BT-Drucksache 14/4149

Rückgabe von Grundstücken und Gebäuden im ehemaligen Grenzgebiet zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (einschließlich Berlin)

Vom 27. September 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

Antrag

des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

Rückgabe von Grundstücken und Gebäuden im ehemaligen Grenzgebiet
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen
Republik (einschließlich Berlin)

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, der die Rückgabe von Grundstücken
und Gebäuden, die im Rahmen des Ausbaus und der Sicherung der ehemaligen
Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlin
und der Deutschen Demokratischen Republik einschließlich ihrer Hauptstadt
Berlin durch Enteignung oder in anderer Weise (z. B. Zwangsverkauf) den
Eigentümern entzogen wurden, an diese oder deren Gesamtrechtsnachfolger
regelt. Soweit die ins Bundeseigentum übergegangenen Grundstücke und Ge-
bäude zwischenzeitlich veräußert wurden, ist für die Berechtigten ein Anspruch
auf den erzielten Erlös zu regeln.

Berlin, den 26. September 2000

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Grundstücke, die zum Zweck der Errichtung der berliner und der deutsch-
deutschen Grenze sowie der dazugehörigen Sperranlagen nach den Rechtsvor-
schriften der DDR enteignet wurden, sind mit der deutschen Wiedervereini-
gung in Bundesvermögen übergegangen. Da diese Enteignung oder auf andere
Weise erfolgte Abgabe (z. B. Verkauf) der so genannten Mauergrundstücke und
der Grenzgrundstücke der DDR an der Grenze zur Bundesrepublik Deutsch-
land einschließlich der darauf befindlichen Aufbauten kein „geraubtes“ Eigen-
tum, kein „Verwaltungsunrecht der DDR“ (vgl. Hans-Joachim Hacker, MdB
SPD, Plenarprotokoll 13/86, S. 7615 und 7616) war, bestehen keine Restitu-
tionsansprüche nach dem Vermögensgesetz. In diesem werden nur Enteignun-
gen aufgrund politischer Verfolgung oder Diskriminierung erfasst. Auch wenn
diese Enteignungen der „Mauergrundstücke“ keine Akte politischer Verfolgung
missliebiger DDR-Bürger darstellten, auf gesetzlicher Grundlage einschließ-
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lich der dafür vorgesehenen Entschädigungen erfolgten und deshalb nach Arti-
kel 19 des Einigungsvertrages zu den auch nach dem Beitritt rechtswirksamen
Verwaltungsakten der DDR gehören, gab es in der 13. Wahlperiode zwischen
Regierung und Opposition eine kontroverse Diskussion, ob die Grundstücke
dennoch an die vormaligen Eigentümer zurückgegeben werden sollten. Das ge-
gen die Stimmen der Oppositionsparteien verabschiedete Mauergrundstücks-
gesetz vom 15. Juli 1996 sieht für die betroffenen ehemaligen Eigentümer
nur eine Rückerwerbsmöglichkeit zu einem Preis von 25 % des Verkehrswertes
vor, falls der Bund die Grundstücke nicht für dringende eigene öffentliche
Zwecke verwenden oder im öffentlichen Interesse an Dritte veräußern will. Mit
dem im Jahre 1998 erfolgten Regierungswechsel besteht nun die Möglichkeit,
die von der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angestrebte Rückübereig-
nung an die vormaligen Eigentümer bzw. deren Erben umzusetzen, zumal das
„Mauergrundstücksgesetz“ nicht zu einer Befriedung beigetragen, sondern
vielmehr eine größere Zahl von Rechtsstreitigkeiten nach sich gezogen hat, da
die Situation für die Betroffenen nach wie vor unbefriedigend ist und sie oft-
mals nicht dazu in der Lage sind, von ihrem eingeschränkten Rückerwerbsrecht
Gebrauch zu machen. Es sollte deshalb auch unter Berücksichtigung des histo-
risch einmaligen Prozesses der deutschen Teilung, der für die Betroffenen und
an diesem Vorgang unbeteiligten Eigentümer eine Aufgabe ihrer Grundstücke
zur Folge hatte, ungeachtet der Rechtssicht eine gesetzliche Korrektur erfolgen.
Die ehemaligen Mauer- und Grenzgrundstücke sind deshalb an die ehemaligen
Eigentümer bzw. deren Erben zurückzugeben bzw. dort, wo dies nicht mehr
möglich ist, der Veräußerungserlös an diese auszuzahlen. Es ist politisch nicht
gerechtfertigt, diese sich zumeist im Bundeseigentum befindenden Grundstü-
cke den überwiegend aus der ehemaligen DDR stammenden früheren Eigentü-
mern weiter vorzuenthalten.

Der vorliegende Antrag greift Forderungen der SPD-Fraktion aus der 13. Wahl-
periode sowie aus zahlreichen Petitionen auf, welche aus grundsätzlichen
Erwägungen die von der CDU/CSU geführten Regierung vorgeschlagene
Regelung eines Rückerwerbsrechts zu Vorzugspreisen ablehnte. Mit ihrem
Änderungsantrag vom 8. Februar 1996 verfolgte sie das Ziel, die ursprüngliche
Fassung des Gesetzentwurfs des Bundesrates wiederherzustellen, wonach die
Rückgabe der ehemaligen Grenzgrundstücke über die Aufnahme eines weite-
ren Restitutionstatbestandes in das Vermögensgesetz erfolgen sollte. Nach der
Verabschiedung des Gesetzes über den Verkauf von Mauer- und Grenzgrund-
stücken an die früheren Eigentümer (Mauergrundstücksgesetz-MauerG) vom
15. Juli 1996 wurde den ehemaligen Eigentümern zwar unter bestimmten
Bedingungen ein Rückerwerbsrecht zu 25 % des Verkehrswertes eingeräumt.
Es hat sich in der Praxis allerdings herausgestellt, dass die verabschiedete
Regelung wenig greift, da es gerade den sozial schwächeren ehemaligen Eigen-
tümern aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht möglich ist, in Anbetracht
der hohen Bodenpreise z. B. in der Berliner Stadtlage, von diesem Rück-
erwerbsrecht Gebrauch zu machen, da auch 25 % des Verkehrswertes zumeist
einen beträchtlichen Betrag ausmachen. Es ist deshalb erforderlich, entweder
im Vermögensgesetz oder in einem gesonderten Gesetz eine Rückübertra-
gungsregelung zu schaffen und dort, wo die Rückübertragung aufgrund zwi-
schenzeitlichen Verkaufs nicht mehr möglich ist, die Auszahlung des Verkaufs-
erlöses an die Betroffenen gesetzlich zu regeln. Das Mauergrundstücksgesetz
ist zugleich außer Kraft zu setzen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob aufgrund des im ursprünglichen vierseitigen
Besatzungsrechts festgelegten entmilitarisierten Status Berlins gar keine völ-
kerrechtlich wirksamen Enteignungsakte hätten vorgenommen werden können,
d. h. die Übernahme des Verteidigungsgesetzes in Berlin (Ost) unwirksam war
und deshalb dieses Gesetz keine rechtliche Grundlage für die vorgenommenen
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Enteignungen darstellen konnte. Diese Rechtsposition (vgl. z. B. Beschluss
Berliner Kammergericht vom 23. Dezember 1994, RGV B I 97, S. 246) würde
im Ergebnis zu einer unterschiedlichen Behandlung der Grenzgrundstücke im
Berliner Stadtgebiet und an der ehemaligen Westgrenze der DDR führen und
nicht zu einer ausreichenden politischen Befriedung beitragen.

Erstaunlich ist allerdings schon, dass die während des Bestehens der Deutschen
Demokratischen Republik stets vertretene Rechtsauffassung der drei West-
alliierten und der Bundesrepublik Deutschland ohne jede Begründung fallen
gelassen wurde. Solange die DDR bestand, wurde immer bestritten, dass der
Ostteil Berlins Bestandteil der DDR ist. Selbst beim Austausch der Ständigen
Vertretungen wurde deshalb Wert darauf gelegt, dass die der Bundesrepublik
Deutschland „bei“ der DDR installiert wurde, nicht „in“ der DDR. Bei jeder
Militärparade der Nationalen Volksarmee im Ostteil Berlins gab es Proteste der
drei Westmächte mit der Begründung, dass ganz Berlin entmilitarisiert sei und
deshalb die NVA kein Recht hätte, in Berlin (Ost) zu wirken. Sowohl die West-
mächte als auch die Bundesrepublik Deutschland vertraten immer die Auffas-
sung, dass das Verteidigungsgesetz der DDR in Ostberlin nicht wirksam sein
könne. Selbst in der DDR wandelten sich die Rechtspositionen erst mit der
Zeit. Bis zur vorletzten Volkskammerwahl z. B. durften die Bürgerinnen und
Bürger Ostberlins die Volkskammer nicht mitwählen. Lange Zeit gab es auch
ein eigenes Verordnungsblatt für Ostberlin. Gesetze der Volkskammer mussten
durch gesonderten Beschluss der Stadtverordnetenversammlung übernommen
werden. Fest steht auf jeden Fall, dass dann, wenn der Gesetzgeber der Bundes-
republik Deutschland bei seiner früheren Rechtsposition geblieben wäre, er die
Enteignungen der Grundstücke an der Grenze zwischen Ost- und Westberlin als
von Anfang an unwirksam hätte ansehen und deshalb den enteigneten Eigen-
tümern die Grundstücke sofort hätte zurückgeben müssen. Dies ist aber nicht
geschehen und darauf soll dieser Antrag auch nicht gestützt werden, nicht nur,
weil die PDS-Bundestagsfraktion eine andere Rechtsauffassung vertritt, son-
dern wegen der dann unvermeidlichen Ungleichbehandlung von enteigneten
Eigentümern an der Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik
Deutschland. Wenn der Deutsche Bundestag seit dem 3. Oktober 1990 und spe-
ziell im Vermögensgesetz nunmehr die Auffassung vertritt, dass die Enteignun-
gen durch DDR-Behörden an der Grenze der DDR einschließlich Berlin rechts-
wirksm waren, dann setzt eine solche Einschätzung voraus, dass das
diesbezügliche DDR-Enteignungsrecht anerkannt wird. Gerade danach wäre
aber eine Rückübereignung der ehemaligen Grenzgrundstücke erforderlich ge-
wesen.

Bei Wegfall des Enteignungsgrundes sah das DDR-Recht eine Rückgabe vor.
Gemäß § 9 der Grenzverordnung der DDR vom 25. März 1982 waren diese
Grundstücke, soweit sie nicht mehr für die Grenzsicherung benötigt wurden,
zurückzugeben. Wörtlich heißt es: „Grundstücke, die nicht mehr für Maß-
nahmen zum Schutz der Staatsgrenze benötigt werden, sind an die Rechts-
träger, Eigentümer oder sonstigen Nutzer zu übergeben. Sofern sich diese
Grundstücke in Rechtsträgerschaft der Schutz- und Sicherheitsorgane befinden,
hat die Übergabe an den zuständigen Rat des Kreises zu erfolgen.“

Aus diesen Regelungen hätte sich eine klare juristische Verpflichtung des Deut-
schen Bundestages ergeben. Wenn das DDR-Recht zu wirksamen Enteignun-
gen geführt hat, so musste auch die genannte Regelung mit Wegfall des Enteig-
nungszweckes greifen. Mit der Öffnung der Mauer in Berlin und der
Durchlässigkeit der Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik
Deutschland waren bereits im Herbst 1989, auf jeden Fall im Laufe des Jahres
1990, die Gründe für die Enteignung entfallen. So, wie die Grenzen zu diesem
Zeitpunkt bestanden, waren die Enteignungen zu ihrer Sicherung nicht mehr
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notwendig. Selbst, wenn aber davon ausgegangen wird, dass die Enteignungen
bis zum Ende der DDR ihren Zweck erfüllten, entstand spätestens am
2. Oktober 1990 um 24.00 Uhr der Rückgabeanspruch der ehemaligen Eigentü-
mer. In dieser Sekunde existierte der Enteignungszweck mit Sicherheit nicht
mehr. Ab dem 3. Oktober 1990, 0.00 Uhr, existierte die DDR nicht mehr, damit
auch nicht mehr ihre Grenze zur Bundesrepublik Deutschland bzw. zu Westber-
lin. Der Rückgabeanspruch der ehemaligen Eigentümer war mithin 1989 oder
im Laufe des Jahres 1990, spätestens am 2. Oktober 1990 um 24.00 Uhr,
rechtswirksam entstanden. Gegen diese Rechtslage spricht auch nicht der Be-
schluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Dezember 1997. Durch ihn
wurde lediglich festgestellt, dass der Bundesgesetzgeber zur Rückgabe enteig-
neter Grundstücke dann nicht verpflichtet ist, wenn der Zweck der Enteignun-
gen „nach“ der Vereinigung oder zu einem späteren Zeitpunkt entfiel. Hier ent-
fiel der Zweck eindeutig schon vorher und im Unterschied zu anderen
Enteignungsfällen sah das DDR-Recht selbst eine Rückgabe vor und dieser
Anspruch war am 3. Oktober 1990, 0.00 Uhr, bereits entstanden. In diesem Fall
stellt die ausgebliebene Rückgabe eine erneute Enteignung dar, ohne dass es
dafür eine gesetzliche Grundlage und eine Entschädigung gegeben hätte.

Aber auch, wenn man sich dieser Rechtsauffassung nicht anschließt, bleibt der
Fakt bestehen, dass der Enteignungszweck spätestens mit dem Beitritt der DDR
zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ent-
fiel, und dass es deshalb politisch und moralisch geboten erscheint, den ehe-
maligen Eigentümern ihre Grundstücke zurückzugeben. Eine besondere Rolle
spielt bei diesen Überlegungen, dass während des Bestehens der DDR Rechte
anderer natürlicher Personen nicht entstehen konnten. Die Rückgabe war und
ist deshalb möglich, ohne in die Rechte anderer Personen einzugreifen. Der
hier gestellte Antrag berücksichtigt allerdings, dass die Bundesrepublik
Deutschland inzwischen auch schon Grundstücke verkauft hat. Hier kann keine
Rückgabe mehr erfolgen, sondern nur noch eine Entschädigung in Form der
Übergabe des Verkaufserlöses.

Nach den neuen Mehrheitsverhältnissen im Deutschen Bundestag ist nicht
einzusehen, dass die ursprünglichen Forderungen der SPD-Bundestagsfrak-
tion nicht realisierbar sein sollten. Hinzu kommt, dass gerade die Grenze der
DDR zur Bundesrepublik Deutschland und die Grenze in Berlin in besonderer
Weise Gegenstand politischer und moralischer Auseinandersetzungen ist, so
dass es keinen nachvollziehbaren Grund gibt, ehemalige Eigentümer von
Grundstücken an dieser Grenze dauerhaft mit den negativen Folgen der Teilung
zu belasten, wenn es eine einfache gesetzliche Möglichkeit gibt, ihnen nach
Überwindung der Grenzen ihr Eigentum zurückzugeben.

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