BT-Drucksache 14/3937

Verdachtsunabhängige Personenkontrollen (Schleierfahndung) durch den Bundesgrenzschutz

Vom 24. Juli 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

3937

14. Wahlperiode

24. 07. 2000

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Verdachtsunabhängige Personenkontrollen (Schleierfahndung) durch den
Bundesgrenzschutz

Die als Schleierfahndung bezeichnete anlasslose Personenkontrolle ist zuerst
1994 in Bayern eingeführt worden. Inzwischen haben bis auf Bremen alle Bun-
desländer eine entsprechende Regelung in ihren Polizeigesetzen. Der Bundes-
grenzschutz (BGS) erhielt 1998 eine entsprechende Ermächtigung durch den in
der Geltung bis zum 31. Dezember 2003 befristeten § 22 Abs. 1a Bundesgrenz-
schutzgesetz (BGSG), die zur vorbeugenden Bekämpfung von illegaler Ein-
reise im Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität dienen sollte.

Nachdem diese höchst umstrittene Befugnis des Bundesgrenzschutzes seit fast
zwei Jahren besteht, ist eine erste Bewertung der praktischen Folgen nötig, ins-
besondere angesichts der zeitlichen Befristung der Norm.

Schon im Gesetzgebungsverfahren wurden in einer Sachverständigenanhörung
des Innenausschusses sowie seitens des Bundesrats (Bundesratsdrucksache
543/98) Bedenken hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, der
Vereinbarkeit mit den Zielen des Schengener Vertrages sowie der Verhältnis-
mäßigkeit geäußert. Der Bundesrat hat seine Bedenken damals nur aufgrund
der Befristung der Norm zurückgestellt und sich eine endgültige Bewertung
vorbehalten (Bundesratsdrucksache 631/98).

Zu einer Zwischenbilanz Anlass gibt auch eine Entscheidung des Landesver-
fassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern. Mit Urteil vom 21. Oktober 1999
(LVerfG 2/98) hat es die entsprechende Regelung des Mecklenburg-Vorpom-
merschen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes für größtenteils mit der Verfas-
sung des Landes und dem Grundgesetz nicht vereinbar und daher nichtig er-
klärt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie häufig wurden, nach Jahren gegliedert, Kontrollen gemäß § 22 Abs. 1a
BGSG seit Inkrafttreten der Vorschrift durchgeführt?

2. Wie häufig wurden im selben Zeitraum, nach Jahren gegliedert, Kontrollen
gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 BGSG durchgeführt?

3. Wie groß war in den einzelnen Jahren der Anteil der Kontrollen, die

– vor dem ersten Halt eines Zuges in Deutschland,

– innerhalb einer Entfernung von 30 km zu den Grenzen zu den Schengen-
Staaten,
Drucksache

14/

3937

– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

– innerhalb einer Entfernung von 30 km zu den Außengrenzen des Schen-
genraumes,

– innerhalb einer Entfernung von 100 km zu den Grenzen zu den Schen-
gen-Staaten,

– innerhalb einer Entfernung von 100 km zu den Außengrenzen des
Schengenraumes,

– weiter als 100 km von den Grenze entfernt

stattfanden?

4. Wie viele der Kontrollierten waren in den einzelnen Jahren Deutsche, sons-
tige Bürger der EU und Angehörige anderer Staaten mit und ohne ständi-
gen Aufenthalt in Deutschland (bitte die einzelnen Staaten angeben)

– bei Kontrollen nach § 22 Abs. 1a BGSG,

– bei Kontrollen nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 BGSG?

5. Wie viele der nach § 22 Abs. 1a BGSG Kontrollierten konnten sich in den
einzelnen Jahren nicht ausweisen?

6. Bei wie vielen der § 22 Abs. 1a BGSG Kontrollierten schlossen sich in den
einzelnen Jahren welche Folgeeingriffe wie z. B. Identitätsfeststellung, Ver-
bringung zur Dienststelle, Erkennungsdienstliche Behandlung, Ingewahr-
samnahme, Durchsuchung oder vorläufige Festnahme an?

7. Kam es im Zusammenhang mit Kontrollen nach § 22 Abs. 1a BGSG zu
körperlichen Auseinandersetzungen, und wenn ja, mit welchen Folgen?

8. In wie vielen Fällen haben die von der Kontrolle Betroffenen der Durch-
führung widersprochen oder sind gegen die Kontrolle mit rechtlichen Mit-
teln vorgegangen und mit welchem Ergebnis (bitte Gerichte und Aktenzei-
chen angeben)?

9. Wie viele Beschwerden (wegen Übergriffen, Beleidigung, Diskriminierung
etc.) sind im Zusammenhang mit diesen Kontrollen von kontrollierten Per-
sonen beim BGS oder anderen Stellen eingereicht worden und wie wurden
diese Beschwerden entschieden?

10. Wie viele der nach § 22 Abs. 1a BGSG Kontrollierten waren in den einzel-
nen Jahren unerlaubt eingereist?

11. Bei wie vielen dieser Personen

– wurde die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland unterbunden,

– war die Einreise schon vor dem Tag erfolgt, an dem die Kontrolle statt-
fand?

12. Bei wie vielen der bei Kontrollen nach § 22 Abs. 1a BGSG festgestellten
Fälle der unerlaubten Einreise gab es pro Jahr darüber hinausgehende tat-
sächliche Anhaltspunkte für Organisierte grenzüberschreitende Kriminali-
tät (bitte die Straftatbestände angeben)?

13. Wie viele Strafverfahren gegen wie viele Personen wurden aufgrund der
Schleierfahndungsmaßnahmen nach § 22 Abs. 1a BGSG wegen unerlaub-
ter Einreise in den einzelnen Jahren eingeleitet, wie viele davon führten zu
Anklagen und wie viele zu welchen Urteilen?

14. Wie bewertet die Bundesregierung insgesamt den Beitrag der Schleierfahn-
dung durch den BGS zur Bekämpfung der unerlaubten Einreise?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 –

Drucksache

14/

3937

15. Wie bewertet die Bundesregierung insgesamt den Beitrag der Schleierfahn-
dung durch den BGS zur Aufdeckung und Bekämpfung der Drahtzieher im
Bereich der Schleuserkriminalität?

16. In wie vielen Fällen wurden andere Straftaten nach dem Ausländergesetz
oder Asylverfahrensgesetz als die unerlaubte Einreise aufgedeckt und in
wie vielen Fällen Straftaten (bitte nach Deliktsgruppen gliedern)?

17. In wie vielen dieser nicht auf die unerlaubte Einreise beschränkten Strafta-
ten gab es pro Jahr tatsächliche Anhaltspunkte für Organisierte grenzüber-
schreitende Kriminalität (bitte die Straftatbestände angeben)?

18. In wie vielen Fällen führten die Kontrollen nach § 22 Abs. 1a BGSG zur
Ergreifung bereits zur Fahndung ausgeschriebener Personen?

19. In wie vielen Fällen führten die Kontrollen nach § 22 Abs. 1a BGSG zur
Sicherstellung welcher illegal eingeführter Güter?

20. Hält die Bundesregierung die Schleierfahndung nach § 22 Abs. 1a BGSG
nach den bisherigen Erfahrungen eher für ein Mittel der präventiven oder
der repressiven Polizeiarbeit?

21. Nach welchen Kriterien wird in der Praxis festgestellt, dass hinreichende
Lageerkenntnisse oder grenzpolizeiliche Erfahrungen im Sinne des § 22
Abs. 1a BGSG vorliegen?

22. Wer trifft diese Feststellung, und wird die entsprechende Entscheidung mit
ihren Gründen aktenkundig gemacht?

23. In wie vielen Fällen sind die erfassten Daten mit dem Fahndungsbestand
abgeglichen worden?

24. Werden die erfassten Daten auch gespeichert, wenn sich kein konkreter
Verdacht gegen den Kontrollierten bzw. die Kontrollierte ergibt?

Wo erfolgt diese Speicherung?

25. Zur Erfüllung welcher Aufgaben werden ggf. die gespeicherten Daten ver-
wendet?

26. Wann werden die Daten jeweils gelöscht?

27. Wird die Praxis der Datenverarbeitung vom Bundesbeauftragten für Daten-
schutz überprüft?

Wenn ja, zu welchen Ergebnissen ist er dabei gekommen?

28. Wie bewertet die Bundesregierung die Eingriffsermächtigung des § 21
Abs. 1a BGSG angesichts der Gründe des Urteils des LVerfG Mecklen-
burg-Vorpommern und der vom Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren ge-
äußerten Bedenken?

Berlin, den 19. Juli 2000

Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.