BT-Drucksache 14/4246

Entwurf der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Vom 10. Oktober 2000


Deutscher Bundestag

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14. Wahlperiode

10. 10. 2000

Antrag

der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Peter Hintze, Norbert Geis, Peter Altmaier,
Dr. Rupert Scholz, Hermann Gröhe, Karl Lamers, Dr. Ralf Brauksiepe, Dr. Reinhard
Göhner, Horst Günther (Duisburg), Ursula Heinen, Klaus Hofbauer, Dr. Helmut
Kohl, Dr. Martina Krogmann, Dr. Friedbert Pflüger, Hans-Peter Repnik, Hannelore
Rönsch (Wiesbaden), Dr. Wolfgang Schäuble, Christian Schmidt (Fürth), Michael
Stübgen, Arnold Vaatz, Dr. Theodor Waigel und der Fraktion der CDU/CSU

Entwurf der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Der Bundestag wolle beschließen:

1. Der Deutsche Bundestag begrüßt den vorliegenden Entwurf der Charta der
Grundrechte der Europäischen Union als wichtigen Beitrag auf dem Weg
der europäischen Integration. Durch diese Charta wird das Wertefundament
der Europäischen Union gefestigt und die demokratische und rechtliche
Kontrolle der europäischen Institutionen und ihrer Entscheidungen verbes-
sert. Sie ist zugleich ein wesentliches Element für einen künftigen europäi-
schen Verfassungsvertrag. Dieser muss insbesondere auch eine klare Be-
gründung und Abgrenzung der Kompetenzen beinhalten.

2. Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft. Dies wird in der Präam-
bel der Charta ausdrücklich anerkannt. Durch die Bezugnahme auf das geis-
tig-religiöse Erbe der Europäischen Union, durch die Festschreibung der
überragenden Bedeutung der Menschenwürde und des Rechts auf Leben,
das wie alle anderen Menschenrechte jedem Menschen zusteht, durch die
Hervorhebung der zentralen Rolle des Individuums und durch die ausdrück-
liche Betonung des Subsidiaritätsprinzips bekennt sich die Charta zum euro-
päischen Menschenbild auf christlich-abendländischer Grundlage.

3. Durch die Charta wird die überragende Bedeutung der Grund- und Men-
schenrechte und ihre Tragweite für die Unionsbürger deutlicher als bisher
sichtbar. Sie wirkt nicht nur identitätsstiftend für die Bürger der Union, son-
dern ist darüber hinaus auch ein wichtiges politisches Signal für die Beitritts-
kandidaten zur EU sowie für Demokratie-, Menschen- und Bürgerrechts-
bewegungen in aller Welt. Dies ist eine konsequente Weiterentwicklung des
bereits jetzt in Artikel 6 EU-Vertrag angelegten Grund- und Menschenrechts-
schutzes.

4. Durch die Bestimmungen der Charta werden die Grundrechte und Grund-
freiheiten der Bürger gegenüber den europäischen Institutionen erstmals
klar und verständlich für jedermann zusammengefasst. Dies trägt dazu bei,
dass europäische Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen sowie das
Handeln der EU-Organe künftig erstmals an vergleichbar strengen Maßstä-
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ben überprüft werden können, wie sie seit jeher für das Handeln der Mit-
gliedstaaten gelten. Legitimation und Akzeptanz der EU werden so erheb-
lich gestärkt.

5. Der Deutsche Bundestag begrüßt die ausdrückliche Klarstellung in Artikel
51 Abs. 2, wonach durch die Charta weder neue Zuständigkeiten noch neue
Aufgaben für die Gemeinschaft und die Union begründet werden. Vielmehr
garantiert die Charta den Bürgern Grundrechtsschutz im Rahmen der Zu-
ständigkeiten der EU. Allerdings ist die derzeitige Zuständigkeitsverteilung
im EU- und EG-Vertrag an manchen Stellen unklar und bedarf der Präzisie-
rung. Die Verabschiedung der Grundrechtecharta unterstreicht daher die
Notwendigkeit für eine umfassende Zuständigkeits- und Kompetenzabgren-
zung zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten, die für den weiteren
Fortgang der europäischen Integration von herausragender Bedeutung ist.

6. In die Charta sind Grundrechte und Programmsätze aufgenommen worden.
Damit die Bürger der Union ihre Rechte gegenüber den EU-Organen auch
tatsächlich einklagen können, müssen die in der Charta aufgeführten Grund-
rechte rechtsverbindlich werden. Eine Aufnahme in das EU-Recht erfordert
eine gleichzeitige, klare Begründung und Abgrenzung der Kompetenzen
von Union und Mitgliedstaaten. Dies sollte im Rahmen der Erarbeitung ei-
nes europäischen Verfassungsvertrags geschehen. Dadurch wird auch das
Erfordernis einer vorherigen Zustimmung der nationalen Parlamente sicher-
gestellt.

7. Der Deutsche Bundestag begrüßt insbesondere:



Das eindeutige Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Menschenwürde in
Artikel 1 der Charta;



die Berücksichtigung der neueren Entwicklungen im Rahmen der Medi-
zin und der Biologie durch die Aufnahme von Schutzvorschriften, die der
weiteren Entwicklung bedürfen;



das ausdrückliche Bekenntnis zur unternehmerischen Freiheit in Artikel
16;



die institutionelle Garantie des Asylrechts in Artikel 18, wodurch die
Notwendigkeit der Schaffung eines harmonisierten europäischen Asyl-
rechts unterstrichen wird;



das Bekenntnis zur Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen in
Europa in Artikel 22.

8. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass in Artikel 19 Abs. 1 der Charta ein
ausdrückliches Verbot von Kollektivausweisungen und damit auch von Ver-
treibungen verankert werden konnte. Er bedauert, dass trotz der schreck-
lichen Erfahrungen mit ethnischen Säuberungen und Vertreibungen im
20. Jahrhundert kein Grundrecht auf Heimat in die Charta aufgenommen
wurde. Insbesondere im Hinblick auf die Ereignisse der allerjüngsten Zeit
auf dem Balkan und die ungeklärte Situation der Minderheiten in mehreren
europäischen Ländern hätte von einer solchen Bestimmung ein wichtiges
politisches Signal ausgehen können.

9. In Bereichen, die nach wie vor zur Zuständigkeit der Mitgliedstaaten gehö-
ren, ist die Festlegung von Leistungsansprüchen problematisch. Bei der ver-
bindlichen Aufnahme der in der Charta aufgeführten Grundrechte in den
Vertrag ist daher sicherzustellen, dass auf Gemeinschaftsebene nur solche
Rechte einklagbar sind, die auch unstreitig in den Kompetenzbereich der
Gemeinschaft fallen.
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10. Für die Erarbeitung des Charta-Entwurfs hat sich das gewählte Verfahren
durch einen „Konvent“ bewährt. Auf diese Weise war es möglich, neben
den nationalen Regierungen auch Vertreter des Europäischen Parlaments
und der nationalen Parlamente am Zustandekommen dieses wichtigen Pro-
jekts der europäischen Integration mitwirken zu lassen. Dieses Verfahren
hat sich positiv auf die politische Ausgewogenheit des Charta-Entwurfs
ausgewirkt und zudem die Einbeziehung einer weitaus größeren Öffent-
lichkeit ermöglicht.

11. Der Deutsche Bundestag dankt dem Vorsitzenden des Konvents, Bundes-
präsident a. D. Prof. Dr. Roman Herzog, für sein großes Engagement beim
Zustandekommen des Chartaentwurfs.

Berlin, den 10. Oktober 2000

Wolfgang Bosbach
Peter Hintze
Norbert Geis
Peter Altmaier
Dr. Rupert Scholz
Hermann Gröhe
Karl Lamers
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Reinhard Göhner
Horst Günther (Duisburg)
Ursula Heinen
Klaus Hofbauer
Dr. Helmut Kohl
Dr. Martina Krogmann
Dr. Friedbert Pflüger
Hans-Peter Repnik
Hannelore Rönsch (Wiesbaden)
Dr. Wolfgang Schäuble
Christian Schmidt (Fürth)
Michael Stübgen
Arnold Vaatz
Dr. Theodor Waigel
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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