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag für
eine aktive Mitgestaltung multilateraler Politik und insbesondere für die
Stärkung der Vereinten Nationen ein.

Der Deutsche Bundestag begrüßt die aktive Rolle Deutschlands in zahlrei-
chen Bereichen der VN-Politik; dazu gehören z. B. die finanziellen Leistun-
gen als drittgrößter Beitragszahler, die Unterstützung des Anti-Minen-Ab-
kommens von Ottawa, der Kampf gegen Proliferation von Kleinwaffen, die
Beteiligung am Stand-by-System für friedenserhaltende Maßnahmen, die
Ausbildung von Fachkräften für zivile Friedensmissionen, die wichtige
Rolle, die die Bundesregierung bei den Verhandlungen über die Einrichtung
des Internationalen Strafgerichtshofs eingenommen hat sowie der Einsatz
für zielgenaue Sanktionen bei Waffen- und Reisebeschränkungen.

II. Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

1. Deutsche VN-Politik

Die Bundesrepublik Deutschland muss ihren Einfluss in Zukunft noch stär-
ker geltend machen, damit die Vereinten Nationen ihre Aufgaben bei der
Bewahrung oder Wiederherstellung von Frieden, Freiheit, sozialer Gerech-
tigkeit und ökologischem Gleichgewicht noch besser erfüllen. Dazu sollte
die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der
deutschen VN-Politik beschließen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

 geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die personelle Repräsentanz
Deutschlands in den Vereinten Nationen zu verbessern,

 eine verbindliche Abstimmung aller Fachressorts sicherzustellen, um
eine einheitliche deutsche Politik in der Weltorganisation, ihren Fonds
und Programmen sowie ihren Sonderorganisationen zu gewährleisten;
insbesondere sollte, unbeschadet der sachlichen Zuständigkeit, die Koor-
dinierung und die Delegationsleitung bei internationalen Organisationen
in einer Hand liegen,

 den VN-Standort Bonn, z. B. durch Schaffung eines VN-Campus mit
Konferenzzentrum im früheren Plenar-/Parlamentsbereich, weiter auszu-
bauen und die Ansiedlung weiterer VN-Organisationen in Deutschland
aktiv zu fördern,

 ab 2001 im Zwei-Jahres-Rhythmus einen Bericht über die VN-Politik der
Regierung zu erstellen und im Deutschen Bundestag zur Diskussion zu
stellen,

 sich dafür einzusetzen, dass die Vereinten Nationen um eine parlamenta-
rische Dimension erweitert werden,

 Nichtregierungsorganisationen in die Willensbildungsprozesse der deut-
schen VN-Politik weiterhin einzubeziehen und den dort vorhandenen
Sachverstand im Sinne des Berichts des Generalsekretärs an die 54. Ge-
neralversammlung zu nutzen.

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2. Finanzen

Zur Lösung der seit Jahren schwelenden finanziellen Krise der Vereinten
Nationen ist es notwendig, dass die Mitgliedstaaten, die Rückstände haben,
ihre enormen Beitragsschulden abbauen und die Beitragserhebung logi-
scher, gerechter und transparenter gestaltet wird. Hierfür sollte sich
Deutschland gemeinsam mit den europäischen Partnern weiterhin mit Nach-
druck einsetzen. Deutschland wird mit dem drittgrößten Beitragsanteil zum
regulären VN-Haushalt veranlagt und ist daher ein wichtiger Ansprechpart-
ner in allen Fragen der VN-Finanzierung einschließlich einer Finanzreform.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich mit ihren Möglichkeiten dafür
einzusetzen, dass

 eine Reform der Beitragserhebung vorangetrieben wird,
 Deutschland mittelfristig wieder der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit

unseres Landes entsprechend freiwillige Beiträge an VN-Fonds und -Pro-
gramme entrichtet,

 die restlichen Außenstände der DDR zu FEM UNIFIL mittelfristig ab-
schließend beglichen werden,

 die aktuelle Schuldenkrise der Vereinten Nationen gelöst wird; hierzu be-
darf es entsprechender Einflussnahme auf den US-Kongress und auf die
amerikanische Administration,

 zu prüfen, ob die Vereinten Nationen auch durch die Erschließung eige-
ner Finanzquellen gestärkt werden können.

3. Weiterentwicklung des Völkerrechts

Für die Erhaltung des Friedens und die Förderung von Gerechtigkeit, Ent-
wicklung und Demokratie ist die weltweite Achtung und die verbesserte
Durchsetzung der Menschenrechte sowie eine Stärkung des Völkerrechts
unabdingbar.

Staatliche Souveränität und der Schutz der Menschenrechte werden als zwei
fundamentale Prinzipien in der internationalen Staatengemeinschaft fortlau-
fend neu gewichtet. Völkerrechtlich wie politisch wurden dabei die indivi-
duellen Menschenrechte und die Anerkennung von Minderheitenrechten in
den letzten Jahrzehnten stetig ausgebaut. Die damit entwickelten Standards
haben mit dazu beigetragen, dass die Arbeit der Menschenrechtskommis-
sion in Genf immer größeres Gewicht erhält. Dem Generalsekretär der Ver-
einten Nationen ist zuzustimmen, dass kein Staat das Recht hat, das Prinzip
der staatlichen Souveränität zum Vorwand zu nehmen, um die Menschen-
rechte zu verletzen.

Die Politik der Bundesrepublik Deutschland zielt auf eine Stärkung der
Rolle des Rechts in den internationalen Beziehungen und in den Vereinten
Nationen. Der Deutsche Bundestag begrüßt die politische und materielle
Unterstützung, die die Bundesregierung dem Strafgerichtshof für das ehe-
malige Jugoslawien und dem Internationalen Strafgerichtshof Ruanda ge-
währt. Er würdigt, dass sich die Bundesregierung zusammen mit der Gruppe
„gleichgesinnter Staaten“ kontinuierlich für einen effektiven, funktionsfähi-
gen, unabhängigen und damit glaubwürdigen Internationalen Strafgerichts-
hof eingesetzt hat. Er bestärkt sie darin, auf eine rasche Aufnahme der Ar-
beit des Internationalen Strafgerichtshofs hinzuwirken.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/4439

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

 sich verstärkt dafür einzusetzen, dass die Beschlüsse der Weltmenschen-
rechtskonferenz von Wien, die den Schutz der Menschenrechte zu einem
legitimen Anliegen der Weltgemeinschaft erklärt hat, umgesetzt werden,

 sich dafür zu engagieren, dass ein größerer Anteil der Haushaltsmittel der
Vereinten Nationen für Programme der VN-Hochkommissarin für Men-
schenrechte und zugunsten der humanitären Hilfe verwendet wird,

 sich dafür einzusetzen, dass die Koordinationsrolle von UNHCR und
OCHA gestärkt wird,

 die Rolle des Rechts in den internationalen Beziehungen und in den Ver-
einten Nationen zu stärken, indem sich die Bundesrepublik Deutschland,
wie die Mehrheit der EU-Staaten, der Gerichtsbarkeit des Internationalen
Gerichtshofes gemäß Artikel 36 Abs. 2 des IGH-Statuts unterwirft,

 an der Vorbereitung der Weltrassismuskonferenz im nächsten Jahr kon-
struktiv mitzuwirken.

4. Friedenssicherung der Vereinten Nationen

Die Hauptaufgabe der Vereinten Nationen besteht unverändert darin, eine
zentrale Rolle bei der Herbeiführung und Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit zu spielen. Dies erfordert eine größere Bereit-
schaft der Mitgliedstaaten, Abrüstungsinitiativen der Vereinten Nationen,
krisenpräventive, friedensschaffende und friedenserhaltende Maßnahmen zu
unterstützen.

Abrüstung, Rüstungskontrolle und die Stärkung der Nichtverbreitungsre-
gime sind unverzichtbare Elemente der Konfliktprävention, -beilegung und
der Friedenskonsolidierung und Bestandteil kooperativer Sicherheitspolitik.
Daher gilt es insbesondere, bestehende internationale Rüstungskontrollre-
gime zu festigen und weiter auszubauen.

Aber auch die bisherige Praxis friedensschaffender und friedenserhaltender
Operationen hat dringlichen Reformbedarf gezeigt, um dem Glaubwürdig-
keits- und Vertrauensverlust der Vereinten Nationen wirksam entgegenzutre-
ten. Der Rückzug vor dem Völkermord in Ruanda 1994, die mangelhafte
Unterstützung der Schutzzone im Fall von Srebrenica 1995 und die nicht
eingelösten Versprechungen der permanenten VN-Präsenz gegenüber den
Menschen in Ost-Timor sind Beispiele für schwere politische Fehler der
Staatengemeinschaft, die sich nicht wiederholen dürfen. Der Deutsche Bun-
destag begrüßt, dass die Bundesregierung den Vereinten Nationen ein ziviles
und militärisches Stand-by-Angebot unterbreitet hat. Der rechtzeitig vor der
Millennium-Versammlung vorgelegte Bericht der Beratungsgruppe zur Ver-
besserung der VN-Friedenseinsätze enthält eine Vielzahl von konkreten An-
regungen, die zur Behebung der strukturbedingten Schwächen geeignet sind.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

 aktiv zur Umsetzung der im Brahimi-Bericht zur Verbesserung der VN-
Friedenseinsätze unterbreiteten Vorschläge beizutragen und insbesondere
durch robuste Mandatierung die Sicherheit von VN-Kontingenten zu er-
höhen,

 die Präventionsstrategien der mit eigenen Mitteln weiterhin zu unterstüt-
zen,

 das für die Leitung von Friedensmissionen zuständige Department of
Peacekeeping Operations (DPKO) in der Entwicklung und Umsetzung
neuer Konzepte zu unterstützen,

Drucksache 14/4439 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

 den Beitritt bzw. die Teilnahme an einer „Stand-by High Readyness Bri-
gade“ zu prüfen,

 dazu beizutragen, dass der Generalsekretär in die Lage versetzt wird, die
ihm von der VN-Charta eingeräumten Befugnisse auch tatsächlich aus-
üben zu können,

 die Zusammenarbeit der Vereinten Nationen mit den Regionalorganisati-
onen zu vertiefen,

 die Aufstockung des „Peace Keeping Reserve Fund“ zu unterstützen.
5. Reform des Sicherheitsrates

Der einzelne Mensch und seine Rechte müssen im 21. Jahrhundert neben
den Rechten der Staaten stärker in das Zentrum des Sicherheitsbegriffes der
internationalen Staatengemeinschaft rücken. Hierauf muss die Reform des
zentralen Gremiums zur Sicherung des Weltfriedens, des VN-Sicherheitsra-
tes, ausgerichtet werden.

Die nicht mehr zeitgemäße Zusammensetzung des Sicherheitsrates ist zu ak-
tualisieren, damit die weltpolitischen Veränderungen der letzten 50 Jahre be-
rücksichtigt werden und seine Handlungsfähigkeit verbessert wird. Der
Deutsche Bundestag begrüßt die Erklärung des Bundeskanzlers vor der Mil-
lennium-Versammlung, dass die Bundesrepublik Deutschland bereit ist, im
Falle einer Einigung über die Reform des Sicherheitsrates als ständiges Mit-
glied Verantwortung für Frieden und internationale Sicherheit zu überneh-
men.

Der Deutsche Bundestag bestärkt die Bundesregierung darin,

 ihren Einfluss geltend zu machen, damit der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen bei friedensbedrohenden Krisen schneller, entschlossener und
mit besseren Informationen ausgestattet auch effizienter handelt,

 sich dafür einzusetzen, dass die Politik der europäischen Sicherheitsrats-
mitglieder mehr und mehr durch den Geist einer Gemeinsamen Außen-
und Sicherheitspolitik, wie im Vertrag von Amsterdam niedergelegt, be-
stimmt wird,

 sich dafür einzusetzen, den Sicherheitsrat den politischen Realitäten an-
zupassen und dem legitimen Anliegen vieler Staaten auf größere Reprä-
sentanz gerecht zu werden,

 sich für die Verbesserung der 1996 geschaffenen Arrangements einzuset-
zen, um die Koordination zwischen Sicherheitsrat und den truppenstel-
lenden Staaten zu optimieren,

 sich bei den Beratungen des Sicherheitsrates für die Präsenz im Rat von
denjenigen Staaten einzusetzen, die im Auftrag der Vereinten Nationen
wesentlich zur Friedenssicherung beitragen,

 ihren Vorschlag, dass in Zukunft ein Veto vor der Vollversammlung der
Vereinten Nationen begründet werden soll, weiter zu verfolgen. Das kann
dazu beitragen, die Transparenz der Entscheidungen im Sicherheitsrat
und ihre langfristige Verrechtlichung über normative Bezüge des Völker-
rechts zu fördern,

 sich dafür einzusetzen, dass militärische Interventionen nur im Einklang
mit den Regeln des Völkerrechts, insbesondere mit den Bestimmungen
der VN-Charta, erfolgen,

 sich dafür einzusetzen, dass Sanktionen mit einem genauen Mandat aus-
gestattet und an überprüfbare und zu überprüfende Bedingungen ge-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/4439

knüpft werden; Sanktionen und Embargos dürfen nur zeitlich begrenzt,
wenn auch verlängerbar, verhängt werden und müssen ständig auf ihre
Auswirkungen überprüft werden.

6. Wirtschaft und Soziales

Die Aktivitäten der Vereinten Nationen in den Bereichen Wirtschaft, Um-
welt und Entwicklung stellen eine zentrale Aufgabe der Vereinten Nationen
dar. Rund 80 % der VN-Fonds und -Programme dienen der nachhaltigen
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Die Beteiligung der Bundesre-
gierung an diesen Aktivitäten hat daher unmittelbare Auswirkungen auf die
Spielräume der deutschen VN-Politik. Das Engagement für diese Pro-
gramme und insbesondere die finanzielle Stärkung der operativen Entwick-
lungstätigkeit entscheiden letztlich über die Glaubwürdigkeit der Bekundun-
gen der Industrienationen, die Vereinten Nationen stärken zu wollen.

Der deutsche Beitrag zu den multilateralen Wirtschafts- und Entwicklungs-
tätigkeiten ist ein Eckstein des politischen VN-Engagements Deutschlands,
das auf den Erhalt der Weltorganisation als einzigem globalen Forum zur
Bewältigung der aktuellen und künftigen Probleme zielt. Deshalb bedürfen
die deutschen Beiträge einer Überprüfung, um das politische Engagement
Deutschlands und sein Bekenntnis zum Multilateralismus deutlicher zu mar-
kieren.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Sinne ihrer
bisherigen Anstrengungen

 sich dafür einzusetzen, dass die Vereinten Nationen ihre globale Verant-
wortung für Entwicklung und Umwelt verstärkt wahrnehmen,

 dafür einzutreten, dass sich die WTO an Grundsätzen nachhaltiger Ent-
wicklung und sozialer Standards orientiert,

 die Initiativen für die Stärkung multilateraler Entwicklungszusammenar-
beit sowie für Reform, Effizienzsteigerung und Kohärenz der Entwick-
lungsprogramme der Vereinten Nationen zu intensivieren. Die bilaterale
Entwicklungspolitik der einzelnen EU-Mitgliedstaaten sollte noch besser
mit der europäischen sowie der multilateralen Entwicklungspolitik koor-
diniert werden,

 die Orientierung von Projekten und Programmen der Entwicklungszu-
sammenarbeit am Ziel der Armutsbekämpfung, die die Umsetzung der
20-zu-20-Initiative einschließt, zu fördern,

 aktiv den laufenden Reformprozess von IWF und Weltbank mitzugestal-
ten und dabei insbesondere auf eine stärkere Ausrichtung der Strukturan-
passungsprogramme von IWF und Weltbank auf Armutsbekämpfung,
Umwelt und Sozialverträglichkeit hinzuwirken,

 die im Millenniumsbericht besonders akzentuierte Bedeutung der Rechte
der Kinder – vor allem der Mädchen – beim Zugang zu Bildungs- und
Entwicklungschancen bei bilateralen und multilateralen Entwicklungs-
programmen noch stärker zu berücksichtigen,

 die Reformbestrebungen zur weiteren Stärkung der Internationalen Fi-
nanzinstitutionen als wichtige Instrumente globaler Politikgestaltung und
ihre Anbindung an das System der Vereinten Nationen zu unterstützen,

 die Anregung Kofi Annans aufzugreifen, „den am wenigsten entwickel-
ten Ländern zoll- und quotenfreien Marktzugang zu gewähren“. Die VN-
Konferenz über die am wenigsten entwickelten Länder (März 2001) böte
die Gelegenheit, hier einen neuen Weg einzuschlagen,

Drucksache 14/4439 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
 dazu beizutragen, die öffentlichen Schulden der hochverschuldeten ärms-
ten Länder auf ein tragfähiges Maß zu reduzieren, soweit deren Regierun-
gen willens sind, Armut im Lande zu vermindern, die Menschenrechte zu
respektieren und nach den Prinzipien der Demokratie zu handeln,

 sich im Sinne der Erklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder an-
lässlich des Millenniumsgipfels aktiv für das Ziel einer Halbierung der
Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen bis zum Jahr 2015 einzu-
setzen.

7. Umwelt

Durch globale Umweltprobleme wird der Stellenwert internationaler Verein-
barungen zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen immer größer.
Die Organisation der Vereinten Nationen hat die wichtige Aufgabe, bei allen
Mitgliedstaaten stärker als bisher darauf zu drängen, dass dem dringenden
Handlungsbedarf zum Erhalt der Umweltressourcen, vor allem bei Aufga-
ben des Klimaschutzes und in Folge von Wasserknappheit und Wasserver-
schmutzung, nachgekommen wird. In einigen Regionen ist die Ressource
Wasser Ausgangspunkt internationaler Konflikte. Durch die bereits jetzt er-
kennbare Verknappung dieser Ressource wird das Konfliktpotential erheb-
lich zunehmen. Daher sind insbesondere regionale Kooperationen zur nach-
haltigen Nutzung gemeinsamer Wasserressourcen von den Vereinten
Nationen zu fördern und generell zu unterstützen.

Der Deutsche Bundestag bestärkt die Bundesregierung darin,

 sich dafür einzusetzen, dass zehn Jahre nach dem Gipfel von Rio de Ja-
neiro Umweltpolitik und wirtschaftliche und soziale Entwicklung stärker
integriert und die einzelnen Umweltregime zum Schutz von Klima und
Ozonschicht weiterentwickelt und umgesetzt werden,

 sich für eine verbesserte Kooperation des Entwicklungs- und Umweltpro-
gramms der Vereinten Nationen und der internationalen Finanzinstitutio-
nen (IWF/Weltbank) und der Welthandelsorganisation einzusetzen,

 dazu beizutragen, dass die Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten
des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und der
ECOSOC-Kommission zur nachhaltigen Entwicklung (CSD) ausgebaut
werden,

 sich dafür einzusetzen, dass das Protokoll von Kyoto zur Senkung des
Ausstoßes von Treibhausgasen sowie das Protokoll von Cartagena zur bi-
ologischen Sicherheit ratifiziert und umgesetzt werden,

 die „Millenniums-Bewertung der Ökosysteme“ zu unterstützen,
 zu prüfen, ob die Einrichtung einer Weltumweltorganisation vorteilhafter

ist als die separate Weiterentwicklung der einzelnen Umweltregime zum
Schutz von Klima, Ozonschicht, biologischer Vielfalt, Böden und Ozea-
nen.

Berlin, den 26. Oktober 2000

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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