BT-Drucksache 14/4145

Handeln gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und daraus resultierender Gewalt

Vom 27. September 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

27. 09. 2000

Antrag

der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sabine Jünger, Petra Bläss,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

Handeln gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit
und daraus resultierender Gewalt

Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

1. Die Aufklärungsarbeit gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremden-
feindlichkeit muss erheblich verstärkt werden



Die im Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das Jahr 2001 bisher da-
für vorgesehenen Mittel (1,88 Mio. DM im Haushalt der Bundeszentrale für
politische Bildung und 2,5 Mio. DM an anderer Stelle im Haushalt des Bun-
desministeriums des Innern) sind völlig unzureichend. Die Bundesregierung
wird aufgefordert, mindestens 25 Mio. DM für eine sofortige Informations-
kampagne bereitzustellen, die möglichst noch in diesem Jahr beginnen soll
und mit Broschüren, Faltblättern und anderen Informationsmitteln antisemi-
tische, rechtsextremistische und fremdenfeindliche Bestrebungen und Orga-
nisationen durch Widerlegung ihrer Propagandalügen zurückzudrängen
sucht.

Diese Aufklärungsarbeit sollte von der Bundeszentrale für politische Bil-
dung in enger Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Organisationen und
Verbänden wie Gewerkschaften, Kirchen, Sportverbänden und Organisatio-
nen der Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge erfolgen.



Zur kontinuierlichen Verbesserung, Ausweitung und Systematisierung die-
ser Aufklärungsarbeit soll eine „Beobachtungsstelle für antisemitische, ras-
sistische und fremdenfeindliche Bestrebungen“ geschaffen werden, die –
ähnlich wie die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit in Wien, aber mit deutlich mehr personellen und fi-
nanziellen Mitteln als diese – antisemitische, rassistische und fremdenfeind-
liche Bestrebungen und Gewalttaten und ihre ideologischen und organisa-
torischen Hintergründe in Zukunft kontinuierlich beobachtet, erfasst,
auswertet und darüber der Öffentlichkeit berichtet. Das derzeitige System
der Erfassung rechtsextremistischer und antisemitischer Bestrebungen und
Gewalttaten über die Verfassungsschutzbehörden und die Polizeibehörden
der Länder und des Bundes hat das Ausmaß dieser Bestrebungen nicht auf-
decken und berichten, geschweige denn erfolgreich bekämpfen können.



Erforderlich ist auf diesem Gebiet auch eine Verstärkung der Forschungsar-
beit und der Lehrtätigkeit an den Hochschulen. Die Forschungsarbeit und
Lehrtätigkeit über Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit
muss dringend ausgeweitet werden, sowohl durch Lehrstühle zur Erfor-
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schung der gesellschaftlichen Hintergründe und Geschichte solcher Bestre-
bungen als auch im Bereich der Lehrerbildung und allgemein der Aus-
bildung an den Hochschulen. Die Bundesregierung ist aufgefordert,
entsprechende Schritte an den Hochschulen sowohl durch allgemeine Zu-
wendungen an solche Einrichtungen als auch durch die Förderung entspre-
chender Forschungsvorhaben zu unterstützen.



Aufgelegt werden soll ein Bund-Länder-Sonderprogramm zum Erhalt und
zum Ausbau von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des NS-Re-
gimes.

2. Opfer rassistischer, antisemitischer und fremdenfeindlicher Gewalt
stärker schützen



Die Opfer rechtsextremistischer Gewalt werden bis heute weitgehend allein
gelassen. Das beginnt bei der Regulierung der Sachschäden und finanziellen
Verluste, die ihnen durch rechtsextreme Gewalttäter zugefügt wurden, geht
weiter über die gesundheitlichen Schäden, die bei schweren und dauerhaften
Verletzungen oft ihre gesamte Familie vor unlösbare Probleme stellen, bis
hin zu den Gerichtskosten, die ihnen als Nebenkläger bei Gerichten entste-
hen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine zentrale Stelle „Opfer-
schutz“ zu errichten, an die sich Opfer rechtsextremer Gewalt in Zukunft
wenden können und die in Zukunft die Kosten solcher Angriffe – soweit sie
nicht durch Versicherungen oder staatliche Hilfe gedeckt werden – für die
Opfer übernimmt.



Opfer rechtsextremer Gewalt sind vielfach Migrantinnen und Migranten so-
wie Flüchtlinge. Die rechtsextremen Täter wollen mit ihren Gewalttaten ge-
gen diese Menschen auch den Vertreibungsdruck gegen diese Menschen
verstärken. Dagegen gilt es einzuschreiten und ein deutliches Zeichen zu
setzen: Wer Opfer rechtsextremistischer Gewalt geworden ist, wer durch
rechtsextremistische Gewalt verletzt wurde, soll künftig ein dauerhaftes
Bleiberecht erhalten. Das wäre auch ein Signal an die rechtsextremistische
Szene, dass sie mit ihren Angriffen auf diese Menschen das genaue Gegen-
teil dessen erreicht, was sie erreichen will.



Die Bundesregierung wird aufgefordert, dass Opferentschädigungsgesetz so
zu ändern, dass alle Opfer rechtsextrem und fremdenfeindlich motivierter
Gewalt- und Straftaten eine Entschädigung erhalten.



Menschen, die Opfern von Gewalttaten zu Hilfe kommen, müssen generell
besser abgesichert werden. Durch den Staat sind ihnen Sachschäden unver-
züglich zu ersetzen und Entschädigungen für Gesundheitsschäden zu ge-
währen. Der Staat ist dann berechtigt, den Ersatz durch die Täter zu fordern.
Das Eintreten von Menschen zur Unterbindung von Gewalt gegen andere ist
öffentlich durch eine speziell gestiftete staatliche Auszeichnung zu ehren.

3. Zivilcourage und breite Bündnisse gegen Rechtsextremismus fördern



Die Zurückdrängung und Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und
Fremdenfeindlichkeit ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Breite
Bündnisse sind erforderlich, um dieser menschenverachtenden Politik und
ihren Organisationen erfolgreich entgegenzuwirken. Die Politik der Bundes-
regierung sollte die Bildung solcher Bündnisse fördern und ermutigen. Viele
Jahre sind solche Bündnisse von der offiziellen Politik ignoriert, allein ge-
lassen, zum Teil sogar diffamiert und diskreditiert worden. Antifaschistische
Organisationen wie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und der
Bund der Antifaschisten sind bis heute Objekte der Ausspähung und Diffa-
mierung durch staatliche Einrichtungen wie die Verfassungsschutzbehörden
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von Bund und Ländern. Diese Ignorierung und Diskreditierung darf nicht
weitergehen. Bund, Länder und Gemeinden sind vielmehr aufgefordert,
Bündnisse gegen rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Politik
nach Kräften ideell und materiell zu unterstützen und zu fördern. Nur durch
eine breite gesellschaftliche Gegenwehr und einen anhaltenden Widerstand
in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens kann es gelingen, diese in-
humane Politik und ihre Organisationen dauerhaft zu ächten und zu isolie-
ren. Der Begriff des Antifaschismus darf nicht länger diskriminiert werden.



Zu dem gleichen Zweck ist auch ein Ausbau der Rechte von Beschäftigten
erforderlich. Es darf nicht sein, dass Beschäftigte von Druckereien gezwun-
gen werden, rechtsextremistische Machwerke zu drucken, dass Beschäftigte
der Post oder Zusteller gezwungen sind, rassistische, antisemitische und
fremdenfeindliche Schriften zu verbreiten und zuzustellen. Die Bundesre-
gierung wird aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Beschäftig-
ten das Recht auf Verweigerung bei der Produktion und Verbreitung rassisti-
scher, antisemitischer und fremdenfeindlicher Propaganda einräumt.



Auch die Wirtschaft muss sich an der Bekämpfung und der gesellschaftli-
chen Ächtung beteiligen. Es kann nicht angehen, dass Rechtsextremisten bei
Verlagen Bücher wie „Mein Kampf“ erwerben können und Verlage und
Grossisten dafür sorgen, dass rechtsextreme Literatur und Zeitungen wie die
„National-Zeitung“ bis in die Buchhandlungen und Kioske in den entlegens-
ten Gegenden gelangen. Es kann auch nicht angehen, dass Firmen wie die
Telekom Einrichtungen wie die „Nationalen Infotelefone“ dulden und ge-
währen lassen. Auch die Wirtschaft muss die Duldung und Vermarktung
rechtsextremistischer Machwerke beenden. Stattdessen sollte sie einen Teil
ihres Werbeetats dafür einsetzen, Rechtsextremismus zurückzudrängen.

4. Demokratische Jugendkulturen fördern, Alternativen durch Jugend-
arbeit

Die Bundesregierung ist aufgefordert, Bedingungen zu schaffen, die Kindern
und Jugendlichen ein Aufwachsen in persönlicher und materieller Sicherheit
ermöglichen und damit die Entwicklung eigenständiger und toleranter Persön-
lichkeiten fördern. Auf vielfältigen Wegen gilt es, Einfühlungsvermögen, Re-
flexionsfähigkeit, Konfliktlösungskompetenz und positive Selbsteinschätzung
von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Dies beinhaltet neben der Bekämp-
fung der Armut und der Perspektivlosigkeit von Kindern und Jugendlichen die
nachhaltige Stärkung der Jugendhilfe, insbesondere die Jugendarbeit. Die chro-
nische Unterversorgung in diesem Bereich muss beendet und die Kommunen
bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vom Bund finanziell unterstützt werden. Da-
rin liegt ein wichtiger Beitrag, um Rassismus, Antisemitismus und Fremden-
feindlichkeit unter jungen Menschen zurückzudrängen.

Im Engagement gegen Rechtsextremismus fordern wir die Bundesregierung
auf:



Jugendarbeit mit demokratischen, antirassistischen und antifaschistischen
Jugendlichen und deren Initiativen muss gefördert werden. Diesen Initiati-
ven gebührt der Verdienst, auf die verhängnisvollen Entwicklungen früh
hingewiesen und über rechtsextremistische Gruppen aufgeklärt zu haben.
Ihre kontinuierliche Arbeit, die längst Teil eines demokratischen Jugenden-
gagements geworden ist, ist anzuerkennen und zu fördern.



Die Bundesregierung wird aufgefordert, in Zusammenarbeit mit Ländern
und Kommunen Modellprojekte abseits der so genannten akzeptierenden So-
zialarbeit mit rechtsextremen Jugendlichen zu fördern. Sie soll Forschungen
und Projekte fördern, die insbesondere klein- und mittelstädtischen Zentren
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mit ausgeprägt rechtsextremer Szene fokussieren. In diesen Modellprojekten
sollen regionale Analysen und Ansätze erarbeitet werden, wie organisierte
„Kameradschaften“ in ihrer Agitation und Gewaltausübung zu hindern und
Rädelsführer von Mitläufern zu trennen sind. Sie sollen ebenfalls eine Bera-
tung von staatlichen sowie zivilgesellschaftlichen Einrichtungen leisten und
der Jugendarbeit eine geeignete institutionelle Qualifizierung zuteil werden
lassen. Bereits bestehende Initiativen in diesem Bereich sind maßgeblich in
diese Arbeit einzubeziehen.



Jugendaustausch und internationale Jugendbegegnungen müssen deutlich
ausgebaut werden. Die bestehenden binationalen Jugendwerke sind zu för-
dern, ebenso internationale Freiwilligendienste, die der Völkerverständi-
gung dienen. Jugendlichen, die an einem dieser Angebote teilnehmen, dür-
fen daraus keine Nachteile entstehen. Die Information Jugendlicher über die
genannten Bereiche und deren Angebot muss verbessert werden. Sinnvoll
erscheint eine breite Werbekampagne in Schule und Medien.



Der Bereich der Mädchenarbeit ist auszubauen und zu sichern. So sollen
Mädchenprojekte zur Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit auch
im Hinblick auf ein attraktives Freizeitangebot und eine ambitionierte Be-
rufausbildung gefördert werden.



Emanzipatorische Jungenarbeit soll unter erheblichem finanziellem und per-
sonellem Aufwand verankert und ausgebaut werden. Projekte, die in den
Bereichen Sport, Berufausbildung und Persönlichkeitsentwicklung einen re-
flektierten Umgang mit männlichen Rollen suchen und die Entwicklung
einer gemeinschaftsorientierten und sozialen Persönlichkeit fördern, sind
durch eine Qualifizierungsoffensive und die Bereitstellung von Evaluations-
und Vernetzungsmitteln zu beschleunigen.



Der Schule kommt in ihrer kontinuierlichen Einflussnahme und Erziehungs-
aufgabe eine besondere Verantwortung zu. Leistungsorientierung und kon-
formistische Unterordnung, die Behauptung in der Konkurrenz und die ver-
breitete Angst vor Arbeitslosigkeit unter Schülerinnen und Schülern sind
Teil der Schulerfahrung Jugendlicher. Eine ehrgeizige Ausrichtung und Ver-
kürzung des sozialen Lebens auf die Prämissen eines nationalen Standort-
wettbewerbs sind nicht geeignet, zu Toleranz, Offenheit und Zivilcourage zu
erziehen und soziale Netzwerke zu befördern. Die Länder sind daher aufge-
fordert, schulische antirassistische Projektarbeit sowie die Öffnung der
Schule in die Gesellschaft zu befördern. Dies soll insbesondere dem Wis-
senserwerb und der Kontaktmöglichkeit dienen. Der Bereich der Schulsozi-
alarbeit ist auszubauen, soweit dies noch nicht geschehen ist. Schuleinrich-
tungen sollten Jugendlichen auch in der außerschulischen Zeit zur
Verfügung stehen. Schulprojekte sollen im Zusammenwirken mit Jugend-
verbänden Demokratie und Toleranz erfahrbar machen und einen interkultu-
rellen Austausch ebenso wie Gedenkstättenbesuche ermöglichen. Dies gilt
auf Grund der Altersstruktur ihrer Schülerinnen und Schüler sowie nach den
wissenschaftlichen Erhebungen über fremdenfeindliches und rassistisches
Gedankengut unter Auszubildenden gerade auch für Berufsschulen.



Sozial- und Jugendarbeiterinnen und -arbeiter sind ebenso wie schulische
Lehrkräfte im Rahmen der politischen Bildung für Auseinandersetzungen
mit rechtsextremen Jugendlichen politisch und rhetorisch zu qualifizieren.
Ebenfalls ist es unverzichtbar, diese vor Ort Tätigen durch Supervision,
Finanzmittel und eine intensive Vernetzung zu unterstützen.
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5. Die Abwehr und Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und
Fremdenfeindlichkeit erfordert auch eine Überprüfung des Strafrechts
und der Strafrechtspraxis

Bestrebungen, mit Verweis auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus allge-
meine Bürgerrechte einzuschränken, wie sie in der Öffentlichkeit diskutiert
werden, sind abzulehnen. Eine Einschränkung zum Beispiel des Versamm-
lungsrechts oder eine Ausweitung der gesetzlichen Bestimmungen zum Abhö-
ren von Gesprächen in Privatwohnungen (Lauschangriff) ist aus grundsätzli-
chen Erwägungen zurückzuweisen. Im Kampf gegen Rechtsextremismus wäre
ein Abbau von Bürgerrechten genau der falsche Weg. Er würde in letzter Kon-
sequenz den Rechtsextremisten und deren Zielen sogar in die Hände arbeiten,
denn die rechtsextremistischen Parteien streben einen völkischen und autoritä-
ren Gefolgschaftsstaat an, der die Menschenrechte unterdrückt.

Erforderlich ist dagegen eine Überprüfung des Strafrechts. Wenn das Skandie-
ren von Parolen, die verbotene nationalsozialistische Organisationen und die
NS-Politik verherrlichen, wie das z. B. die NPD-Parole „Ruhm und Ehre der
Waffen-SS“ tut, nicht strafbar ist, dann muss diese Lücke geschlossen werden.
Wer Minderheiten und Migrantinnen und Migranten und Flüchtlinge diffamiert
und einschüchtert, wer antisemitische Hetze verbreitet, wer zu Haß und Gewalt
gegen die Nachbarstaaten aufruft, wer bestehende Grenzen in Europa nicht an-
erkennt oder die NS-Geschichte beschönigt und verharmlost, gegen den muss
auch das Strafrecht zum Einsatz kommen. Die Bundesregierung wird aufgefor-
dert, einen Bericht auszuarbeiten, der die Lücken und Schwachstellen im gel-
tenden Strafrecht bei der Verfolgung rassistischer, antisemitischer und frem-
denfeindlicher Politik und Gewalt beschreibt und Vorschläge zur Korrektur
macht. Generell gilt es, Gewalt wegen Menschen strenger zu bestrafen. Die
Rechtsprechungspraxis, Eigentum stärker zu schützen als die Würde, die Ge-
sundheit und gelegentlich sogar das Leben von Menschen, ist zu korrigieren.

6. Rechtsextremismus bekämpfen heißt fremdenfeindliche Gesetze und
Bestimmungen aufheben

Rechtsextremistische Politik und Gewalt findet Unterstützung, zumindest aber
stillschweigende Billigung durch eine weit verbreitete Fremdenfeindlichkeit in
dieser Gesellschaft. Viele, vermutlich die meisten Opfer rechtsextremistischer
Gewalt sind Menschen ohne deutschen Pass, Menschen anderer Hautfarbe,
sind Migrantinnen und Migranten und Flüchtlinge.

Die jahrzehntelange Politik, Menschen, die zu uns kommen, um hier zu arbei-
ten und zu leben, als „Fremde“ bzw. „Gastarbeiter“ zu diskreditieren und mit-
tels Fremdenrecht bzw. „Ausländerrecht“ auch rechtlich zu diskriminieren, und
Flüchtlinge, die zu uns kommen, als „Asylanten“ schon begrifflich zu diffamie-
ren und mit einem Festungswerk von Gesetzen und Verordnungen möglichst
schon an der Grenze abzuwehren oder, wenn das nicht gelingt, zumindest so
schnell wie möglich wieder abzuschieben – diese Politik muss endlich radikal
korrigiert werden. Fremdenfeindliche Gesetze und Bestimmungen wie das
Asylbewerberleistungsgesetz, wie im Ausländergesetz, wie das Arbeitsverbot
für Flüchtlinge, die Abschiebehaft müssen aufgehoben werden, wenn dem
Rechtsextremismus, wenn fremdenfeindlicher Gewalt der Boden entzogen
werden soll. Solange fast ein Zehntel der hier lebenden Menschen noch immer
als „Ausländer“ zu Menschen zweiter Klasse, zu Menschen minderen Rechts
erklärt und auch so behandelt werden, dürfen wir uns über rechtsextremistische
Gewalt nicht wundern.

Notwendig ist ein Paradigmenwechsel in der Migrations- und Asylpolitik die-
ses Landes, hin zu einer demokratischen Flüchtlings- und Asylpolitik, einer
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Politik, die die Menschenrechte dieser Menschen schützt und anerkennt und sie
fördert.

Der Deutsche Bundestag begrüßt und unterstützt deshalb den Mitte dieses Jah-
res von zahlreichen Organisationen vorgelegten „Aktionsplan gegen Rassis-
mus“. Vorgelegt von einem Bündnis wichtiger gesellschaftlicher Organisatio-
nen wie DGB, Arbeiterwohlfahrt, Aktion Courage e. V., Pro Asyl und weiteren,
knapp einhundert überregional in der Antirassismus- und Migrationsarbeit täti-
gen Organisationen wird darin ein ganzes Maßnahmenbündel gefordert, um
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zurückzudrängen und zu überwinden. Als
Schwerpunkte werden darin gefordert:

– eine Antidiskriminierungsgesetzgebung und Politik, in der z. B. den Opfern
Klagemöglichkeiten gegen rassistische Diskriminierung eröffnet werden,
mit jährlichen Gleichbehandlungsberichten und der Schaffung von Beauf-
tragten gegen rassistische Diskriminierung in Bund, Ländern und Kommu-
nen;

– die Fortsetzung der Reformen im Staatsangehörigkeitsrecht, insbesondere
die generelle Hinnahme der Mehrstaatlichkeit (wie sie im Übrigen auch das
von der Bundesregierung noch nicht ratifizierte Abkommen des Europarates
zu Fragen des Staatsangehörigkeitsrechts fordert) und die Erleichterung der
Anspruchseinbürgerung;

– beim Asylrecht die Rückkehr zu den internationalen Standards des Flücht-
lingsrechts, d. h. zur uneingeschränkten Geltung der Genfer Flüchtlingskon-
vention und der Europäischen Menschenrechtskonvention, durch die Auf-
nahme auch nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als
Asylgrund, den verbesserten Schutz für besonders gefährdete Gruppen
(Frauen, minderjährige Kinder, Folteropfer, Traumatisierte) und die Aufhe-
bung des Asylbewerberleistungsgesetzes;

– die Konvention des Europarates zum Schutz von Minderheiten so umzuset-
zen, daß sie für alle Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland gilt;

– ein integrative Migrationspolitik und eine entsprechende Gestaltung des
Migrationsrechts.

Auch die Forderung des Städte- und Gemeindebunds nach Integrationspro-
grammen und zusätzlichen Mitteln für die Kommunen für Integrationspro-
gramme nach niederländischem Vorbild verdient Unterstützung.

Die rechtliche Besserstellung von Migrantinnen und Migranten und Flüchtlin-
gen ist ein unverzichtbares Erfordernis für eine demokratische Gesellschaft.
Nur so kann rassistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Strömun-
gen in dieser Gesellschaft wirksam entgegengetreten werden.

7. Verbote rechtsextremistischer Parteien und Organisationen

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Benehmen mit
den Ländern die bereits eingeleitete Prüfung eines Verbots der NPD rasch und
gründlich durchzuführen und dem Deutschen Bundestag darüber zu berichten.
Sollte die Prüfung genügend Anhaltspunkte für die Notwendigkeit und Mög-
lichkeit eines solchen Verbotsantrags vor dem Bundesverfassungsgericht erge-
ben, wird der Deutsche Bundestag einen solchen Antrag unterstützen.

Durch ein Verbot der NPD würde zwar nicht das gesamte Spektrum rechtsext-
remistischer Politik, ihrer Parteien und Organisationen erfasst. Auch Parteien
wie die DVU und die „Republikaner“ sowie zahlreiche weitere Organisationen
organisieren rechtsextremistische Politik und geben damit rechtsextremisti-
schen Gewalttätern organisierten Rückhalt und ideologische „Argumente“ für
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ihre menschenverachtenden Taten. Aber das eindeutige politische Signal darf
in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden.

Schon 1994 hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf ihrem 20. Ordentlichen
Bundeskongress gefordert: „Die Inanspruchnahme demokratischer Grund-
rechte für rechtsextremistische Aktivitäten, die sich darauf richten, nationalso-
zialistisches Gedankengut wiederzubeleben, muss ausgeschlossen werden ...
Alle demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland sind aufgefor-
dert darauf hinzuwirken, dass das Grundgesetz dahingehend ergänzt wird, dass
nicht nur wie bisher gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtete
Handlungen (Art. 26 Abs. 1 GG), sondern auch Bestrebungen zur Wiederbele-
bung nationalsozialistisches Gedankengutes für verfassungswidrig erklärt wer-
den.“

In der aktuellen Diskussion hat die GdP diese Forderung erneuert. Der Deut-
sche Bundestag macht sich diese Forderung zu eigen und wird eine entspre-
chende Ergänzung des Grundgesetzes in Angriff nehmen.

Berlin, den 26. September 2000

Ulla Jelpke
Petra Pau
Sabine Jünger
Petra Bläss
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland
ist besorgniserregend.

Schon seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland verfügt der Neofaschis-
mus über Zuspruch in der Bevölkerung. In den letzten Jahrzehnten haben unter-
schiedliche Meinungsinstitute immer wieder darauf hingewiesen, dass zwi-
schen 5 und 10 Prozent der Bevölkerung rechtsextreme Parteien wählen
würden.

Aktuelle Erhebungen über rechtsextreme Einstellungen weisen auf eine Verfes-
tigung und Ausbreitung solcher Anschauungen hin. So schätzen Rechtsextre-
mismus-Forscher gegenwärtig das rechtsextremistische Wählerpotential auf
13 bis 18 Prozent (Die Woche, 18. August 2000).

Nach einer neuen Studie unter brandenburgischen Jugendlichen beziehen
10 Prozent der befragten Jugendlichen judenfeindliche Positionen. 76 Prozent
der männlichen und 57 Prozent der weiblichen Befragten können sich nicht
vorstellen, mit einem Juden befreundet zu sein (Berliner Zeitung, 8. Sep-
tember 2000).

Rechtsextremismus ist aber keineswegs „nur“ ein Jugendproblem. Eine Forsa-
Studie der FU Berlin aus diesem Jahr kommt für 12 Prozent der Berliner und
21 Prozent der Brandenburger Bevölkerung zu einem rechtsextremen Weltbild.
Besonders hoch ist nach dieser Studie der Prozentsatz der Menschen mit
rechtsextremen Weltbild in der Altersgruppe der 55- bis 74-Jährigen (Newsbote
15. August 2000).
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Bereits Anfang der 90er Jahre hatte eine EMNID-Umfrage im Auftrag des Jü-
dischen Komitees festgestellt, dass 20 Prozent der Deutschen keinen jüdischen
Nachbarn wollten. 30 Prozent der Westdeutschen und 20 Prozent der Ostdeut-
schen waren nach dieser Umfrage „gegen einen Juden als möglichen deutschen
Bundespräsidenten“. 44 Prozent der Westdeutschen und 19 Prozent der Ost-
deutschen meinten, dass „die Juden den Holocaust für ihre eigenen Zwecke
ausnutzen“.

Die wiederholten Wahlerfolge rechtsextremer Parteien und ihr Einzug in Kom-
munal- und Landesparlamente („Republikaner“ in Baden-Württemberg, DVU
in Sachsen-Anhalt, Bremen/Bremerhaven etc.) beruhen auf der erfolgreichen
Mobilisierung solcher Anschauungen in der Bevölkerung zur Stimmabgabe für
diese Parteien.

Rechtsextrem motivierte Straftaten

Fremdenfeindlich, antisemitisch und rassistisch motivierte Straf- und Gewaltta-
ten erfolgen seit Jahren auf einem erschreckend hohen Niveau. Allein 1999
wurden 10037 derartig motivierter Straftaten registriert, darunter 746 Gewalt-
taten und 2 vollzogene Tötungsdelikte – so die offiziellen Angaben der Bundes-
regierung.

Veröffentlichungen in den Medien haben jetzt aufgezeigt, dass diese offiziellen
Zahlen das tatsächliche Ausmaß rechtsextremer Gewalt seit Jahren verharmlo-
sen und verschleiern. So gibt die Bundesregierung für die Zeit seit 1990 insge-
samt 26 rechtsextrem und ausländerfeindlich motivierte Tötungsdelikte an. Die
„Frankfurter Rundschau“ und der „Tagesspiegel“ haben jedoch kürzlich doku-
mentiert, dass in diesem Zeitraum in Wirklichkeit mindestens 93 Menschen
Opfer rechtsextrem motivierter Tötungsdelikte wurden.

Die Dokumentation der beiden Zeitungen veranlasst auch Kriminologen zu der
Feststellung, dass die wahre Dimension des rechtsextremen Terrors durch die
Bundesregierung nicht erfasst wird. So äußerte ein Kriminologe gegenüber
dem „Tagesspiegel“: „Das Ausmaß wird auch hier (bei anderen rechtsextremis-
tischen Gewalttaten gegen Personen) schätzungsweise mindestens das zwei-
bis dreifache dessen betragen, was wir in den offiziellen Statistiken vorfinden.“
(Tagesspiegel, 17. September 2000) Dies würde bedeuten, dass die Zahl der
rechtsextrem motivierten Gewalttaten gegen Personen für das Jahr 1999 statt
der 746 offiziell gemeldeten Gewalttaten in Wirklichkeit bei ca. 2000 liegen
würde.

Antisemitismus

Antisemitismus ist ein zentraler Bestandteil rechtsextremer Politik. Ermutigt
durch bestehende antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung propagieren
rechtsextreme Organisationen heute wieder offen antisemitische Hetze. Die auf
vielfältige Weise verbreitete „Auschwitz-Lüge“ und die öffentliche Infragestel-
lung von Entschädigungsansprüchen jüdischer Opfer der NS-Politik sind Aus-
druck davon. Diese Politik ist schon lange nicht mehr auf rechtsextreme
Kleinstgruppen beschränkt. Sie wird mittlerweile auch von rechtskonservativen
Historikern und Einrichtungen bis hinein in die Vertriebenenverbände verfolgt.

Auch die Zahl der antisemitischen Straftaten ist seit Jahren erschreckend hoch.
1999 wurden 817 antisemitische Straftaten erfasst. 1992 wurden in der Bundes-
republik Deutschland 80 jüdische Friedhöfe geschändet. Das waren nach Anga-
ben des damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland,
Ignatz Bubis, ebenso viele Verwüstungen von Friedhöfen wie in den Jahren
1926 bis 1931 in der Weimarer Republik, bei damals größerem Territorium,
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größerer Bevölkerung, mehr Jüdinnen und Juden in Deutschland und einer we-
sentlich größeren Zahl jüdischer Friedhöfe.

Rechtsextreme Jugendkultur

Rechtsextremismus war und ist ein Problem der gesamten Bundesrepublik
Deutschland. Besonders zugespitzt hat sich dabei die Situation in den neuen
Bundesländern entwickelt. Etwa die Hälfte aller rechtsextremistischen Strafta-
ten geschieht dort. Bestimmte Gebiete wurden von den Nazis zu so genannten
„national befreiten Zonen“ erklärt, zu „no-go-areas“ für Flüchtlinge, für Mig-
rantinnen und Migranten und für linke Jugendliche.

In vielen Regionen hat sich dort eine rechtsextreme Jugendkultur entwickelt,
die das öffentliche Leben dominiert. Eine Jugendszene aus Skinheads und Hoo-
ligans hat dort die Rolle einer Vorfeldorganisation für rechtsextreme Organisa-
tionen übernommen.

In diesen Gebieten entwickelt sich eine bestimmende und die Jugendlichen prä-
gende rechte Subkultur. Skinhead-Musik, Nazi-Fanzines (Zeitschriften), Männ-
lichkeitskult etc. gehören zu dieser rassistischen und gewalttätigen Subkultur.
Stolz, Ehre und Totalidentifikation mit Kult, Ritualen und Gruppen bilden den
Nährboden für das Heranführen von Jugendlichen an neofaschistische Organi-
sationen.

In vielen Orten wird diese rechtsextreme Kultur durch einen beachtlichen Teil
der Bevölkerung zumindest stillschweigend geduldet, wenn nicht gar offen un-
terstützt. Andere Teile der Bevölkerung sind eingeschüchtert und wagen keinen
offenen Protest oder Widerspruch.

In letzter Zeit haben sich neofaschistische Organisationen auch die neuen Tech-
nologien zunehmend zunutze gemacht. Rassistische Hasstiraden im SA-Stil,
die Auschwitz-Leugnung und sogar Anleitungen zum Bombenbasteln werden
über das Internet verbreitet. Die Zahl rechtsextremer Homepages hat sich in-
nerhalb von drei Jahren nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz
(BfV) auf 330 verzehnfacht. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres
seien 140 Internet-Auftritte rechtsextremer Organisationen dazugekommen
(ddp, 26. Juni 2000).

Der Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft

Der Rechtsextremismus stützt sich in seiner Politik auf Institutionen und in sei-
ner Ideologie auf Strömungen, die bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein-
reichen. Diese Situation ist nicht neu. Seit Jahren wird Rechtsextremismus und
die von ihm ausgehende Gewalt in gefährlichem Langmut verharmlost, gedul-
det und gelegentlich sogar politisch befördert.

In verheerenden Kampagnen gegen Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge
wurde Rassismus in gefährlicher Weise zu einem Massenphänomen gemacht.
So hat die Art und Weise der Führung der Kampagne gegen das Grundrecht auf
Asyl Anfang der 90er Jahre durch die damalige Bundesregierung mit dazu bei-
getragen, eine Stimmung zu befördern, die sich dann in vielen Städten gewalt-
tätig entlud. Politiker heizten die Stimmung gegen Flüchtlinge an, wenn etwa
von einem Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Münchner
Süden „zur asylantenfreien Zone erklärt“ wurde (taz, 10. Mai 1992) oder vor
dem Hintergrund der Angriffe auf Asylunterkünfte von einem anderen Abge-
ordneten derselben Fraktion erklärt wurde: „Kein Volk wird eine Überfrem-
dung ohne Konflikt hinnehmen ..., weil jedes Volk seine eigene Art zu leben
und sein Recht darauf hat. Das ist ein Naturrecht jedes Volkes.“
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Der CSU-Politiker Dr. Edmund Stoiber warnte vor einer „durchrassten“ und
„durchmischten“ Gesellschaft. Er hat das später zurückgenommen, aber da hat-
ten seine Worte ihre Wirkung bereits erzielt. Die Kampagne aus dem Lager der
CDU/CSU gegen die „doppelte Staatsbürgerschaft“ sowie Parolen wie „Kinder
statt Inder“ haben den rassistischen Bodensatz in der Gesellschaft bedient und
verbreitert. Der Ansatz von CDU und CSU, mit ausländerfeindlichen Tenden-
zen in ihrer Politik und in ihren Wahlkämpfen rechtsextremen Parteien den
Wind aus den Segeln zu nehmen, hat das genaue Gegenteil bewirkt. Rassisti-
sche Grundeinstellungen sind heute ein fester Bestandteil in der Mitte der Ge-
sellschaft. So stimmen laut einer EMNID-Umfrage 51 Prozent der Bevölke-
rung der Aussage: „Wir haben schon zu viele Ausländer in Deutschland“ sehr
oder eher zu; der Anteil der Westdeutschen liegt bei 47 Prozent, der der Ost-
deutschen bei 63 Prozent.

Die Gefährlichkeit des Neofaschismus geht nicht nur von dem militanten Neo-
faschismus aus. Neben dem traditionellen Neofaschismus hat sich vor allem die
„Neue Rechte“ herausgebildet und verstanden, in ihren Publikationsorganen
und Denkfabriken die eigene Isolation des Neofaschismus weiter zu durchbre-
chen und enge personelle und organisatorische Verbindungen zum Konserva-
tismus herzustellen. In der wissenschaftlichen Literatur über den Rechtsextre-
mismus weist vor allem der Hamburger Prof. Gessenharter auf diese
Scharnierfunktion der Neuen Rechten zwischen Rechtsextremismus und Kon-
servatismus hin.

Rechtsextreme ideologische Versatzstücke werden von der Neuen Rechten
„modern“ formuliert und intellektualisiert. Plumpe rassistische Hetze wird ver-
klausuliert als „Ethnopluralismus“, der Wahn der „Rassereinheit“ wird zum
„Kampf um nationale Identität“. Nicht ohne Erfolg versuchen die Vertreter der
„Neuen Rechten“, Positionen in Verlagen, Zeitungen und Verbänden zu beset-
zen, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinn zu beeinflussen. Gab es früher
den unsäglichen „Historikerstreit“, gibt es heute eine Revitalisierung des Natio-
nalismus auch durch angesehene Intellektuelle.

Zusammenarbeit zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus in
Traditionsverbänden der Wehrmacht, studentischen Korporationen und
Vertriebenenverbänden

In den Traditionsverbänden der Wehrmacht, studentischen Korporationen und
in Teilen der Vertriebenenverbände hat sich eine enge Zusammenarbeit zwi-
schen rechtsextremistischen und konservativen Kreisen herausgebildet. Diese
Verbände weisen eine rechtsextreme Durchdringung auf, die sich personell
zeigt, aber auch ideologisch in den Verbandsorganen ausdrückt.

Die rechtsextreme Durchdringung dieser Verbände wurde lange Zeit von der
alten Bundesregierung, aber auch der neuen Bundesregierung geleugnet.

Die alte Bundesregierung hatte z. B. lange Jahre eine rechtsextreme Ausrich-
tung der Zeitung „Schlesier“ und des „Ostpreußenblattes“ sowie des „Witiko-
bundes“ und der „Jungen Landsmannschaft Ostpreußen“ (JLO) bestritten.
Nach zahlreichen Anfragen musste die Bundesregierung schließlich einräu-
men, dass es konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsextreme Ausrichtung bei-
spielsweise des „Schlesier“ und der JLO gebe. Eine Erwähnung des „Schle-
sier“, einer der wichtigsten Vertriebenenzeitungen, findet im Jahresbericht des
BfV trotzdem bis heute nicht statt. Der Landesvorsitzende des BdV in Thürin-
gen ist trotz rechtsextremistischer Publikationen (so schon vor Jahren im
rechtsextremistischen Theorieorgan „Nation und Europa“) noch immer im
Amt, außerdem Mitglied im Bundesvorstand des BdV und sogar im Vertriebe-
nenbeirat des Bundesministerium des Innern.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11 –

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Bei den Traditionsverbänden der Hitler-Wehrmacht wie dem „Verband deut-
scher Soldaten“ (VdS) und dem „Ring Deutscher Soldatenverbände“ (RDS),
die die Zeitung „Soldat im Volk“ herausgeben, hat die rot-grüne Bundesregie-
rung ebenfalls eine rechtsextreme Durchsetzung anfangs geleugnet, musste
dann aber später unter dem Druck weiterer Anfragen einräumen, dass in dieser
Zeitung sogar für die schlimmsten Vertreter der Auschwitz-Leugnung gewor-
ben wird.

Trotz dieser rechtsextremen Tendenzen im BdV und der rechtsextremen Durch-
dringung der Traditionsverbände der Wehrmacht werden diese weiter politisch
und finanziell durch die Bundesregierung gefördert.

Auch bei studentischen Verbindungen wie der „Deutschen Burschenschaft“
oder der „Deutschen Hochschulgilde“ ist die rechtsextreme Durchsetzung be-
kannt und in der wissenschaftlichen Literatur belegt.

Diese Organisationen, in denen ein enges Bündnis zwischen Konservativen
und Rechtsextremisten besteht, verfügen über beträchtlichen gesellschaftlichen
Einfluss. In diesen Organisationen werden immer wieder Verbrechen des Hit-
ler-Faschismus beschönigt und ausländerfeindliche Stimmungen geschürt.

Zur wirksamen Auseinandersetzung und Bekämpfung von Rechtsextremismus,
Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit gehört deshalb auch, die Zusam-
menarbeit von Konservativen und Rechtsextremisten in diesen Verbänden of-
fen zu benennen und zu kritisieren, ihre Beendigung zu verlangen und, solange
das nicht geschieht und sich diese Verbände von Rechtsextremisten in den eige-
nen Reihen nicht trennen, diesen Verbänden jede staatliche Förderung und An-
erkennung zu entziehen.

Rechtsextremismus bei Jung und Alt, in Ost und West

Die Verbreitung rechtsextremistischen Gedankengutes unterscheidet sich nicht
nach Generationen. Jugendliche Rechtsextremisten besitzen allerdings eine ge-
ringere Hemmschwelle, daraus Taten werden zu lassen, Gewalt anzuwenden.
Die Verbreitung dieses Gedankengutes unterscheidet sich auch nicht zwischen
Ost und West, mit der Einschränkung, dass der Rassismus im Osten und der
Antisemitismus im Westen verbreiteter sind. Während die Organisationsstruk-
turen, die Logistik, die Literatur, die Anführer rechtsextremer Jugendgruppen
in der Regel aus dem Westen kommen, rekrutiert sich ein größerer Teil des
„Fußvolkes“ aus dem Osten. Von ihnen werden eine Vielzahl von Straftaten be-
gangen, die sich deshalb im Osten besonders häufen.

Im Osten wirkt sich aus, dass 1990 ein Wertesystem zusammenbrach, ein de-
mokratischeres bislang nur unzureichend verankert werden konnte. In das Va-
kuum stieß der Rechtsextremismus vor. Die Diskreditierung des Antifaschis-
mus in der DDR als „verordnet“ leistete hierzu einen Beitrag. Hinzu kommt,
dass die sozialen Verwerfungen im Osten unvergleichlich größer sind als im
Westen. Jugendliche von heute haben hunderttausendfach als Kinder während
der Wende einen von ihnen als opportunistisch empfundenen Wandel ihrer El-
tern und beziehungsweise oder deren gesellschaftliche Ächtung und Demüti-
gung erlebt. Dadurch verloren die Eltern nicht selten ihre Autorität, während
die Kinder sich neue Leitbilder suchten. Auch die autoritären, entindividuali-
sierenden Strukturen in der DDR haben ihre Spuren hinterlassen und die heu-
tige Unterordnung Jugendlicher in autoritären Gruppen des Rechtsextremismus
befördert.
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– 12 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Die Revitalisierung des Nationalismus in Europa

Der europäische Integrationsprozess verläuft zentralistisch, bürokratisch und
ist mit dem Abbau von juristischen Standards und Sozialleistungen verbunden.
Dadurch entstehen bei einer wachsenden Zahl von Menschen kulturelle und so-
ziale Ängste, die nicht geschürt werden dürfen, sondern abgebaut werden müs-
sen. Der Rechtsextremismus nutzt diese Ängste zur Revitalisierung des Natio-
nalismus in vielen europäischen Staaten.

Neben den Ursachen aus der deutschen Geschichte, aus der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland, der DDR, der Wende und der Einheit gibt es
demgemäß auch eine europäische Komponente des wachsenden Rechtsextre-
mismus in Deutschland. Der europäische Integrationsprozess muss eine we-
sentlich stärkere soziale Ausrichtung erhalten und regionale und kulturelle
Identitäten befördern, um wachsendem Nationalismus entgegenwirken zu kön-
nen. Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Integration Osteuropas ist be-
sonders darauf zu achten, dass antislawische Stimmungen weder bedient noch
geschürt werden.

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