BT-Drucksache 14/3492

Verhalten der Bundesregierung gegenüber dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge während des Kosovo-Krieges

Vom 29. Mai 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3492
14. Wahlperiode 29. 05. 2000

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Carsten Hübner, Fred Gebhardt und
der Fraktion der PDS

Verhalten der Bundesregierung gegenüber dem ehemaligen Präsidenten des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge während des
Kosovo-Krieges

Hans Georg Dusch wurde 1996 vom damals amtierenden Bundesminister des
Innern, Manfred Kanther, zum Präsidenten des Bundesamtes für die Anerken-
nung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) ernannt. Hans Georg Dusch blieb auch
unter der neuen Bundesregierung im Amt, wurde jedoch im Dezember 1999 in
das Bundesministerium des Innern (BMI) versetzt. Der Versetzung vorausge-
gangen waren Vorermittlungen des BMI über Kontakte, die Hans Georg Dusch
mit Vertretern der kolumbianischen Guerilla gepflegt haben soll und die vom
umstrittenen Geheimagenten Werner Mauss vermittelt worden sein sollen. An-
fang Mai dieses Jahres schied Hans Georg Dusch, offiziell auf eigenen Wunsch,
aus dem Amt.

Nach seiner Verabschiedung in den Ruhestand erhob der ehemalige Präsident
des BAFl, Hans Georg Dusch, Vorwürfe gegen die Bundesregierung, dass er
Opfer einer politisch begründeten Kampagne geworden sei. In einem Bericht
der Tageszeitung „Welt am Sonntag“ (WamS) beklagte Hans Georg Dusch, er
sei für sinkende Anerkennungsquoten verantwortlich gemacht worden, dabei
„haben wir einen Rückgang, weil die Gründe für ein Asyl abnehmen“ (WamS,
7. Mai 2000). Seitens der Bundesregierung wurden die Vorwürfe einer politi-
schen Kampagne zurückgewiesen. In einer Pressemitteilung vom 7. Mai 2000
teilte der Staatssekretär im BMI, Claus Henning Schapper, mit: „Dass Differen-
zen in der Sache der Grund für das Vorgehen gegen Herrn Dusch gewesen
seien, ist unsinnig. Es hat zwar einen Fall gegeben, in dem die Amtsführung
von Herrn Dusch korrigiert werden musste, als er sich dafür einsetzte, auch
während des Krieges Kosovo-Albaner in den Kosovo abzuschieben, obwohl
dort die ethnischen Säuberungen durch das Milosevic-Regime im Gange
waren. Dies musste korrigiert werden, da es deutlich gegen nationales und
internationales Recht verstieß, und auch aus humanitären Erwägungen unver-
tretbar war.“ Wie aus der Pressemitteilung des Staatssekretärs im BMI zu
entnehmen ist, war dieses von der Bundesregierung als Fehlverhalten angese-
hene Tun des Verantwortlichen für die oberste Flüchtlingsbehörde der Bundes-
republik Deutschland für die Bundesregierung jedoch keine Veranlassung, wei-
tere Schritte einzuleiten: „Diese sachliche Differenz war allerdings in keiner
Weise ursächlich für seine Abordnung ins Bundesinnenministerium“.

Drucksache 14/3492 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Während seiner Amtszeit als Präsident des BAFl hatte sich Hans Georg Dusch
durch sein unerbittliches Eintreten für Abschiebungen und für eine äußerst rest-
riktive Asylpraxis den Ruf eines Hardliners erworben. So hatte der Umgang des
BAFl mit Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien zu massiven Protesten
von Flüchtlingsorganisationen geführt: Noch am 17. März 1999, eine Woche
vor Beginn der Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO, behauptete das
BAFl: „Kosovo-Albaner unterliegen bei ihrer Rückkehr ins Heimatland weiter-
hin keiner Gruppenverfolgung.“ (Frankfurter Rundschau, 30. April 1999).
Diese Argumentation war mit ausschlaggebend dafür, dass im Zeitraum von
Oktober 1998 bis März 1999, laut Antwort der Bundesregierung vom Juni 1999
auf eine Kleine Anfrage, insgesamt 13 352 Asylanträge von Kosovo-Albanern
abgelehnt wurden (Antwort der Bundesregierung vom 7. Juni 1999 auf die
Kleine Anfrage der Fraktion der PDS „Bewertung der Lage im Kosovo durch
das Auswärtige Amt“ (Drucksache 14/1119). Die Anerkennungsquote für Asyl-
suchende aus der Bundesrepublik Jugoslawien, die 1995 noch fünf Prozent
betragen hatte, lag kurz vor Beginn des Krieges im ersten Quartal 1999 bei nur
noch 1,1 Prozent.

Grundlage für die Aussage des BAFl war auch ein Lagebericht des Auswär-
tigen Amts vom 18. November 1998, in dem eine ethnische Verfolgung in der
Bundesrepublik Jugoslawien bestritten wurde. In dem Bericht des Auswärtigen
Amts hieß es u. a.:

„Im Kosovo selbst hat sich die schwierige humanitäre Situation etwas ent-
spannt“ (zitiert nach FR, 30. April 1999). Dieser Lagebericht zu Jugoslawien, so
Staatsminister Dr. Ludger Volmer damals gegenüber der Presse, „entsprach
nicht der empirischen Wahrheit, sondern war aus innenpolitischen Gründen von
der alten Regierung so verfasst worden“. Die Frankfurter Rundschau kommen-
tierte dies damit, dass Staatsminister Dr. Ludger Volmer damit „den Vorwurf“
andeutete, dass „seine Vorgänger ihre Einschätzung an dem Ziel orientiert haben
könnten, möglichst viele Asylbewerber abzulehnen“ (FR, 30. April 1999).

Später musste die neue Bundesregierung einräumen, dass der damals maßgeb-
liche Lagebericht von ihr selbst stammte und erst am 30. April 1999 offiziell
aus dem Verkehr gezogen wurde. Dieses späte Handeln wurde von der Bundes-
regierung wie folgt begründet: „Dass der Lagebericht zu Jugoslawien Mitte
März 1999 nicht mehr zugrunde gelegt werden konnte, war für jeden evident.“
(Antwort der Bundesregierung vom 7. Juni 1999 auf die Kleine Anfrage der
Fraktion der PDS „Bewertung der Lage im Kosovo durch das Auswärtige
Amt“, Drucksache 14/1119).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchem genauen Zeitraum hat sich der Präsident des BAFl in welcher
Weise dafür eingesetzt, trotz des Kosovo-Kriegs Kosovo-Albaner in die
Bundesrepublik Jugoslawien abzuschieben?

2. In wie vielen Fällen wurden in diesem Zeitraum wie viele
– Asylanträge von Kosovo-Albanern abgelehnt,
– Ausweisungsbescheide verschickt,
– abgelehnte Asylbewerber in Abschiebehaft genommen,
– Kosovo-Albaner in die Bundesrepublik Jugoslawien abgeschoben?

3. Wann und wodurch wurde die Bundesregierung darauf aufmerksam, dass
der Präsident des BAFl auch während des Krieges auf die Abschiebung von
Kosovo-Albanern in den Kosovo hingewirkt hat?

4. Führte diese Absicht des Präsidenten des BAFl zu Konsequenzen seitens der
Bundesregierung, und wenn ja zu welchen und zu welchem Zeitpunkt?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/3492

5. Wurden nach Ansicht der Bundesregierung nationale und internationale
Rechtsnormen durch die Abschiebungen verletzt, und wenn ja, welche?

6. Hat die Bundesregierung gegen den Präsidenten des BAFl wegen mög-
licher Verstöße gegen nationales und internationales Recht Maßnahmen er-
griffen und
a) wenn ja, wann und welche,
b) wenn nein, warum nicht?

7. Wurden gegen weitere Mitarbeiter des BAFl, des BMI, des Auswärtigen
Amts oder andere Angehörige von Regierungsbehörden wegen dieser und
ähnlicher Verstöße gegen nationales und internationales Recht juristische
und/oder disziplinarrechtliche Schritte eingeleitet?
a) Wenn ja, welche Schritte wurden wann und gegen wie viele Personen

aus welcher Behörde/welchem Bundesministerium eingeleitet?
b) Wenn nein, warum unterblieb dies?

8. Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die hohe An-
zahl von abgelehnten Asylanträgen von Kosovo-Albanern im Zeitraum von
November 1998 bis März 1999?

9. Hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Präsident des BAFl bei
seinem Einsatz für die Abschiebung von Kosovo-Albanern auch auf
die Lageberichte des Auswärtigen Amts gestützt, die laut Staatsminister
Dr. Ludger Volmer „nicht der empirischen Wahrheit“ entsprachen?

10. Wie bewertet die Bundesregierung heute – vor dem Hintergrund des
Verhaltens des damaligen Präsidenten des BAFl – ihre Äußerung in der
o. g. Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der PDS (Drucksache
14/1119): „Dass der Lagebericht zu Jugoslawien Mitte März 1999 nicht
mehr zugrunde gelegt werden konnte, war für jeden evident“?

11. Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund, dass sich der
Präsident des BAFl bei seiner Einschätzung auf den Lagebericht des Aus-
wärtigen Amts stützen konnte, der erst am 30. April 1999 offiziell aus dem
Verkehr gezogen wurde?

12. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass eine Amtsführung des Leiters
einer Bundesbehörde, die über das Schicksal von ausländischen Flüchtlin-
gen entscheidet, hinnehmbar ist, die in Bezug auf den oben dargestellten
Vorgang nach Einschätzung des Staatssekretärs im BMI, Claus Henning
Schapper, „deutlich gegen nationales und internationales Recht verstieß,
und auch aus humanitären Erwägungen unvertretbar war“ (Pressemittei-
lung des BMI vom 7. Mai 2000)?

13. Aus welchen Gründen beurteilt der Staatssekretär im BMI, Claus Henning
Schapper, diesen Vorgang als „sachliche Differenz“, die „in keiner Weise
ursächlich für seine [Hans Georg Duschs] Abordnung ins Bundesinnen-
ministerium“ war (Pressemitteilung des BMI vom 7. Mai 2000)?

Berlin, den 29. Mai 2000

Petra Pau
Ulla Jelpke
Carsten Hübner
Fred Gebhardt
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.