BT-Drucksache 14/4194

Aktuelle handelspolitische Fragen bei der Welthandelsorganisation

Vom 29. September 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4194
14. Wahlperiode 29. 09. 2000

Große Anfrage
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Ulrich Heinrich, Gudrun Kopp, Marita Sehn,
Birgit Homburger, Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, Paul K.
Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Karlheinz Guttmacher, Dr. Helmut Haussmann, Walter Hirche, Dr. Werner
Hoyer, Ulrich Irmer, Jürgen Koppelin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Dirk Niebel, Cornelia Pieper, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P

Aktuelle handelspolitische Fragen bei der Welthandelsorganisation

Deutschland hat 1998 für fast 540 Mrd. US-Dollar Waren exportiert und war
damit nach den USA mit einem Anteil von zehn Prozent am Weltexportmarkt
die zweitgrößte Exportnation der Welt. Deutschland muss deshalb ein großes
Interesse an einem freien Handel haben, der es unserer Wirtschaft ermöglicht,
ihre Stärken im Export voll zu entfalten. Bei der Durchsetzung liberaler Han-
delspolitik spielt die Welthandelsorganisation (WTO) die entscheidende Rolle.
Die WTO schlichtet Handelsstreitigkeiten und kann Staaten mit Sanktionen
belegen. Insbesondere die Handelskonflikte zwischen Europa und den USA
machen deutlich, dass eine starke WTO unverzichtbar ist. Dazu ist es allerdings
erforderlich, dass die großen Handelsblöcke – Nordamerika und Europa – die
Entscheidungen der WTO auch dann akzeptieren, wenn sie selbst gegen inter-
nationale Handelsbestimmungen verstoßen haben. Der Bananen-, Hormon-
fleischstreit oder die Subventionierung von US-Vertriebsgesellschaften im
Ausland (Foreign Sales Corporations, FSC) zeigen, dass Europa und die USA
gleichermaßen zu kritisieren sind.

Nichtdiskriminierung und Meistbegünstigung sind Kernprinzipien, die nicht
nur in der Handelspolitik hochgehalten werden sollten. Das bisher Erreichte ist
zu kostbar, um zur Dispositionsmasse kurzfristiger, innenpolitisch motivierter
Taktik zu werden. Die Bundesrepublik Deutschland muss deshalb ein elemen-
tares Interesse daran haben, Fortschritte auf dem Weg zu einem offeneren und
transparenteren Welthandelssystem zu erzielen. Die Chancen auf solche Fort-
schritte dürfen auch nicht einem deutschen Weltverbesserungseifer geopfert
werden. Deshalb sollte nicht die WTO, sondern die dafür ausgewiesenen inter-
nationalen Fachleute bei der IAO (Internationale Arbeitsorganisation) internati-
onale sozialpolitische Normen verhandeln.

Einfache Regeln und mehr Transparenz wirken der Dämonisierung der WTO
entgegen. Versuchen, Schieflagen am Arbeitsmarkt, die Folge unerledigter Re-
formen z. B. bei der Arbeitsmarktflexibilisierung sind, einfach zur Konsequenz
eines „Sozialdumpings“ durch unerwünschte ausländische Anbieter zu erklären

Drucksache 14/4194 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

und damit Einschränkungen bei der Liberalisierung zu rechtfertigen, muss die
WTO – gerade auch unterstützt durch die Bundesregierung – entschlossen ent-
gegentreten können.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. WTO allgemein

1. Welche konkreten Schritte wird die Bundesregierung ergreifen, um die im
jüngsten Prüfbericht der WTO kritisierten, seit 1997 demnach unverändert
hohen Staatshilfen für die Industrie zurückzuführen?

2. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Ergebnis
der WTO-Studie „Handel, Einkommensunterschiede und Armut“ – vor-
gestellt am 19. Juni 2000 –, derzufolge die unteren Schichten auch inner-
halb der armen Länder besonders von Handelsliberalisierungen profitie-
ren?

3. Welche konkreten Handelsstreitfragen, bei denen die USA und die EU
Partei sind, werden zz. bei der WTO verhandelt?

4. Wie viele WTO-Schiedssprüche gibt es, die die EU bislang noch nicht
umgesetzt hat?

5. Auf welchen Wegen wirkt die Bundesregierung darauf hin, dass die EU
auch für sie unangenehme WTO-Entscheidungen (z. B. zum Bananen-
markt) anerkennt?

6. Aus welchen Gründen lehnt die Bundesregierung eine Unterordnung der
Landwirtschaft unter das allgemeine Regelwerk der WTO ab?

7. Welche Erwägungen sprechen gegen eine Liberalisierung audiovisueller
Dienstleistungen unter dem Dach der WTO?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die demokratische Legitimierung von
Nichtregierungsorganisationen im Vergleich mit der Legitimation der
WTO?

II. Freihandel und Umweltschutz

9. Wie beurteilt die Bundesregierung grundsätzlich das Verhältnis der politi-
schen Zielvorstellungen von Freihandel auf der einen und Umweltschutz
auf der anderen Seite?

10. Sieht die Bundesregierung mit Blick auf die tatsächlichen Gegebenheiten
ein Spannungsverhältnis zwischen den Zielvorstellungen, wonach die
WTO einerseits liberale Handelsbeziehungen durch Marktöffnung gewähr-
leisten und fördern soll, dabei andererseits aber Belange nationaler Um-
weltpolitik und multilaterale Umweltschutzabkommen zu berücksichtigen
hat?

11. Wenn ja: Auf welche Ursachen führt die Bundesregierung dieses Span-
nungsverhältnis zurück und wie gedenkt sie möglichen Konflikten künftig
entgegenzuwirken?

12. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung, die WTO solle verbindlich
erklären, dass sie internationale Abkommen zum Schutz der Natur sowie
das so genannte Vorsorgeprinzip bei Umweltgefahren allgemein akzep-
tiert?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag, eine Weltumweltorgani-
sation zu schaffen, welche als zentrale Institution internationale Umwelt-
schutzbelange fördert und durchsetzt, indem sie das Umweltziel langfristig

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/4194

auf ähnliche Weise gegen kurzfristige Länderinteressen durchsetzt wie das
GATT die Freihandelsidee im Bereich des Handels?

14. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung nach einheitlichen Um-
weltstandards für den internationalen Warenverkehr?

III. FSC-Gesetzgebung

15. In welchem Ausmaß profitieren deutsche Unternehmen mit amerikani-
schen Tochtergesellschaften von der amerikanischen FSC-Gesetzgebung?

16. Welche Haltung hat die Bundesregierung zu den Versuchen, die US-ameri-
kanische FSC-Gesetzgebung unter Hinweis auf das in der EU bei der Um-
satzsteuer praktizierte Bestimmungslandprinzip zu rechtfertigen?

17. Welche Wege sieht die Bundesregierung, im Hinblick auf weltweit operie-
rende Unternehmen zu einer mit den WTO-Prinzipien in Einklang stehen-
den steuersystematischen Regelung der Gewinnbesteuerung im Einverneh-
men mit den USA zu gelangen?

18. Welche Schritte hat die US-Regierung nach Kenntnis der Bundesregierung
unternommen, um das WTO-Urteil fristgerecht umzusetzen?

19. Hält die Bundesregierung die Initiativen der US-Regierung für ausrei-
chend?

20. Hat die Bundesregierung Versuche unternommen, zusammen mit ihren
EU-Partnern zu einer Beilegung des Streits jenseits eines WTO-Verfahrens
zu gelangen?

21. Wie beurteilt die Bundesregierung den „materiellen Schaden“, der EU-Un-
ternehmen möglicherweise durch die FSC-Gesetzgebung entsteht, im Ver-
hältnis zu dem handelspolitischen Schaden, den EU-Sanktionen bei Nicht-
beachtungnutzung des WTO-Urteils durch die USA anrichten könnten?

IV. Exportsubventionen

22. Für welche Produkte und in welcher Höhe werden Exportsubventionen auf
europäischer Ebene aufgewendet?

23. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, wie und in welcher
Höhe Handelspartner wie die USA oder Vertreter der „Cairns-Gruppe“
über Exportsubventionen ihre Wettbewerbssituation zu verbessern suchen?

24. Sind diese Exportpraktiken „WTO-konform“?

25. Welche grundsätzlichen handels-, entwicklungs-, agrar- und umweltpoliti-
schen Auswirkungen werden durch Exportsubventionen, insbesondere in
den Entwicklungsländern hervorgerufen?

26. Wieso hat die Bundesregierung die Forderungen im Rahmen der Agenda
2000-Verhandlungen im vergangenen Jahr nicht aufgegriffen und schon
damals einen Abbau der handelsverzerrenden Exportsubventionen einge-
leitet?

V. EU-Bananenmarktordnung

27. Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Beschluss der
USA, Strafzölle künftig nach einem Karussellverfahren zu verhängen?

28. Wie beurteilt die Bundesregierung die Erfolgsaussichten von Schadens-
ersatzklagen, welche die durch den transatlantischen Bananenstreit von

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Strafzöllen betroffenen Unternehmen, z. B. Faltschachtelhersteller, gegen
die EU anstrengen wollen?

29. Wird die Bundesregierung solche Klagen auf Schadensersatz, die mit der
gegen internationales Handelsrecht verstoßenden Bananenmarktordnung
zusammenhängen, unterstützen?

VI. Export von hormonbehandeltem Rindfleisch aus den USA nach Europa

30. Welche konkreten volkswirtschaftlichen Vorteile hat die bestehende EU-
Bananenmarktordnung für die Bundesrepublik Deutschland?

31. Welche konkreten volkswirtschaftlichen Vorteile hat die bestehende EU-
Bananenmarktordnung für die Bundesrepublik Deutschland?

32. Wie ist der aktuelle Sach- und Verhandlungsstand in den Handelsstreitig-
keiten über den Export von hormonbehandeltem Rindfleisch aus den USA
nach Europa?

33. Wie beurteilt die Bundesregierung die Position der EU in diesem Handels-
streit insbesondere vor dem Hintergrund der ergangenen WTO-Entschei-
dungen, die zu Strafzöllen in dreistelliger Millionenhöhe zu Lasten der
europäischen Wirtschaft geführt haben?

34. Sind der Bundesregierung internationale und europäische Gutachten be-
kannt, z. B. von JECFA (Joint Expert Committee for Food Additives) und
Codex Alimentarius, in denen die natürlichen Wachstumshormone als völ-
lig unbedenklich für den Menschen beurteilt wurden und festgestellt
wurde, dass aufgrund der Unbedenklichkeit dieser Substanzen die Festset-
zung einer Rückstandshöchstmenge nicht erforderlich ist?

35. Trifft es zu, dass die Europäische Kommission im Jahr 1994 17 -Oestra-
diol zur zootechnischen und therapeutischen Anwendung in Anhang II –
keine Rückstandshöchstmenge notwendig – in die Höchstmengenverord-
nung 2377/90/EWG aufgenommen hat?

36. Inwieweit hat sich das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucher-
schutz und Veterinärmedizin, BgVV, als zuständige Bundesoberbehörde
mit der Frage der Sicherheit von Oestradiol und anderen Sexualhormonen
zur Mast befasst?

Zu welchem Ergebnis sind das BgVV oder von der Behörde befragte Gut-
achter gelangt?

Liegen der Bundesregierung ggf. entsprechende Stellungnahmen vor?

37. Hat die Bundesregierung wissenschaftliche Fachgesellschaften der Human-
medizin, wie die Deutsche Gesellschaft der Endokrinologie, in die wissen-
schaftliche Beurteilung zur Unbedenklichkeit von Sexualhormonen mit
einbezogen?

VII. Weinbau

38. Trifft es zu, dass der Weinexport in die USA seit Jahren durch ein aufwen-
diges Anerkennungsverfahren für Etiketten in den USA behindert wird?

39. Wie ist der aktuelle Verhandlungsstand über eine Abschaffung des „label
approval“ im Rahmen eines EU-US-Wein-Accords, über den bereits seit
Jahren verhandelt wird?

40. Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um hier
einen Verhandlungsabschluss im Sinne eines freien Handels zu beschleu-
nigen?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/4194

41. Was hat die Bundesregierung zur Beseitigung nichttarifärer Behinderungen
des Warenverkehrs mit Wein zwischen Deutschland und Russland im
Zusammenhang mit sehr niedrigen SO2-Grenzwerten in Russland unter-
nommen?

42. Wie reagiert die Bundesregierung auf den Wunsch Brasiliens, zur Wein-
überwachung eigene Kontrolleure auf Kosten der deutschen Weinexpor-
teure nach Deutschland zu schicken, um die Einhaltung von Qualitätsstan-
dards „vor Ort“ zu kontrollieren?

43. Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Forderung der
Weinwirtschaft, sich für eine Nichtanwendung der so genannten Portario
Nr. 30 einzusetzen?

VIII. Biosafety-Protokoll

44. Welche handelspolitischen Auswirkungen erwartet die Bundesregierung
durch die Einigung über das so genannte Biosafety-Abkommen?

45. Rechnet die Bundesregierung mit handelspolitischen Problemen im Zu-
sammenhang mit dem Import von gentechnisch veränderten Produkten?

46. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass das Biosafety-Proto-
koll Importverbote gentechnisch veränderter Produkte auch ohne end-
gültige Beweise der negativen Auswirkungen auf Umwelt oder Gesundheit
erlaubt, während die WTO aber nur Importverbote für Güter vorsieht,
deren Schädlichkeit wissenschaftlich bewiesen ist?

Berlin, den 29. September 2000

Rainer Brüderle
Ulrich Heinrich
Gudrun Kopp
Marita Sehn
Birgit Homburger
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Ernst Burgbacher
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Jürgen Koppelin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Cornelia Pieper
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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