BT-Drucksache 14/3644

Haltung der Bundesregierung zu Vorstellungen des Bundes der Vertriebenen über die Errichtung eines "Zentrums gegen Vertreibungen" in Berlin

Vom 22. Juni 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

22. 06. 2000

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Haltung der Bundesregierung zu Vorstellungen des Bundes der Vertriebenen
über die Errichtung eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ in Berlin

Der „Bund der Vertriebenen“ (BdV) hat Anfang Juni seine Konzeption für ein
„Zentrum gegen Vertreibungen“ vorgelegt. Der Verband will eine Gedenkstätte
im Zentrum Berlins haben, die mit einem Kostenaufwand von über
160 Mio. DM errichtet werden soll und die auf der Basis der „Charta der
Heimatvertriebenen“ vom 5. August 1950 an die im Potsdamer Abkommen
beschlossene Umsiedlung von Deutschen nach 1945 erinnern und als men-
schenrechts- und völkerrechtswidrige Vertreibungen kritisieren soll. Träger des
Zentrums soll eine Stiftung sein, die vom „Förderkreis des Bundes der Vertrie-
benen“ errichtet und mit 3 Mio. DM aus Sammlungen des BdV sowie
160 Mio. DM Zuschüssen des Bundes und der Länder ausgestattet werden soll.
Das Zentrum soll „mit ca. 11 000 qm Nutzfläche in zentraler Lage Berlins“ er-
richtet werden. Der BdV beansprucht damit, für alle Menschen, die im letzten
Jahrhundert bis heute in Europa Opfer von Vertreibung wurden, ein Mahnmal
zu errichten.

Nach Presseberichten will der BdV eine zentrale Liegenschaft des Bundes für
sein „Zentrum“. Im Gespräch soll unter anderem das ehemalige Staatsratsge-
bäude der DDR sein, das zurzeit als Bundeskanzleramt dient. Bundeskanzler
Gerhard Schröder soll nach diesen Berichten dem Projekt „aufgeschlossen“ ge-
genüberstehen. Auch der Bundesminister des Innern, Otto Schily, soll Interesse
für das Vorhaben des BdV signalisiert haben.

Die „Charta der Heimatvertriebenen“ aus dem Jahre 1950, die die programma-
tische Grundlage des geplanten Zentrums werden soll, stuft die deutschen „Hei-
matvertriebenen“ wörtlich als die „vom Leid dieser Zeit am schwersten Betrof-
fenen“ ein. Die Charta stuft damit die Leiden der Bevölkerung in den
Nachbarstaaten Nazi-Deutschlands in den Jahren bis 1945 faktisch als zweit-
rangig, als untergeordnet gegenüber dem Leid der in Reaktion auf diese Politik
umgesiedelten Deutschen ein. Der Zusammenhang mit den vorhergehenden
singulären Verbrechen der NS-Politik wird nicht genannt.

Die Charta steht damit in der Tradition alldeutscher und pangermanischer Poli-
tik, die in den letzten 90 Jahren diesen Kontinent zwei mal mit Weltkriegen und
schwersten Verbrechen überzogen hat.

Wie weit dieses Geschichtsbild heute noch die Politik des BdV prägt, zeigt die
schriftliche Konzeption des BdV für das geplante Zentrum. So findet sich im
Abschnitt „Warum Vertreibungen“ kein einziges Wort zu den Verbrechen der
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deutschen Okkupations-, Germanisierungs- und Vernichtungspolitik in Ost-
europa in den Jahren bis 1945 als Ursache des Potsdamer Abkommens.

Die Errichtung eines Mahnmals gegen Vertreibungen auf Grundlage einer sol-
chen, die NS-Geschichte und ihre Verbrechen relativierenden, verharmlosen-
den und verfälschenden Konzeption wäre ein Affront gegen die Menschen in
Osteuropa. Ein auf Grund einer solchen Konzeption errichtetes Zentrum würde
jede Politik der Freundschaft und guten Nachbarschaft mit den Menschen in
Osteuropa untergraben und droht zu einer Kultstätte für Rechtsextremisten zu
werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hält die Bundesregierung die Errichtung eines „Zentrums gegen Vertrei-
bungen“ auf Basis der vorgelegten Konzeption und in der vorgeschlagenen
Trägerschaft für politisch wünschenswert und finanziell unterstützenswert?

Wenn ja, wie vereinbart die Bundesregierung die Errichtung eines solchen
Zentrums mit ihren Bekundungen, sie verfolge eine Politik der guten Nach-
barschaft mit Osteuropa, und mit ihren Verpflichtungen aus dem 2+4-Ver-
trag zur Respektierung der bestehenden deutsch-polnischen Grenze?

2. Wie viele Museen, Gedenkstätten, Mahnmale, Heimatstuben und sonstige
Erinnerungsstätten erinnern nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit auf
dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland an die „Vertreibung“ (bitte
Angaben nach Bundesländern aufschlüsseln)?

3. Wie viele Mittel des Bundes, der Länder und der Kommunen sind seit Grün-
dung der Bundesrepublik Deutschland in den Aufbau und die Erhaltung
solcher Museen, Gedenkstätten und Mahnmale geflossen?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung die Überlegungen, das ehemalige Staats-
ratsgebäude der DDR als „Zentrum für Vertreibungen“ zu nutzen?

5. Gibt es innerhalb der Bundesregierung Überlegungen zur Nutzung anderer
zentraler Gebäude in Berlin (Palast der Republik, das geplante Stadtschloss
oder Ähnliches)?

Wenn ja, welche anderen Gebäude sind Gegenstand solcher Überlegungen?

6. Welche finanziellen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung für das
geplante Zentrum vor dem Hintergrund der Haushaltssituation von Bund
und Ländern?

7. Welche Gespräche haben im Vorfeld oder seit Bekanntwerden des Vorha-
bens des BdV im Zusammenhang mit diesen Überlegungen zwischen Ver-
tretern der Bundesregierung oder einzelner Bundesministerien und dem
BdV stattgefunden? Wer war an diesen Gesprächen wann beteiligt und wel-
che Absprachen wurden dort getroffen?

8. Beabsichtigt die Bundesregierung, vor dem geplanten Auftritt des Bundes-
kanzlers auf dem nächsten „Tag der Heimat“ in Berlin eine Vereinbarung
mit dem BdV im Hinblick auf das von diesem gewünschte „Zentrum für
Vertreibungen“ herbeizuführen?

9. Hält die Bundesregierung die Errichtung eines solchen Zentrums unter
Trägerschaft des BdV angesichts der Kritik vieler osteuropäischer Länder an
der Tätigkeit und Programmatik des BdV für ein mit ihren außenpolitischen
Zielen und Grundsätzen vereinbares Signal für die Menschen und Staaten in
Osteuropa?
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10. Wäre es nicht aus außenpolitischen wie historischen Gründen angemesse-
ner, ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in einem der von der Okkupation
und der Germanisierungspolitik des Hitlerschen „Generalplan Ost“ betrof-
fenen Land, z. B. in Polen, der Ukraine oder in Weißrussland zu errichten
und dort insbesondere den Opfern dieser deutschen Germanisierungs-, Ver-
treibungs- und Vernichtungspolitik einen Raum der Erinnerung zu errich-
ten?

Berlin, den 19. Juni 2000

Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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