BT-Drucksache 14/4018

Zur Koppelung von Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit an die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer bei Abschiebungen

Vom 17. August 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4018
14. Wahlperiode 17. 08. 2000

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Carsten Hübner, Wolfgang Gehrcke, Heidi Lippmann,
Dr. Winfried Wolf und der Fraktion der PDS

Zur Koppelung von Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit
an die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer bei Abschiebungen

Eine Arbeitsgruppe „Rückführung“ des Bundes und der Länder hat der Innen-
ministerkonferenz (IMK) Anfang Mai einen Maßnahmenkatalog vorgeschla-
gen, mit dessen Hilfe zukünftig Abschiebungen erleichtert bzw. sog. Rückfüh-
rungsschwierigkeiten beseitigt werden sollen. Der Bericht der Arbeitsgruppe
wurde von der Konferenz zustimmend zur Kenntnis genommen (Beschluss-
niederschrift über die 161. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister
und -senatoren der Länder am 5. Mai 2000 in Düsseldorf). Laut „Spiegel“ vom
15. Mai 2000 beinhalten die „drastischen Vorschläge“ u. a., es „... solle gegen-
über jenen Staaten, die ihre Bürger widerwillig oder gar nicht zurücknehmen,
jede diplomatische Zurückhaltung aufgegeben werden. Die Kooperation bei
der Abschiebung müsse zum Maßstab der außenpolitischen Beziehungen ge-
macht werden. Die vorgeschlagenen Sanktionen reichen von großen De-
marchen der Botschafter bis zum Entzug der Entwicklungshilfe.“

Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Weiterentwicklung (BMZ), Dr. Uschi Eid, beant-
wortete die schriftlichen Fragen des Abgeordneten Carsten Hübner nach den
Vorstellungen des BMZ bezüglich der Planungen der Arbeitsgruppe, die Ver-
gabe von Entwicklungshilfe an die Kooperationsbereitschaft der Herkunfts-
staaten zu koppeln und der Beteiligung des BMZ an dieser Planung, wie auch
nach der Haltung des Ministeriums generell gegenüber einer derartigen Koppe-
lung am 24. Februar 2000 dahingehend, dass es diese Arbeitsgruppe gebe und
bisher keine konkreten Maßnahmen beschlossen worden seien (schriftliche
Fragen 109 und 110 in Bundestagsdrucksache 14/2816).

Auf die Frage, wie sich die Bundesregierung diesbezüglich in den Verhandlun-
gen zum Lomé-Folgeabkommen verhalten habe, wurde geantwortet, dass dies
nicht Thema der Verhandlungen gewesen sei, dass aber im neuen Abkommen
ein vertiefter Dialog in Fragen der Migration vorgesehen sei und Verhandlun-
gen über besondere Rückübernahmeabkommen aufgenommen werden könn-
ten.

Die Verhandlungen zum neuen Kooperationsabkommen zwischen der EU und
der Staatengruppe Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (EU-AKP- oder Lomé-
Folgeabkommen), das im Juni in Cotonou, Benin, unterzeichnet wurde, waren
kurz vor Ende der Verhandlungen durch einen Konflikt ins Stocken geraten,
dessen Kern die Auseinandersetzung um die Verankerung von Rücknahme-

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Klauseln für illegale Einwanderer oder abgelehnte Asylbewerber im Vertrag
waren. Die AKP-Länder lehnten die pauschale Forderung der EU ab, auch Per-
sonen zurückzunehmen, die aus Drittstaaten im Transit über ein AKP-Land
nach Europa kamen.

Der Vertrag enthält jetzt die Möglichkeit, dass auf Forderung einer Vertragspar-
tei bilaterale Verhandlungen für Rücknahmeabkommen aufgenommen werden
müssen, die sowohl Angehörige der AKP-Staaten als auch Drittstaatenangehö-
rige sowie Staatenlose betreffen.

Vergleichbare Klauseln in Wirtschaftsabkommen bzw. eigenständige Rück-
übernahmeabkommen gibt es bisher mit sämtlichen Staaten, die mit der Bun-
desrepublik Deutschland gemeinsame Grenzen haben, mit Schweden, Norwe-
gen, den übrigen mittel- und osteuropäischen Staaten (MOEL), außer der
Slowakei, sowie mit Algerien und Marokko. Bereits 1995 hat die Bundesregie-
rung 100 Mio. DM und Exportbürgschaften solange auf Eis gelegt, bis Vietnam
ein Rückübernahmeabkommen unterschrieben hatte. Insbesondere im Fall der
MOEL wurde – anders als bei den derzeitigen Planungen, die mit dem Entzug
von Geldern drohen – die Bereitschaft, Rückübernahmeklauseln zu akzeptie-
ren, mit der Zusage wirtschaftlicher Zusammenarbeit „belohnt“.

In vielen Staaten sind die konkreten Auswirkungen der Unterzeichnung der
Rückübernahmeklauseln/-abkommen, d. h. der mit der Rücknahme von Flücht-
lingen u. a. verbundene finanzielle und infrastrukturelle Aufwand zunächst
nicht überschaubar. Oft sind ausreichende menschenwürdige Unterbringungs-
und Verpflegungsmöglichkeiten nicht annähernd vorhanden. Die Perspektive
der Zurückgeschobenen ist häufig völlig ungewiss.

Nach einem Bericht über ein Gespräch der Europaabgeordneten Elisabeth
Schroedter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit dem georgischen Vizeaußen-
minister habe dieser z. B. ein entsprechendes Abkommen deswegen unter-
schrieben, „... weil die damit verbundene Wirtschaftshilfe so attraktiv war. Ein-
richtungen für die Unterbringung von zurückgeschobenen Flüchtlingen würden
fehlen. (...) Weil in diesen Staaten ein Sozialnetz für Flüchtlinge fehlt, wurden
die Menschen erst mal in Gefängnisse gesteckt“ („Jungle World“ vom
16. Februar 2000).

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:

1. Welche konkreten Vorschläge beinhaltet der am 5. Mai 2000 der IMK vor-
gestellte Maßnahmenkatalog der AG „Rückführung“ (bitte einzeln auf-
führen)?

2. Warum waren – so die Beschlussniederschrift der IMK – weder das Bundes-
ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
noch das Auswärtige Amt (AA) an der Erstellung des Maßnahmenkatalogs
beteiligt?

a) Hat es im Vorfeld eine Einbeziehung von Vertretern des BMZ gegeben?

Wenn ja, in welcher Form?

Wenn nein, warum nicht?

b) Hat es im Vorfeld eine Einbeziehung von Vertretern des AA gegeben?

Wenn ja, in welcher Form?

Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/4018

3. Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, dass bei einer innenpolitischen
Planung wie dem vorgestellten Maßnahmenkatalog, die Auswirkungen auf
die Entwicklungs- und Außenpolitik haben soll, frühzeitig nicht nur das
Bundesministerium des Innern, sondern auch das BMZ und das AA zu be-
teiligen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wie und durch wen?

4. Wie finden innenpolitische und migrationspolitische Aspekte ihren Nieder-
schlag im entwicklungspolitischen Konzept des BMZ?

5. Welche Haltung hat das BMZ zu dem Grundgedanken einer Koppelung von
Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit an Rückübernahmeklau-
seln?

a) Gibt es dazu konkrete Planungen?

Welche?

b) Wie sind die im Maßnahmenkatalog vorgeschlagenen rein innenpoliti-
schen Interessen dienenden Konditionierungen aus Sicht der Bundes-
regierung mit der entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesrepub-
lik Deutschland vereinbar?

c) Bedeuten derartige Überlegungen nach Ansicht der Bundesregierung
eine Abkehr vom bisherigen Belohnungsschema bei der Rückübernahme
von Flüchtlingen für MOEL?

6. Welche Haltung hat das AA zu dem Grundgedanken einer Koppelung von
Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) an Rückübernahme-
klauseln?

7. Sollten aus Sicht der Bundesregierung Vorschläge des Maßnahmenkatalogs
umgesetzt werden?

a) Wenn ja, welche?

b) Wenn ja, warum werden diese für geeignete Instrument gehalten?

c) Wie ist der weitere Zeitplan für den Katalog nach der Vorstellung und
Befürwortung bei der IMK?

8. In welchen Fällen hat in der Vergangenheit die Bereitschaft von Empfänger-
ländern, bei Abschiebungen mitzuwirken, für die Vergabe von Entwick-
lungshilfe eine Rolle gespielt (bitte Länder und Maßnahmen der EZ einzeln
aufführen)?

9. Ist geplant, die Vergabe von Exportkreditbürgschaften an die Bereitschaft
der Zielländer zur Kooperation bei Abschiebungen zu koppeln?

a) Gibt es dazu bereits konkrete Planungen? Für welche Projekte (bitte ein-
zeln aufführen)?

b) In welchen Fällen ist in der Vergangenheit die Bewilligung von Export-
kreditbürgschaften an die Bereitschaft zur Kooperation bei Abschiebun-
gen gekoppelt worden?

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10. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der AG Rückführung, dass die
geplanten Maßnahmen 29 Länder, davon sieben als „Hauptproblemländer“
(Ägypten, Äthiopien, China, Ghana, Libanon, Nigeria und Vietnam) be-
treffen sollten (Spiegel 15. Mai 2000)?

a) Nach welchen Kriterien wurden die Länder ausgewählt?

b) Welche Kriterien führen zur Kategorisierung als „Hauptproblemland“?

c) Welche Länder gehören neben den sieben genannten zu der Liste?

d) Wie lässt sich nach Ansicht der Bundesregierung die Planung, unter be-
stimmten Umständen Entwicklungshilfe zu kürzen, mit Ankündigungen
vereinbaren, mit einigen Ländern der Liste (China, Nigeria) die wirt-
schaftliche Zusammenarbeit zu verstärken?

11. Werden die in Frage 10 erwähnten Länder bei der Planung beteiligt?

Wenn ja, wie?

12. Welche Maßnahmen der EZ betrifft dies?

a) Nach welchen Kriterien sollen sie ausgewählt werden?

b) In welcher Weise und Höhe sollen die Maßnahmen gekürzt oder gestri-
chen werden?

c) Nach welchen Kriterien sollen die Kürzungen oder Streichungen vorge-
nommen werden?

d) Wer trifft die entsprechenden Entscheidungen?

13. Welche Haltung hat die Bundesregierung bei den Auseinandersetzungen
um die Rücknahmeklauseln bei den EU-AKP-Verhandlungen vertreten?

14. Haben sich die Vertreter der EU-Staaten in diesen Auseinandersetzungen
einheitlich verhalten?

Wenn nein, an welchen Punkten und durch wen gab es einen Dissens?

15. Gibt es derartige Koppelungen in anderen EU-Ländern?

a) Wenn ja, zwischen welchen EU-Staaten mit welchen Nicht-EU-Staaten
(bitte jeweils einzeln aufführen)?

b) Welche Konditionierungen sind in diesen Fällen an die Durchführung
von Maßnahmen der EZ gebunden?

c) Wie wirkt sich die Konditionierung auf Umfang und Formen (Projekte/
Programme) der EZ aus?

d) Gibt es eine Auswertung der Erfahrungen anderer EU-Länder mit dieser
bilateralen Koppelung?

e) Hat die Koppelung dort den gewünschten Erfolg erzielt?

16. Sollen die im EU-AKP-Abkommen vorgesehenen bilateralen Abkommen
an den Rückübernahmeabkommen bzw. -klauseln in Wirtschaftsabkom-
men mit MOEL orientiert werden?

a) Wenn ja, in welchen Punkten?

b) Gibt es Auswertungen der Erfahrungen dieser Klauseln/Abkommen mit
den MOEL?

Wenn ja, nach welchen Kriterien werden die Auswertungen vorgenom-
men?

Wie sind die Auswertungen ausgefallen?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/4018

17. Welche Haltung haben die AKP-Staaten in den Verhandlungen im Bereich
Migration vertreten?

a) Gegen welche Forderungen von seiten der EU gab es Proteste durch
AKP-Staaten?

b) Wie verlief die Auseinandersetzung um die Frage, auf wen sich die
Kooperationsbereitschaft beziehen solle (eigene Staatsbürger/Drittaus-
länder/Staatenlose)?

c) Welche Position vertraten anfangs die AKP-Staaten?

d) Welche Position vertrat anfangs die EU?

18. Sind bereits bilaterale Verhandlungen zum Abschluss der durch das Ab-
kommen ermöglichten Rückübernahmeverträge durch die Bundesregie-
rung oder die EU aufgenommen worden?

a) Gibt es konkrete Pläne zu solchen Verhandlungen? Mit welchen Staa-
ten?

b) Gibt es bereits Ergebnisse oder Zwischenergebnisse solcher Verhand-
lungen?

19. Um welche Migranten (Staatsangehörige der Herkunftsländer/Drittstaaten-
angehörige/Staatenlose) soll es nach dem Willen der Bundesregierung in
den bilateralen Verhandlungen gehen?

20. Wie gewährleistet die Bundesregierung, dass die Herkunftsstaaten vor dem
Abschluss von Rückübernahmeabkommen oder -klauseln über ausreichend
Informationen über die jeweiligen Konsequenzen ihrer Zustimmung ver-
fügen?

a) Unter welchen Umständen gewährt sie konkrete Hilfen zur Unterbrin-
gung und Versorgung der abgeschobenen Migranten?

b) Werden diese Hilfen als Bestandteil der zugesagten EZ oder sonstigen
wirtschaftlichen Zusammenarbeit verrechnet?

c) Welche konkreten Hilfen werden in diesem Zusammenhang dem
UNHCR geleistet?

21. Auf welche Richtlinien des Amsterdamer Vertrages und des Europäischen
Rates in Tampere bezieht sich die in Information Memo No 10 der EU-
Kommission zur Ministerkonferenz im Februar 2000 genannte neue
Dimension des neuen EU-AKP-Abkommens hinsichtlich der Migrations-
fragen?

22. Gibt es bereits Maßnahmen zur Umsetzung der im Vertrag festgelegten Zu-
sage der EU, die Rechte der Drittausländer in der Europäischen Union zu
stärken?

a) Wenn ja, welche?

b) Wenn nein, warum nicht?

c) Welche Institutionen und/oder Personen sind für diese Umsetzung ver-
antwortlich?

Berlin, den 9. August 2000

Carsten Hübner
Wolfgang Gehrcke
Heidi Lippmann
Dr. Winfried Wolf
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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