BT-Drucksache 14/3187

Beziehungen zu Österreich normalisieren

Vom 12. April 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3187
14. Wahlperiode 12. 04. 2000

Antrag
der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Hildebrecht Braun (Augsburg),
Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Dr. Karlheinz Guttmacher, Ulrich Heinrich,
Walter Hirche, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Dr. Klaus Kinkel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-
Jortzig, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Beziehungen zu Österreich normalisieren

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die fremdenfeindlichen und rassistischen Äußerungen, die der Vorsitzende der
FPÖ, Jörg Haider, über Jahre hinweg gemacht hat, sind unter keinen Umstän-
den akzeptabel und daher mit Recht immer wieder verurteilt worden, gerade
auch von den liberalen Parteien in Europa. Die Regierungsbeteiligung der FPÖ
trägt zur Stärkung der extremen Rechten in Europa bei. Höchste Wachsamkeit
der Mitglieder der europäischen Familie ist daher angebracht, damit die ge-
meinsamen europäischen Werte wirksam geschützt werden. Zu diesen Werten
gehört es aber auch, demokratisch zustande gekommene Entscheidungen
grundsätzlich zu respektieren und keine Vorverurteilungen vorzunehmen. Im
Übrigen darf nicht unterstellt werden, dass alle Wähler der FPÖ rechtsextremen
Tendenzen zuneigen. Der Wahlerfolg der FPÖ ist ganz wesentlich Ergebnis des
starken Wunsches der österreichischen Bevölkerung, das 40-jährige Machtkar-
tell von ÖVP und SPÖ aufzubrechen und endlich einen Wandel in Politik und
Gesellschaft herbeizuführen.

Die Reaktionen von EU-Kommission und Europaparlament, die ihre Besorgnis
über die Regierungsbeteiligung der FPÖ seit dem 4. Februar zum Ausdruck
gebracht und auf die Möglichkeit von Sanktionen nach Artikel 7 EUV hinge-
wiesen haben, sind daher angemessen und politisch richtig. Die Sanktionen der
14 Mitgliedstaaten, Kontakte auf politischer Ebene weder zu suchen noch zu
akzeptieren, österreichische Kandidaten für Ämter bei internationalen Organi-
sationen nicht mehr zu unterstützen und österreichische Botschafter in Haupt-
städten der Europäischen Union nur noch auf technischer Ebene zu empfangen,
entsprechen dagegen weder Buchstaben noch Geist des Amsterdamer Vertra-
ges. Darüber hinaus haben sie innerhalb der Europäischen Union und auch ge-
genüber den Beitrittskandidaten schweren Schaden angerichtet.

a) Anders als Kommission und Europäisches Parlament ergreift die Bundes-
regierung gemeinsam mit den anderen 14 Mitgliedstaaten Sanktionen unter-
halb der Schwelle des Artikels 7 EUV, die bei einer anhaltenden und

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schwerwiegenden Verletzung der Grundsätze des Artikels 6 EUV möglich
sind. Dabei verkennt sie die Ausschlussfunktion dieser Bestimmungen: So-
weit das Verhalten eines Mitgliedstaats von Regelungen der Europäischen
Union erfasst wird, verlieren die Mitgliedstaaten ihrerseits die Kompetenz,
Sanktionen im Alleingang zu verhängen.

Die Sanktionen sind zudem unverhältnismäßig. Sie gründen sich lediglich
auf Äußerungen einzelner Mitglieder des Koalitionspartners FPÖ vor der
Amtseinführung der neuen österreichischen Regierung, nicht aber auf tat-
sächliche Vorgänge. Die mittlerweile zwei Monate im Amt befindliche
österreichische Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt Zweifel an der
Europatreue Österreichs und an seiner Verpflichtung auf Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit gegeben. Im Gegenteil: In einer am 3. Februar 2000 von
den Vorsitzenden der Koalitionsparteien unterzeichneten Erklärung bekennt
sich die österreichische Bundesregierung zu Respekt, Toleranz und Ver-
ständnis für alle Menschen zum Schutz und zur Förderung der Menschen-
rechte, zur pluralistischen Demokratie und zur Rechtsstaatlichkeit sowie zur
Europäischen Union als Wertegemeinschaft.

b) Ihre Ankündigung, die Zusammenarbeit mit Österreich im Rahmen der
Europäischen Union werde durch die Beschlüsse nicht betroffen, haben die
14 Mitgliedstaaten der EU durch ihr Verhalten widerlegt: Die portugiesische
Präsidentschaft ist im Rahmen der traditionellen Hauptstadtrundreise nicht
nach Wien gefahren, der österreichische Botschafter in Paris wurde von der
Vorstellung des Programms für die französische Präsidentschaft ausge-
schlossen. Hierdurch wird die Mitarbeit Österreichs an den großen Vorhaben
der Europäischen Union, der Regierungskonferenz zur institutionellen Re-
form und der Erweiterung erheblich erschwert. Ein Erfolg dieser Vorhaben
ist daher in Frage gestellt.

Die Sanktionen gegenüber einem kleinen Mitgliedstaat sind darüber hinaus
geeignet, Befürchtungen anderer Mitgliedstaaten, ein vereinigtes Europa
stelle eine Bedrohung für politische Autonomie, abweichende Auffassungen
und nationale Interessen dar, zu bestärken. Auch in den Beitrittsländern wer-
den solche Ängste durch die Sanktionen gegen Österreich potenziell ver-
stärkt. Die Gefahr, dass eine von Haider beabsichtigte anti-europäische
Stimmung in Österreich durch die Sanktionsbeschlüsse geschürt wird und
dass dadurch gerade das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung eintritt, ist
nicht von der Hand zu weisen.

Die Entscheidung, österreichische Botschafter nur noch auf technischer
Ebene wahrzunehmen, erschwert nicht nur deren Arbeit in geradezu uner-
träglicher Weise und verstößt gegen die Gepflogenheiten im diplomatischen
Umgang, sondern führt Sinn und Zweck diplomatischer Beziehungen als
Instrument der Wahrnehmung außenpolitischer Interessen gerade auch in
schwierigen Zeiten ad absurdum. In Anbetracht der von den 14 geäußerten
Besorgnisse sollte der kritische Dialog mit österreichischen Diplomaten
daher nicht eingeschränkt, sondern intensiviert werden.

Gleiches gilt für die inzwischen eingetretenen Auswirkungen in den Zivilge-
sellschaften. Die Suspendierung von Schulpartnerschaften mit Österreich in
Frankreich und Belgien in direkter Folge der Sanktionsbeschlüsse der 14 ist
widersinnig. Aus Sorge um die Demokratie in Österreich wäre vielmehr
auch hier eine Intensivierung des Dialogs angebracht.

Kleinlich sind und in der Öffentlichkeit zunehmend als absurd wahrgenom-
men werden die Verhaltensweisen hoher Regierungsmitglieder der 14, die
ihren österreichischen Gesprächspartnern vor laufenden Kameras den Hand-
schlag verweigern oder sich gegen das traditionelle „Familienfoto“ bei Gip-

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feltreffen aussprechen, vor allem wenn sie gleichzeitig, wie Bundesminister
des Auswärtigen, Joseph Fischer, versichern, dass hinter verschlossenen
Türen „business as usual“ stattfinde.

Es ist daher an der Zeit, die europarechtswidrigen und politisch falschen Sank-
tionen aufzuheben. In Finnland und Dänemark sind bereits entsprechende Vor-
stöße unternommen worden. Allerdings erweist es sich jetzt als verhängnisvoll,
dass sich die 14 bei der Verhängung der Sanktionen keine Strategie überlegt ha-
ben, wie und unter welchen Voraussetzungen die Sanktionen wieder aufgeho-
ben werden können. Haider darf die Aufhebung der Sanktionen nicht als Recht-
fertigung verstehen können. Es wäre zu begrüßen, wenn die Europäische
Kommission in ihrer Eigenschaft als Hüterin der europäischen Verträge eine
Initiative zur Beendigung dieses unhaltbaren Zustandes ergreifen würde.

Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,

1. mit den anderen 13 Mitgliedstaaten unverzüglich in Überlegungen einzutre-
ten, wie die bilateralen Sanktionen gegenüber Österreich aufgehoben wer-
den können,

2. die Kommission der Europäischen Union aufzufordern, ihre Verantwortung
als Hüterin der Verträge wahrzunehmen und die Mitgliedstaaten zu vertrags-
konformem Verhalten gegenüber dem EU-Partner Österreich zu veranlas-
sen,

3. unverzüglich kleinliche Verhaltensweisen gegenüber Österreich wie die Ver-
weigerung des Handschlags einzustellen,

4. darauf hinzuwirken, dass die Isolation der österreichischen Zivilgesellschaft
(z. B. Suspendierung von Schulpartnerschaften) beendet wird,

5. gleichzeitig deutlich zu machen, dass die beabsichtigte Aufhebung der
Sanktionen auf der Erkenntnis beruht, dass die österreichische Regierung
bisher keinen Anlass gegeben hat, an ihrer Europatreue und ihrer Verpflich-
tung auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu zweifeln,

6. zu unterstreichen, dass die Sorge der anderen 14 Mitgliedstaaten angesichts
der Regierungsbeteiligung der FPÖ nach wie vor gerechtfertigt ist und dass
die EU daher im Sinne der Erklärung der EU-Kommission und des Euro-
päischen Parlaments weiterhin wachsam gegenüber Österreich sowie gegen-
über allen anderen Mitgliedstaaten sein wird, in denen Tendenzen zu Ver-
stößen gegen Artikel 6 EUV sichtbar werden.

Berlin, den 12. April 2000

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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