BT-Drucksache 14/2982

Ausschluss von Flüchtlingen und Migranntinnen von Hilfeleistungen aus Stiftungsgeldern für Schwangere und Mütter

Vom 16. März 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

2982

14. Wahlperiode

16. 03. 2000

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Petra Bläss, Ulla Jelpke, Dr. Heidi Knake-Werner, Petra Pau,
Christina Schenk und der Fraktion der PDS

Ausschluss von Flüchtlingen und Migrantinnen von Hilfeleistungen aus
Stiftungsgeldern für Schwangere und Mütter

Die Bundesstiftung „Mutter und Kind – Schutz des ungeborenen Lebens“ stellt
finanzielle Mittel zur Verfügung, um werdenden Müttern in einer Notlage „die
Fortsetzung der Schwangerschaft zu erleichtern“ (Stiftungszweck nach § 2
Abs.1 Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind – Schutz des un-
geborenen Lebens“ [Stiftungsgesetz]). Im Land Berlin werden die Mittel der
Bundesstiftung über die Stiftung „Hilfe für die Familie – Stiftung des Landes
Berlin“ vergeben. Die Berliner Stiftung hat am 29. September 1999 beschlos-
sen, Schwangeren, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
(AsylbLG) erhalten, ab sofort keine Hilfen mehr zu gewähren. In einem Rund-
schreiben der Stiftung an Berliner Beratungsstellen heißt es zur Begründung,
dass diese Entscheidung von dem Willen getragen sei, „eine oft als ungerecht
empfundene Differenzierung der einheitlichen Personengruppe der Asylbewer-
berinnen zu beenden“. Des Weiteren sei es als untragbar angesehen worden,
das vorrangig geltende AsylbLG aus Mitteln der Bundesstiftung „Mutter und
Kind“ zu unterlaufen.

Damit zieht sich die Berliner Stiftung auf das in § 4 Abs. 2 Stiftungsgesetz for-
mulierte Nachrangigkeitsprinzip zurück, demzufolge es eine staatliche Ver-
pflichtung gebe, Bezieherinnen von Leistungen nach dem AsylbLG und dem
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen,
um Notlagen zu vermeiden. Zielgruppe der Stiftung sei der über der Einkom-
mensgrenze der Sozialhilfe liegende Personenkreis (Schreiben der Stiftung
vom 31. Januar 2000 an den Berliner Flüchtlingsrat).

Bereits seit 1996 verweigern die für die Vergabe der Stiftungsmittel zuständi-
gen Einrichtungen in Bayern, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern
und Thüringen Schwangeren in Notlagen dann jegliche Hilfen, wenn sie Leis-
tungsberechtigte nach BSHG oder AsylbLG sind (Frankfurter Rundschau vom
4. Februar 1998). Ob die Bezieherinnen von staatlichen Leistungen auch tat-
sächlich die für sie notwendige Hilfe erhalten, gerät bei dieser Betrachtung völ-
lig aus dem Blick.

Nach Auffassung der frauenpolitischen Sprecherin der saarländischen SPD-
Landtagsfraktion, Isolde Ries, wird durch diese Praxis die Bundesstiftung Mut-
ter und Kind „ad absurdum geführt“. Isolde Ries kritisierte in einer Presseerklä-
rung vom 16. Februar 1998, dass es nicht sein könne, dass gerade die Ärmsten
der Armen aus der Unterstützung einer staatlichen Stiftung herausfallen.
Drucksache

14/

2982

– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Scharfe Kritik kommt auch vom Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg, das
den Vorstand der Berliner Stiftung aufgefordert hat, seine Entscheidung zu-
rückzunehmen. In dem Brief vom 19. November 1999 heißt es: „Es ist unstrit-
tig, dass die Bedarfsdeckung dieser schwangeren Frauen durch die gewährten
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz keinesfalls gedeckt ist. (...)
Es kann nicht als <Unterlaufen> geltender Gesetze gewertet werden, wenn
schwangere Frauen in sozialen Notlagen aus Stiftungsmitteln Unterstützung er-
halten, deren Bedarf vom Sozialhilfeträger nicht gedeckt wird, obwohl dies
dem Gesetz nach durchaus möglich wäre. Die Stiftung wurde vielmehr gegrün-
det, um werdenden Müttern unbürokratisch zu helfen und ihnen die Fortset-
zung einer Schwangerschaft zu erleichtern, unabhängig von Nationalität, Auf-
enthaltsstatus oder Ansehen der Person.“ Auch das Erzbistum Berlin übte
scharfe Kritik. Nach Ansicht der Migrationsbeauftragten des Erzbistums ist
dieser Beschluss „eine Schande für das menschliche Antlitz Berlins“ (Berliner
Zeitung, 6. Januar 2000).

Die Bundesregierung ist im Stiftungsrat vertreten, der die „Richtlinien für die
Vergabe und Verwendung der Stiftungsmittel“ aufstellt (§ 9 Abs. 5 Stiftungsge-
setz). Der vom Stiftungsrat bestellte Geschäftsführer ist „für die Vergabe der
Stiftungsmittel und für die Überwachung ihrer zweckentsprechenden und wirt-
schaftlichen Verwendung verantwortlich (§ 10 Abs. 2) und „die Stiftung unter-
steht der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend“ (§ 12). Die 1984 gegründete Stiftung vergibt die Mittel an Stiftun-
gen bzw. Wohlfahrtsverbände „in den Ländern, die im Rahmen des Stiftungs-
zweckes landesweit tätig sind und dabei keine hoheitlichen Befugnisse wahr-
nehmen“ (§ 3).

Einer Antwort der vorigen Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage im Jahr
1997 (Drucksache 13/8092) ist zu entnehmen, dass sie die grundsätzliche
Nachrangigkeit von Stiftungsgeldern gegenüber anderen staatlichen Leistun-
gen zwar betont, aber ein über die Leistungsansprüche nach dem BSHG und
dem AsylbLG hinausgehender Bedarf „im Einzelfall bei der Bundesstiftung
beantragt werden“ kann.

Eine ähnliche Antwort erhielt die Abgeordnete Regina Schmidt-Zabel (SPD)
auf ihre schriftlichen Fragen zum gleichen Thema im Juni 1998 (Fragen 44
und 45 in Drucksache 13/10939). Darin heißt es: „In außergewöhnlichen Not-
lagen, in denen die Bedürfnisse werdender Mütter durch das Asylbewerberleis-
tungsgesetz oder das Bundessozialhilfegesetz nicht gedeckt werden, besteht ge-
mäß der Zweckbestimmung der Bundesstiftung „Mutter und Kind – Schutz des
ungeborenen Lebens“ weiterhin die Möglichkeit, Hilfe über die jeweilige Lan-
desstiftung zu erhalten. ... es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, inwieweit die
Notlage vorliegt, die den ergänzenden Einsatz von Hilfen der Bundesstiftung
erforderlich macht. ... allein die Tatsache, dass die Einkünfte aus einer be-
stimmten Quelle (z. B. Leistungen der Sozialhilfe) stammen, schließt Hilfen
der Bundesstiftung nicht aus. Deshalb kann es – trotz des ... Grundsatzes der
Nachrangigkeit ... eine absolute Ausgrenzung bestimmter Leistungsempfänge-
rinnen nicht geben.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Aus welchen Mitteln wird die Bundesstiftung „Mutter und Kind – Schutz
des ungeborenen Lebens“ finanziert und wie hoch war das Budget in den
Jahren 1995 bis 1999?

2. Welche Einrichtungen (Name, Sitz) sind in den Bundesländern für die Ver-
gabe der Mittel der Bundesstiftung jeweils zuständig und welche Organisa-
tionen sind bei den Landesstiftungen vertreten
(bitte nach Bundesländern einzeln aufführen)?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 –

Drucksache

14/

2982

3. In welcher Höhe hat die Bundesstiftung in den Jahren 1995 bis 1999 Gel-
der an die in den Ländern für die Vergabe der Mittel der Stiftung Mutter
und Kind zuständigen Einrichtungen weitergegeben
(bitte nach Bundesländern und Jahren aufschlüsseln)?

4. Wie viele schwangere Frauen haben in den Jahren 1995 bis 1999 Hilfen
der Bundesstiftung erhalten und wie viele davon waren

– Frauen mit Anspruch auf Leistungen nach BSHG

– Frauen mit Anspruch auf Leistungen nach AsylbLG
(bitte nach Bundesländern und Jahren aufschlüsseln)?

5. In welcher Höhe haben schwangere Frauen in den Jahren 1995 bis 1999
Hilfen der Bundesstiftung erhalten und welche Beträge davon entfallen auf

– Frauen mit Anspruch auf Leistungen nach BSHG

– Frauen mit Anspruch auf Leistungen nach AsylbLG
(bitte nach Bundesländern und Jahren aufschlüsseln)?

6. In welchen Ländern, seit wann und mit welcher Begründung werden

– Frauen mit Anspruch auf Leistungen nach BSHG

– Frauen mit Anspruch auf Leistungen nach AsylbLG

von den Hilfen der Stiftung Mutter und Kind ausgeschlossen
(bitte nach Bundesländern einzeln aufführen)?

7. Wie viele Anträge von

– Frauen mit Anspruch auf Leistungen nach BSHG

– Frauen mit Anspruch auf Leistungen nach AsylbLG

wurden aufgrund dieser Ausschlüsse in den einzelnen Ländern gar nicht
erst angenommen oder abgelehnt
(bitte nach Bundesländern und Jahren einzeln aufschlüsseln)?

8. Haben die einzelnen Landesstiftungen und Vergabestellen nach Kenntnis
der Bundesregierung die Möglichkeit, ausgezahlte Mittel zurückzufor-
dern?

Wenn ja:

a) Nach welchen Kriterien werden die Gelder zurückgefordert?

b) In welcher Höhe wurden in den Jahren 1995 bis 1999 Gelder zurück-
gefordert?

c) Trifft es zu, dass in einzelnen Bundesländern Rückforderungen erhoben
wurden, wenn Frauen eine Totgeburt hatten

(bitte nach Bundesländern getrennt beantworten)?

9. Wie interpretiert die Bundesregierung den § 4 Abs. 2 (Stiftungsgesetz),
nach dem Leistungen aus Mitteln der Stiftung nur gewährt werden oder zu-
gesagt werden dürfen, „wenn die Hilfe auf andere Weise nicht oder nicht
rechtzeitig möglich ist oder nicht ausreicht“?

10. Wie bewertet die Bundesregierung das Argument der Berliner Stiftung,
durch Zurverfügungstellung von Mitteln der Bundesstiftung „Mutter und
Kind“ werde das Asylbewerberleistungsgesetz unterlaufen?

11. a) Ist der Bundesregierung die Aussage der Berliner Stiftung bekannt, dass
schon die Richtlinien von 1990 vorsehen würden, Frauen mit Anspruch
auf Leistungen nach BSHG und AsylbLG nicht zu fördern, dass diese
Handhabung der Praxis anderer Bundesländer entspreche und von der
Drucksache

14/

2982

– 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Bundesstiftung gebilligt werde (vgl. Brief der Stiftung an den Flücht-
lingsrat Berlin vom 31. Januar 2000)?

b) Stimmt die Bundesregierung dieser Aussage zu, und wenn nicht, was
gedenkt sie dagegen zu unternehmen?

12. a) Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Berliner Stiftung zwar
Flüchtlingsfrauen aus dem Bezug der Hilfe ausschließen will, gleichzei-
tig aber die Einkommensgrenze beim zweifachen bzw. zweieinhalbfa-
chen Sozialhilfesatz zuzüglich eines Zuschlages von bis zu 50 % dieser
Beträge – im Ergebnis also den drei- bis vierfachen Sozialhilfesatz (zu-
züglich der Wohnungskosten) festgelegt hat und damit Frauen fördert,
die wesentlich mehr Geld zur Verfügung haben als Frauen, die staatliche
Leistungen erhalten (vgl. Rundschreiben der Stiftung an alle Beratungs-
stellen vom 15. Dezember 1994)?

b) Welche Einkommensgrenzen gelten nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in den anderen Bundesländern?

13. Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund der genannten
Einkommensgrenzen die Aussage der Berliner Stiftung, Zielgruppe der
Stiftung sei der über der Einkommensgrenze der Sozialhilfe liegende Per-
sonenkreis?

Geht die Bundesregierung angesichts dieser Einkommensgrenze noch da-
von aus, dass die Mittel zweckentsprechend vergeben wurden?

14. Wie schätzt die Bundesregierung

– den Beschluss der Bayerischen Landesstiftung „Hilfe für Mutter und
Kind“ aus dem Jahr 1997 ein, aufgrund eines enormen Anstiegs der An-
tragszahlen die Vergabepraxis dahin gehend zu ändern, Frauen, die
Leistungen nach dem AsylbLG erhalten, keine Unterstützung durch die
Stiftung mehr zu gewähren,

– die Aussage der Bayerischen Landesstiftung ein, dass in anderen Bun-
desländern bereits „seit Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgeset-
zes im Jahre 1993 keine Leistungen aus der Schwangerenhilfe an Be-
rechtigte nach AsylbLG“ mehr gewährt würden (vgl. „Änderung der
Vergabegrundsätze“, München 2. Mai 1997)?

15. Teilt die Bundesregierung die Meinung des Diakonischen Werkes Berlin-
Brandenburg, dass die Bedarfsdeckung von schwangeren Frauen, die Leis-
tungen nach AsylbLG erhalten, keinesfalls gedeckt ist?

Wenn nein, warum nicht?

16. Teilt die Bundesregierung die Meinung, dass es nicht sein könne, dass ge-
rade die Ärmsten der Armen aus der Unterstützung einer staatlichen Stif-
tung herausfallen?

Wenn nein, warum nicht?

17. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Vorgängerregierung, dass allein
die Tatsache, dass die Einkünfte aus einer bestimmten Quelle (z. B. Leis-
tungen der Sozialhilfe) stammen, Hilfen der Bundesstiftung nicht aus-
schließt und es deswegen trotz des Grundsatzes der Nachrangigkeit keine
Ausgrenzung bestimmter Leistungsempfängerinnen geben darf?

Wenn nein, warum nicht?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 –

Drucksache

14/

2982

18. Teilt die Bundesregierung die Meinung,

– dass erst durch eine Einzelfallprüfung entschieden werden kann, ob eine
Notlage vorliegt, die den ergänzenden Einsatz von Hilfen der Bundes-
stiftung erforderlich macht,

– dass ein grundsätzlicher Ausschluss von Bezieherinnen staatlicher Leis-
tungen diesem Einzelfallprinzip entgegensteht?

Wenn nein, warum nicht?

19. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Diakonischen Werkes Ber-
lin-Brandenburg, dass die finanzielle Unterstützung von Notlagen, nicht
aber von Nationalität, Aufenthaltsstatus oder Ansehen der Person abhängig
gemacht werden darf?

Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung einen Ausschluss, der anhand
von Kriterien vorgenommen wird, die auf Nationalität und Aufenthalts-
status hinauslaufen?

Wenn nein, warum nicht?

20. Hält die Bundesregierung den generellen Ausschluss

– von Leistungsberechtigten nach BSHG und

– von Leistungsberechtigten nach AsylbLG

im Sinne der Zielsetzung der Stiftung für zulässig?

21. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die Landesstiftungen und Ein-
richtungen, die die Mittel in den einzelnen Bundesländern vergeben, trotz
der geltenden Ausschlussregelungen für bestimmte Personengruppen die
ihnen von der Bundesstiftung zugewiesenen Haushaltsmittel zweckent-
sprechend verwenden, und wenn ja, warum?

22. Welchen Einfluss nimmt die Bundesregierung über den Stiftungsrat oder
andere Gremien der Bundesstiftung auf

– die Auswahl der für die Vergabe der Mittel zuständigen Organisationen,

– die Formulierung der Richtlinien in den einzelnen Landesstiftungen,

– die Vergabepraxis in den einzelnen Bundesländern?

23. Beabsichtigt die Bundesregierung, ihren Einfluss auf die Vergabestellen in
den einzelnen Bundesländern zu nutzen, um gegen den in einigen Ländern
praktizierten generellen Ausschluss von Leistungsberechtigten nach BSHG
und AsylbLG vorzugehen?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 13. März 2000

Petra Bläss
Ulla Jelpke
Dr. Heidi Knake-Werner
Petra Pau
Christina Schenk
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.