BT-Drucksache 14/4232

Sicherheits- und Notfallkonzept für Nord- und Ostsee

Vom 26. September 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

26. 09. 2000

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Hamburg),
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Eduard Oswald, Klaus Brähmig, Dietrich Austermann,
Otto Bernhardt, Peter Harry Carstensen (Nordstrand), Angelika Volquartz,
Helmut Lamp, Anke Eymer (Lübeck), Peter Kurt Würzbach, Michael von Schmude,
Ulrich Adam, Dr. Angela Merkel, Renate Blank, Georg Brunnhuber,
Wolfgang Dehnel, Hubert Deittert, Peter Götz, Manfred Heise, Hans Jochen Henke,
Norbert Königshofen, Dr. Hermann Kues, Peter Letzgus, Eduard Lintner,
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Dr. Michael Meister, Günter Nooke,
Norbert Otto (Erfurt), Hans-Peter Repnik, Wilhelm Josef Sebastian und der
Fraktion der CDU/CSU

Sicherheits- und Notfallkonzept für Nord- und Ostsee

Nach nunmehr gut zwei Jahren ist es notwendig Bilanz zu ziehen, welche Leh-
ren tatsächlich aus dem Schiffsunglück des Frachters „Pallas“ gezogen wurden.

Am 25. Oktober 1998 geriet die „Pallas“ vor der dänischen Küste in Brand, ein
Seemann starb. Die dänische Küstenwache lehnte es mangels Schlepperkapazi-
täten ab, die „Pallas“ nach Esbjerg zu bergen. In den nächsten Tagen driftete
die „Pallas“ auf die deutsche Nordseeküste zu und havarierte vor Amrum. Erst
20 Tage nach dem Ausbruch des Brandes wurde mit den Löscharbeiten begon-
nen. Das austretende Öl führte zum Tod von ca. 12 000 Seevögeln und zur Be-
einträchtigung des Meeres und der Küste.

Das Unglück der „Pallas“ machte vor allem deutlich, dass die Koordination
und Kooperation zwischen den deutschen Bundes- und Landesbehörden, den
Landesbehörden untereinander und zwischen deutschen und dänischen Behör-
den unzureichend ist.

Wie sieht es damit zwei Jahre später aus?

Die vom Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen eingesetzte
unabhängige Expertenkommission „Havarie Pallas“ kam ihrer Arbeit nur zö-
gerlich nach und legte ihren Bericht erst am 16. Februar 2000 nach mehrmali-
ger Terminverschiebung vor, was nicht der Kommission anzulasten ist. In der
Zwischenzeit gab es weitere schwere Pannen bei der Koordinierung von Hilfen
in Havariefällen: So wurde dem norwegischen Frachter „MS Mercator“ von
den schleswig-holsteinischen Behörden ein Liegeplatz in Brunsbüttel verwei-
gert, als in dessen Laderaum am 5. November 1999 Feuer ausbrach, obwohl die
Feuerwehr Brunsbüttel bereits zur Brandbekämpfung an Bord gegangen war.
Wegen der Weigerung musste der brennende Frachter erst nach Hamburg ge-
schleppt werden.
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Am 21. Juli 2000 legte die Bundesregierung den Entwurf eines Seeschifffahrts-
Anpassungs-Gesetzes vor. Wer von diesem Gesetz eine Modernisierung bei der
Havarievermeidung und des Havariemanagements erwartet hat, wurde ent-
täuscht. Statt dessen liegt der Schwerpunkt des Gesetzentwurfs darin, die
Untersuchung von Seeunfällen aus der öffentlichen Beobachtung zu nehmen:
26 Seiten beinhalten Änderungen des Seeschifffahrts-Untersuchungs-Gesetzes
und nur 12 Seiten widmen sich der umfangreichen und vielschichtigen übrigen
Problematik. Aber auch diese 12 Seiten beinhalten schwerpunktmäßig lediglich
die fachliche Befähigung der Seeleute.

Dies lässt den Schluss zu, die Bundesregierung hält die Organisations- und In-
formationsstrukturen sowie die personelle und technische Ausstattung zur Ver-
meidung und zum Management von Havarien auf See für völlig ausreichend.

Damit missachtet sie den Bericht der Unabhängigen Expertenkommission
„Havarie Pallas“ vom 16. Februar 2000, auf den sich die Bundesregierung in
der Begründung zum Entwurf des Seeschifffahrts-Anpassungs-Gesetzes sogar
selbst bezieht. Von den 30 darin unterbreiteten Empfehlungen werden gerade
einmal zwei Empfehlungen (Nr. 17 und 24) aufgegriffen. Gegen Empfehlung
Nr. 13 wird sogar klar verstoßen. Darin wurde eine wirkungsvolle Unterrich-
tung der Öffentlichkeit empfohlen. Aber gerade diese wird durch die Errich-
tung eines geschlossenen Behördensystems für die Untersuchung von See-
unfällen ausgeschlossen. Im derzeitigen Ablauf werden externe ehrenamtliche
Beisitzer mit entsprechendem Sachverstand in die Untersuchungen einge-
bunden.

Die neu zu schaffende Behörde soll alle Untersuchungen zentral von Hamburg
aus durchführen. Damit wird die umfassende Vor-Ort-Präsenz, wie sie die
dezentralen Seeämter und Wasserschutzpolizeien gewährleisten, eingeschränkt.

Auch der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Februar 2000, mit
dem entsprechend der Beschlussempfehlung auf Bundestagsdrucksache 14/843
der Antrag auf Bundestagsdrucksache 14/281 angenommen wurde, wird in
dem Gesetzesentwurf unberücksichtigt gelassen. Darin forderte der Deutsche
Bundestag die Bundesregierung u. a. zu Maßnahmen der Havarievermeidung
auf.

Dies alles lässt den Schluss zu, dass die Bundesregierung bei einem Versagen
in ihrer eigenen Zuständigkeit und denen der Küstenländer die Kontrolle über
die an die Öffentlichkeit gelangenden Informationen behalten und die wahren
Ursachen einer Havarie verschleiern will.

Dass die Bundesregierung lediglich Aktionismus für die Öffentlichkeit vor-
täuscht, wird auch aus dem Haushaltsentwurf für das Jahr 2001 erkennbar. So
sollen bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung gegenüber dem Jahr 1999
für die Aus- und Fortbildung 1,235 Mio. DM, für Sachverständige (u. a. für die
technische und wirtschaftliche Untersuchung, die der Erarbeitung von Grundla-
gen für Vorsorge- und Bekämpfungsmaßnahmen dient) 1,881 Mio. DM sowie
für die Unterhaltung und den Betrieb des Kommunikationsnetzes 0,942 Mio.
DM eingespart werden.

Wie kurz hier gedacht wird, zeigt die Tatsache, dass allein für die Schadensbe-
seitigung der „Pallas“-Havarie 30 Mio. DM an Folgekosten entstanden sind.

Wir fragen deshalb die Bundesregierung:

1. Hat es seit dem „Pallas“-Unglück vor zwei Jahren Änderungen in den
Sicherheits- und Notfallkonzepten für Nord- und Ostsee gegeben und
wenn ja, welche?
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2. Welche Sicherheits- und Notfallkonzepte gibt es derzeit für die Nord- und
Ostsee?

Welche Lücken sieht die Bundesregierung darin?

3. Welche konkreten Maßnahmen werden in nächster Zukunft zur Verbesse-
rung der Sicherheits- und Notfallkonzepte umgesetzt werden und bis zu
welchem Zeitpunkt?

4. Welche finanziellen Mittel werden für die Verbesserung der Sicherheits-
und Notfallkonzepte bereitgestellt?

5. Durch welche konkreten Maßnahmen wurden die Punkte aus dem o. g. Be-
schluss des Deutschen Bundestages zur Optimierung des Sicherheits- und
Notfallkonzepts für Nord- und Ostsee vom 17. Februar 2000 umgesetzt?

6. Worin sieht die Bundesregierung die größten Gefahrenpotentiale beim
Schiffsbetrieb auf Nord- und Ostsee?

7. Was ist die Ursache dafür, dass die bei der Wasser- und Schifffahrtsver-
waltung angesiedelten Katastrophenstäbe für Nord- und Ostsee bisher bei
keiner Havarie aktiviert worden sind?

8. Warum gibt es für den verkehrsbezogenen Feuerschutz auf der Ostsee
keine Vereinbarung zwischen dem Bund und dem Land Mecklenburg-Vor-
pommern über die Nutzung der vorhandenen Feuerlöschschiffkapazitäten,
wie sie mit den anderen Küstenländern üblich ist?

9. Durch welche konkreten Maßnahmen wurde die Kommunikation und Zu-
sammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem König-
reich Dänemark verbessert, um Zuständigkeitsprobleme wie im Fall „Pal-
las“ zu verhindern?

10. Wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeiten zur Verbesserung der
Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den übrigen Nachbarstaaten
ein?
Welche Veränderungen wurden in den letzten zwei Jahren durchgeführt,
wie haben sich diese in der Praxis ausgewirkt?

11. Welche Prioritätenreihenfolge strebt die Bundesregierung für die Notfall-
konzeption bei der Rettung von Sachwerten, Ökosystemen und der Scha-
densvermeidung an?
Durch welche konkreten Maßnahmen wird diese Prioritätenfolge umge-
setzt?

12. Wie schätzt die Bundesregierung die Zusammenarbeit der auf See tätigen
Dienste (BGS, Zoll, Fischereiaufsicht, WSV) ein?
Wird sich die Form der Zusammenarbeit in Zukunft verändern und
wenn ja, wie?

13. Was wurde nach dem „Pallas“-Unglück getan, um die notwendige Verstär-
kung der Besatzungen auf den Notfall- und Bergungsschiffen im Ernstfall
kurzfristig sicherzustellen?

14. Innerhalb welcher Zeit sind die Besatzungen der einzelnen Schiffe im
Ernstfall verfügbar und in welchem Umfang steht weiteres Personal zur
Ablösung der Besatzungen zur Verfügung?

15. Sind die Schleppverbindungen auf den zur Notfallbekämpfung vorgesehe-
nen Schiffen zwischenzeitlich dem neuesten Stand der Technik angepasst
worden, um auch auf Schiffen ohne Besatzung und Stromversorgung, wie
der „Pallas“, eine sichere Schleppverbindung herstellen zu können?
Wie sehen die Anpassungen konkret aus?
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16. Welche konkreten Initiativen gibt es seitens der Bundesregierung auf euro-
päischer und internationaler Ebene, um Schiffssicherheitsbelangen stärker
Geltung zu verleihen?
Welche Erfolge wurden dabei bisher erzielt?

17. Wie soll eine wirkungsvolle und kontrollierbare Unterrichtung der Öffent-
lichkeit, besonders vor dem Hintergrund der geplanten Änderung des See-
schifffahrts-Untersuchungs-Gesetzes, im Falle von Unfällen auf See zu-
künftig sichergestellt werden?

18. Welche konkreten Maßnahmen wurden zur besseren Aus- und Weiterbil-
dung der Schiffsbesatzungen für Notfallsituationen sowie der Besatzungen
auf den Havarieschiffen getroffen?

19. Wie verträgt sich die Notwendigkeit einer verbesserten Aus- und Weiter-
bildung mit der im Hauhaltsplan 2001 vorgesehenen Kürzung finanzieller
Mittel gegenüber dem Vorjahr in diesem Bereich?

20. Welche wissenschaftlichen Forschungsprojekte gibt es, um die Sicherheit
auf See regelmäßig zu verbessern?
Welche finanziellen Mittel werden hierfür bereitgestellt?
Welche konkreten Ergebnisse aus diesen Forschungsprojekten wurden in
den letzten zwei Jahren in der Praxis realisiert?

21. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass zu einer effizienten Havarie-
vermeidung und einem effizienten Havariemanagement die Etablierung ei-
ner übergeordneten nationalen Küstenwache notwendig ist, die mit allen
relevanten Kompetenzen zur Abwendung von maritimen Katastrophen
ausgestattet sein muss?

22. Teilt die Bundesregierung unsere Auffassung, dass durch die geplante
Reduzierung der ohnehin schon niedrigsten Lotskosten pro Seemeile in
Europa und der damit verbundenen längeren Arbeitszeit der Lotsen die
Sicherheit im Schiffsverkehr abnehmen wird?

Berlin, den 26. September 2000

Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Dirk Fischer (Hamburg)
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Eduard Oswald,
Klaus Brähmig
Dietrich Austermann
Otto Bernhardt
Peter Harry Carstensen (Nordstrand)
Angelika Volquartz
Helmut Lamp
Anke Eymer (Lübeck)
Peter Kurt Würzbach
Michael von Schmude
Ulrich Adam
Dr. Angela Merkel
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Hubert Deittert
Peter Götz
Manfred Heise
Hans Jochen Henke
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