BT-Drucksache 14/3806

zu der BE des Petitionsausschusses - Sammelübersicht 130 zu Petitionen - 14/2718 -

Vom 5. Juli 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3806
14. Wahlperiode 05. 07. 2000

Änderungsantrag
der Abgeordneten Heidemarie Lüth, Heidemarie Ehlert, Dr. Gregor Gysi und der
Fraktion der PDS

zu der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
– Drucksache 14/2718 –

– Sammelübersicht 130 zu Petitionen –

Der Bundestag wolle beschließen,

die Petitionen Pet 4-14-07-312-004899, Pet 4-14-07-312-006432 und Pet
4-14-07-312-006433

a) der Bundesregierung – BMJ – als Material zu überweisen, soweit es um die
strafrechtliche Rehabilitierung der Opfer des Kalten Kriegs im Westen geht,

b) der Bundesregierung – BMA – als Material zu überweisen, soweit es für die
Opfer des Kalten Kriegs um Nachteile in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung geht,

c) der Bundesregierung – BMI – als Material zu überweisen, soweit es um Ein-
bußen bei Entschädigungsleistungen für Nazi-Verfolgte und um die verwal-
tungsrechtliche Rehabilitierung vom Berufsverbot Betroffener geht,

und den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben.

Berlin, den 5. Juli 2000

Heidemarie Lüth
Heidemarie Ehlert
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Mit den Petitionen wird die Aufhebung strafgerichtlicher Urteile begehrt, die bis
zum Inkrafttreten des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes vor allem aufgrund
von Bestimmungen des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 30. August
1951 erfolgten.

Zugleich wenden sich die Petitionen gegen die materiellen Folgen der entspre-
chenden Strafurteile. Sie beklagen, dass während verbüßter Straf- und Untersu-

Drucksache 14/3806 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
chungshaft Rentenanwartschaften nicht erworben werden konnten und dass im
Gefolge von Verurteilungen Entschädigungsleistungen gekürzt oder gestrichen
wurden. Schließlich wenden sie sich gegen die seit 1972 verhängten Berufsver-
bote und deren Folgen für die Betroffenen.

Gegenüber dem Anliegen der Petitionen wird eingewendet, dass es in der Bun-
desrepublik Deutschland zu keiner Zeit eine politische Justiz gegeben habe. Sol-
che Auffassungen stehen jedoch im völligen Gegensatz zu den Einsichten demo-
kratisch profilierter und engagierter Juristen unterschiedlicher politischer
Richtung: Der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete Adolf Arndt und der
spätere sozialdemokratische Finanzminister von Nordrhein-Westfalen Diether
Posser haben die damaligen Gesetze und die auf ihr beruhende Rechtsprechung
ebenso kritisiert wie der frühere Generalbundesanwalt und CDU-Politiker Max
Güde und der politisch links stehende Rechtsanwalt Heinrich Hannover. „Was
als Schutz unserer Verfassung gedacht war, wächst sich nach und nach zu einer
Bedrohung der Freiheit aus“, klagte Adolf Arndt schon 1956.

Dementsprechend wurde 1968 auf Initiative des damaligen SPD-Justizministers
und späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann eine Korrektur der straf-
rechtlichen Bestimmungen vorgenommen. Maßnahmen zugunsten derer, die auf
ihrer Grundlage verurteilt worden waren und die Strafen verbüßt hatten, erfolg-
ten nicht. Vor allem blieb es bei dem Ausschluss derjenigen aus der Entschädi-
gung für erlittenes Nazi-Unrecht, die später angeblich „die freiheitlich-demokra-
tische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpft“ hatten.

Die Berufsverbote der siebziger Jahre erfolgten in der Tradition des Kalten
Kriegs als Reaktion auf die linke Studenten- und Jugendbewegung der sechziger
Jahre. Später wurden sie von dem für ihre Einführung verantwortlichen Bundes-
kanzler Willy Brandt als sein größter politischer Fehler eingeräumt und zutiefst
bedauert. Generelle Schritte zur Korrektur ihrer Folgen für die von den Berufs-
verboten Betroffenen gab es indes keine, auch nicht, nachdem in der Rechtssache
„Vogt v. Germany“ mit Urteil vom 26. September 1995 vom Europäischen Ge-
richtshof für Menschenrechte – 7/1994/454/535 – Verstöße gegen die Europäi-
sche Menschenrechtskonvention festgestellt worden waren.

Erklärt wurden der politische Einsatz des Strafrechts in den fünfziger und sechzi-
ger Jahren und die Berufsverbote in den siebziger Jahren aus der Blockkonfron-
tation zwischen Ost und West, auch zwischen den beiden deutschen Staaten.
Zehn Jahre nach der Vereinigung ist es aber überfällig, Unrecht, das während des
Kalten Kriegs auch im Westen geschehen ist, zu benennen und den Betroffenen,
soweit möglich, Rehabilitierung und Schadensausgleich zuteil werden zu lassen.

In diesem Zusammenhang sollen Einwendungen durchaus ernst genommen wer-
den, dass rechtskräftig abgeschlossene Verfahren nicht ohne weiteres rückabge-
wickelt werden können. Im Vorfeld des zehnten Jahrestags der deutschen Verei-
nigung sollte aber damit begonnen werden, nach rechtlich und materiell
realistischen Wegen zu suchen, um wenigstens durch Überwindung der Folgen
einen Beitrag zum inneren Frieden und zur Wiedergutmachung für Betroffene zu
leisten.

Das mit dem Anliegen der Petitionen aufgezeigte Problem gibt somit Anlass, die
Petitionen an die Bundesregierung – BMJ, BMA und BMI – als Materiel zu über-
weisen und sie den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu ge-
ben (siehe Verfahrensgrundsätze 7.14.4 und 7.14.5).

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