BT-Drucksache 14/3106

Rechtsextremismus entschlossen bekämpfen

Vom 5. April 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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3106

14. Wahlperiode

05. 04. 2000

Antrag

der Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, Paul
K. Friedhoff, Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher,
Klaus Haupt, Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Dirk Niebel, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Günter Rexrodt, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Dieter Thomae, Dr. Guido Westerwelle, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der F.D.P.

Rechtsextremismus entschlossen bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Umfang rechtsextremistischer Vorgänge in der Bundesrepublik Deutsch-
land ist in hohem Maße Besorgnis erregend. Sie stellen eine Gefahr für unsere
Demokratie dar. Die Annahme, es handele sich um vorübergehende Vorgänge,
hat sich nicht bestätigt. Nahezu täglich wird über ausländerfeindliche Über-
griffe, antisemitische Äußerungen und Handlungen sowie rechtsextremistische
Umtriebe berichtet. Besondere Aufmerksamkeit im Inland und im Ausland ha-
ben die jüngsten rechtsextremistischen Aufmärsche rund um bzw. durch das
Brandenburger Tor in Berlin hervorgerufen.

Die Taten sind nicht gleichmäßig über die Bundesrepublik Deutschland ver-
teilt. Zwar gilt es dem Eindruck entgegenzutreten, als handele es sich bei
rechtsextremistischen Erscheinungsformen um ein Phänomen ausschließlich
der neuen Bundesländer. Die neuen Länder sind jedoch regionaler Schwer-
punkt rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten und Konzentrationspunkt
des Potentials gewaltbereiter Rechtsextremisten. Der Rechtsextremismus in
den neuen Ländern ist jünger und in höherem Maße gewalttätig und militant als
in den alten Ländern.

Die Ursachen für Rechtsextremismus sind vielfältig und auf Defizite in Ausbil-
dung und Bildung, im Elternhaus, in fehlender Infrastruktur für Jugendliche, im
sozialen Umfeld und gelegentlich auch auf Gedankenlosigkeit zurückzuführen.

Die Bundesregierung hat im April 1999 ein „Bündnis für Demokratie und Tole-
ranz – gegen Extremismus und Gewalt“ angekündigt. In ihm sollen staatliche
Stellen in Bund, Ländern und Kommunen sowie Nichtregierungsorganisatio-
nen und bürgerschaftliche Initiativen zusammenarbeiten. Konkrete Ergebnisse,
geschweige denn Erfolge sind bislang nicht zu verzeichnen.
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Es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Es bedarf einer umfangreichen und gemein-
samen Anstrengung, um insbesondere den Bürgern auf örtlicher Ebene den Mut
und das Selbstvertrauen zurückzugeben, nicht länger die Augen zu verschlie-
ßen, sondern dem Extremismus wirksam entgegenzutreten. Sie müssen wissen,
dass sie mit diesem Problem nicht allein gelassen werden.

I. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:



Unverzüglich konkrete Schritte zur Umsetzung des „Bündnisses für De-
mokratie und Toleranz“ unter Beteiligung insbesondere der Freiwilli-
gen-Organisationen mit ihrem breiten Angebot an Jugendarbeit einzu-
leiten.



Beginnend mit dem Bundeshaushalt 2001 einen jährlichen Betrag von
mindestens 250 Mio. DM für Projekte zur Förderung der kommunalen
Jugendarbeit, insbesondere für politische Bildung, soziales Engagement
und für kulturelle Arbeit in nichtstaatlichen Organisationen einzusetzen.
Als Träger dieser Projekte sollen insbesondere nichtstaatliche Organisa-
tionen in den neuen Bundesländern gefördert werden.



Durch die Bundeszentrale für politische Bildung insbesondere Projekte
zur Jugendarbeit in den neuen Bundesländern entwickeln und durchfüh-
ren zu lassen.



Sich dafür einzusetzen, dass im Jugendaustausch mit Frankreich und
anderen Ländern für die nächsten Jahre verstärkt Jugendliche aus den
neuen Bundesländern berücksichtigt werden.

II. Der Deutsche Bundestag erklärt sich selbst bereit und appelliert an private
Stiftungseinrichtungen, bei internationalen Austauschprogrammen für
mehrere Jahre vorrangig Jugendliche aus den neuen Bundesländern zu be-
rücksichtigen.

III. Der Deutsche Bundestag appelliert an die Länder:



Die vom Bund bereitzustellenden Mittel um gemeinsam mindestens
50 Mio. DM jährlich aufzustocken. Die Landesregierung in Branden-
burg wird dringend gebeten, die Finanzierung des erfolgreichen Pro-
jekts „Bruchbude“ in Milmersdorf sicherzustellen, das an 24 000 DM
zu scheitern droht.



Die von einzelnen Ländern z. B. durch die Bildung von Sondereinheiten
ergriffenen polizeilichen (Präventiv-)Maßnahmen auf alle Bundesländer
auszudehnen, in denen sich entsprechende rechtsextremistische Ju-
gendszenen gebildet haben.



Die einschlägigen Jugendstrafverfahren zu beschleunigen.



Im Rahmen der Städtepartnerschaften zwischen west- und ostdeutschen
Städten Programme für Praktikanten und Volontäre auf allen Ebenen der
gewerblichen und beruflichen Ausbildung und Tätigkeit aufzulegen und
zu fördern, durch die insbesondere Jugendlichen und Berufsanfängern
aus den neuen Bundesländern die Möglichkeit geboten wird, in industri-
ellen und gewerblichen Unternehmen ihrer Wahl zu arbeiten oder an
einem ihrer Berufsausbildung entsprechenden Lehrgang teilzunehmen,
und zwar jeweils im Wechsel von einem neuen in ein altes Bundesland
und umgekehrt.
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IV. Der Deutsche Bundestag appelliert an die Industrie- und Handelskammern,
die Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft und die entsprechenden Un-
ternehmensstiftungen, sich an diesen Programmen zu beteiligen.

V. Der Deutsche Bundestag appelliert an die Stiftungen der Parteien und ver-
setzt sie finanziell in die Lage, insbesondere Projekte zur Jugendarbeit in
den neuen Ländern zu entwickeln und durchzuführen.

Berlin, den 4. April 2000

Hildebrecht Braun (Augsburg)
Ernst Burgbacher
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Gudrun Kopp
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Begründung

In den Jahren von 1991 bis Ende 1993 sind bei 4 761 rechtsextremistischen Ge-
walttaten 26 Menschen getötet und 1 783 Menschen verletzt worden. Mehr als
zwei Drittel der Täter waren junge Menschen unter 20 Jahre, 16 der Getöteten
waren Ausländer. Auf Asylbewerberunterkünfte und Wohnungen von Auslän-
dern wurden in dieser Zeit 1 281 Anschläge verübt, 209 auf jüdische Einrich-
tungen, 112 auf jüdische Friedhöfe. Mindestens 13mal wurden KZ-Gedenkstät-
ten geschändet. Die Annahme, es handele sich um vorübergehende Vorgänge,
hat sich nicht bestätigt.

Der Verfassungsschutzbericht für 1998 spricht von einem anhaltenden Wieder-
erstarken rechtsextremistischer Bestrebungen. Der Zuwachs des Personenpo-
tentials fiel 1998 noch deutlicher aus als im Vorjahr und ging 1999 nur leicht
zurück. Die Zahl der Mitglieder in rechtsextremistischen Organisationen und
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der nichtorganisierten Rechtsextremisten wird mit etwa 51 400 Personen ange-
geben nach 53 600 im Jahr 1998. Die seit 1996 zu beobachtende Zunahme der
Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten hält weiter an. Sie liegt mit 9 000
Personen um fast 10 % höher als 1998. Im Jahr 1999 wurden 10 037 Straftaten
mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund ver-
übt, davon 746 Gewalttaten. Damit sank die Zahl dieser Straftaten zwar insge-
samt um 9,2 %, die der Gewalttaten stieg dagegen um 5,4 %. 60 % der Gewalt-
taten sind fremdenfeindlich motiviert.

In der Zeit von 1. Januar 1999 bis zum 31. August 1999 gab es in der Bundes-
republik Deutschland 530 Fälle von Schändungen jüdischer Friedhöfe und Ge-
denkstätten. Auf das Grab des früheren Vorsitzenden des Jüdischen Zentralrats
Heinz Galinski wurden zwei Sprengstoffanschläge verübt. Die Täter wurden
nicht ermittelt.

Ausweislich des Verfassungsschutzberichts sind die neuen Bundesländer nach
wie vor regionaler Schwerpunkt rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten
und Konzentrationspunkt des Potentials gewaltbereiter Rechtsextremisten.
Rund 44 % aller Gewalttaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsext-
remistischem Hintergrund wurden 1999 in den ostdeutschen Ländern began-
gen. Im Durchschnitt wurden dort 2,2 Gewalttaten je 100 000 Einwohner regis-
triert gegenüber 0,7 in den alten Ländern. Zwei Drittel der Gewalttäter gehörten
dabei der Altersgruppe der Jugendlichen und Heranwachsenden an.

Mit dem Begriff der „nationalbefreiten Zonen“ haben Rechtsextremisten eine
strategische Zielsetzung definiert, die eine kulturelle und politische Dominanz
anstrebt, für „Fremde“ und Andersdenkende keinen Raum mehr lässt und letzt-
lich das staatliche Gewaltmonopol aufheben und rechtsfreie Gebiete schaffen
soll. Rechtsextremistische Verhaltensweisen und Symbole sind in Bereiche der
Jugendkultur eingedrungen und Teil des Alltagsgeschehens geworden. Es exis-
tiert eine rechtsextreme Kulturbewegung mit Angeboten fremdenfeindlicher
Liedermacher, Techno- und sonstigen Musikbands, von T-Shirts mit Aufnähern
mit rechtsextremen Parolen. Im vergangenen Jahr wurden bundesweit 109
Skinhead-Konzerte bekannt, davon 59 in den neuen Ländern. Das mit Abstand
größte Konzert fand mit über 2 000 Besuchern in Garitz (Sachsen-Anhalt) statt.
Die durchschnittliche Teilnehmerzahl an den Konzerten nahm gegenüber 1998
zu. Die aggressiven Texte der rechtsextremistischen Skinhead-Musik werden
als eine Ursache für die Steigerung der Gewaltbereitschaft angesehen.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz kommt zu dem Schluss, dass der Rechts-
extremismus in den neuen Ländern eine deutlich andere Erscheinungsform als
in den westlichen Ländern zeigt. Er ist jünger und in einem weit höherem Maße
gewalttätig und militant. Die Skinhead-Szene ist gewalttätiger, zahlenmäßig
stärker (über die Hälfte der rechtsextremistischen Skinheads lebt in Ostdeutsch-
land) und infrastrukturell weiter entwickelt als in Westdeutschland. Ein ähn-
liches Verhältnis zeigt sich auch bei dem neonazistischen Personenpotential.

Zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und seiner Ursachen müssen die poli-
zeilichen und strafrechtlichen Maßnahmen verstärkt fortgesetzt werden. Ent-
scheidend für die Bekämpfung der Ursachen sind aber Maßnahmen bei der
Jugendarbeit und der Veränderung des sozialen Klimas.

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