BT-Drucksache 14/3004

Keine Lieferung von Panzern und anderen Rüstungsgütern und Lizenzen an die Türkei

Vom 22. März 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3004
14. Wahlperiode 22. 03. 2000

Antrag
der Abgeordneten Heidi Lippmann, Fred Gebhardt, Wolfgang Gehrcke-Reymann,
Uwe Hiksch, Carsten Hübner, Ulla Jelpke, Dr. Winfried Wolf, Dr. Gregor Gysi
und der Fraktion der PDS

Keine Lieferung von Panzern und anderen Rüstungsgütern und Lizenzen
an die Türkei

Der Bundestag wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, keine Ausfuhrgenehmigungen für
Güter und Lizenzen, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, an die
Türkei zu erteilen oder in Aussicht zu stellen.

Berlin, den 16. März 2000

Heidi Lippmann
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Dr. Winfried Wolf
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Mit den am 19. Januar 2000 vom Bundeskabinett beschlossenen Rüstungsex-
portrichtlinien hat sich die Bundesregierung verpflichtet, ihre Entscheidungen
über die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen von Gütern und Lizenzen, die
unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, verbindlich daran zu orientieren,
ob die Menschenrechte in dem betreffenden Land beachtet, die Zuverlässigkeit
des Endverbleibs geregelt sowie der EU-Verhaltenskodex eingehalten wird.
Hierbei handelt es sich um politische Grundsätze, die umgehend in eine restrik-
tive Rüstungsexportpolitik umgesetzt werden müssen. Hierzu gehört insbeson-
dere eine frühzeitige Klarstellung darüber, dass Rüstungsexportanfragen aus
Ländern, aus denen Menschenrechtsverletzungen bekannt sind und aus Län-
dern, die sich im Spannungsverhältnis zu anderen Staaten befinden, eine recht-
zeitige Absage erteilt wird. Dieses trägt dazu bei, dass die Glaubwürdigkeit in
die neuen Rüstungsexportrichtlinien und in den Verhaltendskodex der EU ge-
stärkt wird.

Drucksache 14/3004 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Obwohl für die Türkei im Rahmen ihrer NATO-Mitgliedschaft die Regelungen
der Rüstungsexportrichtlinien für NATO-Länder, EU-Mitgliedstaaten und
NATO-gleichgestellte Länder zutreffen, wonach diese „grundsätzlich nicht zu
beschränken“ sind, ist eine Beschränkung „aus besonderen politischen Gründen
in Einzelfällen“ bei Rüstungsexporten möglich und bei Lieferungen an die Tür-
kei zwingend geboten. Trotz der Verleihung des Kandidatenstatus an die Türkei
auf dem Gipfel des Europäischen Rates in Helsinki im Dezember 1999, hat die
EU förmlich festgestellt, dass die Türkei die „Kopenhagener Kriterien“ derzeit
nicht einhält. Deshalb werden auch noch keine konkreten Beitrittsverhandlun-
gen geführt und nach wie vor Zahlungen an die Türkei blockiert.

Neben einer funktionsfähigen Marktwirtschaft und der Fähigkeit, sich die aus
einer EU-Mitgliedschaft erwachsenen Verpflichtungen und Ziele zu Eigen zu
machen, gehören zu den „Kopenhagener Kriterien“ insbesondere auch die insti-
tutionelle Stabilität, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, Wahrung der
Menschenrechte und Achtung und Schutz von Minderheiten.

Neben der anhaltenden Kritik aus der EU an demokratischen und rechtsstaat-
lichen Mängeln, so z. B. an dem Festhalten an der Todesstrafe, der Antiterror-
gesetzgebung und dem gesetzlichen Umgang mit Minderheiten, z. B. Verbot
anderer Sprachen außer Türkisch, gibt es massive und anhaltende Menschen-
rechtsverletzungen in der Türkei, die vom Europäischen Parlament, vom Euro-
parat und auch der Bundesregierung mehrfach scharf verurteilt wurden. Folter
(vor allem im Polizeigewahrsam), Verschwinden von Personen, nicht aufge-
klärte Todesfälle sowie die Einschränkung der Meinungsfreiheit sind nach wie
vor an der Tagesordnung. Die Zahl der politischen Gefangenen, die unter men-
schenunwürdigen Bedingungen inhaftiert sind, wird auf ca. 10 000 geschätzt.
Zahlreiche Politiker, die Wirtschaft und ein Teil der Öffentlichkeit diskutieren
heute zwar offener als früher über diese Probleme und sorgen ebenso wie Men-
schenrechtsorganisationen dafür, dass dieses Thema nicht aus dem Blick der
türkischen und ausländischen Öffentlichkeit gerät, doch nach wie vor werden
das Eintreten für demokratische Veränderungen, die Forderung nach Meinungs-
freiheit und Pressefreiheit, nach Rechten für die kurdische Minderheit mit der
Verhängung von Gefängnisstrafen beantwortet. Rund 150 Vertreter des öffent-
lichen Lebens, wie z. B. die kurdische Parlamentarierin Leyla Zana oder der
Rechtsanwalt und Schriftsteller Esber Yagmurdereli sind allein aufgrund von
Verstößen gegen die Meinungsfreiheit und das Eintreten für die Rechte der kur-
dischen Minderheit in Haft.

Trotz der Einstellung von Kampfhandlungen seitens der PKK ist es nicht zu
einer Entspannung der Situation im Südosten der Türkei gekommen. In den
fünf kurdischen Provinzen Hakkari, Sirnak, Amed, Dersim und Van herrscht
nach wie vor der von der türkischen Regierung seit vielen Jahren verhängte
Ausnahmezustand mit allen entsprechenden Einschränkungen, wie z. B. der
Anwendung des Kriegsrechts.

Die Bundesrepublik Deutschland liefert seit Jahren militärisches Material an
die Türkei und Griechenland, obwohl es zwischen beiden NATO-Partnern zu
ernsthaften Krisensituationen gekommen ist. Durch die Erhebung der Türkei in
den Stand eines Beitrittskandidaten der EU mit der Stimme Griechenlands, hat
sich das politische Klima beider Staaten zwar verbessert, die Konflikte wurden
bisher jedoch nicht gelöst. So steht eine Lösung über den Streit um die Hoheits-
und Wirtschaftszonen in der Ägäis bisher aus und auch in der Zypernfrage
zeichnet sich keine substantielle Annäherung ab. Auch angesichts der türki-
schen Interessen an den Ölreserven am Kaspischen Meer und den Spannungen
in der Kaukasus-Region ist eine weitere Hochrüstung der Türkei unverantwort-
lich.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/3004

Zu den über 500 000 Soldaten der türkischen Armee kommen über 200 000
dem Innenministerium unterstellte Gendarmeriekräfte sowie ca. 200 000 sons-
tige Sicherheitskräfte, so dass man von rund einer Million Personen ausgehen
kann, die zum Schutz der inneren Sicherheit häufig auch gegen die Bevölke-
rung der Türkei eingesetzt werden. Experten schätzen den Bestand an Kampf-
panzern der Türkei auf über 4 000, hinzu kommen die gleiche Anzahl an Schüt-
zenpanzern sowie ca. 5 000 Geschütze. Der bereits jetzt erreichte Zustand der
Überrüstung, zu dem Deutschland als NATO-Partner in beträchtlichem Umfang
beigetragen hat, darf nicht länger durch Panzer- oder sonstige Waffenlieferun-
gen unterstützt werden. Mindestforderung der Bundesregierung sollten die Ein-
haltung der Kopenhagener Kriterien, die Aufhebung des Ausnahmezustands in
den kurdischen Provinzen und eine politische Lösung der kurdischen Frage
sein.

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