BT-Drucksache 14/3677

Fertigung des Airbus A 3XX struktur- und umweltpolitisch sinnvoll organisieren

Vom 28. Juni 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

28. 06. 2000

Antrag

der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Gerhard Jüttemann, Dr. Christa Luft,
Dr. Dietmar Bartsch und der Fraktion der PDS

Fertigung des Airbus A 3XX struktur- und umweltpolitisch sinnvoll organisieren

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Entwicklung des Airbus A 3XX mit Mitteln des Bundes – auch in Form
bedingt rückzahlbarer Darlehen – nur zu fördern,

– sofern mindestens 50 Prozent der in Zusammenhang mit der Projektent-
scheidung A 3XX dem deutschen Airbus-Partner zufließenden zusätz-
lichen Wertschöpfung in den neuen Bundesländern realisiert wird

– am Airbus-Standort Hamburg bei eventuellen Erweiterungsmaßnahmen
nicht das Landschaftsschutzgebiet „Mühlenberger Loch“ in Anspruch ge-
nommen wird;

2. keine im Besitz des Bundes befindlichen Flächen im „Mühlenberger Loch“
zu veräußern;

3. in der mittelfristigen Finanzplanung und den Bundeshaushalten 2001 bis
2004 in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
schaftsstruktur“ die finanziellen Voraussetzungen zur Förderung von im Zu-
sammenhang mit der ostdeutschen A 3XX-Wertschöpfung erforderlichen
Investitionen zu schaffen.

Berlin, den 27. Juni 2000

Rolf Kutzmutz
Gerhard Jüttemann
Dr. Christa Luft
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Am 23. Juni 2000 beschlossen die Airbus-Partner den Bau eines neuen Super-
Jumbo A 3XX. Die Endmontage wird im südfranzösischen Toulouse erfolgen,
der Airbus-Standort Hamburg soll neben Komponenten-Fertigung (Rumpf-
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sektionen, Seitenleitwerke, Ladeklappen) den Kabinen-Innenausbau sowie die
Außenlackierung übernehmen. Ferner soll in Hamburg eine dritte Endmontage-
Linie für kleinere Airbus-Typen aufgebaut werden.

Mit dem Beschluss der künftigen Airbus Integrated Company zur Annahme
von Bestellungen für den Airbus A 3XX tritt ein technologisch sehr anspruchs-
volles und prestigeträchtiges, zugleich kommerziell riskantes ziviles Flugzeug-
projekt in seine entscheidende Vorbereitungsphase. Diese Ambivalenz zeigte
sich – einerseits in der mehrjährigen erbitterten Auseinandersetzung um den
Endmontagestandort insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland, in
der sich der Bundeskanzler – entgegen seiner Bekundungen vom Aufbau Ost
als „Chefsache“ – einseitig und massiv zugunsten des potentiellen Standortes
Hamburg, nicht aber für Rostock-Laage, eingesetzt hat; – andererseits aber
auch in der Forderung der Airbus-Industriepartner nach maximal wettbewerbs-
politisch zulässiger staatlicher Subventionierung der Entwicklungskosten als
Voraussetzung für einen Projektstart: Gemäß bilateralem Großflugzeugabkom-
men EU-USA von 1992 ist eine Förderung von bis zu 33 Prozent der gesamten
Entwicklungskosten durch zinsverbilligte, bedingt – d. h. bei wirtschaftlichem
Erfolg – rückzahlbare Darlehen möglich – seitens der Bundesrepublik Deutsch-
land im vorliegenden Fall in Höhe von 2,5 Mrd. DM, was einem Subventions-
wert von 650 Mio. DM entspräche; hinzu sollen staatliche Zuschüsse im Rah-
men des Luftfahrtforschungsprogrammes sowie zu Infrastrukturinvestitionen
am Fertigungsstandort in jeweils dreistelliger Millionenhöhe kommen.

Durch den Bau-Beschluss des A 3XX können die bisherige DASA Airbus und
ihre deutschen Zulieferer ab 2003/2004 mit einem Wertschöpfungszuwachs
von jährlich mindestens 2,2 bis 2,5 Mrd. Euro und etwa 4 000 zusätzlichen
Arbeitsplätzen rechnen (Kalkulationsbasis des bisherigen Airbus-Konsortiums:
innerhalb von 10 Jahren Absatz von 320 Maschinen zum Stückpreis von 213
Mio. Euro). Historisch bedingt – die Standort-Entscheidungen fielen in den
70er Jahren – konzentriert sich die deutsche Airbus-Produktion in den alten
Ländern, insbesondere im Großraum Hamburg. Nur rund 900 der zurzeit knapp
15 500 Beschäftigten von DASA Airbus arbeiten in Ostdeutschland (Dresden).
Auch die westdeutsche Airbus-Produktion erreichte nur durch massive staat-
liche Förderung ihren heute anerkannt hohen Standard. Insgesamt 10,2 Mrd.
DM wurden in den letzten Jahrzehnten zur Förderung von Airbus mobilisiert –
sowohl als Entwicklungs- und Absatz-Zuschüsse als auch Darlehen. Ange-
sichts der fundamentalen Bedeutung, die eine Ansiedlung von Hochtechnolo-
gie-Produktion für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung der neuen
Länder hat, ist die Bindung von neuen großen Subventionen an eine maßgeb-
liche Partizipation an deren wirtschaftlichen Effekt für Regionen mit gegenüber
Hamburg großen Entwicklungsrückständen regional-, struktur- und industrie-
politisch nur konsequent. Es geht nicht an, dass angesichts des allseits konsta-
tierten wirtschaftlichen Gefälles zwischen west- und ostdeutschen Regionen
milliardenschwere öffentliche Förderung des Bundes im Osten lediglich zum
Mehrabsatz von einigen Flugzeugtoiletten von Aqua Butzke Ludwigsfelde und
– vielleicht – Flugzeugtriebwerken von Rolls Royce Dahlewitz führen soll. Ins-
besondere Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg waren nicht nur die
Wiege des deutschen industriellen Flugzeugbaus in der ersten Hälfte des vori-
gen Jahrhunderts, dort gibt es auch heute ein großes Potential qualifizierten
Personals für Flugzeugfertigung: Aufgrund der mittlerweile geschaffenen In-
frastruktur könnten in Berlin-Brandenburg beispielsweise die mittlerweile
8 000 Arbeitsplätze im Luft-/Raumfahrt-Entwicklungs- und Produktionsbe-
reich binnen weniger Jahre verdoppelt werden, im Raum Rostock stehen bis
2003 insbesondere aus dem Bereich der Bundeswehr mehr als 800 Fachkräfte
zur Verfügung, die in der Wartung und Kontrolle von Fluggeräten ausgebildet
sind und über mehrjährige Berufserfahrung verfügen.
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Die Bindung der Bundesdarlehen zur Entwicklung des A 3XX an eine hälftige
Wertschöpfung von dessen deutschen Produktionsanteil in den neuen Ländern
stellt keinen unzumutbaren Eingriff in die betriebswirtschaftlichen Planungen
des Subventionsempfängers dar. Ihm bleibt es schließlich überlassen, welche
Kapazitäten zur Produktion welcher Airbus-Komponente er dort erwirbt, neu
schafft oder ausbaut. Sie müssen keineswegs unbedingt auf den A 3XX, son-
dern können durchaus auf andere Typen der Airbus-Familie bezogen sein – ent-
scheidend ist allein das Wertschöpfungs-Äquivalent.

Allerdings bietet sich eine Konzentration auf das neue Flugzeug an. Zum einen
sind die bisherigen Arbeitspakete und Zulieferketten eingespielt. Zum anderen
entfallen mit der Entscheidung über Endmontage und Kundenübergabe in Tou-
louse die wesentlichen Gründe, die bisher ökonomisch plausibel für eine mas-
sive Flächenerweiterung des Airbus-Produktionsstandortes Hamburg-Finken-
werder zulasten eines ökologisch bedeutsamen Wattgebietes hätten sprechen
können. Innenausbau und Anstrich stellen anders als die Endmontage keine
derart sicherheitsrelevanten Arbeitsschritte dar, die deren Ausführung an einem
neuen Standort aufgrund möglicher Risiken für das Gesamtprojekt ausschlie-
ßen müssten. Auch sind in Hamburg nun keine fabrikeigenen Kai-Anlagen zur
Anlieferung übergroßer Flugzeug-Segmente mehr erforderlich. Weder den öko-
logischen Schaden durch die Zuschüttung von mindestens 170 Hektar einer
Drehscheibe des Vogelzuges in Nordeuropa, noch die damit verbundenen Kos-
ten von mindestens 500 Mio. DM, welche die öffentliche Hand zumindest vor-
schießen müsste, sind nach der Entscheidung der Airbus-Partner noch zu recht-
fertigen. Auch das Planungsrecht steht einer Zerstörung des Wattgebietes
entgegen: Selbst das auf massiven persönlichen Druck von Bundeskanzler
Gerhard Schröder zustande gekommene grundsätzliche Einverständnis der
EU-Kommission vom 10. Mai 2000 zur Herauslösung von Teilflächen des
„Mühlenberger Loches“ aus dem bestehenden EU-Vogelschutzgebiet ist an die
A 3XX-Endmontage an diesem Standort gebunden. Der entsprechende Be-
schluss des Hamburger Senats vom 23. November 1999 beinhaltet ebenso, dass
ein Verfahren zur erneuten Unterschutzstellung des Gebietes in Gang gesetzt
werden soll, falls die Endmontage des A 3XX nicht an Hamburg vergeben
würde. Da die Endmontage nicht in Hamburg erfolgt, muss auf alle Maßnah-
men zur Liquidierung des bisherigen Schutzgebietes verzichtet werden.

Andererseits besteht mit dem seit Januar 1999 von der Landesregierung Meck-
lenburg-Vorpommern genehmigten Bebauungsplan „Am Flughafen Laage“
Baufreiheit auf für die Fertigungsbedürfnisse des A 3XX geeigneten
400 Hektar, eine ausreichende Landebahn und die politische Bereitschaft sowie
subventionsrechtliche Voraussetzung, um einen dreistelligen Millionenbetrag
öffentlicher Förderung für die eigentliche Investition, Infrastrukturausbau und
berufliche Qualifizierung von Arbeitskräften zu mobilisieren (maximal 778
Mio. DM). In Rostock-Laage mit seiner Nähe und ausgezeichneten verkehrs-
technischen Anbindung an den Großraum Hamburg ließe sich ökonomisch
sinnvoll und regionalpolitisch wünschenswert die Kabinen-Innenausstattung
sowie der Außenanstrich für den A 3XX sowie alle in Hamburg endmontierten
Airbusse konzentrieren, wodurch in Hamburg-Finkenwerder auch bestehende
Produktionsflächen für die neuen A 3XX-Zulieferungen aus diesem Standort
verfügbar würden.

Die Erweiterung von Airbus-Fertigungskapazitäten in Deutschland unter
massivem Einsatz öffentlicher Mittel weiter in Hamburg zu konzentrieren,
wäre ökonomisch, ökologisch sowie sozial widersinnig und widerspräche
dem verfassungsrechtlichem Gebot wie auch den öffentlichen Willensbekun-
dungen der amtierenden Bundesregierung, zur Schaffung gleichwertiger
Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands im Rahmen ihrer Möglich-
keiten beizutragen.

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