BT-Drucksache 14/2935

Streitschlichtungsverfahren der Welthandelsorganisation zu Asbestimporten in die EU

Vom 6. März 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/2935
14. Wahlperiode 06. 03. 2000

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ursula Lötzer, Eva-Maria Bulling-Schröter und der Fraktion
der PDS

Streitschlichtungsverfahren der Welthandelsorganisation zu Asbestimporten
in die EU

Nach dem Handelsstreit zwischen den USA und Europa über die Einfuhr
hormonbehandelten Rindfleisches in der Welthandelsorganisation (WTO) steht
möglicherweise im März 2000 ein weiterer Konflikt bevor. Dann nämlich wird
das Urteil im Streitschlichtungsverfahren (WT/DS135) der WTO zwischen
Kanada und der EU erwartet, welches das Asbestverbot in der EU behandelt.
Konkreter Ansatz der kanadischen Klage ist das französische Asbestverbot
vom 24. Dezember 1996. Die französische Regierung schloss sich damit den
bereits zuvor verhängten Verboten der Produktion und des Imports von Asbest
in anderen europäischen Staaten an. Aufgrund einer Vielzahl von wissenschaft-
lichen Studien, darunter einer britischen, die bis zum Jahr 2020 für die EU
500 000 Tote durch den Einsatz von Asbest prognostizierte, wurde das Verbot
verhängt und mit dem vorbeugenden Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucher-
schutz gerechtfertigt.

Kanada als weltweit zweitgrößter Exporteur von Asbest reichte die Klage am
28. Mai 1998 mit der Begründung ein, dass nach den WTO-Regeln vor allem
das Importverbot von Asbest unzulässig sei. Selbst wenn es rechtlich zulässig
wäre, so müsse die französische Regierung Kompensationszahlungen für den
entgangenen Absatz kanadischer Unternehmen leisten. Zusätzlich drohte
Kanada der EU mit einem weiteren Verfahren, nachdem die EU im Juli 1999
ein „generelles“ Asbestverbot verabschiedete. Kanada führt die Unzulässigkeit
der Verbote auf die Verletzung des in der WTO geltenden TBT-Abkommens
(TBT: Technical Barriers to Trade) und der GATT-Artikel III/XI (Verbot
mengenmäßiger Importrestriktionen und Verbot von Handelsdiskriminierung)
zurück.

In der laufenden Verhandlung wird damit erneut die generelle Frage aufge-
worfen, inwieweit nationale (oder europäische) Regelungen ergriffen werden
können, die den Handel mit gefährlichen Substanzen aufgrund präventiven Ge-
sundheits- und Umweltschutzes einschränken oder verbieten. Darüber hinaus
betrifft die Klage elementare Arbeitsschutzrechte. So führt die Weltgesund-
heitsorganisation (WHO) jährlich 160 Millionen Krankheitsfälle am Arbeits-
platz auf die mangelnde Anwendung bestehender Gesundheits- und Sicher-
heitsbestimmungen zurück.

Auch die Diskussion über das Asbestverbot in der Bundesrepublik Deutschland
resultierte aus dem Bedürfnis nach präventiven Maßnahmen für Beschäftigte

Drucksache 14/2935 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

und Verbraucher. Der damalige Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung,
Norbert Blüm, begründete die Durchsetzung eines umfassenden europäischen
Import-, Herstellungs- und Verwendungsverbot „angesichts des menschlichen
Leidens sowie der auf mehrere Milliarden Mark geschätzten Folgekosten für
Asbestsanierung“. Ein entsprechender Sieg Kanadas im WTO-Verfahren würde
deshalb nicht nur den Handel betreffen, sondern könnte die Frage der Produktion
und des Einsatzes von Asbest im Inland erneut auf die Tagesordnung bringen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung das laufende Verfahren?

a) Wie schätzt sie den Ausgang ein?

b) Welche Verständigungen auf europäischer Ebene gibt es hinsichtlich
einer gemeinsamen Position?

c) Wie beurteilt sie die Auswirkungen auf die gesetzlichen Bestimmungen
zum Asbestverbot in der Bundesrepublik Deutschland?

2. Welche allgemeinen Konsequenzen ergeben sich für die Bundesrepublik
Deutschland, falls die EU als beklagte Partei im Streitschlichtungsverfahren
unterliegen sollte?

a) Wie würde die Bundesregierung den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
sicherstellen?

b) Würde der Import von Asbest in die Bundesrepublik Deutschland zuge-
lassen?

c) Wenn nicht, mit welcher Begründung könnte dies verhindert werden?

Wäre die Bundesrepublik Deutschland direkt oder indirekt über die EU
bereit, Kompensationszahlungen an Kanada zu leisten?

Wenn nicht, welche Begründung würde herangezogen?

3. Sieht sie einen Konflikt zwischen dem Grundsatz der WTO einer Nichtdis-
kriminierung im internationalen Handel einerseits und den nationalen vor-
beugenden Regelungen zum Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutz
andererseits?

a) Wenn nein, warum gibt es nach Ansicht der Bundesregierung überhaupt
Streitschlichtungsverfahren wie zum hormonbehandelten Rindfleisch und
Asbestverbot?

b) Welchen Stellenwert hat der vorbeugende Gesundheits-, Umwelt- und
Verbraucherschutz bei der gleichzeitigen Zielsetzung nach weiterer Han-
delsliberalisierung?

c) Wie soll das Problem gelöst werden, dass die wissenschaftlichen Er-
kenntnisse (sound scientific evidence) und/oder internationalen Stan-
dards, nach denen das SPS-Abkommen (SPS: Sanitär und Phytosanitär)
zwar das Ergreifen vorläufiger Maßnahmen auf der Basis des Vorsorge-
prinzips erlaubt, aber bei vielen Umweltproblemen kein hundertprozen-
tiger Nachweis erbracht werden kann oder dies erst Jahre später gelingt?

d) Ist es nach Ansicht der Bundesregierung demzufolge gerechtfertigt, das
das Vorsorgeprinzip bereits im Verdachtsfall auch ohne hundertprozen-
tigen Nachweis dazu dienen kann, den Handel einzuschränken oder zu
verbieten (siehe hormonbehandeltes Rindfleisch)?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/2935

e) Wie steht die Bundesregierung zum Vorschlag, für konkrete Handels-
fragen und -konflikte, die den vorbeugenden Gesundheits-, Verbraucher-
und Umweltschutzes berühren, eine Beweislastumkehr durchzusetzen?

f) Wie begründet sie ggf. eine ablehnende Haltung zur Beweislastumkehr?

4. Wie will die Bundesregierung die Fragen zum vorbeugenden Verbraucher-
und Gesundheitsschutz nach dem Scheitern der WTO-Runde in Seattle, ins-
besondere außerhalb des von ihr gestützten umfassenden europäischen Ver-
handlungsmandats, klären?

a) Kommen für die Bundesregierung diesbezügliche Verhandlungen außer-
halb einer umfassenden Runde in absehbarer Zeit in Frage und wenn
nein, wie sollten ähnlich gelagerte Handelskonflikte vermieden werden?

b) Welche konkreten Vorschläge über die im EU-Verhandlungsmandat for-
mulierten Ziele einer „Förderung der Einführung internationaler Normen
und deren Glaubwürdigkeit“, der „Gewährleistung einer angemessenen
Beteiligung aller interessierten Parteien, einschließlich der Verbraucher,
an den Entscheidungsprozessen im Zusammenhang mit der Aufstellung
internationaler Nahrungsmittelnormen“ und einer „Klärung und Straf-
fung der bestehenden WTO-Regeln für die Berufung auf das Vorsorge-
prinzip“ bringt die Bundesregierung in die Diskussion ein?

5. Welches sind nach Ansicht der Bundesregierung die Vorteile und die Nach-
teile des Streitschlichtungsverfahrens (Dispute Settlement Body) der WTO?

a) Wo sieht die Bundesregierung Reformbedarf, und welche Vorschläge
bringt sie ein?

b) Wie können sich nach Ansicht der Bundesregierung ökonomisch schwa-
che Staaten überhaupt gegen die Senkung von Gesundheits-, Umwelt-
und Verbraucherstandards durch die Anrufung des Streitschlichtungsver-
fahrens bzw. die Androhung wehren, wenn man bedenkt, dass bereits ein
einziges Verfahren mehrere Millionen US-Dollar kostet und hochqualifi-
zierten Rechtsbeistand benötigt?

c) Wird die Bundesregierung alleine oder in Absprache mit den übrigen
Industrieländern Initiativen ergreifen, um den Entwicklungs- und
Schwellenländern die notwendige finanzielle und intellektuelle Hilfe zu
geben, damit diese überhaupt den Rechtweg in der WTO in Anspruch
nehmen können?

d) Sieht die Bundesregierung einen Widerspruch zwischen der Gewährung
der formalen Rechtsgleichheit und der tatsächlichen Inanspruchnahme
und Durchsetzung von Rechten zwischen Staaten mit unterschiedlicher
ökonomischer Macht und wie begründet sie ihre Haltung?

Berlin, den 3. Februar 2000

Ursula Lötzer
Eva-Maria Bulling-Schröter
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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