BT-Drucksache 14/3667

Die Folgen des Ausstiegs aus der Kernenergie für den Standort Deutschland

Vom 27. Juni 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

3667

14. Wahlperiode

27. 06. 2000

Antrag

der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Dr. Peter Paziorek, Dr. Klaus W. Lippold
(Offenbach), Cajus Caesar, Marie-Luise Dött, Georg Girisch, Helmut Lamp,
Dr. Paul Laufs, Vera Lengsfeld, Bernward Müller (Jena), Franz Obermeier,
Christa Reichard (Dresden), Dr. Christian Ruck, Hans Peter Schmitz (Baesweiler),
Werner Wittlich, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Hansjürgen Doss, Axel E. Fischer
(Karlsruhe-Land) , Erich G. Fritz, Ulrich Klinkert, Elmar Müller (Kirchheim),
Friedhelm Ost, Dr. Bernd Protzner, Hans-Peter Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber,
Hartmut Schauerte, Karl-Heinz Scherhag, Max Straubinger, Gunnar Uldall,
Angelika Volquarz, Matthias Wissmann, Dagmar Wöhrl und
der Fraktion der CDU/CSU

Die Folgen des Ausstiegs aus der Kernenergie für den Standort Deutschland

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die friedliche Nutzung der Kernenergie hat bis zum heutigen Tage für
Deutschland einen wesentlichen Beitrag zur ökonomischen, ökologischen
und sozialen Entwicklung geleistet. Sie ist wettbewerbsfähig und hat die Er-
wartung der 70er Jahre zum Abbau der Importabhängigkeit erfüllt. Ferner
leistet die Kernenergie einen wichtigen Beitrag zur CO

2

-Reduktion und trägt
dadurch unmittelbar zum Klimaschutz bei. Darüber hinaus könnten die in
Wissenschaft und Forschung vorhandenen erheblichen Potentiale für eine
positive Entwicklung neuer inhärent sicherer Kernkraftwerke für den Klima-
schutz genutzt werden.

Die Bundesrepublik Deutschland leistet mit dem hohen Sicherheitsstandard
ihrer Kernkraftwerke und durch das damit verbundene Know-how darüber
hinaus einen bedeutenden Beitrag zur Sicherheit der Kernenergie in Europa
und weltweit.

2. Die Bundesregierung hat bisher kein Energiekonzept vorgelegt. Sie weist
nicht nach, wie der klimaneutrale Ausstieg aus der Kernenergie technisch
und finanziell zu bewältigen ist. Auch der Energiedialog gibt keine Antwort
auf die zentralen Fragen einer zukunftsfähigen Energiepolitik. Der Bundes-
kanzler will die Kernkraftwerke durch Kohlekraftwerke ersetzen. Damit
sind die internationalen Verpflichtungen und die Zusagen Deutschlands für
die Europäische Klimapolitik nicht mehr erreichbar. Deutschland verliert
seine Leitbildfunktion. Weder die Zusagen der Bundesregierung für 2005
(minus 25 % CO

2

) noch die Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll (mi-
nus 21 % CO

2

bis 2012) sind einzuhalten. Die Bundesregierung hat selber
die Idee des vollständigen Ersatzes der Kernenergie durch erneuerbare Ener-
gien als abwegig bezeichnet.
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Nach ihrer eigenen Prognose sind durch den Ausstieg mittelbar und unmit-
telbar 190 000 Arbeitsplätze gefährdet. Entgegen ihren Ankündigungen hat
sich die Bundesregierung bis jetzt nicht um einen langfristigen Energiekon-
sens bemüht, der Energiedialog ist kein Ersatz für einen Energiekonsens.

3. Die Bundesregierung ist bis zum heutigen Tage den Beweis schuldig geblie-
ben, dass das bisherige Entsorgungskonzept gescheitert ist. Im Gegensatz zu
den bisherigen Behauptungen und zu der Koalitionsvereinbarung stützt sich
die Bundesregierung nach dem jetzt veröffentlichten Text der Vereinbarung
zwischen ihr und den Energieversorgungsunternehmen nunmehr selbst in
vollem Umfang auf die Arbeiten des seit 1979 bestehenden Entsorgungs-
konzeptes; die bis dato geäußerten Zweifel werden nicht mehr erwähnt.

Seit dem Beginn der friedlichen Nutzung der Kernenergie hat die im Grund-
gesetz festgelegte Aufgabenteilung (Artikel 74 Abs. 2 GG und Artikel 85
GG) zwischen Bund und Ländern zu einer gemeinsamen Verantwortung des
Bundes und der Länder geführt, weil beide auf die Zusammenarbeit bei Pla-
nung und Umsetzung aufeinander angewiesen sind. Seit 1979/80 und in
Ergänzung 1990 sind einstimmige Beschlüsse des Bundes und der Länder
Grundlage des Entsorgungskonzeptes. Gemeinsame Gremien haben alle
Fragen der Kernenergie, einschließlich der Entsorgung und der Atomauf-
sicht, also auch der Kontrolle des laufenden Betriebes der Kernkraftwerke,
geregelt. Bei der Erkundung etwa alternativer Standorte für die Endlagerung
und bei der Umsetzung des Konzeptes der dezentralen Zwischenlagerung ist
der Bund auf die Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen angewie-
sen.

Die Vereinbarung über die Laufzeiten für die bestehenden Kernkraftwerke
von über 30 Jahren stehen in einem krassen Widerspruch zu der Risikobe-
schreibung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit, Jürgen Trittin, für die er bisher keinerlei Beweise vorgelegt hat.
Die Bundesregierung hat insgesamt in der Antwort auf die Große Anfrage
der Fraktion CDU/CSU zur Energiepolitik bestätigt, dass es keine neuen
Risiken gibt.

4. Die Bundesregierung hat einen „Konsens“ mit der Energiewirtschaft er-
zwungen, der nicht aus freien Stücken zu Stande kam, sondern unter dem
Eindruck massiver Drohungen/Behinderungen und einer Verweigerung
rechtsstaatlichen Handelns. Nur die auf allen Ebenen begonnene und ange-
kündigte „Nadelstichpolitik“ führte dazu, dass die Energiewirtschaft gegen
ihre Überzeugung und Interessen sich zu einer Laufzeitenbegrenzung bereit
fand. Auch wenn es der Energiewirtschaft nicht gelungen ist, entsprechend
ihrer Einschätzung der Kernkraft Fragen des Atomrechts offen zu halten, ist
der Ausstieg nicht unumkehrbar; künftige Bundestage und Bundesregierun-
gen werden dadurch nicht gebunden.

Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

1. Die Bundesregierung wird aufgefordert, ein zukunftsfähiges Energiekonzept
vorzulegen. Sie hat nachzuweisen, wie sie die Klimaschutzziele kurz-, mit-
tel- und langfristig erreichen will.

2. Eventuelle Änderungen des Entsorgungskonzeptes können nur im Konsens
von Bund und Ländern vorgenommen werden. Die Bundesregierung wird
aufgefordert, die Bundesländer an Verhandlungen über eine eventuelle Fort-
schreibung des gültigen Entsorgungskonzeptes von 1979/80/90 zu beteiligen.
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3. Der Entsorgungsnachweis darf nicht alleine an die Zwischenlager gebunden
werden. Die Erkundung des Salzstockes Gorleben muss zu Ende geführt
werden. Es darf keine Verschiebung der Verantwortung in die nächste Gene-
ration geben. Es muss ein Kompetenzerhaltungsprogramm für die Bergleute
in Gorleben geben. Die Bundesregierung wird aufgefordert, ihr Konzept der
dezentralen Zwischenlagerung aufzugeben.

4. Die Bundesregierung wird aufgefordert, schlüssig darzulegen, wie die Ent-
sorgung der Kernkraftwerke weiterhin gewährleistet werden soll, wenn ein
Verbot der Wiederaufarbeitung wirksam wird und gleichzeitig die an den
Standorten der Kernkraftwerke geplanten Zwischenlager noch nicht be-
triebsbereit sind.

5. Die Forschung und die Kompetenz bei der friedlichen Nutzung der Kernen-
ergie in Deutschland müssen erhalten bleiben, nicht zuletzt um die Sicher-
heit auf europäischer und internationaler Ebene zu gewährleisten und zu ver-
bessern. Die Bundesregierung wird deshalb aufgefordert, ein Programm
vorzulegen, wie auch langfristig eine ausreichende Zahl von Kernenergieex-
perten ausgebildet und an deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtun-
gen gebunden werden können. Deutschland leistet in diesem Sinne einen
Beitrag in europäischen und internationalen Gremien; diese Verträge dürfen
nicht aufgekündigt werden.

6. Die Bundesregierung muss auch in Zukunft die deutsche Beteiligung an der
Entwicklung der Hochsicherheitsreaktoren HTR und EPR sicherstellen.

7. Die Pilotkonditionierungsanlage als wissenschaftlich technische Erprobung
für die von Rotgrün favorisierte direkte Endlagerung und als Werkstatt für die
Instandhaltung von Transportbehältern muss in Betrieb genommen werden.

8. Die Bundesregierung wird aufgefordert, ihr falsches Entsorgungskonzept in
den betroffenen Gemeinden zu vertreten und in einen offenen Dialog mit
den Beteiligten einzutreten.

Berlin, den 27. Juni 2000

Kurt-Dieter Grill Hansjürgen Doss
Dr. Peter Paziorek Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) Erich G. Fritz
Cajus Caesar Ulrich Klinkert
Marie-Luise Dött Elmar Müller (Kirchheim)
Georg Girisch Friedhelm Ost
Helmut Lamp Dr. Bernd Protzner
Dr. Paul Laufs Hans-Peter Repnik
Vera Lengsfeld Dr. Heinz Riesenhuber
Bernward Müller (Jena) Hartmut Schauerte
Franz Obermeier Karl-Heinz Scherhag
Christa Reichard (Dresden) Max Straubinger
Dr. Christian Ruck Gunnar Uldall
Hans Peter Schmitz (Baesweiler) Angelika Volquartz
Werner Wittlich Matthias Wissmann
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dagmar Wöhrl
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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