BT-Drucksache 14/349

Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und Geburtenkontrollprogramme im Südosten der Türkei (Nordwestkurdistan)

Vom 28. Januar 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/349 vom 28.01.1999

Kleine Anfrage der Fraktion der PDS Die Deutsche Gesellschaft für
Technische Zusammenarbeit und Geburtenkontrollprogramme im Südosten
der Türkei (Nordwestkurdistan) =

28.01.1999 - 349

14/349

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Bläss, Carsten Hübner, Ulla Jelpke, Heidi
Lippmann-Kasten, Christina Schenk und der Fraktion der PDS
Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und
Geburtenkontrollprogramme im Südosten der Türkei (Nordwestkurdistan)

Die türkische Tageszeitung "Radikal" berichtet in ihrer Ausgabe vom 3.
Oktober 1998 darüber, daß die Deutsche Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit (GTZ) im Südosten der Türkei mit 5 Mio. DM an einem
Geburtenkontrollprojekt beteiligt ist. Dem Artikel zufolge handelt es
sich hierbei um ein Gemeinschaftsprojekt von GTZ, dem türkischen
Gesundheitsministerium und der Direktion für Mutter-Kind-Gesundheit und
Familienplanung. Weiter heißt es, daß die Geburtenkontrollprogramme
vorzugsweise in sechs vernachlässigten Provinzen durchgeführt würden.
Diese sind: Balikesir, Konya, Trabzon, Erzincan, Mardin und Antep. In
Mardin z. B. würden in sechs Gesundheitsstationen Frauen über
empfängnisverhütende Methoden aufgeklärt und entsprechend versorgt.
Doch gebe es wegen türkisch-kurdischer Sprachprobleme Schwierigkeiten
bei der Umsetzung der Projekte. Der in dem "Radikal"-Artikel erwähnte
Mitarbeiter der GTZ erklärt gegenüber der Zeitung, daß das türkische
Gesundheitsministerium über zahlreiche Projekte verfüge, für die GTZ
aber die Regionen im Osten und Südosten der Türkei besonders wichtig
seien. Dort würde versucht werden, die Armut mit weniger Kindern zu
besiegen.
In der Tageszeitung "Özgür Politika" vom 8. August 1998 wird erwähnt,
daß der "Nationale Sicherheitsrat" (NSR) der Türkei anläßlich eines
Treffens 1997 über "Probleme und Lösungsvorschläge" der kurdischen
Frage angeordnet hat, die Geburtenquote der kurdischen Bevölkerung zu
stoppen. Statistiken zufolge würde nämlich der kurdische
Bevölkerungsanteil in der Türkei im Jahre 2010 40 % und fünfzehn Jahre
später bereits mehr als 50 % erreichen. "Dieser Zuwachs muß unterbunden
werden, da dies den kurdischen Nationalismus stärken und für die Türkei
eine Gefahr mit sich bringen würde. Deshalb müssen Familien mit einer
geringeren Kinderzahl befördert werden und Familien mit hoher
Kinderzahl mehr Steuer zahlen." -- so der NSR-Bericht.
Nach der Gründung einer Organisation mit dem Namen
"Gesellschaftszentren mit Mehrzwecken" (CATOM), wurde später das
"Zentrum für Kindergesundheit und Familienplanung" (ACM-APM) ins Leben
gerufen. Diese Einrichtungen arbeiten "Özgür Politika" zufolge u. a.
seit Frühjahr 1998 in Mersin, einer Stadt mit einem hohen Anteil
kurdischer Flüchtlinge. Der Oberarzt von ACM-APM, Dr. M. I., erklärte
auf einer Pressekonferenz, daß die "Zielgruppe unserer Arbeit
Flüchtlinge aus dem Osten (sind). Wir versuchen, durch Beratung und
Medikamente ihre Geburtenquote zu kontrollieren. Wir eröffnen demnächst
eine Klinik, in der Frauen sterilisiert werden können. Dafür benötigen
wir Zuschüsse aus dem Gesundheitsministerium".
Ein weiteres Programm mit der gleichen Zielsetzung ist unter der
Bezeichnung "Projekt Ostanatolien" (DAP) geplant und wird laut "Özgür
Politika" mit staatlichen Geldern in Höhe von 1,5 Trillionen Türk. Lira
(TL) finanziert.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Seit wann ist die GTZ an Geburtenkontrollprojekten in der Türkei
beteiligt?
a) Um welche Projekte handelt es sich hierbei im einzelnen?
b) Mit jeweils welchen Beträgen ist die GTZ an diesen Programmen
beteiligt, und aus welchen Titeln des Bundeshaushalts wird diese
finanzielle Unterstützung gezahlt?
c) Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in den jeweiligen
Projekten beschäftigt?
d) Worin genau besteht die Tätigkeit der GTZ-Beschäftigten?
e) Entstand diese Zusammenarbeit mit der GTZ auf Ersuchen türkischer
Behörden, und wenn ja, welcher?
f) Welches war die Grundlage dieser Kooperation?
2. In welchen Städten, Orten und Dörfern des Südostens der Türkei
waren/sind die Beschäftigten der GTZ eingesetzt?
a) Auf welche Weise findet der Kontakt mit der Bevölkerung,
vorzugsweise der Mädchen und Frauen in den kurdischen Provinzen, statt?
b) Wo organisiert nach Kenntnis der Bundesregierung die GTZ in
Zusammenarbeit mit welchen Einrichtungen des türkischen Staates
Schulungen oder Aufklärungsveranstaltungen?
c) Führt die GTZ im Rahmen ihrer Tätigkeit auch Statistiken über die
Situation von Familien im Hinblick auf die vorhandene Kinderzahl, die
Existenz von Mädchen im gebärfähigen Alter sowie auf die Höhe der
Familieneinkommen?
d) Von wem werden die Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der GTZ in der
Regel bei ihren Familienbesuchen begleitet?
3. Über welche empfängnisverhütenden Methoden werden die Mädchen und
Frauen von Beschäftigten der GTZ aufgeklärt?
a) Ist in den kurdischen Gebieten aufgrund noch tief verwurzelter
Traditionen neben der Information über empfängnisverhütende Methoden
parallel auch Sexualaufklärung möglich?
b) In welcher Weise und mit welchem Erfolg werden auch Männer und
Jungen in die Arbeit einbezogen?
4. Ist der Bundesregierung bekannt, daß kurdische Mädchen und Frauen
mit der sog. Drei-Monats-Hormonspritze "Depot Provera" des US-
amerikanischen Pharmakonzerns Upjohn behandelt werden?
a) Ist die GTZ an der Finanzierung dieser Injektionen mitbeteiligt,
und wenn ja, in welchem Umfang?
b) Inwieweit wird den kurdischen Mädchen und Frauen von seiten der
GTZ das Einsetzen der Spirale nahegelegt, und in welchem Umfang wird
diese Methode finanziell unterstützt?
c) Auf welche Weise ist die medizinische Betreuung der Frauen im
Hinblick auf die von der GTZ empfohlenen und angewandten
empfängnisverhütenden Mittel und Präparate gewährleistet?
d) Zu welchen Ergebnissen haben bisherige gesundheitliche Kontrollen
der betroffenen Frauen geführt?
5. Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, daß
kurdischen Frauen in Städten wie Istanbul oder Izmir (wegen des hohen
Anteils kurdischer Flüchtlinge) zwecks Sterilisierung Implantate unter
die Haut gepflanzt werden?
Ist ihr weiterhin bekannt, daß diese Methode nur aufgrund der
Kompliziertheit des Eingriffs und des fehlenden Fachpersonals nicht bei
Frauen in den Dörfern der kurdischen Provinzen angewandt wird?
6. Arbeitet die GTZ auch mit der in Istanbul tätigen privaten US-
amerikanischen Stiftung "Pathfinder-International"-Foundation zusammen?
Wenn ja, wie konkret sieht diese Zusammenarbeit aus?
7. Aus welchem Grunde ist nach Kenntnis der Bundesregierung laut
Aussage des Mitarbeiters der GTZ gegenüber der Zeitung "Radikal" (siehe
Begründung) für die GTZ die Beteiligung an Projekten im Osten und
Südosten der Türkei besonders wichtig?
8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Mitarbeiters der GTZ,
daß diese Arbeit deshalb wichtig sei, um die Armut durch weniger Kinder
zu besiegen?
9. Teilt die Bundesregierung nicht eher die Ansicht, daß die
Armutsprobleme mit dem Krieg der türkischen Armee gegen die kurdische
Bevölkerung und der Zerstörung der ökonomischen Grundlagen
zusammenhängt (Tötung von Vieh, Abbrennen von Weideflächen und Äckern,
Zerstörung von Dörfern und Vertreibung der Menschen in die kurdischen
Städte und Metropolen der Westtürkei)?
10. Ist der Bundesregierung die in der Vorbemerkung erwähnte Anordnung
des "Nationalen Sicherheitsrates" (NSR) im Hinblick auf die zu senkende
Geburtenquote der kurdischen Bevölkerung bekannt?
a) Wenn ja, wie bewertet sie vor diesem Hintergrund die Tätigkeit der
GTZ im Südosten der Türkei?
b) Wenn nein, wird sie sich um nähere Informationen bemühen?
11. Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, ob die von
dem Oberarzt von ACM-APM, Dr. M. I., in Aussicht gestellte "Klinik, in
der Frauen sterilisiert werden können", (siehe Vorbemerkung) bereits
existiert, und wenn ja, wo?
12. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über das in der
Vorbemerkung erwähnte und geplante "Projekt Ostanatolien" (DAP) vor?
a) Ist der Bundesregierung bekannt, ob dieses Programm bereits in die
Praxis umgesetzt wurde?
b) Ist die GTZ oder sind andere bundeseigene Einrichtungen oder
Institutionen an diesem Projekt beteiligt, und wenn ja, in welcher
Weise und mit welcher finanziellen Beteiligung?
13. Ist der Bundesregierung bzw. der GTZ bekannt, daß es zahlreiche
Frauen z. B. in der Stadt Diyarbakir gibt, die befürchten,
zwangssterilisiert worden zu sein?
a) Wenn ja, über welche detaillierteren Informationen verfügt die
Bundesregierung?
b) Wenn nein, wird sie sich um nähere Auskünfte bemühen?
14. Welche Bundesministerien, -behörden oder bundeseigene
Einrichtungen/Organisationen sind seit 1990 an
Geburtenkontrollprogrammen und -projekten in der Türkei in welcher Form
und mit welcher finanziellen Unterstützung beteiligt (bitte detailliert
nach Behörden und Art der Unterstützung auflisten)?
15. Wie lange wird sich die GTZ bzw. werden sich andere
Einrichtungen/Organisationen des Bundes noch an
Geburtenkontrollprogrammen und -projekten insgesamt in der Türkei,
besonders aber in den kurdischen Provinzen des Südostens, beteiligen,
und aus welchen Gründen?
16. Wie hoch wird die finanzielle Beteiligung des Bundes an diesen
Vorhaben für das Haushaltsjahr 1999 veranschlagt?
17. Wem stellt(e) die GTZ die durch Besuche und Befragungen von
Familien und aufgrund anderweitiger Erkenntnisse erworbenen Daten und
Fakten zur Verfügung?
18. Inwieweit ist der Bundesregierung die Beteiligung der Europäischen
Union (EU) an Geburtenkontrollprogrammen und -projekten in der Türkei
bekannt?
a) Sind die Aktivitäten der GTZ und weiterer bundeseigener
Einrichtungen möglicherweise in entsprechende EU-Programme eingebunden?
b) Wenn ja, um welche handelt es sich hierbei konkret, und seit wann
wirken Einrichtungen des Bundes an ihnen mit?
Bonn, den 28. Januar 1999
Petra Bläss
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Heidi Lippmann-Kasten
Christina Schenk
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

28.01.1999 nnnn

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