BT-Drucksache 14/3053

Berichte über Anwerbungen von Kurden zu Informationstätigkeiten durch deutsche Verfassungsschutzbehörden und türkische Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland

Vom 24. März 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

3053

14. Wahlperiode

24. 03. 2000

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Berichte über Anwerbungen von Kurden zu Informantentätigkeiten durch
deutsche Verfassungsschutzbehörden und türkische Vertretungen in der
Bundesrepublik Deutschland

Am 8. März 2000 hat sich der 29-jährige Kurde H. P. vor dem Reichstagsge-
bäude angezündet. Den Angaben seiner Eltern zufolge hat es seit 1994 sowohl
durch Angehörige des türkischen Geheimdienstes als auch der deutschen Poli-
zei Versuche gegeben, H. P. dafür anzuwerben, Kurden zu bespitzeln (Presse-
mitteilung des Rechtshilfevereins Azadi vom 13. März 2000).

Dem Betroffenen sei in dieser Zeit vom türkischen Generalkonsulat in Mün-
chen für die Informantentätigkeit Geld und ein türkischer Diplomatenpass ver-
sprochen worden. Die deutsche Polizei habe H. P. unter anderem mit der An-
drohung der Nicht-Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis unter Druck
gesetzt, falls er sich weigere, im kurdischen Umfeld als Informant zu fungieren.
Als H. P. sich nicht als Informant anwerben ließ, wurde sein Pass beschlag-
nahmt.

Den Grund für die Selbstverbrennung sehen die Eltern von H. P. darin, dass ihr
Sohn die sechs Jahre andauernden Drohungen und Erpressungen nicht mehr
habe ertragen können.

Nach Angaben der Tageszeitung „Neues Deutschland“ vom 18. Februar 2000
sind in letzter Zeit mehrere Fälle bekannt geworden, bei denen Verfassungs-
schutzbehörden den Versuch unternahmen, kurdische Flüchtlinge für Informan-
tendienste anzuwerben. Im Falle der Weigerung sollen die Beamten den Kur-
den mit der Abschiebung gedroht haben.

Der Thüringer Verfassungsschutzpräsident habe in diesem Zusammenhang er-
klärt, zum Ausspähen der verbotenen PKK sei die Anwerbung von Kurden un-
verzichtbar. Es sei ein Fehler, auf Informationen durch Informanten aus dem
Umfeld der PKK zu verzichten

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Selbstverbren-
nung von H. P. vor?

2. Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, dass H. P. von An-
gehörigen des türkischen Konsulats in München eingeschüchtert wurde, da-
mit er für sie als Informant arbeitet?

Wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung solche Praktiken?
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3. Sind der Bundesregierung weitere Fälle bekannt, in denen türkische Ver-
tretungen in der Bundesrepublik Deutschland versucht haben, Kurden
unter Druck zu setzen, um sie als Informanten im kurdischen Umfeld ein-
zusetzen?

Wenn ja, welche?

4. Ist die Bundesregierung bereit, Konsequenzen aus dem Fall von H. P. und
anderen Anwerbeversuchen durch türkische Vertretungen in der Bundes-
republik Deutschland zu ziehen, damit solche Anwerbeversuche fremder
Geheimdienste und Konsulate hier gegenüber Kurden verhindert werden
können?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

5. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass bundesdeutsche Sicherheits-
organe versucht haben, H. P. durch Einschüchterungen und Erpressungen
als Informant anzuwerben?

Wenn ja, welche Konsequenzen ergeben sich jetzt nach Kenntnis der Bun-
desregierung für die an diesen Anwerbeversuchen beteiligten Beamten
nach der Selbstverbrennung des H. P.?

6. Kann die Familie des H. P. Entschädigungs- oder Wiedergutmachungsan-
sprüche gegenüber den an diesem Anwerbeversuch beteiligten Behörden
geltend machen?

7. Hält die Bundesregierung solche Anwerbeversuche gegenüber kurdischen
Flüchtlingen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus für Zwecke der Staats-
sicherheit für vereinbar mit der Genfer Flüchtlingskonvention?

8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des thüringischen Verfassungs-
schutzpräsidenten, dass es richtig ist, kurdische Flüchtlinge zum Zwecke
der Ausspähung der PKK als Informanten zu rekrutieren?

9. Wie viele Informanten sind nach Kenntnis der Bundesregierung zur Aus-
spähung der PKK seit ihrem Verbot im Jahre 1993 eingesetzt worden (bitte
Angaben je Bundesland auflisten)?

Wie viele der Informanten waren von Bundesbehörden wie dem Bundes-
amt für Verfassungsschutz geworben, wie viele von Landesämtern für Ver-
fassungsschutz oder anderen Landesbehörden?

10. Wie viele Informanten wurden durch das Bundesamt für Verfassungs-
schutz oder andere Bundesbehörden in den folgenden Bereichen einge-
setzt:

– organisierte Kriminalität,

– Wirtschaftskriminalität,

– Rechtsextremismus,

– Linksextremismus,

– extremistische Bestrebungen von Ausländern,

– kurdische Vereine und Organisationen?

Berlin, den 20. März 2000

Ulla Jelpke,
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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