BT-Drucksache 14/4071

Mehr Mitbestimmung für Betriebsräte - Eckpunkte für die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes

Vom 12. September 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4071
14. Wahlperiode 12. 09. 2000

Antrag
der Abgeordneten Dr. Ruth Fuchs, Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch, Dr. Heidi
Knake-Werner, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

Mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte – Eckpunkte für die Reform
des Betriebsverfassungsgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

a) die angekündigte Novelle zum Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) so recht-
zeitig einzubringen, dass ausreichend Zeit nicht nur für die parlamentarische
Beratung, sondern auch für eine breite öffentliche Debatte gegeben ist.
Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass die turnusmäßig im Frühjahr
2002 anstehenden Betriebsratswahlen eine ausreichende Vorbereitungszeit
auf der Grundlage des neuen Gesetzes haben,

b) sich bei der Novellierung davon leiten zu lassen, dass das Gesetz in erster
Linie die strukturelle Benachteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer weiter abbauen, die Menschenwürde sichern und die Sozialbindung
des Eigentums gewährleisten muss,

c) die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte auszuweiten, um mit der Novel-
lierung des BetrVG einen Beitrag zur Demokratisierung der Arbeitswelt zu
leisten,

d) den Entwurf des BetrVG nicht zum Beratungsgegenstand des Bündnisses für
Arbeit zu machen,

e) bei der Novellierung des BetrVG insbesondere folgende Eckpunkte zu be-
achten:

1. Der Betriebsbegriff muss neu gefasst werden, um die sachliche und per-
sönliche Zuständigkeit des Betriebsrates der dynamischen Entwicklung
von Betriebs- und Unternehmensstrukturen anzupassen. Maßgeblich für
die Existenz eines Betriebes sind die räumliche und soziale Verbunden-
heit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Verknüpfung
der Arbeitsabläufe. Dabei muss berücksichtigt werden, dass diese Mo-
mente im Zeichen zunehmender elektronischer Vernetzung nicht vorran-
gig an räumlichen Merkmalen festgemacht werden können. Ein einheit-
licher Betrieb kann auch dann vorliegen, wenn er mehreren Unternehmen
zuzurechnen ist. Unerheblich ist, ob die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer Beschäftigte mehrerer Unternehmen sind.

Drucksache 14/4071 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Wenn bei Änderungen der Unternehmensorganisation die Organisation
des Betriebes nicht wesentlich verändert wird, kann vermutet werden,
dass der Betrieb von den an der Änderung der Unternehmensorganisation
beteiligten Rechtsträgern gemeinsam geführt wird.

Um Unklarheiten über das Bestehen eines selbständigen Betriebes oder
des Fortbestandes eines Betriebes zu vermeiden, sollte ein öffentliches
Betriebsregister geführt werden. Entstehen Zweifel über die Richtigkeit
des Betriebsregisters, müssen diese zwischen dem betroffenen Unter-
nehmen und der zuständigen Behörde unter Beteiligung der zuständigen
Gewerkschaften ausgeräumt werden.

2. In Zukunft muss die Wahl eines Betriebsrates in allen Betrieben möglich
sein, in denen regelmäßig drei oder mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer beschäftigt sind.

3. Die zunehmende Aufspaltung von Unternehmen und die Ausgliederung
von Betriebsteilen darf nicht dazu führen, dass Beschäftigte ohne betrieb-
liche Interessenvertretung sind. Bleiben nach einer Betriebsänderung die
in Ziffer 1 genannten Bedingungen bestehen, muss auch die betriebliche
Interessenvertrtetung erhalten bleiben.

4. Der Arbeitnehmerbegriff muss der veränderten betrieblichen Realität
Rechnung tragen und alle Beschäftigten des Betriebes umfassen, die wei-
sungsgebunden und wirtschaftlich abhängig sind. Die Unterscheidung in
Arbeiterinnen und Arbeiter einerseits sowie Angestellte andererseits ist
aufzuheben.

5. Die Wahl von Betriebsräten muss gesetzlich so normiert werden, dass
kein Unternehmen Vorteile aus der Nichtexistenz eines Betriebsrates zie-
hen kann. Die Behinderung einer Betriebsratswahl ist stärker zu sanktio-
nieren.

Jedes Unternehmen ist zu verpflichten, der für die Verfolgung von Buß-
geldverfahren nach § 121 BetrVG zuständigen Behörde eine vollständige
Liste seiner betriebsratspflichtigen Betriebe einzureichen. Unterbleibt die
Wahl eines Betriebsrates, muss die genannte Behörde zu einer Wahlver-
sammlung einladen, in der ein Wahlvorstand gewählt wird, der die Wahl
des Betriebsrates in dieser Versammlung durchführt. Zur Vorbereitung
dieser vereinfachten Wahl ist der Arbeitgeber zu verpflichten, der zustän-
digen Stelle eine vollständige Beschäftigtenliste vorzulegen, damit diese
zum Wahltag eine Wählerliste vorlegen kann. Vertreter der zuständigen
Gewerkschaften dürfen an der Versammlung teilnehmen. Finden sich
keine Interessenten für den Wahlvorstand, ist dieser mit Vertreterinnen
oder Vertretern der zuständigen Behörde und den zuständigen Gewerk-
schaften zu besetzen.

6. Die Wahl von Betriebsräten muss insbesondere in Klein- und Mittelbe-
trieben durch ein vereinfachtes Wahlverfahren erleichtert werden.

7. Gesamt- oder Konzernbetriebsräte müssen das Recht erhalten, in zugehö-
rigen betriebsratslosen Betrieben oder Betriebsteilen Wahlvorstände ein-
zusetzen. Für die Übergangszeit muss die Zuständigkeit der entsprechen-
den Gesamt- und Konzernbetriebsräte erhalten bleiben.

8. Es muss möglich sein, durch Tarifvertrag Vertretungsorgane der Beschäf-
tigten zu schaffen, die im Gesetz nicht vorgesehen sind oder die Zustän-
digkeit von Betriebsräten für ausgegliederte Betriebe zu regeln.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/4071

9. Das Verhältnis von Betriebsrat und Unternehmensleitung und die Stel-
lung der Gewerkschaften im Betrieb ist so zu normieren, dass der Be-
triebsrat primär auf die Interessenvertretung der Beschäftigten und
nicht die Aufrechterhaltung des Betriebsfriedens verpflichtet wird.

Die Zugangsrechte von Gewerkschaftsvertretern sind auszuweiten. In
betriebsratslosen Betrieben müssen die im Betrieb vertretenen Gewerk-
schaften das Recht erhalten, während der Arbeitszeit Sprechstunden ab-
zuhalten.

10. Die Freistellung, materielle Ausstattung und Qualifizierung der Be-
triebsratsmitglieder muss den gewachsenen Anforderungen angepasst
werden. Die entsprechenden Rechte und der Schutz der Betriebsratsmit-
glieder müssen auch auf Mitglieder von Arbeitskreisen ausgeweitet
werden, die der Betriebsrat zur Erfüllung seiner Aufgaben einrichtet.
Gleiches gilt ohne Einschränkung für Ersatzmitglieder des Betriebsra-
tes. Die Staffel für ganze Freistellungen muss bei mindestens 200 regel-
mäßig Beschäftigten beginnen und bei kleineren Betrieben proportio-
nale Teilfreistellungen vorsehen.

Frauen müssen sowohl in den Betriebsräten als auch bei Freistellungen
und der Teilnahme an Bildungsmaßnahmen mindestens im gleichen
Maß wie in der Belegschaft vertreten sein.

Die Teilnahme der Betriebsratsmitglieder und Ersatzmitglieder an Bil-
dungsveranstaltungen ist rechtlich und finanziell besser abzusichern.
Grundsätzlich muss jedem Betriebsratsmitglied ein Anspruch auf be-
zahlte Freistellung für mindestens vier Wochen im Jahr zustehen. Ge-
staffelt nach der Größe der Betriebsräte müssen die ersten Ersatzmit-
glieder, mit deren Nachrücken erfahrungsgemäß gerechnet werden
kann, die gleichen Rechte auf Teilnahme an Bildungsveranstaltungen
haben wie ordentliche Betriebsratsmitglieder. Teilzeitbeschäftigten Be-
triebsratsmitgliedern muss die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen, die
notwendigerweise ganztags stattfinden, auch entsprechend als Arbeits-
zeit gutgeschrieben werden. Die effektive Durchsetzung der Teilnahme
an Bildungsveranstaltungen muss durch ein beschleunigtes arbeitsge-
richtliches Beschlussverfahren sichergestellt werden, um den Arbeit-
geber vorab zur Zahlung von Reise-, Übernachtungs- und Schulungs-
kosten zu verpflichten. Die Freistellung muss gleichrangig für die
Vermittlung gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Kenntnisse gelten.

Um die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen auch für Betriebsräte von
Kleinbetrieben zu ermöglichen, sind entsprechende Fördermöglichkei-
ten zu schaffen.

Betriebsräte müssen Anspruch auf Kommunikationsmittel erhalten, die
dem Stand der technischen Entwicklung entsprechen und betriebsin-
terne Informationssysteme für ihre Arbeit uneingeschränkt nutzen kön-
nen.

11. Die Wahrung der Persönlichkeitsrechte und der Würde der Beschäftig-
ten ist stärker zu verankern. Verstößt ein Arbeitgeber gegen bestehende
Gesetze, Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, muss den Beschäf-
tigten ebenso ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen, wie bei Ge-
fahren für ihre Gesundheit und ihr Leben. Die Beweislast hat in diesem
Fall der Arbeitgeber zu tragen.

Ein Recht auf Leistungsverweigerung muss auch dann bestehen, wenn
die angeordnete Tätigkeit zu einer unmittelbaren Gefährdung der Ge-
sundheit von Anwohnern beziehungsweise Verbrauchern sowie der

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Umwelt führt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen das Recht
erhalten, ihre Leistung zu verweigern, wenn die geforderte Tätigkeit
unmittelbar gegen Grund- beziehungsweise Menschenrechte verstößt
oder der Verbreitung faschistischer oder rassistischer Ideen dient. Das
Recht auf freie Meinungsäußerung im Betrieb ist gesetzlich abzusi-
chern. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen berechtigt
werden, auch außerhalb des Betriebes zu betrieblichen Vorgängen Stel-
lung zu nehmen.

12. Der Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 BetrVG muss beibehalten und dahin
gehend ausgeweitet werden, dass auch in nicht tarifgebundenen Unter-
nehmen Gegenstände wie Entgeltzahlung, Dauer der wöchentlichen
Arbeitszeit und des Urlaubs nicht durch Betriebsvereinbarung geregelt
werden dürfen. Wenn Zweifel über die Vereinbarkeit einer Betriebsver-
einbarung mit geltenden Tarifverträgen bestehen, muss eine im Betrieb
vertretene Gewerkschaft das Recht zum Anrufen des Arbeitsgerichts er-
halten.

13. Die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte in sozialen, personellen
und wirtschaftlichen Angelegenheiten sind entsprechend ihrer gewach-
senen Aufgaben sowie der größeren Bedeutung von Selbständigkeit
und Eigenverantwortung der Beschäftigten auszuweiten und rechtlich
präziser zu fassen. Dem Betriebsrat ist in all diesen Fällen ein Initiativ-
recht einzuräumen und der Arbeitgeber zur unverzüglichen Aufnahme
von Verhandlungen zu verpflichten.

Das Mitbestimmungsrecht muss darauf Rücksicht nehmen, dass immer
mehr Tatbestände nicht abschließend zu regeln sind. Der zunehmenden
Prozesshaftigkeit betrieblicher Entwicklungen muss durch eine flexib-
lere Mitbestimmungsregelung Rechnung getragen werden. Das Mitbe-
stimmungsrecht muss sich bei prozesshaften Vorhaben sowohl auf das
Ziel als auch auf die Zwischenschritte und gegebenenfalls auf den not-
wendigen Abbruch des Vorhabens beziehen. Der Betriebsrat muss in je-
der Phase die Möglichkeit haben, die Einigungsstelle anzurufen.

14. Der in § 87 BetrVG enthaltene Katalog von Mitbestimmungsrechten
muss insbesondere in folgenden Punkten präzisiert beziehungsweise
ausgeweitet werden:

● Das Mitbestimmungsrecht muss auf den gesamten Bereich der
Arbeitsgestaltung einschließlich der Arbeitsverfahren und der Ein-
führung technischer Neuerungen ausgedehnt werden. Dies muss ins-
besondere für die Einführung und Nutzung von Kommunikations-
technologien gelten, mit denen personengebundene Daten erfasst
und gespeichert werden können.

● Die Einführung neuer Arbeitsformen wie zum Beispiel Telearbeit
muss ausdrücklich als Gegenstand der betrieblichen Mitbestimmung
aufgenommen werden.

● Der in § 89 BetrVG geregelte Arbeitsschutz ist so zu erweitern, dass
dem Betriebsrat ein umfassendes Mitbestimmungsrecht in Sachen
Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie für den betrieblichen Um-
weltschutz eingeräumt wird.

15. Die im fünften Abschnitt des BetrVG geregelten Mitbestimmungs-
rechte bei personellen Angelegenheiten müssen künftig der Tatsache
Rechnung tragen, dass die Mitbestimmung des Betriebsrates von großer
Bedeutung für die Sicherung der Arbeitsplätze, die Arbeitszufriedenheit
und die Kreativität der Beschäftigten ist. Gleichzeitig muss stärker be-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/4071

rücksichtigt werden, dass die Arbeitgeber zahlreiche Möglichkeiten zur
Verringerung der Belegschaft nutzen können, ehe sie zu Kündigungs-
maßnahmen greifen. Diese strukturelle Benachteiligung der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer und des Betriebsrates verlangt eine neue
Normierung der Mitbestimmungsrechte bei personellen Einzelmaßnah-
men. Vorrangig bei der Neufassung der Mitbestimmungsrechte in per-
sonellen Angelegenheiten sind:

● Der Betriebsrat muss unabhängig von der Größe des Betriebes bei
allen personellen Einzelmaßnahmen mitbestimmen. Ihm sind diese
Rechte auch hinsichtlich der Beschäftigung arbeitnehmerähnlicher
Personen zu geben.

● Dem Betriebsrat wird das Recht zur Ausarbeitung und Kontrolle von
Frauenförderplänen eingeräumt, die insbesondere die gleichberech-
tigte Teilnahme an beruflicher Fort- und Weiterbildung, die Einfüh-
rung und Ausgestaltung von Teilzeitarbeit sowie Maßnahmen zur
Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorsehen sollen.

● Die Förderung der Berufs- und Weiterbildung ist an die Bedingun-
gen einer sich schneller wandelnden Arbeitswirklichkeit anzupassen
und muss dem Betriebsrat die Möglichkeit geben, Benachteiligun-
gen abzubauen und das Qualifikationsniveau aller Beschäftigten
kontinuierlich zu erhöhen.

● Die Mitbestimmung bei der beruflichen Fort- und Weiterbildung
muss sich auch auf die Inhalte und die Auswahl der Träger erstre-
cken.

● Betriebsräten muss ein durchsetzbares Initiativrecht zum Ergreifen
von Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung zugestanden werden.

● Widerspricht der Betriebsrat einer ordentlichen oder außerordent-
lichen Kündigung, so muss das Arbeitsverhältnis künftig nur noch
durch gerichtliche Entscheidung auflösbar sein.

16. Die bisher in § 106 BetrVG durch die Institution des Wirtschaftsaus-
schusses geregelten Beteiligungsrechte in wirtschaftlichen Angelegen-
heiten sind zu erweitern und auf den Betriebsrat beziehungsweise Ge-
samtbetriebsrat zu übertragen. Im Gesetz sind die Informationspflichten
des Arbeitgebers genauer zu bestimmen und die Übergabe beziehungs-
weise Vorlage aller erforderlichen Unterlagen zur Pflicht zu machen.

17. Die in § 111 BetrVG geregelten Unterrichtungsrechte des Betriebsrates
bei Betriebsänderungen sind zu erweitern. Als Betriebsänderung sollen
auch Rationalisierungsmaßnahmen und die Einführung neuer Rationali-
sierungssysteme gelten.

Es muss ein Verbot von Betriebsänderungen vor Beendigung des Inter-
essenausgleichsverfahrens aufgenommen werden sowie ein Anspruch
des Betriebsrates auf Verhinderung der Betriebsänderung im Rahmen
einer einstweiligen Verfügung, so lange dieses Verfahren noch nicht ab-
geschlossen ist. Festzulegen ist auch, dass im Falle der Abspaltung von
Betriebsteilen nach § 613a BGB die Zuständigkeit des Betriebsrates im
Rahmen des Interessenausgleichs als auch des Sozialplanes auf die
Beschäftigten erstreckt, die im Wege eines Teilübergangs nach § 613a
BGB auf einen anderen Inhaber übergehen. Soweit die neuen Bedin-
gungen beim Erwerber mit den bisherigen nicht vergleichbar sind, kann
ein Sozialplan mit dem bisherigen Betriebsinhaber auch die daraus
resultierenden wirtschaftlichen Nachteile erfassen.

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Der Einwand fehlender Mittel für einen Sozialplan soll dann nicht mehr
gelten, wenn das Unternehmen trotz Wissen um die geplante Betriebs-
änderung keine Rücklagen gebildet hat. Soweit ein Konzernverbund
vorliegt, muss hinsichtlich der Möglichkeit der Finanzierung eines So-
zialplans die wirtschaftliche Lage des Konzerns beziehungsweise der
Muttergesellschaft maßgeblich sein.

18. Der § 112a BetrVG ist ersatzlos zu streichen.

19. Das BetrVG muss künftig auf allen Schiffen Geltung haben, die unter
der deutschen Bundesflagge fahren, auch wenn sie von einem Vertrags-
reeder mit Sitz im Ausland bereedert werden.

20. Der in § 118 BetrVG geregelte Tendenzschutz ist auf den Bereich der
religiösen Verkündigung und der unmittelbar politischen Tätigkeit zu
beschränken. Personelle Einzelmaßnahmen sollen nur dann nicht dem
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates unterliegen, wenn die betroffe-
nen Beschäftigten einen unmittelbaren und maßgeblichen Einfluss auf
die religiöse oder politische Tendenz haben.

21. Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte von Betriebsräten ge-
genüber Personalräten und kirchlichen Mitarbeitervertretungen ist nicht
mehr zeitgemäß und muss überwunden werden. Die Novellierung des
BetrVG sollte ein erster Schritt zur Durchsetzung gleicher Rechte für
Betriebs- und Personalvertretungen sein sowie die Sonderstellung der
kirchlichen Mitarbeitervertretungen überwinden.

Berlin, den 11. September 2000

Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Heidi Knake-Werner
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Zu Buchstabe a

Die Anpassung des BetrVG an veränderte Bedingungen des Wirtschaftslebens
und der betrieblichen Organisation ist von großer gesellschaftlicher Bedeutung
und verdient einen entsprechenden Zeitraum öffentlicher Diskussion. Ein de-
mokratisches Gesetzgebungsverfahren verlangt, dass die Betroffenen ausrei-
chend Gelegenheit haben, die möglichen Auswirkungen der vorgesehenen Än-
derungen auf ihre eigene Praxis zu überprüfen und in die öffentliche
Meinungsbildung einzugreifen. Da die Bundesregierung beabsichtigt, das neue
Gesetz zur Grundlage der nächsten Betriebsratswahlen zu machen, ist durch die
mehrfach angekündigte und nicht eingehaltene Vorlage eines Referentenent-
wurfs schon jetzt ein erheblicher Zeitdruck entstanden, insbesondere weil die
Gewerkschaften vor der Anwendung des neuen Gesetzes umfangreiche Weiter-
bildungsmaßnahmen durchführen müssen, um einen rechtmäßigen Ablauf der
Wahlen zu gewährleisten.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/4071

Zu Buchstabe b

In verschiedenen Stellungnahmen der Arbeitgeberverbände und in den Emp-
fehlungen der von der Bertelsmann- und der Hans-Böckler-Stiftung gebildeten
Mitbestimmungskommission wird das deutsche Mitbestimmungsrecht zuneh-
mend als Standortvorteil gewertet. Dem ist nicht zu widersprechen, doch die
einseitige Würdigung der Mitbestimmung als Standortvorteil blendet den ei-
gentlichen Grund für die Entwicklung dieses Rechtsinstituts aus. Das BetrVG
konkretisiert die in der Verfassung festgelegte Sozialbindung des Eigentums
und des Sozialstaates. Die strukturelle Benachteiligung der abhängig Beschäf-
tigten gegenüber den privaten Eigentümern an Produktionsmitteln wird durch
das BetrVG nicht aufgehoben, aber den Beschäftigten werden Informations-,
Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte eingeräumt, die der Nutzung und
Verwertung des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln Grenzen setzen.

Wird die betriebliche Mitbestimmung in erster Linie unter dem Gesichtspunkt
der Wettbewerbsfähigkeit novelliert, dann geraten die aus den Grundrechten
und der Sozialbindung des Eigentums abgeleiteten Mitbestimmungsrechte not-
wendigerweise in den Hintergrund. Im Gegensatz zur Sozialbindung des
Eigentums und des Sozialstaatsgebotes kann sich die Erhöhung der Wettbe-
werbsfähigkeit auf keinen Verfassungsauftrag stützen, so dass sie bestenfalls
als begrüßenswerte Begleiterscheinung, nicht aber als Ziel der Novellierung
angesehen werden kann.

Zu Buchstabe c

Die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte muss als Hauptmotiv der Reform
betrachtet werden. Drohungen der Arbeitgeber, wegen einer möglichen Aus-
weitung der Mitbestimmungsrechte das Bundesverfassungsgericht anzurufen,
dürfen den Deutschen Bundestag nicht davon abhalten, einen wichtigen Schritt
zur Demokratisierung der Arbeitswelt zu tun. Die Behauptung der Arbeitgeber-
verbände, eine Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung würde das Ei-
gentumsrecht einschränken, geht von einer einseitigen Betrachtung des Eigen-
tumsrechtes aus, die durch die Verfassung nicht gedeckt ist. Das Grundgesetz
der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet in Artikel 14 Abs. 1 zwar das
Eigentumsrecht, schreibt aber gleichzeitig in Absatz 2 vor, dass sein Gebrauch
dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll. Der Schutz des Eigentums erstreckt
sich folglich nicht automatisch auf die ungehinderte Verfügung, sondern haupt-
sächlich auf den Bestand. Vielmehr hat der Gesetzgeber Sorge zu tragen, dass
die Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums rechtlich normiert wird. Die im
BetrVG verankerten Mitbestimmungsrechte gefährden nicht das Eigentum,
sondern regeln auf betrieblicher Ebene seinen Gebrauch zum Wohle der Allge-
meinheit.

Zu Buchstabe d

Die deutsche Form der Mitbestimmung auf Betriebs- und Unternehmensebene
ist ein grundlegendes Element unserer Verfassungsordnung. Ihre Reform hat
unmittelbare Auswirkungen auf die konkrete Gestaltung der Verfassungswirk-
lichkeit und verdient deshalb breiteste Öffentlichkeit. Das Bündnis für Arbeit
aber ist keine demokratisch legitimierte oder gar kontrollierte Institution der
Verfassungsordnung, sondern eine nicht öffentliche Gesprächsrunde, in der
ausgewählte Vertreter der Tarifparteien unter Moderation des Bundeskanzlers
in erster Linie Gegenstände beraten sollen, die im Zusammenhang mit der
Tarifautonomie in den Regelbereich von Arbeitgebern und Gewerkschaften ge-
hören. Wenn in den Bündnisgesprächen Gesetzesvorhaben verhandelt werden,
um einen Konsens zwischen ausgewählten Verbandsvertretern zu erzielen, wird

Drucksache 14/4071 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

unmittelbar in die Rechte des Parlaments eingegriffen. Dem Gesetzgebungs-
verfahren wird unter Umgehung von Öffentlichkeit und Parlament eine Ent-
scheidungsebene vorgelagert, die das Parlament mit nur noch nachträglich ab-
zustimmenden Ergebnissen konfrontiert.

Die medienorientierte Inszenierung des Bündnisses für Arbeit hat in der Öf-
fentlichkeit jetzt schon den Eindruck entstehen lassen, dass es sich hierbei um
eine quasi demokratische Institution handelt, die zur Verabschiedung grund-
legender gesellschaftlicher Entscheidungen legitimiert ist. Dieser Eindruck
wird um so stärker, je mehr die Bündnisgespräche zu einem vorparlamentari-
schen Entscheidungsraum gemacht werden. Gleichzeitig besteht die Gefahr,
dass sich die Bundesregierung durch die Entscheidungsfindung in den Bünd-
nisgesprächen in eine Erpressungssituation begibt. Die Drohung, das Bündnis
zu verlassen, falls sich die Vorstellungen der Arbeitgeber nicht durchsetzen,
schränkt die Handlungsfähigkeit von Regierung oder Parlament ein und stuft
den Deutschen Bundestag zu einer Ratifizierungseinrichtung ab.

Zu Buchstabe e

1. Der § 1 des BetrVG von 1972 enthält keine Definition des Betriebes, son-
dern setzt diese als gegeben voraus. Das aus diesem Defizit entstandene
Richterrecht beziehungsweise die Gesetzgebung zur Betriebsumwandlung
und Aufspaltung reicht in der Praxis nicht aus, um die sich ergebenden Ab-
grenzungsprobleme eindeutig zu lösen.

Einen abschließenden Betriebsbegriff wird das neue BetrVG nicht definie-
ren können und dürfen, weil der Prozess wirtschaftlicher und betrieblicher
Umstrukturierungen äußerst dynamisch und nicht abgeschlossen ist. Wenn
aber die Zer- und Neugliederung von Betrieben die Institution des Betriebs-
rates an sich gefährdet, müssen solche Beschreibungen für den Betrieb ge-
funden werden, die dies ausschließen. Notwendig ist deshalb die Benennung
von Kriterien, die eine prozesshafte Definition des Betriebes möglich ma-
chen. Im Vordergrund müssen dabei die räumliche, soziale und arbeitstech-
nische Organisation der betrieblichen Abläufe stehen. Dabei ist zu berück-
sichtigen, dass unter anderem durch den Einsatz der modernen IuK-
Technologien betriebliche Zusammenhänge entstehen, die nicht mehr den
gewohnten augenfälligen Vorstellungen eines Betriebes entsprechen.

Entscheidend ist, dass die Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte des Be-
triebsrates dort einsetzen, wo unternehmerische Entscheidungen getroffen
werden – unabhängig von allen gesellschaftsrechtlichen Formen. In jedem
Fall muss aber bei der Durchführung arbeitgeberseitiger Maßnahmen der
von den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gewählte Be-
triebsrat beteiligt werden. Ein solche Festlegung ist notwendig, um einem
Auseinanderfallen der Weisungshierarchie der Arbeitgeber und der Zustän-
digkeit des Betriebsrates entgegenzuwirken.

Mit der vorgeschlagenen Einführung eines Betriebsregisters könnten die
häufig überforderten Wahlvorstände entlastet werden. Solange eine Eintra-
gung ins Betriebsregister nicht wirksam geändert wurde, gilt der Betrieb als
existent, womit auch die Rechte des jeweiligen Betriebsrates gesichert wä-
ren. Die richtige Handhabung des Betriebsbegriffs würde von den Wahlvor-
ständen in ein Einigungsverfahren verlagert, für dessen Durchführung die
zuständige staatliche Stelle die Verantwortung trägt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/4071

2. Die Verringerung der zur Bildung eines Betriebsrates notwendigen Beschäf-
tigtenzahl von fünf auf drei entspricht der neuen Betriebsrealität. Die Be-
schäftigtenzahlen sind im Verhältnis zur Wertschöpfung der Betriebe insge-
samt rückläufig, so dass eine Verringerung der erforderlichen
Wahlberechtigten lediglich einer Anpassung an die veränderte Wirklichkeit
entspricht.

3. Durch Ausgliederungen, Umwandlungen und Aufspaltungen entstehen häu-
fig formal selbständige Unternehmen und Betriebe, ohne dass sich die be-
triebliche Organisation grundlegend ändert. Diese Betriebe bleiben nach
dem Auslaufen des Übergangsmandats der ursprünglichen Betriebsräte oft
ohne betriebliche Interessenvertretung. Das BetrVG soll für diese Fälle vor-
sehen, dass entweder die alten Interessenvertretungen erhalten bleiben,
wenn die Anforderungen des § 1 erfüllt sind oder, dass das Übergangsman-
dat so lange erhalten bleibt, bis für den neuen Betrieb ein Betriebsrat ge-
wählt ist.

4. Der Geltungsbereich des BetrVG soll auf arbeitnehmerähnliche Beschäf-
tigte und auf von dem jeweiligen Arbeitgeber ökonomisch abhängige
Beschäftigte ausgedehnt werden. Es handelt sich dabei in der Regel um
Tätigkeiten, die vor ihrer formal-rechtlichen Umwandlung von Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern im Sinne des Gesetzes ausgeübt wurden.
Dieser Personenkreis soll in den Schutz des BetrVG zurückgeholt werden.
Gleiches gilt für Heim- sowie Telearbeiterinnen und -arbeiter, die zwar
schon weitgehend durch § 12a Tarifvertragsgesetz geschützt sind, in § 5
BetrVG aber noch einmal zur Klarstellung ihrer rechtlichen Stellung zur be-
trieblichen Interessenvertretung erwähnt werden sollen.

5. In vielen betriebsratsfähigen Betrieben unterbleibt die Wahl eines Betriebs-
rates, weil der Arbeitgeber zu verstehen gibt, dass er sie nicht wünscht. Die
Strafbestimmungen für die Behinderung einer Wahl reichen in diesen Fällen
nicht aus. Die Höchststrafe bei Behinderung beziehungsweise Beeinflus-
sung der Betriebsratswahl ist daher auf eine Freiheitsstrafe von bis zu drei
Jahren festzusetzen. Darüber hinaus müssen gesetzliche Sanktionen ge-
schaffen werden, die auch den verdeckten Widerstand der Arbeitgeber
gegen eine Betriebsratswahl zu brechen helfen.

Das vorgeschlagene vereinfachte Wahlverfahren mindert die derzeitige
Schwellenangst bei vielen Beschäftigten, im Rahmen eines langen und kom-
plizierten Wahlverfahrens und eines möglicherweise aufgeladenen Betriebs-
klimas persönliche Risiken einzugehen. Außerdem unterstreicht die staat-
liche Verantwortung für eine flächendeckende Wahl von Betriebsräten die
Bedeutung des BetrVG und verringert die Möglichkeit von Arbeitgebern,
durch verdeckten oder offenen Widerstand die Wahl eines Betriebsrates zu
verhindern.

6. Insbesondere in Kleinbetrieben wird die Wahl eines Betriebsrates häufig be-
reits durch das aufwendige Wahlverfahren verhindert. Die Wahlvorschriften
sind deshalb so zu ändern, dass erstens die Wahl erleichtert und zweitens
durch ein unbürokratisches Verfahren verhindert wird, dass der Arbeitgeber
die bisher relativ lange Zeitspanne bis zur Durchführung der Wahl für Re-
pressionen nutzen kann.

7. Das Recht von Gesamt- und Konzernbetriebsräten, einen Wahlvorstand für
Betriebe in ihrem Zuständigkeitsbereich zu bilden, wäre eine wirksame
Maßnahme gegen die in der Folge von Ausgliederungen zunehmende Zahl
betriebsratsloser Betriebe.

Drucksache 14/4071 – 10 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

8. Die bisher in § 3 BetrVG bestehende Möglichkeit, durch Tarifvertrag zu-
sätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungsorgane zu schaffen, ist
zu präzisieren und zu erweitern. Wichtig ist, diese Organe durch Tarifver-
trag zu schaffen, um den Gewerkschaften eine Durchsetzungsmöglichkeit
zu geben. Außerdem sollte das Gesetz zur Klarstellung einen Katalog der
zusätzlichen Vertretungen aufnehmen.

9. Durch die Neufassung des § 2 BetrVG sollen erstens die Rechte der Ge-
werkschaften im Betrieb präziser gefasst und ihr jederzeitiger Zugang zum
Betrieb gesichert werden. Außerdem sollen die Aufgaben des Betriebsrates
so beschrieben werden, dass die Wahrnehmung der Beschäftigteninteressen
im Vordergrund steht.

10. Die umfangreicher und komplizierter werdenden Aufgaben der Betriebs-
räte sind mit den bisherigen Freistellungen nicht mehr zu bewältigen. Des-
halb ist die Senkung der Freistellungsgrenze auf 200 oder weniger ebenso
unumgänglich wie eine verbesserte Möglichkeit zur teilweisen Freistellung
von der Arbeit. Die Freistellungsregelung nach § 38 BetrVG sollte sich
jedoch nicht nur an der Betriebsgröße orientieren, sondern gleichzeitig die
Betriebsstruktur (Betriebsteile, Nebenbetriebe und Fläche) berücksichti-
gen.

Die Anrechnung voller Bildungstage auch für Teilzeitbeschäftigte ist not-
wendig, um sie nicht schlechter als Ganztagsbeschäftigte zu stellen, die
keine Freizeitopfer für die Beteiligung an Bildungsmaßnahmen aufbringen
müssen.

Das Gesetz hat künftig auch die Gleichbehandlung von Frauen bei der Ver-
tretung im Betriebsrat sowie bei den Freistellungen sicherzustellen, um der
Frauendiskriminierung entgegenzuwirken.

Die Erfahrungen der Praxis belegen, dass die in § 37 Abs. 6 beziehungs-
weise § 37 Abs. 7 BetrVG geregelte Freistellung für Qualifizierungsmaß-
nahmen auf erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich der zeitlichen Festset-
zung und der Kostenbeteiligung des Arbeitgebers stößt. Ein beschleunigtes
arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren soll sicherstellen, dass Betriebs-
ratsmitglieder ihre Qualifizierung nicht deshalb vernachlässigen, weil sie
die notwendigen finanziellen Mittel nicht vorstrecken können oder aus Un-
sicherheit darüber nicht vorstrecken wollen, ob sie die verauslagten Be-
träge tatsächlich zurück erhalten. Das Gesetz soll diese Lücken schließen
und die Qualifizierungsmöglichkeiten insgesamt verbessern, damit die Be-
triebsräte dem Wandel der Arbeitswelt gerecht werden können. Das Glei-
che gilt insgesamt für die Ausstattung der Betriebsräte, insbesondere mit
modernen Kommunikationsmitteln. Darüber hinaus haben sich in der Ver-
gangenheit zahlreiche Streitfälle ergeben, weil Betriebsräte daran gehindert
wurden, betriebsinterne Kommunikationsnetze für die Wahrnehmung ihrer
gesetzlichen Aufgaben zu nutzen. Deshalb bedarf es auch diesbezüglich ei-
ner gesetzlichen Präzisierung.

Die Einbeziehung von Betrieben mit drei oder mehr Beschäftigten in den
Kreis der betriebsratsfähigen Betriebe wird in vielen Fällen dazu führen,
dass die gesetzlich vorgesehene Freistellung für Bildungsmaßnahmen nach
§ 37 Abs. 6 und 7 BetrVG auf arbeitsorganisatorische oder finanzielle
Probleme stößt. Hier sollte eine Form öffentlicher Unterstützung gefunden
werden, die diese Probleme mindern hilft.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11 – Drucksache 14/4071

11. Von den abhängig Beschäftigten wird immer mehr Eigenverantwortung
und Selbständigkeit verlangt, was häufig jedoch im scharfen Gegensatz
zum oft autoritär ausgeübten Direktionsrecht des Arbeitgebers steht. Ver-
antwortungsbewusstsein setzt Verantwortung und damit auch Entschei-
dungsfreiheit voraus. Deshalb sollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer zur Leistungsverweigerung berechtigt sein, wenn das Befolgen
einer betrieblichen Anweisung gegen bestehende Gesetze, Tarifverträge
oder Regelungsabsprachen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber verstößt.
Gleiches gilt, wenn durch die angeordneten Tätigkeiten Gesundheit oder
Leben der Beschäftigten oder Nichtbeteiligter unmittelbar gefährdet wer-
den oder Umweltgefahren entstehen, die häufig nur von den unmittelbar
Handelnden erkannt werden können.

Es ist angemessen, den Arbeitgebern die Beweislast aufzuerlegen, um die
Stellung der abhängig Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber zu stär-
ken. Was für Lebens-, Gesundheits- und Umweltgefahren gilt, soll aber
auch für eine Gefährdung der Demokratie und der Menschenwürde gelten.
Beschäftigte dürfen nicht gezwungen werden, menschenverachtende, ras-
sistische oder faschistische Propaganda herzustellen oder zu vertreiben.

12. Unter dem Druck der Arbeitgeber sahen sich in den vergangenen Jahren
immer mehr Betriebsräte gezwungen, den Tarifvorrang nach § 77 Abs. 3
BetrVG zu mißachten und geltende Tarifverträge durch Betriebsvereinba-
rungen zu unterbieten. Gleichzeitig mehren sich die Fälle, wo nicht tarif-
gebundene Unternehmen Entgeltregelungen und andere Gegenstände von
Tarifverträgen durch Betriebsvereinbarungen zu regeln versuchen.

Da den Betriebsräten nach § 74 BetrVG das Führen von Arbeitskämpfen
untersagt ist, fehlt es ihnen im Gegensatz zu den Gewerkschaften an
Durchsetzungsmitteln für kollektivrechtliche Vereinbarungen. Deshalb ist
es notwendig, den Tarifvorrang zu präzisieren und ein Klagerecht der Ge-
werkschaften ausdrücklich zu verankern.

13. Die in § 87 BetrVG geregelten Mitbestimmungsrechte beziehen sich deut-
licher als viele andere Teile des Gesetzes auf eine tayloristische Arbeits-
organisation, in der Fragen der Betriebsordnung und der Kontrolle durch
die Arbeitgeber eine entscheidende Rolle spielen. Der moderne Betrieb
verlangt dagegen ein höheres Maß an Eigenverantwortung, Selbständigkeit
und Prozessqualifikationen der Beschäftigten. In vielen Betrieben geht die
Mitwirkung – nicht Mitbestimmung – des Betriebsrates deshalb bereits
weit über den Rahmen des BetrVG von 1972 hinaus. Problematisch ist,
dass es sich hier in der Regel um eingespielte betriebliche Traditionen han-
delt, für die es keine klare Rechtsgrundlage gibt. Während nämlich der
Mitbestimmungskatalog des jetzt geltenden Gesetzes die Möglichkeit eines
Einigungsstellenverfahrens einschließt, fehlen dem Betriebsrat bei den
neuen Formen des Co-Managements geeignete Mittel zur Wahrung der Be-
legschaftsinteressen. Aus diesem Grund ist der Katalog des § 87 BetrVG
auszudehnen.

Darüber hinaus soll der Betriebsrat die Möglichkeit haben, nicht nur eigene
Vorschläge einzubringen, sondern auch ihre Behandlung durchzusetzen.
Dies ist nur durch die gesetzliche Verankerung eines Initiativrechtes und
die Möglichkeit zur Anrufung einer Einigungsstelle möglich.

Die im bisherigen § 87 Abs.1 BetrVG aufgeführten Mitbestimmungstatbe-
stände sind abschließend regelbar. Bei den neuen Formen des Co-Manage-
ments handelt es sich dagegen in der Regel um prozessbegleitende, auf all-
gemeine Optimierung ausgerichtete Formen der Mitwirkung. Der Konflikt
um Lohn und Leistung nimmt ständig neue Formen an, entzündet sich an

Drucksache 14/4071 – 12 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

unterschiedlichen Stellen des Prozesses und verlangt immer wieder neue
Regelungen. Betriebsvereinbarungen müssen sich deshalb auf die Fest-
legung von Rahmenbedingungen konzentrieren, die eine flexible Anpas-
sung ermöglichen. Die Bereitschaft und die Motivation von Betriebsräten
und Beschäftigten, sich auf diesen Prozess einzulassen, wird um so größer
sein, je stärker ihre Verhandlungsposition ist. Eine wirkliche Verhand-
lungsposition hat der der Friedenspflicht unterliegende Betriebsrat aber erst
durch die Möglichkeit des Einigungsstellenverfahrens.

Entsprechend der betrieblichen Entwicklung, Arbeitsgruppen oder Abtei-
lungen mehr Eigenverantwortlichkeit zu geben, muss der Betriebsrat die
Möglichkeit haben, die konkrete Umsetzung einer Rahmenvereinbarung
den jeweiligen Arbeitseinheiten zu übertragen, ohne sein grundlegendes
Mitbestimmungsrecht einzuschränken. Wenn der Betriebsrat Gestaltungs-
möglichkeiten an Arbeitsgruppen delegiert, werden dadurch keine neuen
demokratischen Rechte geschaffen, sondern lediglich Kompetenzen ver-
lagert. Eine Demokratisierung der Betriebsverfassung muss jedoch mehr
Rechte für alle Beschäftigten bringen.

Die Delegation von Betriebsratsrechten an Arbeitsgruppen oder andere von
den Arbeitgebern eingerichtete Organisationseinheiten stößt in der Praxis
auch auf erhebliche Gefahren. Nichtmitglieder des Betriebsrates sind zum
Beispiel nicht durch das Gesetz vor Kündigung geschützt und Arbeitsgrup-
pen stehen häufig im Wettbewerb zu anderen Organisationseinheiten des
Betriebes, so dass die Mitbestimmungsrechte dem innerbetrieblichen Kon-
kurrenzdruck zum Opfer fallen können. Dies erfordert, dass der Betriebsrat
eine Entscheidung wieder an sich ziehen kann, wenn dies das Gesamtinter-
esse der Beschäftigten erfordert oder delegierte Gestaltungsmöglichkeiten
von den Betroffenen aus Angst vor Nachteilen nicht ausgeschöpft werden.

14. Die Komplexität moderner Betriebsabläufe birgt zahlreiche Probleme hin-
sichtlich der unterschiedlichen Belastungsparameter, der sozialen Verträg-
lichkeit und der Qualifikation in sich. Dabei geht es nicht nur um den
einzelnen Arbeitsplatz, sondern um den gesamten Arbeitsprozess des Be-
triebes, so dass der betriebliche Prozess umfassend mitbestimmungspflich-
tig sein muss. Dies gilt insbesondere auch für neue Arbeitsformen, die im
Zusammenhang mit organisatorischen Umgestaltungen entstehen.

Die umfassenden Möglichkeiten der modernen IuK-Technologien gestat-
ten Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen, die weit in die Persönlich-
keitsrechte, insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestim-
mung der Beschäftigten eingreifen und erhebliche Risiken bergen. Das
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates ist hier ebenso unerlässlich, wie
für den Gesundheitsschutz. Der Gesundheitsschutz erfordert heute eine
ganzheitliche Betrachtung der technischen, organisatorischen und sozialen
Belastungen. Je weniger die Beschäftigten durch sinnliche Wahrnehmung
in der Lage sind, Gesundheitsgefahren rechtzeitig zu erkennen, desto wich-
tiger ist die frühzeitige Einbeziehung des Betriebsrates, um bei der Ein-
führung neuer Verfahren und Abläufe Risikoabschätzungen vornehmen zu
können. Obwohl das Arbeitsschutzgesetz von 1996 dem Gesundheits-
schutz ein größeres Gewicht gegeben hat, fehlen in der Betriebsverfassung
die erforderlichen Mitbestimmungs- und Informationsrechte, die es dem
Betriebsrat sowie den betroffenen Beschäftigten erst ermöglichen, sich ak-
tiv an der Vermeidung von Gesundheitsgefahren zu beteiligen. Das Gleiche
gilt für den Umweltschutz, der seit 1972 erheblich an Gewicht gewonnen
hat, für den es auch eine Reihe betriebsrelevanter Gesetze und Verordnun-
gen gibt, deren Umsetzung aber problematisch bleibt, so lange den Be-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 13 – Drucksache 14/4071

triebsräten keine entsprechenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte
eingeräumt werden.

15. Bei der Neufassung der Bestimmungen zu personellen Angelegenheiten ist
grundsätzlich zu berücksichtigen, dass der Betriebsrat in zunehmendem
Maße mit Aufgaben der Beschäftigungssicherung befasst ist. Deshalb soll
sein Mitbestimmungsrecht bei personellen Angelegenheiten stärker als im
geltenden BetrVG auf Fragen der vorausschauenden Personalplanung und
Qualifikationsentwicklung ausgeweitet werden, um einen hohen und dau-
erhaften Beschäftigungsstand zu sichern.

Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Entlassungen bei Rationalisie-
rungen oder Betriebsänderungen häufig auf vom Management versäumte
Qualifizierungsmaßnahmen zurückzuführen sind. Die Arbeitgeber setzen
auf die Möglichkeit, wegen anhaltender Massenarbeitslosigkeit, bei Um-
stellungen eine ausreichende Anzahl nicht nur qualifizierterer, sondern jün-
gerer und häufig auch billigerer Arbeitskräfte einstellen zu können. Sie
sparen auf diesem Wege Qualifizierungskosten und nutzen die durch das
Beschäftigungsförderungsgesetz gegebene Möglichkeit, in zunehmendem
Maße befristete Arbeitsverhältnisse abzuschließen, mit denen die einge-
stellten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer direkt und somit indirekt
auch alle anderen Beschäftigten, zu erhöhter Leistung angehalten werden
können. Es liegt jedoch im Interesse der Beschäftigten und der Allgemein-
heit, die Beschäftigung zu verstetigen, um ein höheres Maß an sozialer
Sicherheit zu gewährleisten und Kosten wie gesellschaftliche Folgen der
Arbeitslosigkeit zu minimieren. Eine Ausweitung der Mitbestimmung des
Betriebsrates in personellen Angelegenheiten ist deshalb ein geeignetes
Mittel der betrieblichen Beschäftigungspolitik.

Die bisherige Ausnahme für Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten
sollte infolge ihres wachsenden Gewichts in der Wirtschaftsstruktur entfal-
len. Gleichzeitig ist es sinnvoll, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsra-
tes, wie für andere Teile des Gesetzes vorgeschlagen, auch auf arbeit-
nehmerähnliche Beschäftigungsverhältnisse auszudehnen, weil solche
Rechtsformen von den Unternehmen häufig mit der Absicht gewählt wer-
den, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zu umgehen. Dem Be-
triebsrat soll deshalb ein Mitbestimmungsrecht bei Vertragsinhalt und Ab-
schluss arbeitnehmerähnlicher Arbeitsverhältnisse eingeräumt werden.

Zur betrieblichen Beschäftigungspolitik gehört auch, dass Kündigungen
zum letzten Mittel der Personalpolitik werden. Der Neigung der Unterneh-
men, durch Kündigungen die Belegschaft zu verjüngen, das Leistungs-
niveau zu steigern und Personalkosten zu minimieren, muss entgegenge-
wirkt werden, da diese Strategie mit erheblichen gesamtgesellschaftlichen
Kosten verbunden ist. Je höher die Zahl der Kündigungen in einer Volks-
wirtschaft, desto größer die Zahl derjenigen, die keinen Weg zurück in die
Arbeitswelt finden. Die Verbesserung des Kündigungsschutzes ist deshalb
ein wichtiges Instrument der Beschäftigungspolitik.

Der bisherige Schutz der Beschäftigten vor nicht gerechtfertigten Kündi-
gungen beschränkt sich auf die Klage vor dem Arbeitsgericht, die nur dann
eine Erfolgsaussicht besitzt, wenn der Betriebsrat der Kündigung wider-
sprochen hat und nachweisbar ist, dass die Kündigung ungerechtfertigt ist.
Kündigungen, die nachweislich wegen Auftragsmangels oder Teilstillegung
erfolgen, werden von den Arbeitsgerichten regelmäßig als gerechtfertigt
eingestuft.

Der Regelung, dass das Arbeitsverhältnis bei einem vom Betriebsrat aus-
gesprochenen Widerspruch nur durch das Arbeitsgericht aufgelöst werden

Drucksache 14/4071 – 14 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

kann, macht Kündigungen durch den Arbeitgeber keinesfalls unmöglich,
vermindert aber den Umfang ungerechtfertigter Kündigungen und erhöht
den Schutz der Beschäftigten vor willkürlichen Entscheidungen des Ar-
beitgebers. Der rechtlich bindende Einspruch des Betriebsrates hat im Falle
einer gerechtfertigten Kündigung lediglich eine aufschiebende Wirkung.
Die mit dem Arbeitsgerichtsverfahren verbundene zeitweilige Einschrän-
kung des Arbeitgebers in seinem Direktionsrecht und die mögliche zuneh-
mende Anrufung der Arbeitsgerichte sind geringer zu gewichten, als die
sozialen Menschenrechte der betroffenen Beschäftigten und das gesell-
schaftliche Interesse an dauerhafter Beschäftigung.

16. Die in § 106 BetrVG geregelte Verpflichtung des Arbeitgebers, wirtschaft-
liche Angelegenheiten mit einem zu bildenden Wirtschaftsausschuss zu be-
raten, hat sich im Grundsatz als richtig erwiesen. Betriebsräte sind besser
in der Lage, auf unternehmerische Entscheidungen zu reagieren und Vor-
schläge zur sozialverträglichen Gestaltung zu entwerfen, wenn sie über
wirtschaftliche Entwicklungen rechtzeitig und umfassend informiert wer-
den. Es hat sich jedoch als wenig hilfreich erwiesen, dafür einen gesonder-
ten Wirtschaftsausschuss zu bilden. Der Informationsfluss kann zügiger
und die Beratungen können ergebnisorientierter verlaufen, wenn der Be-
triebsrat direkt beteiligt wird. Das Recht des Betriebsrates, einen eigenen
Unterausschuss für wirtschaftliche Angelegenheiten zu bilden, wird davon
nicht berührt. Die Begrenzung der gemeinsamen Beratung wirtschaftlicher
Angelegenheiten auf Betriebe mit in der Regel mehr als 100 Beschäftigten
soll gestrichen werden, weil nicht nachvollziehbar ist, weshalb dieses be-
deutsame Mitwirkungsrecht Betriebsräten kleinerer Betriebe vorzuenthal-
ten ist.

Die geltende Formulierung des § 106 Abs. 2 und 3 BetrVG lässt den
Arbeitgebern einen zu breiten Ermessensspielraum über die Art der Unter-
richtung und die vorzulegenden Unterlagen. Bei der Novellierung soll des-
halb eine der Praxis gerecht werdende Präzisierung vorgenommen werden.
Dabei ist festzulegen, dass die Unterlagen dem Betriebsrat zu übergeben
und nicht nur zur Einsichtnahme vorzulegen sind.

17. Die sprunghaft angestiegene Zahl von Betriebsänderungen, Aufspaltungen
und Fusionen hat neue Beteiligungsnotwendigkeiten geschaffen, die im
bisherigen Gesetz nicht erwähnt sind und 1972 auch nicht absehbar waren.
Insbesondere besteht ein dringender Bedarf an Informationen über perso-
nelle Auswirkungen geplanter Betriebsänderungen, damit der Betriebsrat
seine zunehmend beschäftigungspolitischen Aufgaben wahrnehmen kann.

Die bisherige Rechtslage erlaubt es den Unternehmen, durch Veräußerung
von Teilbetrieben für die davon betroffenen Beschäftigten die Sozialplan-
pflicht zu umgehen. Diese Lücke ist zu schließen, um das Umgehen von
Sozialplänen durch Teilbetriebsübergänge zu verhindern.

Was die Dotierung von Sozialplänen angeht, stellen die beiden genannten
Punkte die häufigsten Probleme für Betriebsräte dar, Sozialpläne durchzu-
setzen.

18. Die Ausnahmeregelung des § 112a BetrVG führt zu einer unangemessenen
Einschränkung der Informations- und Mitwirkungsrechte.

19. Die gerichtliche Auslegung des geltenden § 114 BetrVG schließt unter
deutscher Flagge fahrende Schiffe aus dem Geltungsbereich des Gesetzes
aus, wenn sie von einem Vertragsreeder im Ausland bereedert werden. Da-
mit wird es deutschen Reedern durch eine geringfügige Änderung ihrer

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 15 – Drucksache 14/4071

Unternehmensstruktur ermöglicht, sich den aus dem BetrVG entstehenden
Pflichten zu entziehen.

20. Der in § 118 BetrVG geregelte Tendenzschutz geht weit über den Schutz
von Religionsgemeinschaften sowie politischen und koalitionspolitischen
Organisationen hinaus. Dies gilt insbesondere für Medienunternehmen und
Verlage, die fast ausschließlich zum Zwecke der Gewinnerzielung und
nicht zur öffentlichen Vertretung einer bestimmten Tendenz betrieben wer-
den. Darüber hinaus ist es auch bei unmittelbar religiösen, politischen oder
koalitionspolitischen Zwecken gewidmeten Institutionen nicht berechtigt,
Beschäftigte, die keinen eigenständigen und unmittelbaren Einfluss auf die
Tendenz ausüben, aus dem Schutzbereich des BetrVG teilweise herauszu-
nehmen. Aber auch für personelle Einzelmaßnahmen bezüglich Beschäf-
tigter mit Einfluss auf die Tendenz ist die Regelung des § 118 BetrVG nicht
notwendig. Wer zum Beispiel dauerhaft die vorgegebene Tendenz eines
Medienbetriebes missachtet, liefert einen Grund für eine verhaltensbe-
dingte Kündigung.

Gleichzeitig soll gewährleistet werden, dass privatwirtschaftlich organi-
sierte und am Markt operierende Unternehmen aus dem Tendenzschutz
herausgenommen werden. Hier handelt es sich nicht nur um einen außer-
ordentlich großen Personenkreis, sondern auch um Unternehmen, die
durch die Ausnahmeregelung in den Genuss marktverzerrender Wettbe-
werbsvorteile kommen.

21. Das novellierte BetrVG ist auch auf die Bedürfnisse all jener Bereiche ab-
zustellen, in denen jetzt noch Personalvertretungen bestehen. Gleiches gilt
für die Sonderregelungen (Mitarbeitervertretungsrecht) in den Kirchen und
den ihnen angeschlossenen Gruppierungen wie Diakonisches Werk und
Caritasverband. Damit lassen sich auch die Probleme lösen, die in zuneh-
mendem Maße durch die Errichtung privat-öffentlich-rechtlicher Konzerne
entstehen.

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