BT-Drucksache 14/387

Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse

Vom 16. Februar 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/387 vom 16.02.1999

Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU Neuregelung der geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisse =

16.02.1999 - 387

14/387

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Hermann Kues, Birgit Schnieber-Jastram, Karl-Josef
Laumann und der Fraktion der CDU/CSU
Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse

Die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben einen Gesetzentwurf
zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vorgelegt
(Drucksache 14/280). Wesentlicher Bestandteil des Gesetzentwurfs ist
der Wegfall der Pauschalsteuer für geringfügige
Beschäftigungsverhältnisse und die Einführung eines Arbeitgeberbeitrags
zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur gesetzlichen
Rentenversicherung. Aus diesen Beiträgen entstehen für die Versicherten
keine Ansprüche. Wollen die Beschäftigten einen eigenen Rentenanspruch
erwerben, müssen sie zusätzlich eigene Beiträge in Höhe von 7,5 % an
die gesetzliche Rentenversicherung abführen. Die Einnahmen aus
geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen werden in bestimmten Fällen
steuerfrei gestellt. Eine Voraussetzung für die Steuerfreiheit ist die
Verpflichtung des Arbeitgebers, die Pauschalbeiträge zur
Rentenversicherung zu leisten. Zum anderen darf der Arbeitslohn in
einem Dienstverhältnis oder aus mehreren gegenwärtigen
Dienstverhältnissen zusammen monatlich 630 DM nicht übersteigen.
Darüber hinaus soll die Geringfügigkeitsgrenze in der
Sozialversicherung auf einheitlich 630 DM monatlich festgeschrieben
werden.
Wir fragen die Bundesregierung:
I. Sozialpolitische Aspekte
1. Welche sozialpolitischen Sicherungsdefizite bestehen bei
langjährig ausschließlich geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern in
der Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung?
2. Von welcher Anzahl geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse,
geringfügiger Nebenbeschäftigungen und kurzfristiger Beschäftigungen
nach § 8 SGB IV und von welchem jeweiligen jährlichen
Durchschnittsverdienst geht die Bundesregierung angesichts der
vorliegenden Schätzwerte für die Anzahl der geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisse, die von 1,9 Millionen beim Mikrozensus des
Statistischen Bundesamtes für 1996 bis 5,6 Millionen bei der
Untersuchung des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik
(ISG) für 1997 reichen, derzeit aus?
3. Worin bestehen die Vorteile des Vorschlags des Bundeskanzlers, der
in seiner Regierungserklärung die Absenkung der Geringfügigkeitsgrenze
auf 300 DM angekündigt hatte?
4. Warum wurde die Ankündigung des Bundeskanzlers, die
Geringfügigkeitsgrenze auf 300 DM zu senken, nicht umgesetzt?
Welche Nachteile beinhaltet der Vorschlag des Bundeskanzlers?
5. Wie hoch sind nach Schätzung der Bundesregierung die zusätzlichen
Einnahmen in der Renten- und Krankenversicherung durch die Neuregelung
in 1999 und den nachfolgenden drei Jahren?
Welche zusätzlichen Ausgaben stehen diesen Einnahmen langfristig
gegenüber?
6. Welche Auswirkungen ergeben sich auf die Beitragssätze für Renten-
und Krankenversicherung und auf den Bundeszuschuß, wenn die erwarteten
Mehreinnahmen nicht in dem erwarteten Umfang eintreffen bzw. die
Beitragserhebung keinen höchstrichterlichen Bestand hat?
7. Wie viele Personen werden nach Schätzung der Bundesregierung von
der "Kann-Regelung" Gebrauch machen und die Arbeitgeberbeiträge zur
Rentenversicherung durch eigene Beiträge aufstocken?
8. Wie hoch sind nach zehn bzw. zwanzig Jahren Beitragsleistung die
Altersrentenansprüche eines ausschließlich geringfügig Beschäftigten,
der seine Beitragszahlung gemäß der Neuregelung aufstockt?
Kann durch die Altersrentenansprüche in dieser Höhe das Ziel des
Gesetzentwurfs erreicht werden, die Alterssicherung von Frauen zu
verbessern?
9. Wie lange wird es angesichts der Tatsache, daß die
Geringfügigkeitsgrenze von 630 DM pro Monat nicht mehr dynamisiert
wird, schätzungsweise dauern, bis der heutige Realwert von 630 DM durch
Preis- und Lohnsteigerung halbiert sein wird?
10. Welche Auswirkungen ergeben sich durch die Neuregelung auf die
Brutto- und Nettogehaltssumme je beschäftigten Arbeitnehmer und die
Rentenanpassung sowie auf die Anpassungen der übrigen sozialen
Leistungen?
11. Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, daß der
Arbeitgeber bei privat krankenversicherten geringfügig beschäftigten
Arbeitnehmern einen Beitrag von 10 % zur gesetzlichen
Krankenversicherung abzuführen hat?
12. Welche Leistungsansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung
können geringfügig Beschäftigte durch die Option für die
Versicherungspflicht und ergänzende Beitragszahlungen erwerben?
II. Steuerrechtliche Aspekte
13. Wie hoch ist das Steueraufkommen für die derzeit bestehenden
geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse?
Mit welcher Begründung hat das Bundesministerium der Finanzen die durch
die Neuregelung erwarteten Steuerausfälle von 4,7 auf 3 Mrd. DM
reduziert?
Wie teilen sich die Steuerausfälle auf die einzelnen Haushalte und die
Kirchen auf?
14. In wieviel Prozent aller Fälle und in welchen Branchen wurde nach
Kenntnis oder Schätzung der Bundesregierung die Pauschalsteuer den
Arbeitnehmern von den Arbeitgebern nach dem entsprechenden gesetzlichen
Wahlrecht abgezogen?
Welche finanziellen Auswirkungen hat die geplante Neuregelung für
Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Betrieben und Branchen, in denen bisher
so verfahren wurde?
15. Wie begründet die Bundesregierung die Ausnahmeregelung, wonach
geringfügig beschäftigte Ehegatten, die über keine zusätzlichen
Einnahmen verfügen, steuerfrei gestellt werden, steuersystematisch und
verfassungsrechtlich?
III. Arbeitsmarktpolitische Aspekte
16. Wird es nach Schätzung der Bundesregierung durch die Anhebung der
Geringfügigkeitsgrenze in den neuen Bundesländern von 530 DM auf 630 DM
zu einem Anwachsen der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in den
neuen Bundesländern kommen und, wenn ja, in welchem Umfang?
17. Welche Gründe sprechen nach Auffassung der Bundesregierung für die
von der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesministerium für
Arbeit und Sozialordnung, Ulrike Mascher, in der Fragestunde des
Deutschen Bundestages am 27. Januar 1999 abgegebene Erklärung, die
Bundesregierung nehme nicht an, daß die Angleichung der
Geringfügigkeitsgrenze zu einer erheblichen Zunahme der Zahl der
geringfügig Beschäftigten führen werde?
18. Warum werden nur die Geringfügigkeitsgrenze in den alten und neuen
Bundesländern angeglichen, jedoch die Unterschiede zwischen den alten
und neuen Bundesländern bei den anderen sozialrechtlichen
Bemessungsgrundlagen beibehalten?
19. Beabsichtigt die Bundesregierung wegen der Neuordnung der
geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse die Bemessungsgrundlagen bei
der Arbeitslosenstatistik zu ändern?
20. Um wieviel werden die sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisse durch die Neuregelung zunehmen?
Wie wird sich die Arbeitslosenquote und die Teilzeitquote in
Deutschland schätzungsweise verändern?
21. Ist die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse
als Einstieg in das Kombi-Lohn-Modell gedacht, in Anbetracht dessen,
daß der Arbeitsmarkt für geringfügig Beschäftigte ein ausgesprochener
Niedriglohnsektor ist?
22. Inwieweit geht die Bundesregierung davon aus, daß mit
Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung vermehrt Arbeitnehmer von
sozialversicherungspflichtiger Arbeit in die Schwarzarbeit abwandern
und damit der Anteil der Schattenwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt
steigen wird?
23. Bleibt nach Auffassung der Bundesregierung der ordnungspolitische
Fehlanreiz, aus Kostengründen "reguläre" Beschäftigung in "geringfügige
Beschäftigung" umzuwandeln, auch nach der Neuregelung erhalten?
IV. Administrative Aspekte
24. Wie hoch werden die betriebswirtschaftlichen Verwaltungskosten
nach Schätzungen der Bundesregierung in einem Unternehmen je
geringfügig Beschäftigten nach der Neuregelung im Vergleich zur
bisherigen Pauschalbesteuerung sein?
25. Welcher zusätzliche Verwaltungsmehraufwand wird sich nach
Schätzungen der Bundesregierung durch die Neuregelung bei den
Sozialversicherungsträgern ergeben?
Wie schlüsselt sich der Mehraufwand nach Personalmehranforderung und
Verwaltungskostenmehraufwand auf?
26. Welche Kosten entstehen nach Schätzung der Bundesregierung in
Betrieben mit hoher Personalfluktuation für den zusätzlichen
Verwaltungsaufwand, insbesondere für die Abgabe der Lohnsteuerkarte,
das Anmelden, das Abführen der individuellen Beträge für ein
geringfügiges oder kurzfristiges Beschäftigungsverhältnis?
27. Welcher Verwaltungsaufwand wird nötig sein, um effektive
Kontrollen durchzuführen, die sicherstellen, daß die Neuregelung auch
angewandt wird?
V. Verfassungsrechtliche Aspekte
28. Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, daß sie gerade für
das unterste Lohnsegment ein Grundprinzip der Sozialversicherung -- das
Prinzip der Äquivalenz von Beiträgen und Leistungen -- aufheben will
und den Beiträgen von 12 % zur Rentenversicherung und 10 % zur
Krankenversicherung aus geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen keine
Ansprüche und Leistungen gegenüberstellt?
29. Ist geplant, das Äquivalenzprinzip in der Sozialversicherung
zukünftig weiter aufzuweichen oder aufzugeben?
30. Wie begründet die Bundesregierung den Bruch der paritätischen
Beitragsfinanzierung und die konkreten Beitragssätze von 12 % und 10 %
angesichts des wesentlichen Merkmals der deutschen Sozialversicherung,
nämlich der hälftigen Beitragsbelastung von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern?
31. Beabsichtigt die Bundesregierung im Zuge weiterer Reformen der
Sozialversicherung, das Grundprinzip der paritätischen Beitragserhebung
durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber weiter aufzuweichen oder aufzuheben?
32. Wie begründet die Bundesregierung die Tatsache, daß bei einem
geringfügigen Beschäftigungsverhältnis mit einem Arbeitsentgelt unter
300 DM pro Monat durch die Wahrnehmung der Option durch den
Arbeitnehmer bei steigendem Arbeitsentgelt die Arbeitnehmerbeiträge zur
Rentenversicherung sinken?
Widerspricht diese Tatsache nicht dem Prinzip in der
Sozialversicherung, daß höheren Einkommen auch höhere Beiträge
gegenüberstehen?
33. Steht nach Auffassung der Bundesregierung die Neuregelung der
geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse im Einklang mit dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 1995 (1 BvR 892/99)?
Wenn ja, wie begründet die Bundesregierung im Detail, daß die
Neuregelung mit Artikel 3 Abs. 1 GG vereinbar ist?
34. Steht die Neuregelung nach Auffassung der Bundesregierung
hinsichtlich der Besteuerung im Einklang mit dem Grundsatz der
Belastungsgleichheit bei zusammen veranlagten Ehegatten?
Wenn ja, wie begründet die Bundesregierung dies?
35. Mit welcher Begründung hält die Bundesregierung die vorgesehenen
Arbeitgeberbeiträge, die in der Regel bei dem Arbeitnehmer keinen
individuellen Anspruch begründen, sondern der Renten- und
Krankenversicherung als allgemeine Zusatzeinnahmen zufließen, für
verfassungsrechtlich zulässig?
36. Wie begründet die Bundesregierung die Verfassungsgemäßheit der
geplanten Änderungen der §§ 99, 100 und 102 Betriebsverfassungsgesetz
im Hinblick auf die Berufsfreiheit des Artikels 12 GG und die
allgemeine Handlungsfreiheit des Artikels 2 GG?
37. Welchen sachlichen Grund sieht die Bundesregierung darin, daß
geringfügig Beschäftigte mit einem Mindestpflichtbeitrag bezogen auf
ein Arbeitsentgelt von monatlich 300 DM künftig Versicherungsschutz in
der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben können, hingegen
freiwillig Versicherte zur Erlangung des Versicherungsschutzes Beiträge
auf der Grundlage von monatlich 630 DM entrichten, aber trotz ihrer
höheren Mindestbeiträge nicht den gleichen umfassenden
Versicherungsschutz in der gesetzlichen Rentenversicherung wie die
aufgrund einer geringfügigen Beschäftigung Pflichtversicherten
erwerben?
Bonn, den 16. Februar 1999
Dr. Hermann Kues
Birgit Schnieber-Jastram
Karl-Josef Laumann
Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und Fraktion

16.02.1999 nnnn

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