BT-Drucksache 14/3918

Verhalten der Bundesregierung gegenüber griechischen Forderungen nach Entschädigungszahlung für das SS-Massaker in Distomo am 10.Juni 1944

Vom 20. Juli 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

3918

14. Wahlperiode

20. 07. 2000

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Verhalten der Bundesregierung gegenüber griechischen Forderungen nach
Entschädigungszahlung für das SS-Massaker in Distomo am 10. Juni 1944

Am 10. Juni 1944 wurden 218 Bewohner der griechischen Ortschaft Distomos
in der Nähe von Delphi nördlich von Athen von Angehörigen des 7. Regiments
der 4. SS-Polizei-Panzer-Division auf entsetzliche Weise massakriert. In einem
Ermittlungsverfahren der Münchner Staatsanwaltschaft 1, das 1972 wegen Ver-
jährung eingestellt wurde, ist davon die Rede, dass Augen ausgestochen, Brüste
abgeschnitten, Menschen an ihren Gedärmen aufgehängt wurden (junge welt,
29. Juni 2000).

Das Massaker von Distomos ist eines von mindestens 64 Massakern, die nach
griechischen Quellen während der Okkupation des Landes durch das national-
sozialistische Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg verübt wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die deutsche Politik jahrzehntelang griechi-
sche Forderungen nach Entschädigung für diese Verbrechen mit dem Hinweis
auf einen noch ausstehenden Friedensvertrag abgelehnt. Nachdem auch nach
Abschluss des 2+4-Vertrags keinerlei Entschädigungen oder Reparationen von
deutscher Seite an Griechenland bzw. an griechische Opfer gezahlt wurden,
reichten 1995 269 Angehörige der Opfer Klage gegen die Bundesrepublik
Deutschland vor dem Landgericht Livadia ein. 1997 verurteilte das Kammerge-
richt in Livadia die Bundesrepublik Deutschland wegen dieses Massakers von
Distomos zu einer „Entschädigungszahlung“ von 9,45 Mrd. Drachmen (umge-
rechnet 56 Mio. DM) an die Angehörigen der Opfer.

Gegen diese Entscheidung wurde von deutscher Seite vor dem Obersten Ge-
richtshof Griechenlands unter anderem mit Verweis auf die „Staatenimmunität“
Revision eingelegt. Am 22. Mai 2000 wies der Oberste Gerichtshof Griechen-
lands diese deutsche Revisionsforderung zurück und bestätigte das Urteil von
Livadia. Das Urteil ist damit in Griechenland rechtskräftig.

Nachdem seitens der Bundesregierung keine Reaktion erfolgte, leitete am
23. Juni ein Rechtsanwalt der Kläger von Distomos ein Verfahren ein, dass im
äußersten Fall zur Zwangsvollstreckung gegen deutsches Eigentum in Grie-
chenland führen kann. Nach einem Bericht der Athener Tageszeitung „Ethnos“
sollen bereits das Deutsche Archäologische Institut, die Zweigstelle des Goe-
the-Instituts in Athen und die Deutsche Schule für eine evtl. Zwangsvollstre-
ckung vorgesehen sein, falls die Bundesregierung die nach griechischem Recht
rechtskräftig festgelegte Entschädigung plus bisher aufgelaufener Zinsen nicht
überweist (u. a. FAZ, 7. Juli 2000, FR, 7. Juli 2000, Die Welt, 4. Juli 2000, Ber-
liner Morgenpost, 8. Juli 2000).
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– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hat sich der Konflikt um die Entschädigungsforderung wegen des Mas-
sakers in Distomos aus Sicht der Bundesregierung in den letzten Jahren ent-
wickelt?

2. Betrachtet die Bundesregierung das Urteil des Obersten Gerichtshofes als
rechtlich für sie bindend und gültig?

3. Wie will sich die Bundesregierung zu dem Urteil des Obersten Gerichtshofs
in Griechenland verhalten?

4. Können die Angehörigen der Opfer von Distomos in nächster Zeit mit einer
Entschädigungszahlung durch die Bundesregierung rechnen?

Wenn ja, wann?

5. Welche völkerrechtswidrigen Massaker durch Wehrmacht und/oder SS in
Griechenland während des Zweiten Weltkriegs sind der Bundesregierung
bekannt (bitte einzeln auflisten)?

6. Hat es nach 1945 irgendwelche deutschen Entschädigungs- bzw. Wiedergut-
machungszahlungen wegen dieser in der NS-Zeit von deutschen Truppen
und SS-Einheiten begangenen Massaker in Griechenland gegeben?

Wenn ja, wann erfolgten welche Zahlungen wofür?

7. Sind der Bundesregierung Urteile deutscher Gerichte zu Entschädigungs-
oder Wiedergutmachungsklagen griechischer Opfer bzw. Angehöriger von
Opfern der Massaker der NS-Zeit bekannt?

Wenn ja, wie lauteten diese Urteile?

8. a) Welche rechtskräftigen Urteile gegen deutsche Verantwortliche an Mas-
sakern in Griechenland (Beamte, Offiziere der Wehrmacht, SS-Angehö-
rige oder andere) hat es nach Kenntnis der Bundesregierung nach 1945
vor deutschen Gerichten gegeben (bitte die Verurteilungen im Einzelnen
auflisten)?

b) Wie viele Straf- und Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit diesen
Massakern wurden nach 1945 gegen wie viele Personen eröffnet und
ohne Verurteilung der Beschuldigten wieder eingestellt?

Aus welchen Gründen erfolgte die Einstellung dieser Verfahren (Verjäh-
rung, mangels Beweisen, erwiesene Unschuld o. ä.)?

9. Welche weiteren Entschädigungs-, Wiedergutmachungs- und Reparations-
forderungen von griechischer Seite liegen derzeit nach Kenntnis der Bun-
desregierung vor und wie will sich die Bundesregierung zu diesen Forderun-
gen verhalten?

Berlin, den 12. Juli 2000

Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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