BT-Drucksache 14/4346

Verdachtsunabhängige Personenkontrolle (Schleierfahndung) durch den Bundesgrenzschutz (Nachfrage)

Vom 18. Oktober 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4346
14. Wahlperiode 18. 10. 2000

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Verdachtsunabhängige Personenkontrolle (Schleierfahndung) durch den
Bundesgrenzschutz (Nachfrage)

Die Antwort der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 14/3990) auf die
Kleine Anfrage der Fraktion der PDS zur Schleierfahndung durch den Bundes-
grenzschutz (BGS) (Bundestagsdrucksache 14/3937) wirft mehr Fragen auf, als
sie beantwortet. Aus ihr ergibt sich lediglich, dass die Bundesregierung eine
grobe Arbeitsstatistik zur Praxis der verdachtsunabhängigen Personenkontrol-
len führt. Für die vor Ablauf der Befristung des Gesetzes vorzulegende Evalua-
tion reichen die erhobenen Daten nicht aus. Aus Sicht der Fragesteller lässt sich
aus den angegebenen Daten nicht einmal der Erfolg der Regelung aus polizei-
taktischer Sicht erkennen. Angesichts der Diskussion im Rahmen des Gesetz-
gebungsverfahrens wäre die Effektivität der Regelung als Mittel gegen die da-
mals behaupteten neuen Gefahren durch die Grenzöffnung im Schengenraum
darzulegen. Ganz fehlen Angaben, welche die Überprüfung der im Gesetz-
gebungsverfahren erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken ermöglichen
würden. Unklar bleibt insbesondere der Umfang der Eingriffe in die Freiheits-
rechte der Bürger und in die Kompetenzen der Länder. Zu vielen Fragen zitiert
die Bundesregierung lediglich die entsprechende gesetzliche Regelung, ohne
die tatsächliche Handhabung in der Praxis zu erläutern.

Besonders die Antwort der Bundesregierung zu Frage 14, nach der sie davon
ausgeht, dass sich die Notwendigkeit zum Erhalt dieser Norm auch nach Ablauf
der zeitlichen Befristung ergeben werde, erweckt den Eindruck, dass die Bun-
desregierung eine genauere Evaluation für überflüssig hält.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Liegen der Bundesregierung auch für die ersten beiden Quartale 2000 Zah-
len zu den Fragen 1, 2 und 10 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdruck-
sache 14/3937 vor?

2. Wie viele der nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 Bundesgrenzschutzgesetz (BGSG)
Kontrollierten waren in den einzelnen Jahren unerlaubt eingereist?

3. Wie hoch waren seit 1990 pro Jahr die Anzahl der aufgrund eines konkreten
Verdachts Kontrollierten und die Anzahl dieser Personen, bei denen eine
illegale Einreise vorlag?

4. Wie hoch waren seit 1990 pro Jahr die Anzahl der bei Grenzkontrollen Kon-
trollierten und die Anzahl dieser Personen, die versuchten, illegal einzurei-
sen?

Drucksache 14/4346 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

5. Was ist der Maßstab der Bundesregierung für die in der Vorbemerkung in
Bundestagsdrucksache 14/3990 genannte „ständige begleitende Bewer-
tung“?

Wird dazu der praktische Nutzen der Maßnahmen aufgrund der neuen Ein-
griffsnorm zur Erreichung des Normzwecks mit den Eingriffen in die
Rechte der Bürger verglichen?

Wenn ja, anhand welcher Daten tut dies die Bundesregierung?

6. Will die Bundesregierung mit dem letzten Satz der Vorbemerkung in Bun-
destagsdrucksache 14/3990 ausdrücken, der BGS führe keine Schleierfahn-
dung neben der Norm des § 22 Abs. 1a BGSG durch, oder dass er zur Un-
terbindung der illegalen Einreise keine anderen schleierfahndungsähnlichen
Maßnahmen als die nach § 22 Abs. 1a BGSG durchführt, oder aber dass der
BGSG gar keine Schleierfahndung durchführt, und was versteht die Bun-
desregierung dann unter Schleierfahndung?

7. Folgt die Verwendung der Bezeichnung „lageabhängige Kontrolle“ statt
der üblicherweise verwandten Begriffe „Schleierfahndung“ oder „ver-
dachts-/anlasslose Kontrolle“ bzw. „verdachts-/anlassunabhängige Kon-
trolle“ für die Bundesregierung aus einer bestimmten rechtlichen Einord-
nung von Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BGSG?

8. Was versteht die Bundesregierung in der Antwort zu Frage 4 unter einem
Kontrollpunkt?

Ist der Begriff insbesondere gleichbedeutend mit dem Begriff der Kontroll-
stelle in § 111 StPO?

Werden an einem solchen Kontrollpunkt tatsächlich alle angetroffenen Per-
sonen kontrolliert, oder trifft der BGS eine Auswahl?

Falls ja, nach welchen Kriterien findet diese statt?

Inwieweit sind die angewandten Kriterien am jeweiligen Normzweck ori-
entiert?

9. Welche Befugnisse des BGS zählen für die Bundesregierung zu den in der
Antwort zu Frage 16 genannten lageabhängigen Kontrollbefugnissen?

10. Was versteht die Bundesregierung in der Antwort zu Frage 11 unter „inlän-
dischem Bereich“ und wie hoch war in den einzelnen Jahren der Anteil der
Verfahren wegen illegalen Aufenthaltes aufgrund von Kontrollen gemäß
§ 22 Abs. 1a BGSG, die an die Landesbehörden abgegeben wurden?

11. Was ist für die Bundesregierung in der Antwort zu Frage 14 der Unterschied
zwischen „Verhinderung“ und „Unterbindung“ der illegalen Einreise?

Wie kann von der Notwendigkeit zum Erhalt der Eingriffsbefugnis auszu-
gehen sein, wenn laut Vorbemerkung die Evaluation noch nicht aussage-
kräftig abgeschlossen ist?

12. Bedeutet die Antwort zu Frage 15, dass die Bundesregierung den Beitrag
von Maßnahmen aufgrund von § 22 Abs. 1a BGSG zur Aufdeckung der
Organisationsstrukturen der illegalen Einreise an der Anzahl der festge-
stellten illegalen Einreisen misst?

13. Inwieweit dienen Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BGSG in der Praxis des
BGS eher zur Abwehr von Gefahren als zur Verfolgung von Straftaten und
sind damit präventivpolizeilicher Natur, wie die Bundesregierung in der
Antwort zu Frage 20 behauptet?

Wie lässt sich diese Feststellung insbesondere anhand der erhobenen Daten
belegen?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/4346

14. Inwieweit geht das in der Antwort zu Frage 21 erläuterte grenzpolizeiliche
Lagebild als Tatbestandsvoraussetzung des § 22 Abs. 1a BGSG über die
wohl selbstverständliche Vorraussetzung hinaus, dass der BGS dort kon-
trolliert, wo er es für erfolgversprechend hält?

Welche konkreten Tatsachen müssen insbesondere für die Feststellung hin-
reichender Lageerkenntnisse vorliegen?

15. Wird das den Maßnahmen nach § 22 Abs. 1a BGSG zugrunde liegende
Lagebild aktenkundig gemacht, ist es als Eingriffsvoraussetzung für die
Beamten rechtsverbindlich und in gerichtlichen Verfahren als Teil des Ein-
griffstatbestandes anhand der Akten überprüfbar?

16. Versteht die Bundesregierung in den Antworten zu den Fragen 24 und 25
unter „konkreten Verdachtsmomenten“ den konkreten Verdacht einer
Straftat oder einen begründeten Gefahrenverdacht?

Wie kann die Speicherung der Daten noch zur Verhinderung unerlaubter
Einreisen beitragen, wenn diese zu diesem Zeitpunkt offenbar schon er-
folgt sind?

Zur Erfüllung welcher anderen konkreten Aufgaben des BGS werden die
erhobenen Daten in der Praxis verwandt?

17. Erfolgt nach Auffassung der Bundesregierung die Erhebung der Daten
zum Zweck der Verhinderung der illegalen Einreise, und wenn ja, wann
hat sich dieser Zweck in der polizeilichen Praxis aus Sicht der Bundes-
regierung im Sinne des § 35 Abs. 2 Nr. 2 BGSG erledigt?

In welchen Dateien gemäß § 36 BGSG werden die im Rahmen der
Schleierfahndung erhobenen Daten gespeichert und welche Prüffristen und
Speicherungsfristen gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 8 BGSG sind für diese Dateien
festgelegt worden?

18. Zu welcher Bewertung der Datenschutzpraxis des BGS und der Daten-
schutzbestimmungen des BGSG ist der Bundesbeauftragte für den Daten-
schutz bisher gekommen?

19. Warum ergibt sich nach Meinung der Bundesregierung laut ihrer Antwort
zu Frage 28 kein legislativer Änderungsbedarf für § 21 BGSG aus dem Ur-
teil des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern?

Hält die Bundesregierung die dort verworfene Regelung zur Schleierfahn-
dung nicht für mit § 21 Abs. 1a BGSG vergleichbar?

Wie bewertet die Bundesregierung nach der nunmehr vorliegenden prakti-
schen Erfahrung die Bedenken des Bundesrates bezüglich der Abgrenzung
von Landes- und Bundeskompetenzen?

20. Wie viele Menschen reisen nach Schätzung der Bundesregierung pro Jahr
illegal nach Deutschland ein?

21. Wie viele Menschen halten sich nach Schätzung der Bundesregierung ille-
gal in Deutschland auf?

Berlin, den 18. Oktober 2000

Ulla Jelpke
Roland Claus und Fraktion

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