BT-Drucksache 14/3504

Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zur Umsetzung der Ergebnisse des Weltgipfels für soziale Entwicklung in Genf (Kopenhagen + 5)

Vom 6. Juni 2000


Deutscher Bundestag

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14. Wahlperiode

06. 06. 2000

Antrag

der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Klaus-Jürgen Hedrich,
Dr. Christian Ruck, Dr. Norbert Blüm, Siegfried Helias, Rudolf Kraus,
Dr. Manfred Lischewski, Marlies Pretzlaff, Erika Reinhardt, Hans-Peter Repnik,
Heinz Schemken und der Fraktion der CDU/CSU

Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zur Umsetzung der
Ergebnisse des Weltgipfels für soziale Entwicklung in Genf (Kopenhagen + 5)

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Vom 6. bis 12. März 1995 fand in Kopenhagen auf Beschluss der Generalver-
sammlung der Vereinten Nationen der Weltgipfel für soziale Entwicklung statt.
Die Staats- und Regierungschefs vereinbarten bei dieser Konferenz gemein-
same Zielsetzungen zur Bekämpfung der Armut, marktgerechten Förderung der
produktiven Beschäftigung, sozialen Integration benachteiligter Gruppen sowie
zum Aufbau sozialer Sicherungssysteme auf solidarischer Grundlage. Sie ver-
pflichteten sich, „die soziale Entwicklung der ganzen Welt zu fördern, damit
alle Männer und Frauen, insbesondere jene, die in Armut leben, Rechte wahr-
nehmen, Ressourcen nutzen und Verantwortung übernehmen können und so in
die Lage versetzt werden, ein persönlich befriedigendes Leben zu führen und
zum Wohl ihrer Familien, ihres Gemeinwesens und der gesamten Menschheit
beizutragen“.

Fünf Jahre später findet vom 26. bis 30. Juni 2000 in Genf eine Sondergeneral-
versammlung der Vereinten Nationen (Kopenhagen + 5) zur Umsetzung der Er-
gebnisse des Weltgipfels für soziale Entwicklung statt. Diese Tagung wird eine
erste Zwischenbilanz über die Umsetzung der Ergebnisse des Weltsozialgipfels
von Kopenhagen ziehen und neue Initiativen zur Verwirklichung der dort ge-
fassten Beschlüsse vereinbaren.

Die soziale und wirtschaftliche Lage der Mehrzahl der Menschen in den Ent-
wicklungs- und Transformationsländern ist trotz der zum Teil beachtlichen
Eigenanstrengungen und der Bemühungen der staatlichen und nichtstaatlichen
Entwicklungszusammenarbeit unverändert ernst. In einigen Regionen hat sich
die Armutsproblematik in den letzten fünf Jahren weiter verschärft, andere
Länder haben dagegen beachtliche Entwicklungsfortschritte erzielt.

In den Schwellenländern Ost- und Südostasiens und Lateinamerikas treten
zunehmend Fragen im Zusammenhang mit sozialer Gerechtigkeit und ökologi-
scher Verträglichkeit von wirtschaftlichem Wachstum und Fortschritt in den
Vordergrund. Hinzu kommt die Verwirklichung von politischer Stabilität in
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demokratischem Rahmen, die sich in den einzelnen Ländern unterschiedlich
entwickelt.

In den Industrieländern werden Grenzen und Qualitäten des Wachstums bei
gleichzeitiger Beachtung der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ver-
stärkt diskutiert. Die sozialen Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels in
einer immer mehr von Globalisierung gekennzeichneten Welt treten verstärkt in
den Vordergrund.

Kernelement des Aktionsprogramms des Weltsozialgipfels von Kopenhagen
war die so genannte 20:20-Initiative, nach der Industriestaaten und Entwick-
lungsländer dazu aufgefordert werden, 20 Prozent der öffentlichen Entwick-
lungszusammenarbeit und 20 Prozent des Staatshaushaltes für soziale Grund-
dienste zu verwenden. Bedauerlicherweise kam bislang nur ein Teil der Staaten
diesen Verpflichtungen nach. Selbst die Bundesregierung verstößt gravierend
gegen ihre in Kopenhagen eingegangene Verpflichtung, indem sie den Anteil
sozialer Grunddienste an der deutschen Entwicklungszusammenarbeit seit dem
Haushaltsjahr 2000 deutlich unter 20 Prozent gedrückt hat. Besonders drama-
tisch ist der Rückgang der Finanziellen und Technischen Zusammenarbeit im
Grundbildungssektor von 115 Mio. DM in 1999 auf 53 Mio. DM in 2000 sowie
im Gesundheitssektor von 235 Mio. DM in 1999 auf 127 Mio. DM in 2000.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. verstärkt auf die möglichst rasche Umsetzung der 10 Verpflichtungen des
Weltgipfels für soziale Entwicklung in Kopenhagen 1995 hinzuarbeiten;

2. sich für eine internationale soziale Marktwirtschaft als Grundmodell für eine
globale Ordnungspolitik im Rahmen der fortschreitenden Globalisierung
einzusetzen;

3. auf der bewährten und international anerkannten Entwicklungspolitik der
ehemaligen Bundesregierung aufzubauen und die Einhaltung der fünf ent-
wicklungspolitischen Kriterien, insbesondere das einer sozial und ökolo-
gisch ausgerichteten marktwirtschaftlichen Ordnung sowie einer guten
Regierungsführung, zu sanktionsbewehrten Konditionen sämtlicher ent-
wicklungspolitischer Vereinbarungen und Entschuldungsmaßnahmen auf
nationaler und internationaler Ebene zu machen;

4. als wesentliches Instrument der Armutsbekämpfung die Sicherung sozialer
Grunddienste mit hoher Priorität zu versehen und die maßgeblich auf deut-
sche Initiativen hin in Kopenhagen beschlossene 20:20-Initiative zu bekräf-
tigen und verstärkt umzusetzen;

5. die Haushaltsansätze im Einzelplan 23 zur Unterstützung sozialer Grund-
dienste in den Entwicklungsländern wieder so herzustellen, dass sie die aus
der 20:20-Initiative resultierende Verpflichtung erfüllen;

6. das im Jahr 1996 von den OECD-Staaten festgelegte Ziel einer Halbierung
der weltweiten Armut bis zum Jahr 2015 zu bekräftigen, die Instrumente der
Armutsbekämpfung zu verbessern und die mittelfristige Finanzplanung für
den Einzelplan 23 so zu korrigieren, dass eine ausreichende finanzielle Basis
für den Beitrag Deutschlands zur Erreichung dieses Ziels gewährleistet ist;

7. die Rolle der Zivilgesellschaften als wichtigen Motor für eine nachhaltige
Entwicklung zu stärken und zu fördern sowie sie an der Formulierung und
der Umsetzung von Entwicklungsprogrammen und Strategien der Armuts-
bekämpfung (wie zum Beispiel der HPIC-Initiative oder dem AKP-Abkom-
men) zu beteiligen;
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8. die Unterstützung der nichtstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit der
Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und politischen Stiftungen zu ver-
stärken;

9. sich dafür einzusetzen, dass Arbeits- und Sozialstandards insbesondere im
Bereich der Bekämpfung der Kinderarbeit in den Entwicklungs- und Trans-
formationsländern so weitgehend verbessert werden, dass sie den Prinzi-
pien einer sozialen Marktwirtschaft entsprechen;

10. sich dafür einzusetzen, dass die Konventionen der ILO, insbesondere deren
Fortentwicklung durch die Erklärung von 1998 über „Grundlegende Prinzi-
pien und Rechte in der Arbeit“ und das Übereinkommen über das Verbot
und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der Kinderarbeit internati-
onal stärker beachtet und durchgesetzt werden;

11. Abstand zu nehmen von Kürzungen des deutschen Beitrags zum ILO-Pro-
gramm zur Bekämpfung der Kinderarbeit (IPEC) und die finanzielle Unter-
stützung hierfür mindestens im bisherigen Umfang aufrechtzuerhalten;

12. eine stärkere Anerkennung der Rolle der Frau für die soziale Entwicklung
ihrer Länder zu unterstützen und sich für eine gleichberechtigte Beteili-
gung von Frauen am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Leben einzusetzen;

13. die Entwicklungs- und Transformationsstaaten insbesondere mit Regie-
rungsberatern beim Auf- und Ausbau von geeigneten Sozialversicherungs-
systemen zu unterstützen;

14. die Entwicklungs- und Transformationsländer insbesondere mit Regie-
rungsberatern beim Auf- und Ausbau stabiler Finanz-, Rechts- und Justiz-
strukturen zu unterstützen, um sie rechtlich und fiskalisch in den Stand zu
setzen, eigenständig ausreichende Steuereinnahmen zur Finanzierung sozi-
aler Aktivitäten zu erwirtschaften;

15. durch eine zügige Umsetzung der HIPC-Entschuldungsinitiative die staatli-
chen Budgets der ärmsten Entwicklungsländer zu entlasten und dabei die
genaue Einhaltung der vereinbarten Konditionierung zu überprüfen, dass
die entschuldeten Länder die frei werdenden Finanzressourcen in soziale
Grunddienste investieren;

16. in Kooperation insbesondere mit den politischen Stiftungen und der DSE
Programme zu entwickeln, die in ausgewählten Partnerländern soziale
Kompetenz, soziales Verantwortungsbewusstsein und die Vorbildfunktion
der politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträger vergrößern;

17. angesichts der wirtschaftlichen Globalisierung im Kontext der WTO-Ver-
handlungen sicherzustellen, dass eine fortschreitende Handels- und Investi-
tionsliberalisierung begleitet wird von der gleichzeitigen Verankerung in-
ternational durchsetzbarer Arbeits- und Sozialnormen und hierbei für den
Fall des Beginns von WTO-Verhandlungen zu Themen wie Arbeits- und
Sozialnormen sicherzustellen, dass Entwicklungsländerbelange im Sozial-
bereich sowie im Bereich der Erhaltung ihrer nationalen Identität genü-
gende Beachtung finden;

18. zur Klärung des Verhältnisses bestehender ILO-Abkommen zu einem mög-
lichen WTO-Abkommen zu Arbeits- und Sozialnormen beizutragen;

19. als bedeutender Anteilseigner internationaler Finanzorganisationen darauf
zu achten, dass von diesen initiierte Strukturanpassungs- und sonstige
Liberalisierungs- und Privatisierungsprogramme in Entwicklungs- und
Transformationsländern von ausreichenden sozialen Abfederungsmaßnah-
men begleitet werden;
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20. den sich in der Weltbank andeutenden Paradigmenwechsel in Richtung Ar-
mutsbekämpfung und Stärkung der sozialen Grunddienste in den Entwick-
lungsländern und die hierzu initiierte Koordinierungsinitiative des Welt-
bankpräsidenten (Comprehensive Development Framework) intensiver als
bisher zu unterstützen;

21. sich viel intensiver, als bisher geplant bzw. geschehen, an der Entwicklung
von Poverty Reduction Strategy Papers (PRSP) durch die Weltbank als
Grundlage des oben genannten Comprehensive Development Framework
zu beteiligen;

22. sich für die Verankerung von nationalen und internationalen Mechanismen
einzusetzen, die dem Entstehen von Finanzkrisen wie Ende der neunziger
Jahre in Asien vorbeugen und damit verhindern, dass ganze Bevölkerungen
aufgrund kurzfristiger Bewegungen internationaler Finanzströme in Armut
und soziales Abseits gestürzt werden.

Berlin, den 6. Juni 2000

Peter Weiß (Emmendingen)
Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Christian Ruck
Dr. Norbert Blüm
Siegfried Helias
Rudolf Kraus
Dr. Manfred Lischewski
Marlies Pretzlaff
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Heinz Schemken
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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